RÜCKKEHR IN DEN JUNGFERNSTAND / RETURN TO VIRGINITY

in deutsch •  3 years ago 

Wir schlafen alleine und ziehen uns hinter verschlossener Tür aus, wobei oft nicht einmal der Spiegel als Zeuge unserer schlaffen Haut zugelassen ist. Der Schrank ist zum Schrein der Erinnerungen geworden, ein Lager geschrumpfter Kleidungsstücke und heutzutage für uns verbotener Ausschnitte. Durch die passenden Accessoires signalisieren wir schon von weitem jedem möglichen – unmöglichen? – Interessenten, dass er sich einer Frau nähert, die in den Jungfernstand zurückgekehrt ist und sich dort ziemlich wohl fühlt.

Wenn diese reife Frau allerdings dadurch auffällt, dass sie sich wie eine Zwanzigjährige frisiert und kleidet, im Klang der Musik wiegt, die aus ihren Kopfhörern schrillt, und SMS-Jargon verwendet, dann verlassen Sie besser unauffällig ihren Aktionskreis. Sicherlich ist während der Ausheilung jugendlicher Irrtümer etwas mit ihr geschehen und wahrscheinlich hat sie ein Problem damit, ganz gleich ob man es auf den ersten Blick sieht oder nicht.

Die Eroberung einer dieser Wiederjungfrauen ist stets eine schwierige Aufgabe: ihr Werdegang hat Spuren hinterlassen und sie fällt nicht wie eine reife Birne in die Arme des Erstbesten, auch wenn sie weiche, fruchtige Kurven hat, statt der knochigen Winkel, die dem gültigen Schönheitskanon entsprechen. Sie stellt Ansprüche und vielleicht liegt ihr kulturelles Niveau über dem des Eroberers, was normalerweise als Hindernis gilt.

Es ist jedoch immer möglich, dass sie gewillt ist, die Gesellschaft ihres streitbaren Yorkshireterriers, ihrer Schwester und der Dienst habenden Bibliothekarin gegen doppelsinnige Wortspiele, Andeutungen und bedeutungsvolles Schweigen einzutauschen, Details, die nicht unbedingt zu einem konkreten Ziel führen müssen, sondern deren Reiz darin liegt, erträumte oder wirkliche Momente lebendig werden zu lassen. Allerdings wird Mann diese Komplizität eher mit einer Frau erreichen, die gegenwärtig single ist, keine suchtartige Lust an Fernsehprogrammen pflegt noch mit religiösem Eifer Sport treibt.

Sollte sie aus Routine oder interessehalber noch immer mit dem zusammenleben, der sie ‘zur Frau gemacht’ hat (was im Grunde immer nur ein bestimmtes Chromosom und sonst niemand vollbringt), ihr Kinder ‘gab’ (als wären Sprösslinge ein persönliches Geschenk und nicht ein gemeinsames Projekt) und sie jahrelang ‘unterhalten’ hat, wird die Lage noch komplizierter, nicht durch die mögliche Präsenz des de facto Ex-Partners sondern weil sie sich irrtümlicherweise weiterhin begleitet und/oder verpflichtet fühlt und deshalb neue Möglichkeiten gar nicht erst wahrnimmt.

Hier muss gesagt werden, dass ‘unterhalten’ in diesem Zusammenhang eigentlich nur vorstellbar ist, sollte der Partner als Komiker arbeiten und seine Gags zu Hause erproben, (was auch eine gewisse Ermüdung hervorrufen kann) und dass die eigentliche Bedeutung dieses Ausdrucks eher in die Tiefe verweist, also im Sinne von ‘auf einer niedrigeren Stufe halten’. Eine erschöpfende Untersuchung würde jedoch den Rahmen dieses Textes sprengen.

Kehren wir zum Thema zurück: es ist eindeutig, dass ein lang, sehr lang, (zu lang?) ausgedehntes Zusammenleben häufig unter einer zunehmenden Distanzierung von Interessen, Zuneigungen und Aktivitäten leidet, bis der intimste Akt des Paares darin besteht, Unterwäsche auf ein und demselben Ständer zu trocknen und als Berührungskontakt den ihrer Briefe im gemeinsamen Briefkasten zu werten. Vielleicht widmet sich einmal ein Mathematiker der Berechnung dieser eigenartig schönen Trigonometrie des Alltags getrennt vereinter Paare: sie agieren auf Ebenen, Kreisen und Strecken, die sich mehr oder weniger überschneiden, sogar identisch sind, und nutzen dabei Raum und Zeit so meisterhaft, dass sie kaum jemals zusammenzutreffen. Dadurch erübrigt sich die Notwendigkeit, Flächen und Momente miteinander zu ‘teilen’, geschweige denn etwas ‘mitzuteilen’, ausgenommen anlässlich jener stimmkräftigen Wortwechsel, die dazu dienen, den Abstand der Nähe zu markieren.

Das Grundkonzept ist wie folgt: getrennte Schlafzimmer, was in Wohnungen mit zwei Bäder schon fast zu einem rein nachbarlichen Zusammenleben führt; feste Zeiten, um in der Küche zu hantieren, wonach jede/r sein benutztes Geschirr abwäscht und – in emotionell günstigen Etappen – das heisse Wasser im Kocher lässt, damit es der/die andere verwenden kann. Je nachdem wer arbeiten geht und wer den Hund ausführt (das geplagte Haustier leidet meist an einer tiefen Depression, weil sich sein Rudel nicht als solches benimmt), verlässt man die Wohnung, steigt in die U-Bahn oder das Auto und isst wo, wann und mit wem man will, normalerweise mit irgendwem solange es sich dabei nicht um den Partner oder die Partnerin handelt.

Auch für freie Nachmittage und die gefürchteten Wochenenden gibt es Alternativen: von Aerobic-Stunden bis zu Workshops für kreatives Schreiben, eine Kartenpartie, der zwanghafte Spaziergang, um veränderte Kieslagen auf den Parkwegen festzustellen, sogar Besuche in Museen oder bei Grosstanten in entfernten Altenheimen...
Alles ist von Nutzen, um Treffen und Gespräche zu vermeiden, und während der Gatte vielleicht seine männlichen Träume durch Medienträger aller Art aufrecht erhält, entwickelt sich die Gattin in Richtung dieses eigenartigen, spätehelichen Jungfrauenstandes, der in letzter Zeit immer mehr zum Studienobjekt der römisch-katholischen Kirchengerichte wird, die sich auf die Annullierung von in den Augen der Kurie nicht vollzogenen Ehen spezialisieren, auch wenn diese Nachkommen hervorgebracht haben.

Sie kennen keine dieser Jungfrauen der etwas anderen Art? Sie sind verheiratet und können sich mit meinen Überlegungen überhaupt nicht identifizieren?? Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe! Warum schreiben Sie keine Selbsthilfeanleitung über das Tema? Ich verspreche, ein Exemplar zu kaufen, wenn Sie im Gegenzug meinen “Führer durch das Labyrinth der Wiederjungfrauen” erwerben, der nächste Woche in etlichen Buchläden zu haben ist.

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We sleep by ourselves and dress behind closed doors sometimes not even allowing the mirror a glimpse of our sagging skin. The wardrobe has become a shrine of memories, a deposit of shrinking clothes and necklines no longer suitable. By means of the right accessories we make clear to everybody even from afar that he is getting close to a woman that has returned to the virginal state and is enjoying herself quite a bit.

If nevertheless that ripe woman is calling your attention by hairstyles and outfits of a tween, if her hips swing to the music whose deafening sound fills her earphones while she uses SMS-abreviations, you will fare much better if you leave her proximity without consideration. You may be sure that the healing of her youthful errors has been hurtful and left her with some issues visible at first glance or not.

The conquist of one of those re-virgins is always a difficult task: her personal history has left tracks and traces and she no longer is a ripe pear that falls into the arms of the first one to come along, even though she may own soft, fruity curves instead of the bony angles which nowadays are imposed by the canons of beauty. She has got personal expectations and maybe her cultural level is higher than that of the potential conqueror, a fact that normally is considered an obstacle.

Nevertheless it is always possible that she is willing to exchange the company of her pugnacious Yorkshire, her sister or the bibliothecarian on duty for double sense puns, insinuations and meaningful silences, which not always have to aim at a goal, but whose interest resides in creating vibrant moments dreamt of or even real ones. It is true that men will reach this kind of complicity more easily with a woman that is single right now, not an adict to multiple TV-programs and who does not consider sport as a form of religion. If due to routine or economic motives she still shares her time with the person who “made her a woman” (basically this task is always done by a certain cromosome and not by a boyfriend or something similar), who “gave” her children (considering the offspring as personal gift and not as a project in common) and who has “kept” her for years and years, the situation will be even more complicated: not due to the presence of her de facto ex partner but because she erroneously continues feeling accompanied or is obliged to feel so and thus does not even recognize new possibilities.

Let us make clear that in this sense the idea of “keeping” is aceptable only if the partner is a standup-comedian who tries out his gags at home (which usually results quite tiring). The underlying meaning of keeping could signify a difference of levels, but a detailled study of these implications would surely break down the frame of this text.

Coming back to the theme itself: it is clear that a long, very long (too long?) convival frequently shows an increasing distancing of interests, feelings and activities to the point where the most intimate venture of the couple consists in drying their underwear upon the same rack and their physical touch is limitted to that of their letters being put into the same letterbox. Here goes my suggestion to any mathematician to calculate that trigonomy of strange beauty that consists in the everyday occupation of couples that live in united separation: they move and work and sit and sleep on levels, circles and straight lines, crossed and recrossed and sometimes even identical. Doing this they use space and time with such mastership that they avoid almost any encounter at all and do not communicate besides the loud interchange of opinions that serve first of all to mark the distance of proximity.

The basic concept is as follows: separate bedrooms which in flats with two bathrooms create a lifestyle similar to that one shares with next door neighbours; a fixed schedule for the use of the kitchen, for washing dirty dishes and –if the emotions are at their best- the residual hot water is left in the kettle for the other´s use. Detailled schedules decide who goes to work and who takes the dog for a walk (normally the poor pet suffers depressions because his pack does not behave as such). They leave the flat by shifts, travel by underground or by car and take lunch and dinner where, when and with whom… who knows? Normally with anyone as long as it is not the partner…

Free afternoons and hateful weekends need options, too, to avoid a proximity one does not wish for any longer: there are aerobic-classes or workshops for creative writing, a game of cards, a forced walk to check on the peebles on the ground, even visits to museums or greataunts living in distant homes for the elderly. Everything may serve to avoid encounters and talks, and while the husband might carry on his manly dreams in social media of many kinds, the wife becomes member of that strange order of late matrimonial virgins. Nowadays roman-catholic courts are studying with more and more intensity the annullation of matrimonies not consummated in the eyes of the curia even though they have produced offsprings.

You do not know any re-virgins of this kind? You are happily married and completely unable to identify yourself with my ideas? Congratulations, my dear! Why do you not write autohelp-instructions about this subject? I promise I will buy one of your books, if you buy as a compensation my “Guide Through the Laberinth of Re-Virgins” which will be available next week in most bookshops.

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  ·  3 years ago (edited)

Haha, danke für den brillanten Schenkelklopfer!

“Führer durch das Labyrinth der Wiederjungfrauen”

Gekauft - ohne vorherige Gegenleistung... ;-)


Ich hoffe, es war keine Absicht, dass du nicht in Deutsch Unplugged veröffentlicht hast... Wenn doch, alles gut. Wenn nicht, hier der Tipp für's nächste Mal: Geh vor dem Posten immer zuerst in die Community, in der du posten möchtest (also in der Regel DU, LOL) und klicke dann den blauen Knopf "New Post" bzw. "Post" (weiß nicht genau, ist jedenfalls blau). Am besten, du vergisst den kleinen, eingekreisten Bleistift rechts oben im Steemit-Frontend... ;-)

P.S.: Nutze deine Vote-Power besser für fremde Beiträge, fremde Kommentare. Deine Texte finden Fans und diese kümmern sich dann um deine Texte... :-)

Nein, es war ohne Absicht. Ich wollte so gerne posten und hab es dann genau falsch begonnen. Es freut mich, dass du den Text erheiternd fandest. Danke für die Hinweise.

Liebe Doro, das wäre ja total köstlich, wenn es nicht total schlimm wäre... Darf ich den letzten Satz schon als Avis für "Blinderlings" verstehen?? Hast Du News?

Liebe Heike, das der Satz auf 'Blinderlings' zielt, war mir gar nicht aufgefallen. Es ist ein jüngerer Text. News hab ich noch keine. Mir macht Steemit viel Freude und ich werde mit den Feldern schon noch zurechtkommen.

Sehr schön, Doro! Vergnügliche Lektüre!
(... mit traurig-ernstem Unterton...)

Danke fürs Lesen. Betrübliches in humorvollen Ton zu fassen finde ich, ist immer eine interessante Aufgabe.

Schön das ich dich nun auch einmal kennenlerne da du nicht über eine Community veröffentlicht hast. Habe gestern erst ein wenig von dir gehört als ich Besuch hatte von netten Menschen, die hier übrigens ihre Äpfel und Eier vergessen hatten :)

Ich weiß ja nicht, ob du was mit Facebook zu tun hast - wenn ja wäre es toll, wenn du genau solche Geschichten auch ab und zu in einer Gruppe veröffentlichst, die ein kleines Sammelbecken von einsamen Menschen ist, die sich versuchen, zu unterstützen und aufzufangen. Solche kurzweilige Unterhaltung kommt dort sicherlich gut an. Mehr über die Gruppe kann dir der Rabe erzählen.

Danke für dein feedback. Eigentlich wollte ich in Deutschunplugged posten, bin aber noch sehr unbeholfen und deshalb lief es so, was ich gar nicht bedauere, wenn du mich dadurch gelesen hast.
Ja, ich bin im Facebook, nicht sehr oft, meistens durch eine Gruppe, die jeden Donnerstag Kurzgeschichten auf Spanisch schreibt. Danke für die Anregung.