Buchanalyse: "Die Getriebenen"steemCreated with Sketch.

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Die Getriebenen - Report aus dem "Inneren der Macht"

Der Autor

Robin Alexander ist Politkredakteur bei der Welt[1], die zum Axel Springer Verlag gehört. Er berichtet seit 2010 über das Kanzleramt und begleitet Angela Merkel als Berichterstatter zu Auslandsreisen und auf internationale Gipfel[2], wie er selbst im textgegenständlichen Buch gleich Eingangs schreibt:

Als Reporter berichte ich über Angela Merkel seit acht Jahren, begleite sie auf Auslandsreisen und auf europäische Gipfel in Brüssel. In der Flüchtlingskrise in der Delegation der Kanzlerin in Länder auf der Balkanroute und nach Istanbul zu Recep Tayyip Erdoğan


Der Axel Springer Verlag gehört zu einem Konglomerat von Verlagen, Beteiligungen[3], Firmen und Stiftungen, zu denen unter anderem auch die Friede Springer Stiftung gehört. Im Vorstand dieser Institutionen finden wir:

Angela Merkel und Friede Springer

Diese Verbindungen allein legen bereits nahe, daß es sich bei diesem Buch um reine Hofberichterstattung handeln muß, denn man kann davon ausgehen, daß der Autor bei tatsächlicher Kritik an der Kanzlerdarstellerin oder an ihrer Politik, seinen gutbezahlten Job loswäre, und jemand anderer sein Pöstchen übernehmen würde. Friede Springer und Angela Merkel sind schließlich per Du. Es würde sie einen Huster kosten, und Herr Alexander würde künftig als "freier Mitarbeiter" über die Kirchweih in Kleinkünzelsau berichten. Der Autor schreibt gleich zu Beginn des Buches:

Angela Merkel war zu einem rückblickenden Gespräch über ihre Rolle in der Flüchtlingskrise für dieses Buch nicht bereit.


Das Buch

Dem entsprechend liest sich das Buch auch: Vermeintliche Kritik am Handeln der Kanzlerin wird entweder - teilweise auf völlig absurde Weise - mit dem Hinweis auf andere Ereignisse gerechtfertigt oder die Schuld wird auf Erdoğan oder auf irgendwelche subalternen Beteiligten geschoben. Manchmal entpuppt sich der vermeintliche Fehler aber auch als brillianter politischer Schachzug, der allerdings nur von denen verstanden werden kann, die sich tief genug in den Mikrokosmos des Polittheaters hineinwagen. Wer das nicht tut, der kann die "ganze Tragweite der Ereignisse" gar nicht verstehen. Mit anderen Worten, um die Flüchtlingskrise überhaupt beurteilen zu können, muß man sich schon auch mit den Befindlichkeiten von Außenminister (AT) Kurz und mit dem ständigen Beleidigtsein Seehofers wirklich auseinandersetzen.

Glatte Lügen sind daher im Buch hingegen eher nicht zu finden, höchstens hier und da am Rande wie etwa diese hier:

Assad hat Aleppo erobert und in eine Trümmerwüste verwandelt. Die Flüchtlingszahlen steigen - aber nur noch in der Türkei. Die Türken haben darauf reagiert: An der türkisch-syrischen Grenze steht jetzt ein Zaun.

Fakt ist hingegen, daß aus Aleppo keine Flüchtlinge mehr kommen, sondern diese - im Gegenteil - wieder von der Türkei nach Aleppo zurückkehren. Dies bestätigt ein kürzlich erschienener UNHCR-Bericht[4]. Aber ich denke in diesem Falle kann man noch unter Berücksichtigung der Zeitachse dem Autor zugutehalten, daß diese Entwicklung erst nach Erscheinen des Buches eingesetzt oder zumindest von den UN-Beobachtern erst danach bekanntgegeben wurde.

Der Autor verschont den Leser auch mit der Lüge über die massenweise einwandernden Fachkräfte, was allerdings eher dem Umstand zu verdanken zu sein scheint, daß bei Erscheinen des Buches im März 2017 sogar Frau Merkel aufgefallen sein dürfte, daß Fachkräfte nicht auf Schlauchbooten, nicht ohne Paß, und auch nicht aus dem mittleren Osten oder Afrika kommen, sondern mit Flugzeug und Visum, und zwar aus Fernost. Und "kommen" wäre auch nicht ganz richtig, denn sie gehen nicht nach Deutschland, sondern in die USA, nach Kanada oder nach Australien[5].

Interessant ist vielmehr das was nicht im Buch steht:

  • die großen geopolitischen Zusammenhänge der Flüchtlingskrise
  • ein Erklärungsansatz, weshalb ausgerechnet im Jahr 2015 so viele Flüchtlinge kamen
  • welche Kräfte die Flüchtlinge in Bewegung setzten, und zwar gezielt nach Mitteleuropa
  • wie diese Flüchtlinge auf mehreren tausend Kilometern versorgt werden und von wem
  • welche Rolle die NGOs spielen, die die Flüchtlinge auf ihrem Weg abwechselnd begleiten

Auch bleibt der Autor die Antwort schuldig, warum sich unter den Flüchtenden nur so wenig Syrer befanden, selbst wenn man jene "Syrer" dazuzählt, die die Staatsangehörigkeit Syriens erst in der Türkei käuflich erworben haben. Gesicherte Zahlen existieren zwar nicht, weil in jenem Sommer alles und jeder ohne Kontrolle über die Grenze lief, aber rein optisch beurteilt dürfte der größte Teil davon wohl kaum aus Syrien stammen. Der einzige Schwarzafrikaner, der mir nämlich 2011 in Syrien begegnet ist, trug jedenfalls eine Uniform und ein blauer Helm mit der Aufschrift "UN" zierte sein Haupt. Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil Syrien im Buch als das Hauptursprungsland behandelt wird - was in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist.

Flüchtlinge ignorieren den hilflosen Versuch der österreichischen Polizei, eine Pass-Kontrolle durchzuführen. (Screenshot ORF)

Die FAZ hat im Oktober 2015 zwar eine Tabelle [6] veröffentlicht, allerdings sind dort nur diejenigen erfaßt, »die bislang einen Antrag auf Asyl gestellt haben« und nach dieser sind von insgesamt 256.838, lediglich 55.487 Syrer. Was ziemlich klar sein dürfte, nachdem es hieß, daß Syrer auf jeden Fall bleiben dürfen. Wir haben also 55.487 erfaßte Syrer und keiner weiß, wieviele insgesamt damals kamen, da laut Autor jeder über die Grenze lief und die Sicherheitskräfte hofften, daß sich schon alle irgendwann bei irgendeiner zuständigen Stelle irgendwo im Land melden würden. Die tatsächliche Zahl mußte laut Welt "kalkuliert" werden, denn diese schreibt im September 2016, daß 890.000 Asylsuchende im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, »statt der bislang kalkulierten 1,1 Millionen«[7].

Zwar ist nicht klar, auf welchen Kriterien und Parametern diese "Berechnungen" beruhen, aber wenn man möchte kann man diese Zahl glauben. Nehmen wir einfach einmal gutgläubig an, daß diese Zahl stimmt. Dann liegt der Anteil der Syrer unter den Angekommenen im einstelligen Prozenbereich - wobei dahingestellt bleibt, ob da nun die echten Syrer von den angeblichen Syrern bereits getrennt sind. Auch in dieser Beziehung fabuliert der Autor also buchstäblich seemeilenweit an der Wirklichkeit vorbei, da Syrien nicht das Haupherkunftsland der Flüchtlinge ist. Pakistan und Afghanistan, werden im Buch hingegen wieder nur am Rande erwähnt.

Im Zentrum der Betrachtung des Buches bleibt jedoch Syrien, obwohl die Türkei auch noch andere Grenzen hat und auch eine ziemlich lange Mittelmeerküste. Zwar findet das Mittelmeer in den Betrachtungen im Buch Erwähnung - allerdings kam der Autor nicht umhin, darüber zu berichten, denn sonst hätte er die "glänzende Leistung" von der Leyentruppe im Mittelmeer nicht anbringen können. Woher die vielen Mittelmeerflüchtlinge kommen, verrät der Autor nicht. Für das Thema des Buches ist dies auch irrelevant, ja, es wäre sogar störend, denn es würde den ganzen "Tükei-Deal" der Kanzlerin in Frage stellen, der in diesem Buch auch als ein zentraler Punkt stark aufgebauscht wird und am Ende in Wirklichkeit nie zustandekommt. Die Flüchtlingspolitik selbst wird jedenfalls von Alexander als eine "deutsche Erfolgsgeschichte" hingestellt:

Die Grenzen für Flüchtlinge sind weiterhin offen - aber es kommen keine mehr. Mit beidem sind die Deutschen sehr zufrieden. Mit ungeheurem Einsatz ist es gelungen, die Menschen unterzubringen. In Deutschland ist kein Flüchtling erfroren, niemand hungerte. Unter dem Druck der hohen Zahlen hat die Politik endlich die Kraft für lange überfällige Reformen gefunden. Die Masseneinwanderung vom Balkan wurde gestoppt, indem die jungen Demokratien dort zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Wer hingegen aus einem Kriegsgebiet kommt, erhält heute schneller als je zuvor einen positiven Bescheid, Sprachkurse und Integrationshilfe.


Natürlich werden diejenigen, die mit dieser Politik nicht einverstanden sind, sowie alle, die nicht ungefragt das Diktat akzeptieren, von ihm auf ihren Platz gewiesen. Nationalistisch ist automatisch gegen Europa gerichtet. Das ist ganz klare Regimepropaganda, ansonsten hätte sich der Autor fragen müssen, inwieweit Polen sich innerhalb seiner Rechte bewegt, wenn es sich weigert Flüchtlinge anzunehmen, die ihnen das Nachbarland ungefragt vor die Haustüre setzt. Mit Nationalismus hat das recht wenig zu tun, denn so agiert jeder normale Mensch, unabhängig von seiner Herkunft.

Der Preis war, daß Europa politisch unsicherer geworden ist. Zwei Monate nach der Grenzöffnung wurde in Polen eine nationalistische Regierung gewählt, die den Kurs der Modernisierung und Europäisierung des Landes revidierte. Im Sommer 2016 entschied sich Großbritannien für den Austritt aus der EU. Die Angst vor unkontrollierbarer Einwanderung hat in beiden Wahlkämpfen eine dominierende Rolle gespielt. Deutschlands offene Grenze war ein abschreckendes Beispiel.


Das Buch selbst ist in Erzählform gehalten, und an den "spannenden Stellen" findet man die Präsensform. Das verleiht dem Buch ungefähr den Ton, in dem man als Oberlehrer vor Untertertianern sprechen würde, weshalb das Buch meiner Meinung nach auch in die Abteilung Belleristik gehört, und nicht in die Abteilung Sachbücher. Der Autor versucht, die Begebenheiten des Sommers und Herbsts 2015 auf der Bühne des Polittheaters auch möglichst spannend darzustellen - mit mäßigem Erfolg. Auf die Gemütsverfassung der einzelnen Beteiligten wird genau eingegangen, es wird dramatisiert wo es nur geht, aber der Tenor ist der, daß die angeblich Handelnden eben doch Getriebene sind. Sie werden von den Ereignissen oder von anderen Getriebenen getrieben. Daher wohl der Titel. Der Autor möchte zeigen, »unter welchen Umständen und in welchen Zwängen die politisch Verantwortlichen handelten«. Gemeint sind hier Merkel, Seehofer, Gabriel, Schäuble, Altmeier und de Misère, die »miteinander gearbeitet, miteinander gerungen und oft auch gegeneinander gearbeitet« haben sollen. Zusätzlich werden auch noch die Umstände in Österreich, auf dem Balkan, in Griechenland und in der Türkei beschrieben. Aber für den Leser ist es sehr schwer, Wahrheit von Fiktion zu trennen.

Merkel und Erdoğan zu Beginn ihres Treffens im Yildiz Palast - Getty Images Europe

Die Heldin in diesem Sommermärchen ist Angela "Mutti" Merkel, der Bösewicht ist Recep Tayyip Erdoğan. Die anderen Protagonisten bekommen auch ab und zu eine Sprechrolle. Der Hühne Horst Seehofer scheint ständig beleidigt zu sein, weil er gegen "Mutti" nicht ankommt, während sie im Giftzwerg Erdoğan zwar einen ebenbürtigen Gegner hat, der aber letzlich verliert, weil er nicht so clever ist wie Merkel. Er wollte sie über den Tisch ziehen, und wurde von ihr über den Tisch gezogen, weil es bei Märchen nun mal so ist, daß das Gute - hier verkörpert durch Angela Merkel - eben gewinnt.

Um ein Sachbuch handelt es sich jedenfalls nicht, denn viel Sachliches findet sich hier nicht, wenn man von Behauptungen absieht, von denen man oft denkt: "So könnte es gewesen sein, aber nichts Genaues weiß man nicht". Entscheidende Dokumente, wie beispielsweise der schriftliche Kanzlerbefehl, die Grenze zu öffnen, die werden nur am Rande erwähnt. Es wird auch nicht weiter auf dieses Schreiben eingegangen, und der Leser bleibt im unklaren darüber, ob dieser Befehl nun tatsächlich erging oder nicht, und wenn doch, auf welchem Weg er kommuniziert wurde. Gerade die rechtlichen und technischen Aspekte bleiben völlig außen vor, was den Eindruck der romanhaftigkeit noch mehr verstärkt. Ein Beispiel:

Als dann in jener Nacht zum 5. September die Grenze geöffnet wird, erfährt die Führung der Bundespolizei davon erst aus den Medien und fragt beim Innenministerium nach: »Sind das nicht alles unerlaubte Grenzübertritte? Machen sich unsere Beamten nicht sogar strafbar, wenn sie diese geschehen lassen?«

Gute Frage, auch gut, daß der Autor sie erwähnt, doch ihr wird weder nachgegangen, noch wird sie beantwortet. Waren es nun illegale Grenzübertritte oder nicht? Wenn ja, müßte es rechtliche Folgen haben - zumindest in einem Rechtsstaat. Aber genausogut könnte man fragen, was Deutschland für eine Bananenrepublik ist. Auch diese Frage verhallt unbeantwortet. Scheinbar haben alle deutschen Grenzposten damals gleichzeitig und spontan beschlossen, die Grenzen nicht mehr zu kontrollieren, weil sie einfach die Selfies der Kanzlerin mit den Flüchtlingen dahingehend interpretiert haben, daß die Grenzen nicht kontrolliert werden dürfen. Oder lag doch ein Befehl vor? Woher kam der Befehl? Wie verlief die Befehlskette? Aber in einem Fantasy-Roman darf man nicht mit Realismus ankommen, sonst kann man sich die Lektüre sparen. Realismus und allzuviel Sachlichkeit zerstören nur den Zauber.

Anas Modamani & Angela Merkel

Was stattdessen ganz genau untersucht wird, ist die "verschleppten Bronchitis" von de Misère, die später dann zu einer Lungenentzündung mutiert - als ob eine rechtliche Frage vom Gesundheitszustand eines einzelnen Ministerdarstellers abhängig wäre. Dann kommt auch noch sein Vorgänger ins Spiel, der noch "eine Rechnung mit der Kanzlerin offen hat", und der ehemalige Innenminister Friedrich ruft beim ehemaligen Nachrichtenmagazin Spiegel an, und fragt an, ob man ihn dort nicht mit einer "harschen Merkelkritik zu Wort" kommen lassen wolle. Dort erklärte man ihm jedoch, daß man bereits Ursula von der Leyen interviewt habe, die die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin in den höchsten Tönen gelobt hätte, und man daher mit seinem Statement "die Leser nicht verwirren" wolle. Er wird sein Interview nur bei der Lokalpresse[8] los.

Wie in diesem Beispiel geht es das ganze Buch über weiter. Statt den eigentlich wichtigen Fragen die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen und diese kritisch zu beantworten, versucht der Autor den Leser durch das Aufbauschen von Trivialitäten von den wichtigen Fragestellungen wegzuführen, ähnlich, wie man es mit kleinen Kindern macht, wenn sie sich irgendwo festgebissen haben: "Ui, schau mal, da ist der Weihnachtsmann!" Schnell weiter zur nächsten Intrige oder zur nächsten "Beinahe-Katastrophe":

Die "Angst" davor, daß "die Presse" irgendetwas "ausplaudern" könnte. Die Nachricht von den bevorstehenden Grenzkontrollen sei »durchgestochen worden - so nennt man es im politischen Berlin, wenn ein Politiker einen Reporter anruft, um einen vertraulichen Vorgang in die Öffentlichkeit zu tragen, um damit einem politischen Konkurrenten zu schaden«.

Wenn die Nachrichtenseiten von Spiegel, Welt oder Bild jetzt die geplanten Grenzkontrollen melden, und internationale Medien sofort nachziehen, erfahren auch die Migranten in Minutenschnelle davon. Es droht ein gnadenloser Schlußspurt nach Deutschland, in dem die Stärkeren die Schwächeren überrennen, und Sicherheitskräfte die letzte Kontrolle verlieren, wie man im Innenministerium fürchtet.

Das ist reine Phantasie und dient lediglich dem Aufbau einer Spannung, die bei sachlicher Betrachtung nicht vorhanden wäre: Der Autor als langjähriger Propagandist müßte wissen wie es mit "der Presse" tatsächlich abläuft: Entweder die Presse berichtet über die geplante Grenzschließung geschlossen und flächendeckend, oder sie vertuscht die Grenzschließung - ebenfalls geschlossen und flächendeckend. Politiker, die einem "politischen Konkurrenten" schaden wollen gibt es hunderte, wenn nicht tausende, und die brauchen nicht zur Presse zu rennen, sondern es reicht dazu ein Twitter-Beitrag. Die Frage ist einzig und allein, was "die Presse" daraus macht - und "die Presse" ist die Kurzform für "Springer, Augstein, Bertelsmann, Brost (Funke) und Konsorten".

Wenn nämlich nur das "Kleinkünzelsauer Nachtblatt" über diese geplante Grenzschließung berichtet, dann passiert überhaupt gar nichts. Diese muß von der zentralen Systempresse entsprechend flächendeckend skandalisiert werden, damit die vom Autor "befürchtete" Wirkung hervorgerufen wird. Die Blätter von Merkels guten Freundinnen Friede Springer, Liz Mohn, Patricia Riekel usw. müßten also mitmachen, damit es funktioniert. Wenn die nicht wollen, gibt es auch keine "Katastrophe" - und umgekehrt, kann dieses Krampfaderngeschwader jederzeit eine solche "Katastrophe" auslösen - und zwar völlig faktenunabhängig, beispielsweise aufgrund einer Falsch- oder einer Twitter-Meldung irgendeines Regionalpolitikers, die zu diesem Zwecke aufgebauscht wird, und für die man sich hinterher im Kleingedruckten entschuldigen kann - wenn auch auf Seite 57 neben dem Impressum, das keiner liest.

Das Buch erzählt die Beobachtungen des Autors über die Ereignisse der Jahre 2015 und 2016 aus Sicht der Berliner Politiker. Zwar erhebt es den Anspruch, die Ereignisse aus der Sicht der "Handelnden" wiederzugeben, allerdings wird es diesem Anspruch nicht gerecht, da es sich alleine auf die Politiker weniger Länder zwischen Brüssel, Berlin und Ankara begrenzt bleibt. Die Schlepperorganisationen sind schließlich auch Handelnde, und das Pentagon ebenso, doch auf diese Handelnden wird sogut wie nicht eingegangen. Zwar erwähnt der Autor Schlepperbanden, und daß diese ihre Tätigkeiten in der Türkei eingestellt haben, als Erdoğan sie verhaften ließ, aber vermutlich nur, um dies als brillianten Schachzug von Merkel und von der Leyen zu verklären. Auch bleiben die vielen NGOs, die sich im Mittelmeer schon damals tummelten, völlig unerwähnt. Dabei sind diese Organisationen in nicht unerheblichem Maß an den Flüchtlingsströmen beteiligt, und somit auch Handelnde.

Soldaten des Einsatzgruppenversorgers Berlin retten Schiffbrüchige aus dem Mittelmeer (Archivbild). Foto: Bundeswehr/Hoder/dpa

Ob sie das nun wollen oder nicht, und ob sie das zugeben oder nicht, spielt dabei keine Rolle, denn die Schlepper am anderen Ufer wissen genau, daß diese Organisationen die Flüchtlinge aus dem Meer ziehen - dazu sind sie nach internationalem Seerecht schließlich verpflichtet - und diese dann nach Europa bringen werden - dazu sind sie nicht verpflichtet. Das heißt, die Schlepper müssen die Flüchtlinge nur noch von der Küste wegbekommen. Sobald diese von den Schiffen der NGOs aufgesammelt werden, übernehmen diese NGOs den Weitertransport nach Europa.

Gefährliche Überfahrten auf seeuntüchtigen und überladenen Wasserfahrzeugen werden organisiert in der Absicht von Schiffen der EUNAVFOR Med/Frontex und der NGOs gefunden zu werden.[9]

Im Prinzip ist es ein Fährservice, bei dem lediglich die Gangways am Hafen durch Schlauchboote ersetzt worden sind. Diese Organisationen können dann auch zu Recht behaupten, diese Flüchtlinge vor dem Ertrinken bewahrt zu haben, denn kaum eines dieser Schlauchboote würde es durch das Mittelmeer schaffen. Es würde mangels Treibstoff irgendwann liegenbleiben und früher oder später aufgrund des Seegangs kentern und die Menschen würden ertrinken. Aber würden die Flüchtlinge denn auf das Meer hinausfahren, wenn sie wüßten, daß dort keine seetüchtigen Schiffe diverser NGOs auf sie warten? Das bleibt zu bezweifeln. Es ist auch irrelevant, ob diese NGOs aktiv mit den Schleppern zusammenarbeiten, oder nur passiv, indem sie sich in das Geschäftsmodell der Schlepper einbinden lassen. Diese Organisationen muß man durchaus als Handelnde bezeichnen.

Im Buch finden diese jedoch keinerlei Erwähnung finden, so als gäbe es sie nicht. Dabei wäre hier durchaus politisches Handeln gefragt und es wurde auch gehandelt. Mehrere Kapitel im Buch behandeln die "Mittelmeerpolitik", allerdings geht es dabei nur darum, wie man die Streithähne auf der Türkei und Griechenland an einen Tisch bringt. Der ganze Rest dessen, was sich auf dem Mittelmeer abspielt, wird völlig ausgeblendet.

Doch die Sichtweise dieser und anderer Handelnden und auch die Sicht der Bundesregierung auf diese Handelnden werden nicht beleuchtet, was einerseits verständlich ist, da der Autor im Privatjet der Politikdarsteller mit diesen Organisationen sogut wie nie in Berührung kommt, und daher auch schlecht darüber Berichten kann. Andererseits spielen sie ja doch eine entscheidende Rolle, und das tun sie auch dann, wenn der Autor deren Existenz überhaupt nicht erwähnt. Es bleibt erneut am Leser, sich diese Erklärung zurechtzulegen, denn im gesamten Buch werden keine NGOs erwähnt.

Auch wird das Thema mit keinem Wort erwähnt, warum die Hilfe für die Flüchtlingslager gestrichen wurde[10]. Schließlich hätte die Bundesregierung mit vergleichsweise geringen Mitteln dort einspringen können und die Flüchtlingswelle dadurch von vornherein verhindern können. Da haben die "Handelnden" allerdings nicht gehandelt. Stattdessen entsteht eher der Eindruck, daß die Bundesregierung bewußt dabei zugesehen hat, wie diese Menschen sich in der Masse in Richtung Europa in Bewegung setzte, wo ein deutlich höherer finanzieller Aufwand für deren Versorgung nötig ist.

Syrische Flüchtlinge in Ketermaya, Libanon: 'Ohne die Gutscheine müssen viele Familien hungern'

In diesem Buch wird der Versuch unternommen, all diese Ereignisse als Verkettung unglücklicher Umstände zu verkaufen, die Teils durch höhere Gewalt, teils durch Intrigen oder Schlamperei zustandekamen, und auch dadurch, daß keiner die Verantwortung übernehmen und dadurch seinen Posten riskieren wollte.

Es ist die Kinderversion der Flüchtlingskrise, und wirkt ausschließlich bei Menschen, die sich nie mit Ursachen, Ablauf und Zusammenhängen der Flüchtlingskrise befaßt haben und ihr gesamtes "Expertenwissen" aus Zeitung und Fernsehen haben. Jeder, der sich einmal in Ruhe hingesetzt hat, und sich einige Stunden selbständig und konzentriert mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, der durchschaut das Buch sofort fragt sich automatisch, was damit bezweckt werden soll.


Die Presse

Vor diesem Hintergrund erscheint ein Artikel aus der Zeit besonders lachhaft, der diese Lobeshymne auf Merkel zur Wutrede gegen Merkel - »Der Journalist Robin Alexander hat einen Rochus auf Angela Merkels Flüchtlingspolitik.«[11] - umdichtet. Vermutlich zu dem Zwecke, die Politik der Kanzlerin noch mehr zu loben. Die Schreiberlinge scheinen um die Gunst der "Mächtigen" förmlich zu wetteifern. Eine echte Kritik kommt auch von der Presse nicht. Weder an der Flüchtlingspolitik, noch am Buch. Es ist eher ein schlechtes Theaterstück, bei dem sich die Darsteller auf der Bühne eine Tortenschlacht liefern, um das Publikum bei Laune zu halten.

Einen Aspekt, den ich bei der Kritik außer Acht gelassen habe, erwähnt die Jüdische Rundschau[12] des J.B.O. Verlags:

Die gesellschaftlichen Folgen kommen bei Alexander ein bißchen kurz. Denn daß es sich eben bei der Mehrzahl der "Flüchtlinge" nicht um notleidende Syrer handelt, sondern um Wirtschaftszuwanderer, die nicht aus Kriegsgebieten stammen, und das unter ihnen sehr wohl auch Verbrecher und Terroristen sind, wird nicht ausreichend deutlich.

Dieses von der Systempresse als "kritische Auseinandersetzung" angekündigte Buch ist in Wirklichkeit Regimepropaganda mit einem pseudokritischen Anstrich. Wie bereits Eingangs gesagt: Der Autor ist gar nicht in der Position, Kritik an der Kanzlerin zu üben, da er aus existenziellen Gründen auf das Wohlwollen der Kanzlerin angewiesen ist.


Fazit

Das Buch ist reine Propaganda. Wer echte und fundierte Krtitik an Merkel und/oder an ihrer Flüchtlingspolitik erwartet wird enttäuscht, und sollte sich für weniger Geld bessere Bücher zulegen. "Die Getriebenen" ist ein Spiegel-Bestseller, was nicht verwundert wenn man die Werbe-Campagne der Medien berücksichtigt. Wie Medien nämlich mit Büchern umgehen, die sie nicht nur zum Schein, sondern tatsächlich kritisieren, das kann man bei Büchern beobachten, die echte Kritik an Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik üben: Solche Bücher werden mit keinem Wort in den Medien erwähnt.

Zum Amazon-Bestseller hat es "Die Getriebenen" nicht geschafft. Auf Amazon findet man aber kurioserweise auf der Seite dieses Buches unter "wird häufig zusammen bestellt" das als Amazon-Bestseller Nr. 1 in Sozialpolitik gelistete Buch "Das Migrationsproblem" von Rolf Peter Sieferle, dessen anderes Buch "Finis Germania" - auch ein Amazon- und Spiegel-Bestseller - erst kürzlich aus der Spiegel-Bestseller-Liste entfernt wurde[13]. Beide Bücher kritisieren Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik, allerdings auf wissenschaftlicher Ebene.

Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem - Amazon.DE

Heinrich Lose, ein Rezensent auf Amazon, brachte es auf den Punkt: »Alexander beschreibt die Vorgänge auf der Bühne eines Marionettenstücks und tut so, als seien nicht nur die Puppen echt sondern auch die Handlung.«

Die Getriebenen: Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht – Gebundene Ausgabe – 13. März 2017 – Amazon.DE



[1] Autorenseite der Welt: Robin Alexander

[2] Artikel auf Wikipedia über Robin Alexander

[3] Übersicht der Beteiligungen der Axel Springer Group auf Wikipedia

[4] UNHCR-Bericht vom 30. Juni 2017: UNHCR seeing significant returns of internally displaced amid Syria’s continuing conflict.
Die Deutsche Übersetzung findet sich in meinem Blog auf Steemit: Rückkehrbewegungen von Flüchtlingen nach Syrien

[5] Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Juni 2010: Deutschland verschläft den Kampf um Talente

[6] Artikel in der Frankfurter Allgemeinen vom 21. Oktober 2015: Die Zahlen: Das sind Deutschlands Flüchtlinge

[7] Artikel aus der Welt vom 30. September 2016: Deutschland korrigiert Flüchtlingszahl für 2015

[8] Artikel in der Passauer Neuen Presse: Ex-Innenminister: "Wir haben die Kontrolle verloren"
Artikel im Münchener Merkur: CSU attackiert Merkel: "Haben Kontrolle verloren"

[9] FrontEx Annual Risk Analysis for 2017: » Dangerous crossings on unseaworthy and overloaded vessels were organised with the main purpose of being detected by EUNAVFOR Med/Frontex and NGO vessels.« Quelle: Jährlicher Risikoanalysereport 2017 Frontex - PDF

[10] Artikel von UNHCR vom 1. Dezember 2014: WFP food cuts threaten tens of thousands of Syrian families, UNHCR warns und Artikel der Welthungerhilfe (WFP) vom 2. Dezember 2014 WFP muß Hilfe für syrische Flüchtlinge einstellen und warnt vor harschem Winter

[11] Artikel aus der Zeit vom 30. März 2017: Grenzen der Kanzlerin

[12] Artikel aus der Jüdischen Rundschau vom 31. März 2017: "Die Getriebenen": Das Versagen der Angela Merkel

[13] Artikel auf Steemit: de finis Germaniæ

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Vielen Dank für diesen kritischen Bericht über die typische Hofberichterstattung in DE!