Meine Devise ist „learning by doing“. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich ohne großen Theorie-Ballast ins kalte Wasser springe und mich ausprobiere. Gelernt habe ich dabei viel, Projekte erfolgreich ins Ziel geführt vergleichsweise selten. Das kompensiere ich mit der Frequenz, in der ich neue Projekte starte. Hier und da gelingt dann auch mal ein Volltreffer, wie die Umsetzung eines eigenen Festivals, eine Buchveröffentlichung und andere abenteuerliche Dinge, die mich begeistern, aber nur allzu selten finanzieren.
Ich kann noch so oft von meinem Netzwerk und diverser Fachliteratur darin bestärkt werden, dass mein irrational sprunghaftes Verhalten meiner Hirnchemie geschuldet ist. Der einzige, der sich weigert mich von Schuld freizusprechen, bin ich selbst. Mein Anspruch dem allgegenwertigen Idealbild des „normal funktionierenden“ Menschens zu genügen, ist natürlich auch äußeren Zwängen geschuldet, aber das Leben macht man sich mit Selbstvorwürfen garantiert nicht leichter.
Leerlauf in Überschallgeschwindigkeit
Von meinem Antrieb könnten viele Menschen grundsätzlich eigentlich nur träumen. Vor allem in jüngeren Jahren war ich eine Ideen-Maschine und permanent im Lernmodus. Ich habe zwei Ausbildungen abgeschlossen, einige weitere angefangen und mich autodidaktisch fachfremd weitergebildet. Ich bin Medienkaufmann, Audio Engineer, Musiker, Autor, Eventmanager, PR- & Social Media Manager uvm. – und das sind nur Berufsfelder in denen ich tatsächlich ausgebildet bin oder gearbeitet habe. Darüber hinaus habe ich mich mit Medienpädagogik beschäftigt, mit Online-Marketing, war 2014 / 2015 kurz davor mit einem eigenen Shop für Indie-Literatur durchzustarten und kenne mich notgedrungen hervorragend mit den Irrungen und Wirrungen der menschlichen Psyche aus, was mich in meinem privaten Umfeld zu einem beliebten Ansprechpartner macht.
Trotzdem antworte ich auf die Frage, was ich derzeit gerade mache häufig mit „nichts“ oder „das übliche“. Denn in der Tat ist mein Multitalent in der Praxis kaum zu gebrauchen. Erstens weil der Markt in der Regel den schmalbandig ausgebildeten Spezialisten benötigt, zweitens weil meine Hirnbotenstoffe etwas gegen Kontinuität haben. So lange ich zu unterschiedlichen Zeiten an mehreren Projekten werkeln und frei gestalten kann, sprudelt das Dopamin von selbst. Kann ich mir monetär betrachtet aber nicht leisten, weshalb die Dienstleistung ein weiterer wichtiger Baustein meiner Existenz ist. Umso fremdbestimmter und fachfremder die Aufgabe, desto mehr machen sich Prokrastination, Ermüdung und Anspannung breit. Mein sonst so frei sprudelndes Gehirn muss fokussiert und zielgerichtet Aufgaben nach externen Vorgaben umsetzen. Es wehrt sich gegen diese Einengung und verlangt nach Ablenkung – eine ungesunde Abwärtsspirale aus grundsätzlichem Willen zur Produktivität, aber mangelnder Umsetzungsfähigkeit nimmt ihren Lauf.
Allheilmittel Ritalin?
Zum Glück gibts da auch was von Ratiopharm. Oder korrekterweise – von der MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG. Das Produkt nennt sich Medikinet Adult und ist die einzig zugelassene Variante von Ritalin für ADHS im Erwachsenenalter.
Und ja – das Zeug hilft wirklich. Für den Zeitraum von vier bis sechs Stunden gleichen sich Motivation und Fokus dem Niveau natürlich funktionierender Menschen an. Eine Arbeitsmaschine wird man damit nicht automatisch, aber man kann sich mit weitaus weniger Einsatz von Disziplin dazu bringen, unliebsame Aufgaben anzugehen und angefallenes Chaos zu entwirren.
Leider geht der Prozess nicht ganz nebenwirkungsfrei vonstatten. Das gefürchtetste Phänomen ist der Rebound – ein spürbares Abklingen der Wirkung, einhergehend mit Verstimmtheit, bis hin zu ängstlich-depressiver Unruhe. Zwar reduziert sich dieser Effekt bei regelmäßiger Einnahme, allerdings auch die Wirkung. Dosiert man irgendwann hoch, ist der Rebound proportional zur Wirkung wieder da.
Aus diesem Grund nutze ich Medikinet Adult eher als Bedarfsmedikation in niedriger Dosis. Zumal es in vielen Momenten unpassend ist. So verstärkt es bspw. Adrenalin-geladene Situationen wie Sport oder Gesang, so dass große Nervosität entsteht. Im Extremfall Panik. Ich betrachte das Medikament als einen Booster, um zähe Routinearbeit am Schreibtisch durchzuboxen. In dem Kontext ist es unschlagbar und der Rebound wird von dem entspannten Gefühl endlich wieder etwas geschafft zu haben abgefedert.
Kleine Komfortzone und unerträgliche Passivität
Sowohl mit, als auch ohne Medikation, ist ADHS mit erheblichen Stimmungsschwankungen verbunden. Schnell schlägt es nach oben in Richtung Stress, oder nach unten in Richtung depressive Verstimmung aus. Der Wohlfühlbereich in der Mitte ist schmal. Passive Unterhaltung, wie Filme oder Serien, kann kaum genossen werden. Schnell macht sich Unruhe breit und das Gefühl sich bewegen oder etwas erledigen zu müssen. Wenn ein Buch in die Hand genommen wird, dann kein Roman, sondern Fachliteratur. Man könnte ja was verpassen. Und wenn das alles gerade zu stressig ist, dann wird multitaskend prokrastiniert. Auf dem Rechner sind mindestens ein Fenster Facebook und ein Fenster Youtube geöffnet. Auf dem Schreibtisch liegt das Smartphone. Ablenkung ist alles. Videospiele gehen gerade noch so ohne parallele Nebenbeschäftigung. Wenn es einfach genug ist um schnell Belohnungen auszuschütten, aber gerade noch so fordernd, dass man das Gefühl hat die Erfolge verdient zu haben. Mit zunehmendem Alter schlafe ich beim zocken allerdings auch gerne schon mal ein.
Geheimtipp für Betroffene: ASMR
Da wir ADHSler ständig unter Strom stehen – unabhängig wie erfolgreich wir dabei sind – sehnen wir uns dementsprechend oft nach wirklicher, tief empfundener Ruhe. Viele finden diese im Sport, anderen helfen progressive Muskelentspannung, Yoga oder Meditation.
Ich persönlich kann nichts aus den herkömmlichen Methoden ziehen. Sport ist ein Stressor, den ich allenfalls zur Gewichtsreduktion in Kauf nehme und bei Meditation krieg ich zuviel.
Was mir jedoch hilft meditative Sphären zu erreichen, sind binaurale Klänge, erzeugt von ASMR-Artists auf Youtube. ADHS verlangt nach permanenter Stimulation, statt nach Ruhe. Die dreidimensionalen Geräusche, die mittels Fingertippen auf Holz rund um den Kopf herum erzeugt werden und zahlreiche andere akustische Sensationen, lösen bei mir ein tiefes Gefühl von Entspannung aus. Es hilft Abstand von mir selbst zu gewinnen und mit dem Moment zu verschmelzen. Ich sehe es als eine Art „Meditation mit Krücke“ und ich bin froh etwas gefunden zu haben, das es mir erlaubt diesen heilsamen Zustand ebenfalls zu erfahren.
Eure Erfahrungen?
Wie ist es bei euch? Habt ihr selbst oder in der Familie Erfahrungen mit ADHS? Ist das Thema neu für euch und habt ihr Fragen? Ich freue mich über Austausch zum Thema!
Interessant, was du so berichten kannst. Wir sind in der Familie mit der Variante ohne das "H" betroffen. Also ADS. Aber die Neigung, irgendwie alles gleichzeitig machen zu müssen, kommt mir doch sehr bekannt vor. ;)
Wie ist deine Stressresistenz? Die ist bei mir nämlich praktisch Null. Das hat natürlich gewisse negative Auswirkungen auf das gesamte Leben.
Und was Geräusche betrifft: Berieselung durch Musik etc. im Hintergrund ist für mich unerträglich, weil ich da automatisch immer genau zuhöre und das nicht als nebensächlich ausblenden kann. Wenn ich Musik höre, dann höre ich auch wirklich Musik. D.h. ich höre dann bewusst du. Alles andere empfinde ich irgendwie nur als störenden Lärm, besonders, wenn es nicht meine Richtung ist. Radiogedudel ist für mich praktisch die Höchststrafe am Frühstückstisch. Damit hat sich meine Familie zum Glück längst abgefunden. ;)
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Meine Stressresistenz ist entsprechend gering ausgeprägt. Der Pegel schlägt schnell nach oben aus und die benötigten Erholungsphasen sind lange. Allerdings bin ich sehr schnell und sehr effizient, wenn ich einen Run habe.
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Aloah
Kann viel von dem bestätigen was du beschreibst,kein Wunder habe selbst ADHS.
Ich finde es prima wenn Betroffene einen Einblick zu ADHS geben weil in der Öffentlichkeit immer noch ein sehr verzerrtes Bild besteht.Viele Unwahrheiten,viele Halbwahrheiten und schlichte Unkenntnis was ADHS überhaupt alles ist bzw. was es ausmacht.
Das es eine Einschränkung in der Lebensführung/Leidensdruck bei dem einen mehr bei dem anderen weniger bedeutet.
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Hallo ! Ich habe mal den Beitrag geteilt (und dabei festgestellt, dass Teilen im ADHS-Forum http://chainbb.com/adhs gar nicht so einfach ist.
Viel Spass auf Steemit und ich bin gespannt auf weitere Beiträge bzw. auf die weitere Vernetzung in der ADHS und ADHD-Szene in einem positiven Sinne...
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Es gibt leider die Auffassung, dass AD(H)S keine Krankheit ist. Zwar sind sich auch vorschnelle Diagnosen durch weniger sorgfältige oder qualifizierte Ärzte erstellt wurden. Aber es gibt Kliniken, die sich damit (jedenfalls bei Kindern) gut auskennen und dann kommt man unter 10 verschiedenen Untersuchungen, IQ-Test usw. nicht davon. ;)
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Aahhhhhrghhhh....und wenn wir dann weglaufen? Wer regelt dann alles??
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Hi! I am a robot. I just upvoted you! I found similar content that readers might be interested in:
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