The Independent: Die Suche nach der Wahrheit in den Trümmern von Duma

in deutsch •  7 years ago  (edited)

Die Suche nach der Wahrheit in den Trümmern von Duma

- und die Zweifel eines Arztes an dem Chemiewaffenangriff

Publiziert von Robert Fisk auf The Independent am 18. April 2018 unter dem Originaltitel »The search for truth in the rubble of Douma – and one doctor’s doubts over the chemical attack«

Exclusiv: Robert Fisk besucht die syrische Klinik im Zentrum der globalen Krise

Dies ist die Geschichte einer Stadt Namens Duma, einem verwüsteten, stinkenden Ort zerstörter Wohnblocks, in dem sich auch ein unterirdische Klinik befindet, deren Leidensbilder es den drei mächtigsten Ländern der westlichen Welt ermöglicht haben, Syrien letzte Woche zu bombardieren. Dort gibt es auch einen freundlichen Arzt in einem grünen Mantel, der, nachdem ich ihn in besagter Klinik endlich ausfindig gemacht hatte, mir fröhlich erzählte, daß die "Gas"-Aufnahmen, die die Welt entsetzt haben - trotz aller Zweifler - durchaus echt seien.

Kriegsgeschichten neigen jedoch dazu, im Laufe der Zeit immer düsterer zu werden. Denn der selbe 58 Jahre alte syrische Arzt fügt dann seiner Aussage etwas zutiefst unangenehmes hinzu: Die Patienten, so sagt er, litten nicht unter den Einwirkungen von Gas, sondern unter Sauerstoffmangel in den vermüllten Tunneln und Kellern, in denen sie lebten. In einer windigen Nacht wurde durch Granatbeschuß ein regelrechter Sandsturm aufgewirbelt.

Wenn Dr. Assim Rahaibani sein außergewöhnliches Fazit verkündet, sollte man berücksichtigen, daß er nach eigenen Angaben kein Augenzeuge ist und sehr gut Englisch spricht. Er bezeichnete zweimal die Kämpfer des "Daësh al-Islam [Armee des Islam] (Anm.: Daësh / Isis / Islamischer Staat) in Duma als "Terroristen" – so nennt das Regime seine Feinde. Dieser Begriff wird von vielen Menschen in Syrien benutzt. Höre ich richtig? Welche Version sollen wir denn nun glauben?

Durch einen unglücklichen Zufall waren alle diensthabenden Ärzte in jener Nacht in Damaskus und machten ihre Aussagen in einer Untersuchung bezüglich einer Giftgasangriffs, aus der in den nächsten Wochen eine gesicherte Erkenntnis zu dieser Frage hervorgehen soll.

In der Zwischenzeit behauptet Frankreich, "Beweise" dafür zu haben, daß Giftgas eingesetzt wurde, und US-Medien haben Quellen zitiert, nach denen Blut- und Urinproben das selbe Resultat gezeigt hätten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab an, ihre Partnerorganisationen vor Ort hätten 500 Patienten behandelt, die "Anzeichen und Symptome aufwiesen die der Einwirkung von toxischen Chemikalien entsprechen".

Gleichzeitig haben die Inspektoren der Organisation für Chemiewaffenverbot (OPCW) derzeit keinen Zugang zum Tatort des angeblichen Gasangriffes, weil sie anscheinend keine Genehmigung Seitens der UN bekommen hatten.

Vor weiteren Ausführungen sollten sich die Leser darüber im klaren sein, daß dies nicht die einzige Geschichte über Duma ist. Da gibt es noch die vielen Menschen mit denen ich inmitten der Stadtruinen sprach, die mir erzählten, daß sie die Giftgasgeschichten "nie geglaubt hatten", die üblicherweise von bewaffneten islamistischen Gruppierungen in die Welt gesetzt werden. Diese Jihadis überlebten das Granatfeuer indem sie anderer Leute Häuser beschlagnahmten, oder indem sie in die Tunnelsysteme mit unterirdischen Straßen zogen, die von Gefangenen mit Spitzhacken auf drei Geschoßebenen in den Fels gehauen wurden. Ich bin gestern durch drei davon gelaufen. Es waren große in den Fels geschlagene Korridore, in denen immer noch russische -ja, russische - Raketen und ausgebrannte Autowracks lagen.

Es geht also bei der Geschichte von Duma nicht nur um Giftgas - oder eben um Nicht-Giftgas, wie es der Fall zu sein scheint. Es geht auch um die Tausenden von Menschen die sich letzte Woche dagegen entschieden haben, Duma in Bussen zusammen mit den Kämpfern zu verlassen, mit denen sie wie Höhlenmenschen zusammen hausen mußten um zu überleben. Ich bin ziemlich unbehelligt gestern durch die Stadt gelaufen, ohne Soldaten, Polizisten und ohne einen Verantwortlichen, der mir im Nacken hing. Ich hatte nur zwei syrische Freunde bei mir, eine Kamera und einen Notizblock (Anm.: wörtl. "Notebook"). Manchmal mußte ich über 20 Meter hohe Barrikaden klettern, auf und ab über regelrechte Wände aus Erde. Die Menschen lächelten. Sie waren froh, Fremde zu sehen und noch mehr freuten sie sich darüber, daß die Belagerung endlich vorbei war. Zumindest lächelten die, deren Gesichter man sehen konnte, denn erstaunlich viele Frauen in Douma tragen lange schwarze Hijabs.

Schutt füllt eine Straße in Duma, der Ort eines mutmaßlichen Giftgasangriffs in der Nähe von Damaskus (AP)
Schutt füllt eine Straße in Duma, der Ort eines mutmaßlichen Giftgasangriffs in der Nähe von Damaskus (AP).

Zunächst fuhr ich nach Duma als Teil eines begleiteten Journalisten-Konvoys. Doch nachdem ein langweiliger General vor einem zerstörten Rathaus verkündet hatte, er hätte keine Informationen – äußerst hilfreicher arabischer Behördenmüll – bin ich einfach weggegangen. Auch eine Gruppe russischer Journalisten – alle im Kampfanzug – entfernte sich.

Es war nicht weit zu Dr. Rahaibani. Von der Tür seiner unterirdischen Klinik – sie wird “Point 200” genannt in der wirren Beschaffenheit dieser teils unterirdischen Stadt – führt ein Gang hinab zu seinem kleinen Krankenhaus mit wenigen Betten, in dem ein kleines Mädchen weinte als die Krankenschwestern eine Schnittwunde über ihrem Auge versorgten.

“Ich war in jener Nacht bei meiner Familie im Keller unseres Hauses, etwa dreihundert Meter von hier, aber alle Ärzte wissen, was passiert ist. Es gab starken Beschuß [durch Regierungskräfte] und die Luftwaffe war Nachts immer über Duma. Doch in jener Nacht wehte ein starker Wind und Staubschwaden begannen in die Keller zu wehen, in denen Menschen lebten. Die Leute trafen dann nach und nach hier ein und sie litten an Hypoxie (Sauerstoffmangel). Dann schrie plötzlich ein "Weißhelm", der an der Tür stand, "Gas!" und eine Panik brach aus. Die Menschen begannen damit, sich gegenseitig Wasser überzugießen. Ja, das Video wurde hier aufgenommen, es ist echt, aber was man da sieht, sind Menschen, die unter Sauerstoffmangel leiden - nicht an einer Gasvergiftung.”

Der Korrespondent von 'Independent Middle East' Robert Fisk in einem der kilometerlangen Tunnels, die unter Duma von Gefangenen der syrischen Rebellen gehauen wurden. Bild: Yara Ismail
Der Korrespondent von 'Independent Middle East' Robert Fisk in einem der kilometerlangen Tunnels, die unter Duma von Gefangenen der syrischen Rebellen gehauen wurden. Bild: Yara Ismail

Nachdem ich mit etwa 20 Leuten gesprochen hatte, konnte ich seltsamerweise nicht einen finden, der auch nur das geringste Interesse an westlichen Luftangriffe auf Duma hatte. Zwei erklärten mir sogar, daß sie von dieser Verbindung gar nichts wußten.

Aber es war eine sonderbare Welt, in die ich da hineinschritt. Zwei Männer, Hussam und Nazir Abu Aishe, sagten sie wüßten nicht, wieviele Menschen in Duma umgekommen seien, obwohl Letzterer zugab, daß einer seiner Cousins “von Daësh al Islam [Armee des Islam] hingereichtet wurde, weil er angeblich "regimetreu" war”. Sie zuckten nur mit den Schultern, als ich nach den 43 Menschen fragte, die beim angeblichen Angriff auf Duma umgekommen sein sollen.

Die Weißhelme – die im Westen bereits legendären Ersthelfer mit Ecken und Kanten in der eigenen Geschichte – haben eine bereits bekannte Rolle während der Schlachten gespielt. Sie werden teilweise vom (britischen) Auswärtigen Amt finanziert und die meisten Büros vor Ort waren von Leuten aus Duma besetzt. Ich fand ihre zerstörten Büros, nicht weit von Dr. Rahaibanis Klinik entfernt. Vor einem Verpflegungsbehälter lagen eine Gasmaske mit einem durchbohrten Augenstück und in einem Raum lag ein Stoß dreckiger Flecktarnuniformen. Ich fragte mich, ob das alles wohl absichtlich "gepflanzt" worden war. Ich denke eher nicht. Überall lagen haufenweise Kapseln, kaputtes medizinisches Gerät, Ordner, Bettzeug und Matratzen.

Freilich müssen wir uns deren Version der Geschichte auch anhören, aber das wird nicht wohl kaum geschehen: Eine Frau erzählte uns, daß alle Mitglieder der Weißen Helme in Duma ihr Hauptquartier verlassen hatten und zusammen mit den bewaffneten Gruppen die von der Regierung organisierten und von den Russen begleiteten Busse in die von den Rebellen kontrollierte Provinz Idlib nahmen, als der endgültige Waffenstillstand zustandekam.

Es gab offene Vorratskammern und eine Patrouille russischer Militärs – mittlerweile eine zusätzliche Option für jeden Waffenstillstand in Syrien – und niemand machte sich die Mühe in das verbotene islamistische Gefängnis am Märtyrerplatz zu stürmen, wo die Opfer der bewaffneten Gruppen angeblich in den Kellern enthauptet wurden. Ergänzend hierzu wird vom syrischen Innenministerium die zivile Polizei gestellt, die schaurigerweise Militäruniformen trägt. Sie werden wiederum von den Russen überwacht, die vielleicht oder vielleicht auch nicht, ihrerseits von der Zivilbevölkerung bewacht werden. Auch hier wieder wurden meine ernstgemeinten Fragen nach dem Giftgaseinsatz mit etwas beantwortet, was ehrliche Ratlosigkeit zu sein schien.

Wie kann es sein, daß Flüchtlinge aus Duma, die bereits die Flüchtlingslager in der Türkei erreicht hatten, längst über einen Giftgasangriff berichteten, an den sich in Duma selbst aber keiner zu erinnern scheint? Als ich einmal fast zwei Kilometer in einem dieser von Gefangenen errichteten Tunnels lief, kam mir der Gedanke, daß die Einwohner von Duma vielleicht so lange derart isoliert voneinander lebten, daß Nachrichten in unserem Sinne für sie keine Bedeutung hatten. Syrien ist keine Westminster-Demokratie, wie ich es immer wieder gerne zynisch meinen arabischen Kollegen erkläre. Es ist tatsächlich eine skrupellose Diktatur, aber das hinderte diese Leute nicht daran ein paar ehrliche Worte loszuwerden, zumal sie so froh waren, Ausländer zu sehen. Was erzählten sie mir so alles?

Sie erzählten von den Islamisten, unter denen sie lebten. Sie erzählten wie diese bewaffneten Gruppen zivile Häuser besetzten, um der syrischen Regierung und den russischen Bomben zu entgehen. Die Leute des Daësh al-Islam brannten ihre Büros nieder, bevor sie flohen. Aber die massiven Gebäude innerhalb der Sicherheitszonen die sie errichtet haben, wurden fast alle durch Luftangriffe dem Erdboden gleichgemacht. Ein syrischer Oberst, dem ich hinter einem dieser Gebäude begegnete, fragte mich ob ich sehen wollte wie tief die Tunnels seien. Ich stoppte dann nach fast zwei Kilometern, als er mir kryptisch zu verstehen gab, daß “dieser Tunnel womöglich bis Großbritannien gehen würde.” Ach, ja, Frau May, ich weiß noch wessen Luftangriffe so sehr mit diesem Ort mit Tunneln und Staub verbunden sind. Aber was ist mit dem Gas?


Originalartikel auf Englisch:
The Independent (UK): »The search for truth in the rubble of Douma – and one doctor’s doubts over the chemical attack«
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Ich fass mich mal kurz... "Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst" , ohne Propaganda würde man auch kaum einen Doofen finden, der freiwillig in den Krieg zieht. Was Syrien und auch die Nato betrifft, kann man sich als Deutscher nur Fremdschämen...

Ich vermute eine Menge Lügen, um die Russen zu einem Krieg zu bewegen. Hoffentlich bleibt Putin weiter gelassen.