Die Backpacker ist neu bespannt und bereit, erweckt zu werden. Sie erwartet den Moment mit einer deutlichen Note von Langeweile. Mit der Stimmpfeife hole ich mir ein A, aber nicht nur das. Auf der Stelle erscheint eine Hundeschnauze vor meiner Nase. Cool, denke ich, irgendwie hat Lauser was von einem Unteroffizier. „Leg dich hin, Lauser“, sage ich und er legt sich vor meine Füße. Ich werde bald feststellen, dass er nur beim A kommt. Auf weite Entfernung funktioniert es auch. Dann blase ich so fest rein, dass der Ton sich überschlägt und nur noch ein hoher, krummer Klagelaut zu hören ist. Nun ist sie bereit, geweckt zu werden, die Backpacker. Sie hat einen sehr kleinem Korpus, aus dem eine ganze Menge Musik heraus kommt. Gewaltig viel. Wenn ich arbeite, wird sie auf einem Brett befestigt, in dem Elektronik steckt. Den hat Eddie gebaut, ein musikalischer Busenfreund, der leider nicht mehr mit mir spielte, weil ich ihm nicht professionell genug war. Mit seinem Brett wird sie zur E-Gitarre. Durch die zwei Cuts im Brett kommst du mit der Hand an ihrem Hals ganz weit hoch. Auf meiner Dreadnought, so heißt ein Typ akkustische Gitarre mit großem Korpus, habe ich in den hohen Bereichen einfach nie gespielt. Ohne Cut ist das zu anstrengend. Jetzt muss ich das Instrument stimmen. Jaulend erwacht die Backpacker aus dem Koma, während ich an ihrer satten Mechanik drehe und die Saite sich spannt. Der Ton ist Balsam in meinen Ohren. Bald sind es sechs wunderbar gestimmte Saiten und das harmonische Universum öffnet sich. Die Bünde kommen ins Spiel. Nun ist alles wieder gut mit meiner Backpacker. Was unter anderem ein Prachtinstrument ausmacht ist die Tatsache, dass man kaum nachstimmen muss. Einmal durch und gut ist es, auch bei billigen Saiten. Die halten nur kürzer. Meine Backpacker hat eine gute Mechanik. Wenn wir zusammen Musik machen, sind wir Eins. Straßenmusik ist eine prima Sache. Wer sich dabei eine Couch in einer richtig coolen Bude vorstellt, liegt vollkommen richtig. Alles, was du brauchst, steht in Griffweite. So kann man abhängen und klimpern. Ich spiele, was ich will. Wenn mir danach ist, wird es ein Lied und wenn es mir egal ist, werden neue Figuren geübt, oder überhaupt nichts gespielt. Dann hacke ich mit den Augen Löcher in die Luft. So verdiene ich Geld. Kann man sich ein cooleres Leben vorstellen? Ich knipse mit dem Seitenschneider den Saiten–Überstand an den Kurbeln ab und packe die kurzen, abgeschnittenen Stücke, sorgsam in den Rucksack. Die brauche ich noch.
Lauser ist durch, total fertig. Das wundert mich nicht. Er hat heute ein ziemliches Pensum abgespult. Er liegt quer vor meinen Füßen und zuckt mit den Beinen, während ich mich einspiele. Das arme Vieh jagt selbst im Traum noch herum. Ich singe ihm ein Schlaflied, was zu wirken scheint, denn er wird ruhiger. Während eines Lieblingsstückes ist es auch schon Abend geworden. Der Hund räkelt sich und ich überlege, wie der Act nachher organisiert wird. Keine Garderobe, die Rahmenbedingungen sind bescheiden, scherze ich lau in mich hinein. Der Hund braucht eine Isomatte. Er wirkt auf seinen vier strammen Keulen zwar jugendlich, aber keiner weiß, wie alt er wirklich ist. Dem werden die Knochen steif, Stunden auf Platte. Wir müssen unsere Toilette für den Abend machen, den Verstärker holen, den Apfel essen und was trinken. Es gibt kein Dope mehr, was gut gegen Schmerzen in der Hüfte und für den Swing wäre. Ich neige, nüchtern, zur rhythmischen Verkrampfung. Das ist weder ansteckend, noch eine Krankheit, sondern nur langweiliges Geschrabbel ist, wenn man den Blues oder Swing einfach nicht drauf bekommt. Da hilft auch kein Metronom. Keine Fingerfertigkeit der Welt ist in der Lage, Swing oder Blues ohne entsprechendes Gefühl heraus zu holen. Wo nichts drin ist, kann auch nichts raus kommen. Das Dope bringt mir die Leichtigkeit, die man beim Musizieren braucht. In Filmen ist ja oft zu sehen, wie jemand auf Marihuana die Kontrolle verliert. Das ist aber nur eine miese Propagandalüge aus dem verkniffenen Arsch der Prohibition. Man kann auf Weed die Kontrolle nicht verlieren. Mein Finger quietscht auf dem lackierten Holz. Noch ein tiefer Schluck aus der Wasserflasche und die Backpacker verschwindet in ihrer Hülle. Vorher habe ich am Schallloch geschnuppert, ihren Körper kurz gestreichelt, was man eben so tut, wenn man sein Instrument liebt. Mit der Wasserflasche auf dem Knie denke ich nach, ob ich überhaupt Lust habe heute Abend zu arbeiten. Im Fond habe ich einen Hunderter und Zwölfzweiundzwanzig in der Hosentasche, im Transfer. Das ist gerade ein Frühstück und ich wäre gezwungen tagsüber in der Innenstadt zu arbeiten, um den Fond nicht angreifen zu müssen. Investiere ich etwas daraus in Dope, sind Hüfte und Groove kein Problem mehr, aber der Fond ist in Gefahr. Ich beschließe trotzdem, weiterhin großzügig zu leben und sehe mich sogleich mit dem leidigen Problem der Beschaffung konfrontiert. Den folgenden Kompromiss handele ich mit mir selbst aus. Wenn einer vorbei kommt, der was hat, sind Fünfzig aus dem Font fällig. Wenn nicht, gehe ich früh schlafen. Damit kann ich leben. Es würde die nächste Woche schon arg versüßen, wenn ich was bekommen würde. Und wenn nicht? Auch egal. Ein paar Töne gibt die Backpacker zuverlässig von ganz alleine her.
Der Abend ist kein Reinfall aber bringt zu wenig Geld. Zuerst spiele ich dort, wo die Läden noch offen sind. Das Geld von Döner- und Pizzaessern ist jedoch sehr klein. Ständig riecht es nach Essen und die frisch Geduschten, aus dem Sportstudio nebenan, stehen dazu reichlich in Parfüm. Ich packe bald wieder zusammen und interessiere mich für Supermarkt und Restaurant. Dort geht es gerade so, wirklich gerade so, aber da starrt mich die finstere Spenglerei mit ihren hohlen Augen an. Nachdem die Nagelstudios und Telefonläden nach und nach ihr Licht gelöscht haben, kommt sie mir nicht mehr geheuer vor und ich wechsle meinen Standort vor eine Studentenkneipe in der Nähe. Reich werde ich aber auch hier nicht. Im Gegenteil, es kommt einer mit Dope vorbei. Wenn ein Typ eine Baseballkappe mit Schild nach hinten trägt, an einer Studentenkreipe herum lungert, dabei ab und zu Besuch aus der Kneipe bekommt und dabei in seinen Taschen fummelt, kann man sicher sein, dass er einen gut gehenden Marktstand führt. Ich habe einen schönen Batzen Gras bekommen, das gewaltig stinkt . Den ganzen Abend lang glotzt mich die Spenglerei an. Selbst dann noch, als ich weiter weg sitze. Gegen meinen Willen drängen sich Häuser in meine Gedanken. Häuser, die einen nicht nicht hinein lassen, die hohl glotzen und seltsame Gerüche haben. Viele, die in sie hinein gehen, kommen nicht mehr raus und einige die noch raus gekommen sind, gehen nie wieder hinein. Ein Penner hat Zeit und sieht, was andere nicht sehen. Ich habe das auch gegenüber bei den Armheims gesehen. Eines Tages kam bei denen niemand mehr raus. Ihre amerikanischen Enkel waren lange Zeit unsere Freunde.
Lauser und ich verrichten die Abendtoilette. Ein leichter Regen hat sich schnell verzogen und die Nacht wird klar. Vereinzelt quaken noch Frösche. Ihr großes Konzert scheint allerdings seit zwei Wochen vorüber zu sein. Die Eulen melden sich über dem Gebüsch hinter mir und mein Trenchcoat steht, wie ein Wigwam in seiner Niesche. Es ist schon Juli und der Park liegt ansonsten ruhig. Ich schlafe seit Stunden. Plötzlich sehe ich mich selbst, wie ich in den Park hinein rufe: „Bitte! Ich bitte sie! So bleiben sie doch stehen! Hören sie doch zu! Wenn eine Person Nachts einen, Gott bewahre, nackten Mann durch den Park laufen sieht, dann möge die Person doch bitte nicht kreischend davon rennen und mit bösen Worten werfen! Bitte! Das bin nur ich, ein Penner ohne Trechcoat, auf dem Weg zur Toilette! Bitte! So sieht ein Mensch ohne Trenchcoat nun mal aus. Eine Schnecke ohne Haus. Wir sind doch alle aufgeklärte Geschöpfe. Wir sehen alle so aus. Ich bitte sie. Was soll denn die Polizei da machen, warum denn Polizei, bitte keine – Polizei!“ Mit einem erstickten Schrei fahre ich auf. Lauser lag gerade noch in tiefem Schlaf, steht nun aber senkrecht. Zwischen drin habe ich ihn seine Beine waagrecht in die Luft werfen sehen, bin mir allerdings nicht sicher, ob ich nicht vielleicht noch träume. Der Hund schnüffelt besorgt an mir herum, während ich mich misstrauisch umschaue. Nicht ahnend, schon längst wieder nach hinten umgefallen zu sein, begrüße ich die schöne Tänzerin, die aus der Richtung kommt, wo sich das Haus hinter den dunklen Tannen duckt. Warum knirscht der Kies nicht? Die Grazie schreitet ganz selbstverständlich, fast lässig aus dem Dunkel heraus, über das Halbdunkel hinweg, ins Helle der Wiese. Wieso ist es hier hell? Sie trägt ein Indianerstirnband. Das versetzt mir sofort einen Stich. Die Squaw von Phil, schreit es in mir, wühlt mich auf, während sie sich hin legt, wo Lauser liegt. Jetzt schaut sie direkt in mein Herz. Ich merke, wie sie vor stößt, verweilt und herum rührt. Sie zuckt zurück und forscht seitwärts weiter. Ab und zu entweicht ihr ein kleines, aber tiefes Stöhnen, das in mir alle Glocken klingen lässt. Lauser ist da schon längst nicht mehr im Park. Er verschwindet gerne Nachts, habe ich beobachtet.
Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.
Die Straßenszene aus Frankfurt stammt von Wikipedia. Vielen Dank.
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In dieser Serie sind bisher erschienen
Erzähl' was Neues – I, II, III, IV, V und VI.
Es handelt sich bei der Arbeit um den Auszug aus einem Roman, den ich etwa vor mindestens vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich, ihn endlich zu redigieren und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, damit ein paar Kritiker zu finden. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich auch Leser zu gewinnen, die sich auf eine Fortsetzung freuen.
Hier gibt es ein Hilfe–Menu für Anfänger Hilfe! Wie mache ich meine Texte schön?
Meine letzten Beiträge:
Ebenfalls Literarisches ist von mir erschienen mit
Land der großen, weißen Wolke – I, II, III und IV. Diese Serie ist neu, basiert auf tatsächlich Erlebtem und wird auf alle Fälle auch weiter geführt werden, da es eine Geschichte ist, die mit dem Tod meiner Protagonisten längst nicht aufhört.
toll geschrieben wie immer!
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Danke uwelang. Mir selbst erscheint es langsam etwas fad.
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was erscheint dir fad?
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Die Story entwickelt kein Tempo. Es geht auf keinen Höhepunkt zu. Blöd, wenn man sich elbst kritisiert. Ich habe es wahrscheinlich schon zu oft gelesen.
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Sei nicht so streng mit Dir selbst
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Da hat du Recht, @uwelang. Aber Du weißt ja vielleicht selbst wie das ist und wie man zweifelt, wenn man Eigenprodukte in die Öffentlichkeit stellt. Ich muss mich immer überwinden, bevor ich den „POST“–Button klicke. Das wird nicht etwa leichter mit der Zeit und da nutzt einem beim nächsten Mal auch alles Lob vom letzten Mal nichts.
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Ich freue mich auf eine Fortsetzung und habe es auch ganz gelesen. Ich war auch mal ein halbes Jahr mit meinem Saxophon auf der Straße unterwegs, schon erstaunlich was da so jeden Tag passiert :)
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Danke @schamangerbert. Cool oder? Straßenmusik macht schon Spaß. Ich war letztes Jahr unterwegs. Leider nicht allzu oft. Als ich das geschrieben habe, hatte ich überhaupt keine Ahnung davon. Ist alles aus den Fingern gesaugt.
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Dankeschön @tohamy7. Es ist nice, dass jemand meine Sachen liest!
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