Clearview: Zeig mir dein Bild und ich sage dir, wie du bist
Philip Banse im Gespräch mit Constanze Kurz und Tobias Matzner
Nicht nur für Regierungen und Datenkraken könnte „Clearview“ ein nützliches Tool sein, sondern auch für Persönlichkeitspsychologen im Dienst der Marktforschung. (picture alliance / pro shots / Remko Kool)
Gesichtserkennung trifft Big Data: Durch die App Clearview wird Überwachung in ganz neuer Dimension möglich. In Echtzeit gleicht sie ein Bild mit drei Milliarden Fotos und Videos im Netz ab. Lässt sich mithilfe von Clearview auch menschliches Verhalten vorhersagen?
Eine Person fotografieren, das Bild hochladen und mit drei Milliarden Bildern im Netz abgleichen, um herauszufinden: In welchen Situationen und Kontexten taucht diese Person noch auf? Wer ist sie? Was macht sie? Nimmt sie zum Beispiel an Demonstrationen teil? Wo hat sie ihren letzten Urlaub verbracht? Wo und was kauft sie ein?
Das klingt nach einer beklemmenden Zukunftsvision à la George Orwell, ist dank der App „Clearview“ aber bereits Realität. Bisher wird Clearview nur von Behörden in den USA und Kanada genutzt, etwa im Zusammenhang mit Strafverfolgung und polizeilichen Ermittlungen. Aber auch für Diktaturen könnte Clearview von Interesse sein, um Bürger besser überwachen zu können.
Oder für Psychologen: Denn schon lange sei es das Anliegen der Psychologie, menschliches Verhalten vorhersagen zu können, meint Jule Specht, Professorin für Psychologie an der Berliner Humboldt-Universität. Zum Teil mit ganz konkreten Zielsetzungen: etwa um Banken ein Entscheidungsmodell an die Hand zu geben, wer einen Kredit bekommen sollte und wer nicht. Hier ergeben sich durch eine Technologie wie Clearview unter Umständen viel bessere Möglichkeiten, aussagekräftige Persönlichkeitsprofile zu erstellen, als durch Laborexperimente oder Fragebögen zur Selbstbeschreibung.
Wie dynamisch ist Persönlichkeit?
Aber was wären solche Verhaltensprognosen überhaupt wert – von den ethischen und datenrechtlichen Problemen einmal abgesehen? Denn sie stützen sich auf ein Persönlichkeitskonzept, das durchaus diskussionswürdig sind:
So herrscht in der Wissenschaft Konsens über die „Big Five“ – fünf angeblich stabil zuschreibbare Dimensionen, mittels derer sich die Persönlichkeit von Menschen beschreiben lasse: Extraversion, Verträglichkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Was aber, wenn die Ergebnisse, die da beispielsweise für Unternehmen und Werbung zum Ausgangspunkt genommen werden, noch nicht einmal zutreffend sind? Weil Persönlichkeit etwas weniger Statisches ist, als von vielen angenommen wird?
Über diese Fragen diskutiert Philip Banse mit dem Medienwissenschaftler Tobias Matzner und der Informatikerin Constanze Kurz.
Kurz sagt, dass sich durch die fortschreitende Erkennung, nicht nur von Gesicht, sondern auch Gang und Stimme das Konzept des öffentlichen Raums radikal verändern wird. Außerdem erinnert sie daran, dass in den USA Ladenketten jetzt schon auf Gesichtserkennung gegen potenzielle Ladendiebe, aber auch zur Überwachung des eigenen Personals, setzen.
Matzner weist auf die Gefahr hin, dass es in Zukunft sehr schwer sein könnte, sich gegen Institutionen zu wehren, die aufgrund von Erkennungssoftware Urteile über einen fällen, da diese vermeintlich objektiv seien. Dabei seien alle Machine-Learning-Algorithmen vorurteilsbehaftet, da sie sich aus unperfekten Datenbanken speisen.
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