Erzähl' was Neues – VIsteemCreated with Sketch.

in deutsch •  8 years ago 

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„Komm her!“ rufe ich in seine Richtung, leicht gebückt, eine Hand oben auf die Krücke gelegt. Er stellt die Lauscher so hoch, wie es mit abgeknickten Ohren eben geht, steht auf und kommt im Wachmann-Tippelschritt. „Sitz!“ Er sitzt. Ich zeige zu unseren Sachen, sage „Geh! Pass auf!“ Er wendet sich mir zu, verdreht die Augen, dass Weißes zusehen ist, geht und passt auf. Ich wende mich zum Wasserhäuschen um. Wieder hat niemand zugeschaut. Antonio blickt von seiner Zeitung auf und nickt mir freundlich zu. Aber vielleicht dort, gegenüber, im Club mit den großen, schwarzen Fenstern. Dahinter bewegt sich was. Ein Licht ist an gegangen. Ganz schwach zu erkennen in der undurchsichtigen Scheibe, die beinahe die gesamte Höhe des Erdgeschosses einnimmt. Nur, weil sich vor dem Licht ein Kopf bewegt, wie ein Schatten, werde ich überhaupt darauf aufmerksam. Der Kopf schnellt herum, ein langer Pferdeschanz peitscht waagrecht durch die Luft und das Licht geht wieder aus. Vor den schwarzen Scheiben gehen Passanten hin und her, eintönig ihre Bahnen ziehend. Mir fällt ein, wo wir sind. Schräg gegenüber, weiter rechts vom Club zweigt die Straße ab. Es ist der Club, wo ich gestern Nacht, um die Ecke herum saß. Nachdenklich geworden, gehe ich zu meinen Sachen zurück. Hier macht die Krücke nicht Tack. Boden, auf dem Kies gestreut wurde, macht knirschend Zack. Ein uraltes Haus kommt mir in den Sinn. Es wird Ärger geben. Ich fühle das im Bauch.

Das Wurstbrötchen teilen wir uns. Lauser könnte seine Hälfte schnappen und mit einem Schluck die Sache beenden. Lisa war darin perfekt. Sie hat dann immer so getan, als hätte sie noch nichts bekommen. Dieser Hund aber hat Ordnung in der Speisenfolge. Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen, wie da ein Stück Vieh seine Brötchenhälfte, mit Hilfe geraffter Lefzen und spitzen Pfoten auseinander nimmt, ja sogar die Wurst von der Butter trennt. Ständig hebt sich der Kopf, mit heftigem Lecken in die Luft hinein und um die Lefzen herum. Ich staune, jetzt leckt er sich die eigene Zunge ab. Vor ihm liegen, fein aufgereiht, vom Brötchen der Boden, die Wurst, 2,5 Scheiben und der Brötchendeckel. Beinahe hätte ich mir ein gesittetes Tischgespräch ausdenken müssen, so vornehm hat er zu Speisen begonnen. Zum Glück haut er jetzt gierig in die Wurst rein. In so einem Moment wurde das Krümel-Monster erfunden. Es folgt die Butterhälfte. Sie wird voller Hingabe abgeleckt. Lauser vergisst alles, wobei er immer wieder das Leckritual in die Luft einwirft, bis auch dieses Brötchenteil verschwunden ist. Ich bin mit meiner Hälfte schon längst fertig, da steht er auf und schnüffelt am verbliebenen Brötchendeckel. Nach vollständiger Drehung um sich selbst, Schütteln. Dann legt er sich davor, lässt den Kopf auf die Füße sinken. Sein Blick bleibt am Deckel haften. Leichtes Schnuppern, mit Blick in die ganz andere Richtung. Die nasse Nase wackelt, ein tiefer Seufzer mit Knurrton entweicht der Tonne seines Leibes, da geht der Kopf wieder hoch und er schnappt sich den Rest, wie eine zustoßende Kobra. Nun setzt er sich umständlich auf und bearbeitet das Backwerk wie ein Stück Pappe. Ich kann es mehrmals, zwischen den Zahnreihen mal oben, mal unten stecken sehen. Er kneift die Augen zu. Ich bin ganz bei ihm. Das Teil hat sicher noch nach Wurst gerochen. Es musste vernichtet werden. Ich verstehe das, aber all das hat wieder niemand gesehen. Passanten ziehen die Straße lang und achten nicht auf uns. Prüfend gleitet mein Blick in den Park hinein. Da steht ein Schwan am Wasser und breitet seine Schwingen aus. Weiter hinten, im Schatten dunkler Tannen duckt sich ein Haus. Mich beschleicht das Gefühl, als könnte der Abend in die Hose gehen, was ich mit einem „Ach was“ beiseite schiebe.

Jetzt ist die Backpacker dran. Ich gehe mit einem routinierten „Sitz – Pass auf!“ an den Teich, um meine Hände zu waschen. Das Aufziehen neuer Saiten ist Arbeit. Dazu muss man sich überwinden. Die Motivation steigt, wenn zum Stimmen fast so viel Zeit gebraucht wird, wie zum Aufziehen neuer Saiten. Neue klingen immer galaktisch. Zwei, maximal fünf Tage lang bekommt die Backpacker dann köstliche Tiefe. Schlägt man einen Ton an und hört ihn über Sekunden hin verklingen, ist das Zauber. Später ist alles wieder so lange normal, bis ich das Gefühl habe, es sei mal wieder an der Zeit. Das Abspannen der alten Drähte lässt Zweifel aufkommen, ob ich wirklich das Richtige tue. So geht das immer. Spätestens beim Aufziehen der Neuen ist das vorbei. Wie blöd kann man eigentlich sein? Aus dem Werkzeugfach am Rucksack ziehe ich die kleine Ölflasche und den weichen Lappen. Die Flasche ist halb voll. Durch lange, rote Tülle tropft Möbelpolitur mit Bienenwachs auf die Backpacker. Den weichen Plastikkörper des Fläschchens drückend, entlocke ich ihm die milchige Flüssigkeit. Damit wird sie massiert. Die Backpacker liebt das und schaut immer schöner. Dann sagt sie immer, dass ich sie nicht verdient hätte und sie wolle lieber mit einem wahren, virtuosen Könner zusammen leben. Nur er würde all das aus ihr heraus locken, was ich nie zu hören bekäme. Ich nehme es ihr nicht übel. So ein Rasse-Instrument ist mit einem Dilettanten auf Dauer unterfordert. Ihr Schöpfer heißt mit Vornamen, wie ich. Das verpflichtet. Die alten Saiten verstaue ich im Werkzeugfach, um sie später in meinen Trenchcoat einzubauen. Am Schoß hinten fehlen noch ein paar Stränge.

Den Trenchcoat ziehe ich nur aus, wenn ich schlafe und dann liege ich auch höchstens unter ihm drunter. Er ist verstellbar und kann fünf Zustände annehmen. Normal, starker Mann, Zombiekrieger, Zelt, und Flachdach. Wir trennen uns selten voneinander. Es ist ein richtig teures Teil britischen Ursprunges, mit Kapuze und allem Drum und Dran. Geht runter, beinahe bis zur Fessel. Das Innenfutter ist eine Art geknöpfte Pferdedecke, die im Moment am Rucksack hängt, weil das Wetter keine Pferdedecke im Mantel erforderlich erscheinen lässt und man so immer eine Decke zur Hand hat. Auf der Innentasche ist ein Wappen angebracht. Wenn ich nachts mit dem Licht dort hin leuchte, fühle ich mich immer ein wenig, wie Lord Sinclair in Midsummer Hall. Der Mantel hat mich vor drei Jahren auf einem Flohmarkt aufgegabelt. Im Laufe der Zeit passte er sich an meine Bedürfnisse an. Wenn es zu warm wird, ziehe ich lieber unten drunter alles aus, aber nie den Mantel. Der bleibt auch im Extremfall am Mann sogar, bis er zum Rock wird. Dazu nehme ich im Sommer die Ärmel ab und wenn es geboten erscheint, auch das Oberteil. So eine Art Mantel ist das. Mit Gürtel, Schnallen und Schulterklappen. An den Klappen hängen meine Schäkel. Das sind Verbindungselemente, U-Haken, die durch Zuschrauben zur Öse werden. Selbstverständlich habe ich da auch die Karabinerhaken angebracht und Sicherheitsnadeln in verschiedener Größe.

Schon früher habe ich über die Verwendung alter Saiten nachgedacht. Sie sind ausgesprochen biegsam, dabei aber extrem fest. Eine Gitarrensaite hat einen Stahlkern im Oktaeder gezogen, geschmiedet und umwickelt mit Bronze. An einem Ende tritt auf zwanzig Zentimetern einzig der dünne, aber gemein feste Stahlkern hervor und am anderen Ende der Saite sitzt eine Öse aus Messing. Saiten halten einiges aus und wirken ab einer gewissen Kürzung, als Drahtfeder. Sie sind zu Schade, zum Wegwerfen. Mit dem kleinen Seitenschneider pflege ich das blanke Ende zu kappen, wie es mir passt und mit der Rundzange drehe ich die Saite wieder ein. Damit nichts sticht oder weh tut. Dazu muss ich aber Steine mit Nylonseil dran hängen, anders klappt das nicht. Eingedreht verschwindet die Stahlspitze in einer Spirale, sie piekst dann nicht mehr. Man kann sie schonend durch den Stoff drehen und außen annähen, wie bei einem Reifrock. Das Ganze ergibt ein martialisches Tattoo auf dem Mantel. Innen sorgt ein Seiden-Inlet, über die Saiten-Mimik geheftet dafür, dass ich mich nicht verheddere. Knapp zwei Kilo Werkzeug und Hilfsstoffe befinden sich im Rucksack.

Ich habe nicht etwa Angst vor Mobilfunkstrahlen, will mich auch nicht mit Dahtgeflecht vor Aliens schützen. Obwohl mir das nach den jüngsten Ereignissen gar nicht mehr so abwegig erscheint. Ich sehe immerhin aus, wie einer. Der Mantel kaschiert meine Greisenstatur, ist widerstandsfähig und es wird aus ihm sogar ein Zelt, wahlweise mit oder ohne Krücke. Mittels eines ausgeklügelten Spannsystems plustert er mich zum starken Mann auf. Das ist unterwegs die Normalstellung. Die nächste Stufe nenne ich Krieger. Durch die aufgenähten Spiralen erhält der Trenchcoat einen Klasse-Style auf der Außenseite. Dort kann ich nach Bedarf Applikationen anbringen. Blumen, kleine Zweige, eine Lichterkette oder sonstigen Schmuck der Saison. Eine Weile hatte ich Figuren aus Überraschungseiern daran befestigt. Das hat sich aber als unvorteilhaft erwiesen, weil mir da viele Leute distanzloser vorgekommen sind. Am liebsten mag ich die kleinen, silbernen Deko-Pyramiden, die ich an den Schultern trage. Von innen beleuchtet. Natürlich plustert sich der Mantel nur im eingeschränkten Rahmen des vorhandenen Materials auf, ich wirke aber martialisch. Abschreckende Wirkung ist auf der Straße erwünscht. Ganz bestimmte Saiten habe ich daher auch nicht entschärft. Sie sind spitz geblieben, wie nur ganz Böses spitz sein kann und lauern in den Ärmeln. Aus dem Gürtel habe ich mit der Zeit eine Bronzepeitsche geflochten und über seine gefährlichsten Waffen schweigt ein Krieger. Mir sind verschiedene eingefallen. Die Wirksamsten verbirgt der Trenchcoat und in der Krücke steckt ein Blasrohr. Alleine das Fuchteln mit so einem Gerät, schlägt jeden Spitzbuben in die Flucht. Auf der Straße bist du wehrhaft, oder Opfer.

Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.

Der Schwan stammt mit Dank von DigitalDesigner auf Pixabay.


In dieser Serie sind bisher erschienen
Erzähl' was Neues – I, II, III, IV und V.

Es handelt sich bei der Arbeit um den Auszug aus einem Roman, den ich etwa vor mindestens vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich, ihn endlich zu redigieren und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, damit ein paar Kritiker zu finden. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich auch Leser zu gewinnen, die sich auf eine Fortsetzung freuen.


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Meine letzten Beiträge:
Ebenfalls Literarisches ist von mir erschienen mit
Land der großen, weißen Wolke – I, II, III und IV. Diese Serie ist neu, basiert auf tatsächlich Erlebtem und wird auf alle Fälle auch weiter geführt werden, da es eine Geschichte ist, die mit dem Tod meiner Protagonisten längst nicht aufhört.

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@afrog .. am scared of checking it on gtranslate hahaha but I'll get back at it tomorrow promise

Hi @englishtchrivy, thanks. No reason to be scared. This story is a very slowly written, no scaring scenes until now but just very small hints, something scary could happen in future. Beware of Google Translator. This ghost train surely will scare you.

@afrog that's what I meant hahah