Von Martin Greger
Dieses Kruzifix steht im Kölner Dom und stellt entgegen der üblichen, bloß leidenden Darstellung von Christus am Kreuz etwas sehr Interessantes dar.
Man könnte es die Doppelnatur der Kreuzigung nennen.
Darstellungen der Kreuzigung sind keineswegs auf unsere christliche Kultur beschränkt, sondern finden sich in allerlei vorchristlichen und nicht mit dem Christentum verbundenen Kulturen. So hängt der germanische Odin gleichermaßen am Kreuz wie der griechische Dionysos. Es gibt auch vorchristliche Darstellungen aus Mexiko, bei denen indianische Götter gekreuzigt sind.
Der Thüringer Gero war von 969 bis 976 Erzbischof des Erzbistums Köln.
Über Gero weiß Wikipedia zu berichten:
„Gero reiste 971 im Auftrag des Kaisers Otto I. nach Konstantinopel (das heutige Istanbul), um eine Tochter des oströmischen Kaisers als Braut für den Kaisersohn Otto, den späteren Kaiser Otto II., zu vermitteln. Nach längeren Verhandlungen brachte er als Braut schließlich die 12-jährige Kaisernichte Theophanu mit ins Heilige Römische Reich. Theophanu hatte zahlreiche Künstler und Handwerker in ihrem Gefolge, die zu dem wachsenden Einfluss byzantinischer Kunst im Reich beitrugen“.
Wie könnte man den im Gerokreuz angedeuteten byzantinischen Hintergrund beschreiben? Ich nenne es die „Doppelnatur der Kreuzigung“.
Diese Doppelnatur weist auf das Wachstum des Ewigen Bewusstseins hin, das mit dem raum-zeitlich-biologischen Bewusstsein ringt, welches hierdurch leidet.
Das Kreuz besteht aus dem „materiell-dieseitig-horizontalen Balken“, der von dem „astral-jenseitigen-Balken“ gekreuzt wird, wie er uns während des Schlafes und im Tod entgegentritt.
Das Wesen der Passionsgeschichte ist aber die Auferstehung von diesem zwanghaften Kreislauf in den zwei Hälften einer reduzierten Welt.
Mohammed nennt es, auf Jesus bezogen: „Gott hat ihn zu sich in den Himmel erhoben.“
Im dargestellten Gerokreuz zeigt sich der alte, ursprüngliche Einfluss der griechischen Orthodoxie: Wir erkennen die Auferstehung im flammenden goldenen Körper, der den zweifellos leidenden physischen Körper umhüllt.
Aber auch die Juden kannten diese Art der Kreuzigung. Bereits 1000 Jahre vor der historischen Passionsgeschichte schreibt Jesaja im 17. Kapitel Vers 11:
„Zur Zeit des Pflanzens wirst du sein wohl warten, dass dein Same zeitlich wachse; aber in der Ernte, wenn du die Mandeln sollst erben, wirst du dafür Schmerzen eines Betrübten haben.“
Der Jude Saulus, der zum christlichen Paulus wurde, beschreibt diese Kreuzigung im 2. Korintherbrief Kapitel 4, Vers 17 bis 18:
„Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maßen wichtige HERRlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“
Mohammed weist die Juden, die sich der Beseitigung eines Ketzers in ihren Reihen rühmen, im Koran in der 4. Sure zurecht. Auch er kennt die Doppelnatur der Kreuzigung und die Verherrlichung des Ewigen Menschen, was in den Versen 157 und 158 deutlich wird:
„Sie sagten: Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet. Aber sie haben ihn in Wirklichkeit nicht getötet und auch nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien es ihnen nur so. Und diejenigen, die über ihn uneins sind, sind im Zweifel über ihn. Und sie können nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihn getötet haben. Nein, Gott hat ihn zu sich in den Himmel erhoben, Gott ist mächtig und weise."
Was als goldenes flammendes Ei im Gerokreuz dargestellt wird, ist nichts anderes als eine Fortführung der Mysterien der angelsächsischen Göttin Ostara. Das christliche Osterfest hat ihren Namen erhalten. Das goldene Ei symbolisiert die Befruchtung eines in der Endlosschleife von Diesseits und Jenseits gefangenen Menschen (Kreuz) durch ein ewiges Bewusstsein, welches sich in einer viele Meter großen Kugel um den biologischen Menschen herum befindet.
Es ist die Fruchtbarkeit, die zu einem Allgegenwärtigkeitsbewusstsein führen will (beginnend als goldenes Ei).
Die Heilung von Besessenen und die Austreibung von Geistern in den Evangelien zeigt allerdings, dass in dieser Kugel noch sehr viele Dämonen hausen, von denen der Mensch befreit werden muss, ehe er, verwandelt, diesen Neuen Himmel und die Neue Erde bewohnen kann.
Der materiell-astrale Mensch schafft sich nämlich allerlei mentale Bauwerke, die er durch seine Wünsche wachsen lassen kann. Man sollte diese Bauwerke nicht durch Kritik einreißen.
Aber der Mensch der Kreuzigung und Auferstehung, der die andere Welt kennen lernt, der sich nach ihr sehnt, der in ihr wächst, hat die alte Welt als sehr begrenzt und leidvoll erkannt. Er fängt an, Schriftgelehrte mit dieser Realität zu konfrontierten. Dabei ist er keinesfalls der süßlich-leidende Sandalenträger mit Löchern in Händen und Füßen, den uns sentimentale Passionsgeschichten suggerieren.
Das Feuerkleid des Neuen Menschen, so sagt das 10. Buch des Corpus Hermeticum, erzeugt andere Bauwerke und da bleibt der Respekt des Menschen in der Auferstehung vor den Bauwerken des alten Menschen doch sehr begrenzt.
Das Corpus Hermeticum beschreibt dies so:
„Der Geist ist das schnellste und durchdringendste von allem, was Gott erdacht hat, und benutzt als Körper das schnellste und durchdringendste aller Elemente, das Feuer. Der Geist ist der Schöpfer aller Dinge, und als Werkzeug für seine Schöpfung benutzt er das Feuer. Der Geist des Alls ist Schöpfer aller Dinge; der menschliche Geist ist nur Schöpfer der Dinge auf Erden. Denn entkleidet des Feuers, kann der im Menschen wohnende Geist nicht das Göttliche schaffen, weil er durch seine Wohnung menschlich ist.
Die menschliche Seele, allerdings nicht jede, sondern nur die fromme, ist in gewisser
Weise von dämonischer und göttlicher Natur.Und eine solche Seele wird nach der
Trennung vom Körper ganz Geist, nachdem sie den Kampf um die Frömmigkeit bestanden hat - der Kampf um die Frömmigkeit besteht darin, das Göttliche zu erkennen und keinem Menschen Unrecht zu tun“.
Die Kreuzigung, die zur Auferstehung führt, stellt den Menschen an einen Scheideweg: er erlebt eine äußere, relative Welt und eine Innere Absolute. Kennzeichen der Kreuzigung ist daher für das äußere Bewusstsein Leid und Verlassenheit und für das Innere Bewusstsein Verherrlichung und Auferstehung.
Eli, Eli, lamah asabthani in Matth. 27, 46 und Mark. 15, 34 drückt den Schrei des sterbenden, aufs Äußere gerichtete Bewusstseins und zugleich das Aufgehen in Gott aus.