Der Saatgut-Tresor von Svalbard soll im Ernstfall die Welt retten

in de-stem •  6 years ago  (edited)

Liebe Steemianer,
was das Memory of Mankind in einem Salzbergwerk bei Hallstatt mit unseren Dokumenten versucht – sie über 10.000e Jahre zu konservieren, das ist bei Nutzpflanzen schon seit etlichen Jahren gängige Praxis. Die größte von weltweit 1700 Aufbewahrungsanlagen für Saatgut ist der Svalbard Global Seed Vault („weltweiter Saatgut-Tresor“) auf Spitzbergen. Vom Staat Norwegen gebaut, hat er die wichtige Aufgabe, eine Mindestanzahl von Saatkörnern der zur Ernährung wichtigen Lebensmittel wie Reis, Mais, Weizen, Kartoffeln,... die in einem Katastrophenfall ausgeliefert und nachgezüchtet werden können, sicher zu lagern. Es werden auch Kopien zu den in anderen, weniger gut gesicherten Genbanken vorhandenen Samen aufbewahrt.

Der Eingang (im oberen Teil ein Kunstwerk):
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Quelle

Zu dem Zweck sind die Samen in Kammern im spitzbergischen Permafrostboden gelagert, mit der Idee, im Falle eines Stromausfalles auch des Notstromaggregates die Temperatur auf unter −3,5 °C halten zu können, zumindest eine Zeit lang. Armierter Beton und Stahltüren sollen vor Atomkrieg und Flugzeugabstürzen, das Niveau der Anlage 130m über dem Meeresspiegel soll zudem vor dramatischen Meeresspiegeländerungen schützen. In dem Gebiet gibt es außerdem keine tektonische Aktivität.

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Quelle

Die Lagerkapazität beträgt 2,25 Milliarden Samen! Die Lagertemperatur ist -18 °C. Die Haltbarkeit bei dieser Temperatur schwankt je nach Pflanzenart zwischen 55 und 10000 Jahren, sodaß gealterte Proben ersetzt werden müssen.
Im Jahr 2008 wurde der Betrieb aufgenommen, derzeit lagern kapp über 1 Mio. Samenproben (eine Probe enthält 500 Samen) darin (allein 200000 verschiedene Reisvarietäten). Die Kosten des laufenden Betriebs trägt der Global Crop Diversity Trust. Die Anlage ist aber ein reines Archiv - es wird mit den Proben nicht gearbeitet, wie in den meisten anderen Instituten mit Genbanken -es wäre auch etwas ungemütlich für die Wissenschaftler und die Wachstumsbedingungen für die Pflanzen sind dort mehr als bescheiden.

Der erste echte Einsatz fand in 2015 statt: Als das International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA) mit Sitz in der Nähe von Aleppo durch den syrischen Bürgerkrieg floh und sich in Marokko und im Libanon neu einrichtete, musste es einen Teil seiner Genbank mit eine der weltweit kostbarsten Sammlung ältester Weizen und Gerste-Sorten zurücklassen. Sie forderten die verlorenen Samen vom Svalbard Global Seed Vault an (sie hatten 2012 Kopien dort deponiert) und konnten alle erfolgreich nachkultivieren. Die Samen wurden dann gesammelt und Kopien konnten kürzlich wieder nach Svalbard gebracht werden. Auch Genbanken in Afghanistan und im Irak waren zerstört worden – leider ohne dass es Kopien gegeben hatte.

Auch in der Vergangenheit waren solche Genbanken schon in Gefahr. Im schrecklichen Winter von 1941/42 und danach stand Leningrad 2,5 Jahre unter Belagerung der deutschen Armee. Im Institut, das heute St. Petersburg Vavilov Research Institute heisst und das eine der ältesten und größten Sammlungen an Pflanzensamen beherbergte (mit 187000 Varietäten!), verbarrikadierten sich einige Wissenschaftler und beschützten die Samen vor den hungernden Russen und den deutschen Soldaten. Obwohl umgeben von Tonnen an Reis und Kartoffeln, verhungerten 9 Wissenschaftler, weil sie sich geweigert hatten, die wertvollen Sammlungen anzugreifen! Ein Großteil der Sammlung überdauerte, kleine Teile konnte auch aus Leningrad hinausgeschmuggelt werden. Heute kämpft das Institut (angeblich) damit, seine Stromrechnung bezahlen zu können. Neben Krieg ist Resourcenmangel die größte Gefahr heute für den Erhalt unserer Biodiversität.
Und der Klimawandel! Durch einen unerwarteten Temperaturanstieg Ende 2016 in Svalbard auf +7 °C drang Tauwasser vom angeblichen Permafrostboden in den 100 Meter langen Tunnel ein (gefror aber dort). Derzeit wird geplant, die Anlage generalzurenovieren mit wasserdichten Wänden und Entwässerungsanlagen.

Die Notwendigkeit dieser kostspieligen Maßnahmen versteht man besser, wenn man sich vergegenwärtigt, dass derzeit 95% aller Nahrungsmittel von nur 30 Pflanzenarten stammen, die zwar in der Ausbeute hocheffizient sind, aber anfällig gegen Dürre und Schädlinge. Die Biodiversität ist in den letzten 50 Jahren dramatisch zurückgegangen – nur 10% der Reissorten aus den 1950er Jahren in China werden heute noch verwendet, die USA haben seit den 1990er Jahren 90% aller Obst- und Gemüsesorten verloren und wer von uns älteren Semesters ist, weiss, wieviele Gemüsesorten es früher auf den Märkten gegeben hat und wie wenige heute in den Supermarktregalen lagern (die dafür alle schön rund und „hochglanzpoliert“).
Gerade in solch alten und exotische Arten könnte der Schlüssel verborgen sein zur Resistenz gegen einen bestimmten Schädling oder eine bestimmte, noch gar nicht absehbare Umweltänderung. Die Zukunft der Menschheit hängt von der Erhaltung der Artenvielfalt ab.

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Quelle

Im Zeitalter erhöhter geopolitischer Spannungen ist der Svalbard Global Seed Vault ein seltenes Beispiel von erfolgreicher internationaler Zusammenarbeit. Boxen mit koreanischen Proben lagern neben US-Proben und ukrainische neben russischen. Den Samen ist es egal, Hauptsache es ist kalt und sicher!

mehr Infos dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Svalbard_Global_Seed_Vault
http://time.com/doomsday-vault/

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Wenn die Welt erstmal soweit ist, an einem Punkt an dem es für eine negative Entwicklung kein Halten mehr gibt. An so einem Punkt wäre das geringste Problem die paar geretteten Samen.

Ja, aber für die Zeit danach, für den Wiederaufbau wäre es sehr nützlich, zumindest ein paar Arten gerettet zu haben.

Was ist, wenn das Wissen darüber verloren geht? In einer digitalen Welt voller Datenmüll kann so ein hochspezielles Expertenwissen verloren gehen. Auch die steigenden Temperaturen werden daraus keine Lösung für die Ewigkeit machen.

Stimmt, aber hast Du eine bessere Idee?

Ja, aktiv die Natur schützen durch Unterlassung schlechter Dinge. Menschen zu zeigen, dass eine Samenbank alles Rettet gibt der Zerstörung weiter Vortrieb. Nach dem Motto. "Wir haben ja für Notfälle ..."

Ein Notfallprogramm zu haben ist immer besser als KEINs zu haben. Dieses Prinzip hat sich so ziemlich überall durchgesetzt. Man benutzt ja auch Airbags statt den Leuten zu sagen "Es ist besser, langsam und vorsichtig zu fahren". Klar soll man die Natur schützen, aber Risikominimierung muss auch alle möglichen Szenarien berücksichtigen.

Das Argument ist korrekt. Meines beruht auf der Tatsache, dass es sicher Einfluss darauf hat, wenn man sich immer in Sicherheit wägt.

Es kann gut sein, dass trotz des genannten Einfluß die Vorzüge bei Notfallplänen größer sind. :) So gesehen, was es meinerseits nur ein Aspekt von vielen, die man gern betrachten darf.

Du hast recht - die Einstellung hat sicher einen Einfluss auf das Verhalten, aber es gibt ja auch globale Katastrophen oder solche, die wir noch gar nicht abschätzen können (der "ultimative Superschädling"). Oder ein nuklearer Winter erfordert neue, kälteangepasste Sorten,...

Danke, ευχαριστώ, @greece-lover!

Dazu habe ich auch schonmal einen Bericht gelesen, bei dem es um Rekultivierung und Krankheitsresistenz ging.

Einige der neuen Züchtungen sind wohl stark anfällig für Schädlinge. Man versucht nun durch das "Beimischen" von "alten Sorten" wieder "besseres Genmaterial" zu erzeugen.

Falls das nun mit den ganzen """ Sinn gemacht hat ;)


Wenn ich richrig liege gibt es

"Verietäten"

Nur im Zusammenhang mit Sprachen / Dialekt

Genau, je "hochgezüchteter" desto anfälliger.

Doch, in der Botanik wird durchaus Varietät verwendet (danke fürs Finden eines Typos!):
https://de.wikipedia.org/wiki/Variet%C3%A4t_(Biologie)
Z.B ist der Klebreis eine Unterart mit mehrerer Var. zum herkömmlichen Reis Quelle

Wieder was gelernt ;) Dankeschön

Als Ergänzung zu bestehenden Genbanken ist das eine super Idee - und man sieht am Beispiel Aleppo auch schön, dass es funktioniert!
Die zurückgehende Biodiversität beim Saatgut ist ja ein nicht zu vernachlässigendes Problem - die EU wollte da ja mit der Saatgutverordnung, die dann im letzten Moment doch noch entschärft wurde, den Deckel drauf hauen. Evolutionär betrachtet kommt Spezialisierung vor dem Aussterben.

Super Artikel!

Danke! Und danke für die Ergänzung - ja wir bewegen uns auf einem dünnen Eis, und das bei steigender Bevölkerung und weiter zunehmender Intensivierung der Landwirtschaft.

Guten Tag,

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Krise kann ein produktiver Zustand sein, man muss ihm nur den BeiGeschmack der Katastrophe nehmen. - max Frisch

Von der Krise profitieren fast immer nur reiche und einflußreiche Menschen. Klar, dass man dann so eine Stuss raushaut.

An sich eine gute Sache, allerdings würde ich mich auf solche Einrichtungen nicht verlassen. Wenn jeder Mensch nur ein paar Pflanzen züchtet die ihm besonders gut zusagen und das Saatgut weiter gibt, hätten wir eine riesige dezentrale Vielfalt. Die Wahrscheinlichkeit das dabei alles verloren geht wäre gleich Null.

Natürlich verläßt man sich nicht auf einen Standort, daher gibt es ja auch 1700 Genbanken an vielen Standorten.
Dass aber jeder mitmacht, ist unrealistisch, da viele nicht die Möglichkeit dazu haben oder die Kenntnisse (oder das Interesse).

Ja das ist das selbe wie beim Geld, Hauptsache die Verantwortung hat jemand anderes. Möglichkeiten können geschaffen werden (und wenn es nur ein Kübel mit Tomaten auf dem Balkon ist), Kenntnisse kommen von allein genau so wie das Interesse wenn es nichts mehr zu beißen gibt 😉

Es wird mir verboten mein Salvia anzubauen..

Dann musst halt einen Schrebergarten in Österreich betreiben, bei uns ist die Pflanze legal. ;-)
https://de.wikipedia.org/wiki/Azteken-Salbei#Rechtliche_Situation

Joo so nen kleinen Pennergarten koppen und dort direkt für 2 Jahre für wissenschaftliche Zwecke einziehen. :D

Wer soll dir verbieten eine Pflanze anzubauen die uns von Mutter Natur geschenkt wurde? Das können doch nur geisteskranke Psychopathen sein. Mal ganz davon abgesehen das die Person für die sie zuständig sind sowieso nicht in der lage ist Pflanzen zu kultivieren 😁

Wer soll dir verbieten eine Pflanze anzubauen die uns von Mutter Natur geschenkt wurde?

Der Staat :)

Der Staat :)

Mal ganz davon abgesehen das die "Person" für die sie zuständig sind sowieso nicht in der lage ist Pflanzen zu kultivieren 😁

Aber in der Lage dich in eine kalte kleine Zelle zu stecken wenn du es tust! :)

Das sind dann die Menschen die so etwas tun und das sind dann wie gesagt geisteskranke Psychopathen 😉

Welche sich im Recht sehen..



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