Wohlfahrtsökonomie: Von der Gesamtrente zum Pareto-Optimum

in deutsch •  7 years ago  (edited)

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Einordnung Wohlfahrtsökonomie:

Fossile Brennstoffe, Boden, Wasser sind nur einige der knappen Ressourcen unserer Volkswirtschaft. Durch wirtschaftspolitische Maßnahmen versucht die Politik, in die Verteilung knapper Mittel einzugreifen, um dadurch zur Verbesserung des gesellschaftlichen Wohlstands und somit zum Wohlergehen der Bürger des Staates beizutragen.

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht setzt genau hier die Wohlfahrtsökonomik an, die als Teilbereich der Volkswirtschaftslehre einzuordnen ist und der Frage nachgeht, wie die Allokation der Ressourcen (Verteilung und Verwendung knapper Mittel) die wirtschaftliche Wohlfahrt beeinflusst und unter welchen Bedingungen ein Wohlstandsoptimum erreicht werden kann. Mittels unterschiedlicher Theorien und Modelle versuchen Ökonomen, genau diese Problematik schon seit Jahrzehnten zu erklären.

Zur Messbarkeit der gesellschaftlichen Wohlfahrt

Wirtschaftspolitisches Handeln führt in der Regel zu einer Situationsveränderung in der Gesellschaft. Um zu erkennen, ob wirtschaftspolitische Maßnahmen geplante Ziele erreicht haben oder zu einer Verschlechterung des Wohlergehens der Bürger geführt haben, werden diese anschließend bewertet. Als Beispiel einer wirtschaftspolitischen Maßnahme ist die gezielte Änderung der Einkommensbesteuerung zu nennen, um dadurch das Einkommen zwischen ärmeren und reicheren Menschen besser zu verteilen. Ob durch solch eine Maßnahme auch das Ziel der Umverteilung (und Wohlstandsverbesserung) erreicht wird, muss anschließend evaluiert werden. Die Messung der Wohlfahrt hat daher große Relevanz, um zukünftige Entscheidungen treffen zu können und somit den gesellschaftlichen Nutzen zu optimieren.

Zur Messung der Wohlfahrt haben zahlreiche Ökonomen unterschiedliche Modelle konstruiert, die mit den Jahren weiterentwickelt wurden. Dabei lassen sich grob zwei wesentliche Theorien unterscheiden: die ältere sowie die neuere Wohlfahrtsökonomik, wobei die neuere Theorie hauptsächlich aus der Kritik der älteren Theorie entstand. Auch wenn viele namhafte Ökonomen die Wohlfahrtsökonomik geprägt haben, dreht sich dieser Artikel rund um die Wohlfahrtsmessung von Marshall (ältere Wohlfahrtsökonomik) und Pareto (neuere Wohlfahrtsökonomik), die den Grundstein für weitere ökonomische Entwicklungen in der Wohlfahrtsökonomie legten.

Ältere Wohlfahrtsökonomik

Die ältere Wohlfahrtstheorie wurde wesentlich von den Ökonomen Marshall, Pigou und Edgeworth bestimmt. Diese untersuchten den gesellschaftlichen Wohlstand unter der Annahme der kardinalen Messbarkeit und der interpersonellen Nutzenvergleichbarkeit. Diese Grundannahme postuliert, dass der Nutzen der einzelnen Individuen in Geldeinheiten messbar ist und durch diese Werte eine Vergleichbarkeit zwischen den Individuen möglich macht, wodurch ein Maß für die soziale Wohlfahrt dargestellt wird.

Den essentiellen Unterschied zwischen der älteren und der neueren Wohlfahrtsökonomik stellt die unterschiedliche Nutzenmessung dar. Während die ältere Theorie kardinale Nutzenmessung als ihre Annahme festlegt, ist die ordinale Nutzenmessung ganz im Fokus der neueren Theorie. Bei der kardinalen Nutzenmessung entsprechen die Werte absoluten Zahlen, die quantitativ einordbar sind. Bei der ordinalen Nutzenmessung sagen die Werte nur etwas über deren Rangordnung (besser, schlechter, indifferent) aus.

Der Unterschied zwischen der kardinalen und ordinalen Nutzenmessung lässt sich anhand eines Beispiels besser verstehen: Nach der ersten Messung beträgt der Wert 20, nach der zweiten Messung beträgt der Wert 50. Die Differenz beider Werte ergibt 30, wobei die Höhe der Differenz nach der ordinalen Nutzenmessung nichts über den Wert aussagt. Es kann nur die Aussage getroffen werden, dass der zweite Wert höher und somit besser als der erste Wert ist.

Messung der Wohlfahrtsänderung

Eines der ältesten Instrumente zur Messung der Wohlfahrt ist die Gesamtrente, die sich aus der Summe von Konsumenten- und Produzentenrente berechnet. Die Konsumentenrente ist die Differenz aus dem Marktpreis und dem Preis, den der Konsument für das Produkt zu zahlen bereit ist. Besser veranschaulichen lässt sich diese Aussage in der unteren Abbildung. Die gestrichelte Linie zeigt den Marktpreis (Gleichgewichtspreis). Die Fläche oberhalb der gestrichelten Linie bis zur Nachfragekurve bildet die Konsumentenrente ab. In diesem Fall hat der Konsument eine wesentlich höhere Zahlungsbereitschaft, als für das Produkt zu zahlen ist. Je größer die Differenz zwischen Zahlungsbereitschaft und Marktpreis ist, desto höher fällt die Konsumentenrente und somit der Nutzenüberschuss aus.

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In diesem Modell wird nicht nur die Konsumenten-, sondern auch die Produzentenrente abgebildet. Diese ergibt sich aus der Differenz zwischen Marktpreis und dem Mindestpreis, zu dem das Unternehmen die entsprechende Menge anzubieten bereit wäre. Die Fläche unter der gestrichelten Linie bis zur Angebotskurve stellt die gesamte Produzentenrente und somit den Nettonutzen des Unternehmens dar.

Die Gesamtrente und somit die maximale Wohlfahrtssumme ergibt sich aus der Summe von Konsumenten- und Produzentenrente und stellt den Nutzen dar, den die Konsumenten und die Produzenten aus den Märkten ziehen. Das Wohlfahrtsmaximum wird im Gleichgewicht bei vollständiger Konkurrenz abgebildet (Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragekurve).

Diese Aussagen lassen sich an einem praktischen Beispiel besser veranschaulichen:

Konsumentenrente:
Auf einem Markt für Kaffee beträgt der Marktpreis 15,00 EUR pro Kilo. Der Konsument wäre für ein Kilo Kaffee jedoch bereit, 25,00 EUR zu zahlen. Die Differenz zwischen Marktpreis und Zahlungsbereitschaft beträgt 10,00 EUR, was für den Konsumenten einen zusätzlichen Nutzen und somit eine Konsumentenrente von 10,00 EUR ergibt.

Produzentenrente:
Der Marktpreis beträgt immer noch 15,00 EUR pro Kilo, und der Produzent ist zu einem Mindestpreis von 8,00 EUR bereit, ein Kilo Kaffee zu verkaufen. Die Differenz zwischen dem Marktpreis und der Mindestverkaufsbereitschaft beträgt 7,00 EUR. Die Produzentenrente und somit der zusätzliche Nutzen für den Produzenten ergibt 7,00 EUR.

Gesamtrente:
Die Gesamtrente wird aus der Summe von Konsumenten- und Produzentenrente errechnet und ergibt im vorliegenden Fall 17,00 EUR.

Das Problem bei dieser Theorie ist jedoch, dass immer nur einzelne Märkte betrachtet werden und die Höhe der Gesamtrente nur auf die jeweiligen Märkte bezogen ist. Eine Aussage über die gesamte Wohlfahrtssumme ist theoretisch zwar möglich, praktisch jedoch schwer umsetzbar, da alle einzelnen Märkte zu einem Gesamtmarkt aggregiert werden müssten.

Neuere Wohlfahrtsökonomik

Aus der Kritik zahlreicher Ökonomen entwickelte sich die neuere Wohlfahrtsökonomik, die eine kardinale Nutzenmessbarkeit sowie eine interpersonelle Nutzenvergleichbarkeit ablehnt. Die neuere Theorie ist vor allem auf Vilfredo Pareto zurückzuführen, weshalb sie auch paretianische Wohlfahrtsökonomie genannt wird. In dieser Theorie findet die ordinale Nutzenmessung ihren Einzug, bei der Werte nur Informationen über die Reihenfolge (besser, schlechter, indifferent) geben. Laut den Verfechtern der neueren Wohlfahrtsökonomik ist der maximale gesellschaftliche Wohlstand nicht mehr identifizierbar, weshalb das Ziel, ein Maximum der gesellschaftlichen Wohlfahrt anzustreben, unmöglich gemacht wird. Dies auch vor dem Hintergrund, als dass die Aggregation des gesellschaftlichen Nutzens nicht mehr realisierbar ist, da die neuere Wohlfahrtsökonomik eine interpersonelle Nutzenvergleichbarkeit verneint.

Wenn die neuere Wohlfahrtsökonomik nun wesentliche Prämissen der älteren Theorie ablehnt, stellt sich die Frage, wie gesellschaftliche Wohlfahrt bestimmt werden kann. Nun, der Fokus liegt gegenwärtig auf der optimalen Allokation, um durch diese ein gesellschaftliches Wohlstandsoptimum zu erreichen.

Pareto-Optimum

Pareto setzte mit seinem Kriterium einen wesentlichen Meilenstein im Bereich der Wohlfahrtsökonomie. Mit seinem Pareto-Kriterium postulierte er, dass ein Optimum dann erreicht ist, wenn es nicht gelingen kann, den Nutzen eines Individuums zu erhöhen, ohne den Nutzen aller anderen mindestens konstant zu halten. Oder anders gesagt: Kann ein Individuum seine aktuelle Position verbessern, ohne die Position eines anderen Individuums zu schmälern, so liegt noch kein Pareto-Optimum vor.

Die Messung der gesellschaftlichen Wohlfahrt beläuft sich ausschließlich darauf, Situationen mit Hilfe des Pareto-Kriteriums zu vergleichen. Dadurch soll festgestellt werden, ob die gesellschaftliche Situation nach dem Pareto-Kriterium noch verbessert werden kann oder ob sie nicht mehr verbesserbar ist und somit ein Pareto-Optimum erreicht wurde.

Auch in diesem Fall lassen sich die Aussagen an einem praktischen Beispiel besser veranschaulichen:

Im vergangenen Jahr verzeichnete Österreich höhere Steuereinnahmen, als die Regierung anfangs angenommen hatte. Nun plant die Politik, die Mehreinnahmen einer gewissen Personengruppe, den Arbeitslosen, zukommen zu lassen und hebt folglich die Höhe des Arbeitslosengeldes an. Durch diese Maßnahme profitiert die Gruppe der Arbeitslosen, die Gruppe der Arbeitnehmer jedoch nicht. Trotzdem ist diese Maßnahme pareto-effizient, da ein Personenkreis besser gestellt wird (Arbeitslose erhalten mehr Geld), ohne jedoch einen anderen Personenkreis zu beeinträchtigen (Arbeitnehmer erhalten zwar nicht mehr Geld, ihr Geld wird aber auch nicht geschmälert). Ein Jahr darauf plant Österreich, die Lohnsteuer anzuheben, wodurch Arbeitnehmern ein geringeres Nettoeinkommen zur Verfügung steht. Zusätzlich wird das Arbeitslosengeld abermals angehoben. Diese Maßnahme ist keinesfalls pareto-effizient, da ein Personenkreis besser gestellt wird (Arbeitslose erhalten mehr Geld) und ein anderer Personenkreis beeinträchtigt wird (Arbeitnehmer erhalten durch die Erhöhung der Steuer ein geringeres Nettoeinkommen). Ein Pareto-Optimum wäre in diesem Fall dann erreicht, wenn das Arbeitslosengeld bis zu dem Punkt angehoben wird, an dem die Regierung auf höhere Steuereinnahmen zurückgreifen muss, um das zusätzliche Arbeitslosengeld zu finanzieren.

Im Bereich der Nutzentheorie hat sich das Pareto-Kriterium bis heute gehalten; die paretianische Wohlfahrtsökonomik wurde von anderen Ökonomen jedoch weiterentwickelt. Es kam oftmals die Kritik auf, das Pareto-Kriterium sei nur anwendbar, wenn wirtschaftspolitische Maßnahmen lediglich einem Personenkreis Vorteile verschafften, wobei sich solch eine Situation in der Praxis kaum widerspiegelt. Wirtschaftspolitische Aktivitäten lassen einige Personenkreise gewinnen, jedoch auch andere verlieren.

Resümee

Kaum ein Teilbereich der Volkswirtschaftslehre wird so häufig kritisiert wie die Wohlfahrtsökonomie; schon allein wegen der schweren Anwendbarkeit der Theorien in der Praxis. Um die gesellschaftliche Wohlfahrt nach dem Modell der Gesamtrente zu berechnen, scheitert diese Art von Wohlfahrtsmessung schon an der notwendigen Aggregation aller Märkte, da die Gesamtrente nur die einzelnen Märkte betrachtet. Solch eine Berechnung ist kaum realisierbar. Weitere Kritik wird zudem hinsichtlich der strikten Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten laut. Gesetzt den Fall, ein Produzent tritt auf einem Markt ebenfalls als Konsument auf: Wie findet diese Situation in der Berechnung Anwendung? Dennoch, das Modell der Gesamtrente legte einen wesentlichen Grundstein zur paretianischen Wohlfahrtsökonomie. Das Pareto-Kriterium lässt sich heute noch im Bereich der Nutzentheorie wiederfinden und wird für viele wirtschaftspolitische Probleme herangezogen, insbesondere im Bereich des Marktversagens.

Diskussionen, wie der gesellschaftliche Wohlstand bestmöglich gemessen werden kann, werden unter Wissenschaftlern noch heute geführt. Auch wenn sich anerkannte Wirtschaftsindikatoren, wie beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt, durchgesetzt haben, so werden auch diese hinsichtlich ihrer Aussagekraft über den Wohlstand kritisiert. Das Bruttoinlandsprodukt gibt zwar über die wirtschaftliche Entwicklung des jeweiligen Landes Auskunft, für den gesellschaftlichen Wohlstand wichtige Indikatoren, wie Lebensqualität oder Nachhaltigkeit, werden nicht beachtet. Um den gesellschaftlichen Wohlstand messen zu können, sollte jedenfalls ermittelt werden, welche gegenwärtigen Faktoren das Wohlbefinden der Gesellschaft bestimmen, ob bzw. wie sich diese im Laufe der Zeit ändern und wie der Nutzen des Einzelnen realitätsnah zu einem gesellschaftlichen Nutzen aggregiert werden kann. Wir dürfen gespannt sein, in welche Richtung sich die Diskussionen entwickeln und ob Ökonomen zukünftig eine Lösung finden, um den gesellschaftlichen Wohlstand zu messen.

Literatur

Braakmann, A. et al. (2009): Wie lässt sich Wohlstand messen? In: Wirtschaftsdienst, Vol. 89 (12), S. 783-804.
Clarenbach, L. A. (1999): Die Wohlfahrtstheorie auf der Grundlage kardinaler Messbarkeit und interpersoneller Vergleichbarkeit von Nutzen unter besonderer Berücksichtigung des klassischen Utilitarismus.
Ebert, U. (1987): Beiträge zur Wohlfahrtsökonomie – Effizienz und Verteilung. Heidelberg: Springer-Verlag Berlin.
Kleinewefers, H. (2008): Einführung in die Wohlfahrtsökonomie. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
Klump, R. (2006): Wirtschaftspolitik. München: Pearson Studium.
Mas-Colell, A., Whinston, M. D. und Green, J. R. (1995): Microeconomic Theory. Oxford University Press, Oxford.
Schernikau, F. (1991): Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie: Ein dogmenhistorischer Abriß von Adam Smith bis in die Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung von kardinaler Meßbarkeit und interpersoneller Vergleichbarkeit. Europäische Hochschulschriften, Frankfurt am Main.
Schumann, J. (1994): Wohlfahrtsökonomik. In: Issing, O. (Hrsg.): Geschichte der Nationalökonomie. München: Verlag Vahlen. S. 215-237.
Thiemeyer, T. (1964): Grenzkostenpreise bei öffentlichen Unternehmen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Wessels, T. (1963): Zur jüngeren Entwicklung der Wohlfahrtsökonomik. In: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, Vol. 23 (1), S. 3-10.

Link zum Blog von @economicus: https://www.economicus.at

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