100 Jahre - meine Mama!

in deutsch •  4 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Am 10. Mai würde sie ihren hundertsten Geburtstag feiern. Leider war es ihr nicht vergönnt, dieses hohe Alter zu erreichen.

Als sie mit sechsundachtzigeinhalb Jahren abberufen wurde, beklagte sie sich nicht. Sie war geistig fit bis zu den letzten zwei Tagen, physisch aber sehr hinfällig. Irgendwie wollte sie dann nicht mehr.
Wenn ich heute höre, daß Leute dieses Alters nicht sterben dürften, befremdet mich das. Meine Mutter hat auch ohne Covid nicht mehr erreicht und dennoch schon zehn Jahre mehr als ihre Mutter.

Sie hatte mir noch angeboten, mir alle Fragen zu beantworten, die ich noch hätte. Ich wehrte ab, da ich dies als unerträglichen Schlußstrich empfand und mich intuitiv gegen den Abschied wehrte. Hätte ich doch nur Gebrauch davon gemacht! Heute habe ich so viele Frage und niemanden mehr, die antwortet - Fragen familiärer und zeitgeschichtlicher Art.
Sie bemerkte dann, daß ich Weihnachten wohl allein sein würde. Als sie sah, wie ich vor Schreck erstarrte, relativierte sie ihren Hinweis etwas und meinte, sie könne wohl nicht nach Hause kommen. Ich entgegnete, ich sei aus der ganzen Welt an Weihnachten immer zu ihr gekommen; das würde ich jetzt dann schon auch noch schaffen.
Mein Religionslehrer in der Schule hatte sich gewünscht, ich möge Theologie studieren. Meine Position dazu: Wenn mir nicht alle Wege nach Rom offenstehen, beginne ich erst garnicht. Wäre ich seinem Rat gefolgt, hätte ich mich auf Sterbebegleitung spezialisiert - ein Thema, das mich immer fasziniert hatte. Beim Abschied meiner Mutter dann erkannte ich, daß ich dabei eine Fehlbesetzung gewesen wäre. Ich war nicht bereit, aufzugeben und wollte das Maximum für sie. Mein Kampf war aber nicht der ihre.

Es war ein verregneter Novembertag als sie sich verabschiedete. Man weiß, daß dieser Tag kommen wird und hofft dennoch ganz irrational, daß er nicht eintreten möge. Es war eine merkwürdige Impression.
Ich wußte, daß ich die Person verloren hatte, die vom ersten Tag meines Lebens dieses, wenn oft auch aus großer räumlicher Distanz, begleitet hatte. Wir waren kein dreamteam, aber eine sehr verläßliche und solide Allianz. Die Sternzeichen Stier (sie) und Löwe (ich) trennen Universe. Der visionäre und ehrgeizige Löwe harmoniert nun einmal nicht mit dem sehr bodenständigen und pragmatischen Stier.
Andere sagten mir später, sie habe ihnen anvertraut, so wenig von mir gehabt zu haben. Mir hätte sie das nie gesagt, um mich nicht einzuengen.
Ich begleitete sie durch ihre letzten Jahre. Meine Berufsaufgabe, mit der sie jedoch haderte, ermöglichte dies. Keine einfache Zeit. Ich versuchte, Aufgaben gerecht zu werden, für die ich nicht ausgebildet war, und konnte oft ihre Erwartungen nicht zur Gänze erfüllen.
Mir war jetzt bewußt, daß ab sofort sich niemand mehr erkundigen würde, ob ich gut zu Hause eingetroffen sei, wie sie das immer zu tun pflegte. Ich brauchte auch nichts mehr zu erklären oder zu rechtfertigen. Ich hatte endgültig das Endstadium des Erwachsenseins erreicht und war der einzig noch verbliebene Namensträger. Ich hatte nun die Vollkommene Freiheit, aber niemand würde mehr daran Anteil nehmen, was ich tat.

Sie hat mir vieles gezeigt und mich optimal auf das Leben vorbereitet. Dafür bin ich dankbar.

Die ganz große Frage des Lebens, wie es danach weitergehen würde, ist sie mir schuldig geblieben. Aber so ist es nun einmal.

Wenn das ewige Leben in der Erinnerung der anderen an einen besteht, hat sie es. Ich denke oft an sie und unsere gemeinsame Zeit.

Wo Du jetzt auch sein magst, Mama, in Gedanken bin ich an Deinem großen Tag bei Dir. Gerne hätte ich den Tag hier mit Dir gefeiert. Ob Du Dich in der Welt und Deinem Land heute noch zurechtfinden würdest, wage ich zu bezweifeln. Aber vielleicht würdest Du gerade deswegen verstehen, daß ich tun muß, was ich tue.

Glückliche Einhundert, Mama! Schön, daß Du hier warst. Schade, daß Du für mich zu früh gegangen bist. Ich werde versuchen, mit vielen Mitstreitern das Erbe Deiner Generation zu bewahren. Und Du weißt ja, daß für einen Löwen kein Ziel zu hoch und kein Weg zu weit ist.

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