Brisant! (Teil 7)

in deutsch •  4 years ago 

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Fortsetzung von Teil 6

  1. Auswertung der Erfassung von Daten, die für Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über Maßnahmen herangezogen wurden
    Als Datenquelle für die Gefährdungseinschätzung stehen dem Krisenmanagement zur Verfügung:
    • täglich aktuelle Meldungen und Analysen des gemeinsamen Krisenstabs von BMI und BMG (diese werden vom Robert-Koch-Institut zusammengestellt und fokussieren die gesundheitliche Lage; seit kurzem ergänzt durch einzelne Bausteine aus anderen Sicherheitsrelevanten Bereichen wie z.B. BW, Extremismus)
    • Meldungen des internen BMI-Lagedienstes (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
    • Lagedienst Innere Sicherheit (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
    • Berichte und Lageberichte des Cyber-Abwehrzentrums (Cyber-AZ)
    • Berichte und Lagemeldungen des BSI (unterschiedliche Formate auf Tages-, Wochen und Monatsbasis)
    • Lageberichte des BBK zum Status in Kritischen Infrastrukturen
    • Lageberichte des Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ)
    Die vorgenannten Aufbereitungen sind nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern einem begrenzten Kreis von Menschen zugänglich, insbesondere denen, die mit dem Krisenmanagement in der Coronakrise befasst sind (Bundes- und Länderebene). Die Aufbereitungen unterliegen einer besonderen Vertraulichkeit (VS – nur für den Dienstgebrauch) und dürfen nicht nach außen gegeben werden. Den Aufbereitungen liegen jedoch Daten zugrunde, die überwiegend gleichzeitig veröffentlicht werden (siehe die öffentlich zugänglichen Lageberichte des RKI auf dessen Website).
    Einige der genannten Quellen wurden im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch analysiert auf Verwertbarkeit für die Gefahrenerkennung und für die Gefahrenerkennung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen.

6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020)

Verteiler: BMI-Lageberichte: intern BMI; Lageberichte Innere Sicherheit: ChBK, AA, BMF, BMJV, BMVg, BMAS, BMEL, BMG, BMU, BMVI, BMZ, BMWi, BPA, BPrA, BT, Alle IM, BAMF
(LZ), BBK, GMLZ, BDBOS, BfV, BKA Wiesbaden, BKA Berlin, BKA Meckenheim, BPOLP, BSI, THW, BND, ZKA, DHPol, GBA

In den Lageberichten des BMI (und wortgleich in den Lageberichten Inneres Sicherheit), die die Grundlage für Bewertungen und Entscheidungen des Krisenmanagements bildeten, wurden folgende Daten zur Beschreibung der potentiellen Gefahren des Covid-19 Virus erfasst. In der ersten Phase, wurden vor allem zwei Werte erfasst und deren Ableitungen (Zunahme, später Umrechnung auf je 100.000 Bevölkerung, …):
a) Zahl der positiven Testungen (wurden als Infizierte oder Fälle ausgegeben)
b) Zahl der Verstorbenen
Eine Übersicht der Daten enthält die folgende Tabelle:

Die Auswertung der vorstehenden Daten offenbart:

  1. Die Berichterstattung war teils lückenhaft.
  2. Die Berichtskategorien veränderten sich mehrfach, teilweise wurden frühere wieder aufgegriffen.
  3. Die Daten widersprachen sich teilweise (Stagnation von Entwicklungen, rückläufige (!)
    Gesamtzahl von Todesfällen, …).
  4. Die Daten der Lageberichte waren für die Einschätzung der Gefahr, die von dem Coronavirus ausgehen, nicht geeignet (siehe die anderen Kapitel dieses Berichts). Die Gefahren, die real von dem Virus für die Bevölkerung Deutschlands ausgeht, konnte damit nicht erfasst werden.
  5. Auch die internationalen Zahlen wurden ohne Beachtung des jeweils spezifischen nationalen Kontextes in die Berichte eingebunden und haben durch die Aufnahme in die Berichterstattung im Krisenstab indirekt Handlungsdruck erzeugt. Es wurde immer gerade über die Länder berichtet, in denen spektakuläre Spitzen zu beobachten waren. Eine verallgemeinerbare Erkenntnis konnte daraus nicht gewonnen werden. Entlastende Daten wurden nicht aufgenommen, obwohl auch sie öffentlich verfügbar waren (z.B.: https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest).
  6. Im Gegenteil: Trotz überhöhter Angaben über Coronatote wurde erkennbar, wie gering die Gefahr gegenüber alltäglichen gesundheitliche Risiken (wie einer Influenzawelle) tendenziell stets war (siehe die blaugedruckte Vergleichszahl in der untersten Zeile der Tabelle.
  7. Die Zuschlagung von jeglichen Verstorbenen, die infiziert waren, zu den Zahlen für Coronatote führte (und führt weiterhin) zu einer Verzerrung bei der Wahrnehmung des Sterbegeschehens und verhindert unter anderem auch, dass die Folgen der Kollateralschäden diesen auch zugeordnet werden können. Sie blieben somit statistisch unsichtbar. – Beispiel: Eine Person, die keiner gefährdeten Gruppe angehört, und die trotz Infektion nicht an Covid-19 erkrankte, stirbt, als ihre fest eingeplante Herz-OP wegen Absage der Klinik nicht erfolgen kann an den Herzproblemen; diese Person würde nicht als Opfer der Schutzmaßnahmen, sondern als Opfer der Virusinfektion gezählt. Die Aussagen der Statistik stellen die wahren Verhältnisse in diesem Fall auf den Kopf
    Diese hochproblematische Zählweise und Zählverfahren zur Dokumentation von Coronatoten, die vom RKI bereits Anfang März 2020 eingeräumt wurden, führen bis heute zu einer Verfälschung und Manipulation der Daten, da sie die Auswirkungen der Schutzmaßnahmen maskieren und geeignet sind zu verhindern, die beiden zentralen Gefahren für unsere Gesellschaft (Gefahren durch Krankheit, Gefahren durch Schutzmaßnahmen) im Vergleich bewerten zu können. In dieser Verfälschung von elementaren Schlüsseldaten ist der Grundstein zu falschen Entscheidungen zulasten der Bevölkerung gelegt.

Fazit: Die Berichterstattung in den Lageberichten des BMI war für die Einschätzung der ganzheitlichen Gefahrenlage, mit der unser Land konfrontiert ist, nicht brauchbar, weil sie sich ausschließlich mit gesundheitlichen Aspekten befassten. Ein Monitoring über Kollateralschäden fand nicht statt. Selbst die gesundheitlichen Daten waren nicht geeignet, um das Ausmaß der Gefahren für unserer Gesellschaft einzuschätzen, sie waren nicht differenziert genug, insbesondere nicht in den Kontext des Gesamt-

Sterbegeschehens in unserem Land eingebettet. Die in den Berichten dokumentierten Daten waren aber nicht nur unbrauchbar, sondern verhinderten oder erschwerten durch einen Effekt, den ich beispielhaft in Punkt 7. erläutert habe (s.o.), eine Bestandsaufnahme von weiteren entscheidungsrelevanten Daten, die zudem (noch) nicht Gegenstand der Lageberichte sind. Abhängig von dem Ausmaß der Um- Etikettierung steht die Vermutung im Raume, dass die Daten des Entscheidungsprozesses des Krisenmanagements als manipuliert gelten müssen.
Ich selbst habe schriftlich mehrfach meine Vorgesetzten darauf hingewiesen und konkrete Vorschläge dazu gemacht, welche aussagekräftigen Daten erhoben, bzw. von den Ressorts eingefordert werden müssten (Anlage 5). Die Ausführungen enthalten auch umfassende Erläuterungen zum Verständnis der Funktion der Daten für die Gefahrenbewertung und im Krisenbewältigungsmechanismus, nicht nur im gesundheitlichen Bereich. Dem Krisenstab lag ein Teil meiner Analysen und Anregungen/Vorschläge seit dem 23. März 2020 vor (Anlage 6), eine „Politologische Analyse“ legte ich in erster Fassung am 27. März 2020 vor (finalisierte offizielle KM 4 - Fassung vom 7. Mai 2020 in Anlage 8).

6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG
(ab 8. April 2020)
Ab dem 8. April 2020 wurde die Berichterstattung über die aktuellen Coronadaten in den BMI- Lageberichten beendet. Es wurde verwiesen auf den gesonderten Lagebericht des Krisenstabs von BMI und BMG, der die Berichterstattung übernehmen sollte. Auch dieses neue Format befasst sich mit den gesundheitlichen Aspekten. Ein Monitoring über Kollateralschäden findet nicht statt.
Vorbemerkung

Daten werden gebraucht, um die Gefährlichkeit des Virus für die Bevölkerung in DEU zu ermessen. Hier ist die Geeignetheit der Lageberichte für diesen Zweck untersucht.
Ob die Gefahr so groß ist, dass gesonderte Schutzmaßnahmen zu treffen sind, und wie umfassend die Maßnahmen sein sollten, hängt davon ab, wie viele Personen, nach professioneller und sehr sorgfältiger Prognose, voraussichtlich zusätzlich zu den durchschnittlich zu erwartenden Todesfällen unserer Gesellschaft durch den neuen Virus sterben werden.

Da auch Schutzmaßnahmen Nachteile und Risiken bergen, einschließlich Todesfällen, ist der Umfang von Maßnahmen durch Gegenüberstellung der Auswirkungen zu ermitteln (Auswirkungen ohne und mit Schutzmaßnahmen).

Kritische Anmerkungen (auf der Basis des Berichts vom 9.4.20)

• Die Zahl der Fälle umfasst offenkundig Personen, bei denen der Virus nachgewiesen wurde, nicht die der erkrankten Personen und nicht die der bereits immunisierten. Durch eine folgenlose Infektion entsteht kein Schaden bei den Infizierten (ebenso bei leichten bis mittelschweren Krankheitsverläufen sowie Immunisierten). Zur Einschätzung der Gefahr wird primär die Zahl der an dem Virus so schwer Erkrankten benötigt, dass sie dadurch sterben könnten, denn das ist Gegenstand der Gefahr, die das Krisenmanagement des Staates von der Gesellschaft abzuwehren hat. Die Zahl der symptomlos Infizierten wird gesondert benötigt – zur Einschätzung von unterrangigen Teilgefahren (Infektionswahrscheinlichkeit). Zahlen eines aktuellen Berichtswesens sind nur wenn sie in diese beiden großen Blöcke differenziert werden, als handlungsrelevante Informationen von Bedeutung und können nur in dieser Zusammenstellung und im Kontext mit anderen Indikatoren zur Maßnahmenplanung verwertet werden.
• Es wird die tägliche Zunahme der Zahlen übermittelt. Es fehlt jedoch die Zahl von im gleichen Zeitraum durchgeführten Tests, sowie der Anteil der Gründe für das Testen (wegen coronaspezifischen Beschwerden oder Krankheitszeichen, anderen Verdachtsmomenten, als Nebenbefund einer anderen Untersuchung, anlasslos, …). Daraus hätten u.a. Erkenntnisse über den Grad der Durchseuchung gewonnen werden können.
• Todesfälle sind inzwischen offenbar eingegrenzt auf an dem Virus erkrankte Personen („2.107 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“). Es dürfte jetzt also keine Person mehr mitgezählt worden sein, die zwar den Virus trug, aber nicht an ihm erkrankt war. Ist das wirklich so? Kann man sich darauf verlassen?
• Bei der Analyse der Fälle und der für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus besonders wichtigen Todesfälle, wird zwar das Lebensalter statistisch ausgewertet, nicht jedoch der Zustand der Person („86% der Todesfälle und 16% aller Fälle sind 70 Jahre oder älter“). Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit ist von besonderer Bedeutung, wie groß der Anteil derer ist, die auch ohne Virusinfektion kurz vor dem Tod standen, bei denen der absehbar bevorstehende Tod mit keinem Mittel hätte verhindert werden können. Dazu werden für den betrachteten Zeitraum die Zahlen durchschnittlicher Sterbefälle benötigt (nach Todesursachen und ggf. Alter).
• Es wird von Häufungen in Pflegeheimen und Krankenhäusern gesprochen („Es häufen sich Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“). Damit war ein Hinweis auf eine extrem dominante Zielgruppe
/ Risikogruppe gegeben. Das hätte zwingend Anlass sein müssen, den vorhergenannten Aspekt zu überprüfen und eine spezifische Schutzstrategie zu entwickeln, sowie die allgemeinen Einschränkungen für die breite Bevölkerung zurück zu nehmen, bzw. dies zu empfehlen.
• Zeitlicher Verlauf: Die Grafiken zum zeitlichen Verlauf: Es bleibt offen, ob die unterschiedliche Erfassungsarten zu Mehrfachzählungen des gleichen Falles führen können. Besser wäre eine Grafik gewesen, bei der (im Rückblick) die Fälle nach Ausbruch der Krankheit dargestellt würden (also der für den Prozess relevante Zeitpunkt) - gemacht wird in der Folgegrafik das Gegenteil, es wird gesondert nach Meldungstagen aufgeschlüsselt. Deutlich wird aus der ersten Grafik, dass die Fallzahlen bereits im Sinken waren, als die Maßnahmen beschlossen und umgesetzt wurden (Ende März 2020).
• Demografische Verteilung: Hierbei wäre die Verteilung für die Todesfälle relevant (also die Zahlen für die größte Gefahr, vor der der Staat schützen soll), nicht die der Gesamtheit aller Infizierten (also auch aller dauerhaft symptomfreien). Dieser Teil des Berichts ist zweckfrei.
• Klinische Aspekte: „Für 82.187 übermittelte Fälle liegen klinische Informationen vor.“ Analyseergebnisse dieser Stichprobe sind nicht auf die Gesamtzahl übertragbar, da nicht angegeben wird, wie viel Prozent der Toten auf diesen 75-prozentigen Anteil der Infizierten entfallen.
Im gleichen Abschnitt wird dann über die 2.107 Verstorbenen gesprochen, also geht es nicht mehr um die zu Beginn des Abschnitts eingeführten Fälle, für die medizinische Informationen vorlagen.
• Unter Klinischen Aspekten werden weitere demografische Aspekte behandelt: „Der Altersmedian liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 26 und 105 Jahren. Von den Todesfällen waren 1.819 (86%) Personen 70 Jahre und älter. Im Unterschied dazu beträgt der Anteil der = 70-Jährigen an allen übermittelten COVID-19-Fällen nur 16%.
– Es häufen sich in den letzten Tagen Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“ Da diese Haupt- Zielgruppe/Risikogruppe offenbar die höchste Altersgruppe ist, auf die auch in normalen Zeiten der größte Anteil von üblicherweise Versterbenden in DEU entfällt (jährlich etwa 920.000 in DEU), hätten hier weitere Differenzierung angestellt werden müssen, um für das Krisenmanagement verwertbare Daten zu gewinnen – also Daten, die wirklich zweckgerichtete Maßnahmen ermöglichen (s.o.).
• Die Reproduktionszahl ist ein Abstraktum, das nicht ausreichend erklärt wird. Als Krisenmanager kann ich nicht erst einem angegebenen Link folgen und mich in eine wissenschaftliche Methodik einarbeiten, bevor ich meine Arbeit fortsetze. Ein Krisenmanagement kann damit nicht viel anfangen. Diese Zahl in dem Bericht aufzuführen, dient nicht der besseren Orientierung, sondern der Verwirrung des Krisenmanagements. Das gilt insbesondere, da diese Zahlen ohnehin als unsicher beschrieben werden und/oder auf Zahlen beruhen, die ebenfalls unsicher sind.
• Daten zu den Intensivbetten sind unzuverlässig, weil das Erfassungssystem umgestellt wurde. Informativ wäre den Auslastungsgrad der verfügbaren Kapazitäten auf einen Blick zu sehen.
• „Ergebnisse aus weiteren Surveillance-Systemen des RKI zu akuten respiratorischen Erkrankungen“: Mit den aufwendigen Schutzmaßnahmen verbreiteten sich – wie zu erwarten war – auch alle möglichen anderen Krankheiten. „Die kontaktreduzierenden Maßnahmen, die in ganz Deutschland durchgeführt werden, haben scheinbar deutlich zur Reduktion der Übertragung akuter Atemwegserkrankungen beigetragen.“ – Diese Information ist unvollständig und muss in handlungsrelevante Aussagen umformuliert werden, etwa so: „Durch die sozialen Isolations- und Distanzierungsmaßnahmen wurden Erkrankungen nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.“ Es fehlen Angaben oder Prognosen für die Alternativstrategie der schnellen Durchseuchung. Diese Informationen sind unvollständig und somit für die Entscheidungsfindung über Maßnahmen irrelevant, solange Schlüsseldaten nicht vorliegen - z.B. zum gegenwärtigen Durchseuchungsgrad und zur Abgrenzung der gezielten Durchseuchungsstrategie.
• Anmerkung zur Durchseuchung: Den Durchseuchungsgrad repräsentativ zu erheben dauert meiner Kenntnis nach zwischen 7 und 10 Tagen. RKI hat am 8. April angekündigt, Studien dazu zu starten. Es ist außerdem völlig unerklärlich (und ein schwerer technischer Fehler des Krisenmanagements), dass diese noch nicht durchgeführt wurden, insbesondere nachdem diese Studien seit Wochen öffentlich gefordert wurden.
• Bei den komplizierten und verwirrenden Ergebnisse aus den Surveillance-Systemen des RKI ist nicht nachvollziehbar, was sie zu der Gefahreneinschätzung durch das Krisenmanagement beitragen können.
• Risikobewertung durch das RKI: Diese Risikobewertung mag für eine ganz spezielle Sicht von Wissenschaftlern und Fachstatistikern nachvollziehbar sein. Für die Einschätzung der Gefahren, die von dem Virus für die Gesamtbevölkerung ausgehen, ist diese Bewertung des RKI nicht verwertbar:

o „Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation.“ Damit ist nicht viel gesagt. Woran macht sich fest, dass die dynamische Situation ernst zu nehmen ist? Was genau bedeutet
„ernst nehmen“ in diesem Zusammenhang? Ob und wie ernst die Entwicklung genommen werden muss, entscheiden die Krisen-Manager, nicht die wissenschaftlichen Berater (denn die kennen offenbar die Abgrenzungsindikatoren für die gesellschaftliche Risikoermittlung nicht).
o „Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor.“ Für den bundesweiten Bevölkerungsschutz muss die zu erwartende Wirkung auf das gesamte Land betrachtet werden. Für das IT-Sicherheitsgesetz wurde bei vielen Sektoren/Branchen eine Betroffenheit von 500.000 Bürgern als relevante Größenordnung festgelegt. Dabei ging es zwar nicht um Menschenleben und Lebenszeit von Menschen, aber es wird deutlich, dass die Bewertung von Risiken, wie z.B. von tödlichen Krankheitsverläufen, immer von deren Menge in Bezug auf die Gesamtzahl abhängt.
o „Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.“ Diese Aussage alleine führt zu keiner sinnvollen Erkenntnis für das Krisenmanagement (s.o.).
o „Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch.“ Aus den vorgenannten Zahlen ist noch nicht ableitbar, dass „die“ Gesundheit einer Bevölkerung von 80 Mio. Menschen hoch gefährdet ist – an der normalen Grippe sind in den letzten Jahren teilweise mehr als zehn Mal so viele Menschen gestorben, wie bisher dieses Jahr im Zusammenhang mit Corona verstarben. Wichtiger ist jedoch: Ohne Kenntnis der Zahlen von explizit an Corona verstorbenen und ohne Kenntnis des Durchseuchungsgrads der Bevölkerung können gar keine Aussagen zur Gefährdung der Bevölkerung gemacht werden!

o Wie auch immer man einen Wirkungsvergleich zwischen Corona und Influenza im Einzelnen beschreiben möchte, angesichts der folgenden Vergleichszahlen bedarf es einer wirklich überzeugenden zusätzlichen Erklärung und Legitimierung für die im Zusammenhang mit Corona ergriffenen schweren Schutzmaßnahmen:

Todesfälle durch Influenza

in 2017/18 Zusätzlich ergriffene Schutzmaßnahmen Todesfälle durch Corona
in 2020 Zusätzlich ergriffene Schutzmaßnahmen
in DEU 25.000 keine ca. 5.500 umfassende Maßnahmen;
zu einer schweren Wirtschafts- und Gesellschaftskrise führend
weltweit 1.500.000

(1,5 Mio.) keine ca. 200.000 differenzierte Maßnahmen; unterschiedlich ausgeprägt
o „Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region.“ Das ist kein Alleinstellungsmerkmal für Corona, sondern trivial, so isoliert betrachtet ohne weiteren Erkenntnisgewinn.
o „Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Ausbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein.“ Das sind relative Aussagen und Trivialitäten, die für die Bewertung von Gefahren keine konkret messbaren oder überprüfbaren Anhaltpunkte bieten.
o „Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“ Die Einschätzung des RKI ist für langfristig wirksame Maßnahmen offenbar grundsätzlich nicht verwertbar.

Ergänzung: Auch am 7. Mai 2020 enthielt der Lagebericht des Krisenstabs BMI-BMG immer noch keine Dokumentation der Kollateralschäden!

Zusammenfassendes Fazit:

Die Bewertungen der zuvor unter 6.1. untersuchten BMI-Lageberichte (Fazit) treffen auch für den hier zu beurteilenden Lagebericht des Krisenstabs zu.
Die vom RKI gelieferten Daten sind als Grundlage für die Entscheidungsfindung nicht zu gebrauchen. Die Bewertungen des RKI sind durch die vorgelegten Daten nicht gedeckt. Die Bewertungen sind vielfach spekulativ, teilweise unplausibel. Leider besteht der Lagebericht des Krisenstabs alleine aus einer Aufbereitung dieser Daten.
Es ist erforderlich, spezifische Daten von BMG einzufordern oder durch BMI selbst zu beschaffen, um die Gefahren des Coronavirus auf unsere Gesellschaft endlich in angemessener Genauigkeit einschätzen zu können und die Maßnahmen an dieser Einschätzung auszurichten.
Die einseitige Heranziehung von Daten und Einschätzungen das RKI für den Entscheidungsprozess des Krisenmanagements ist angesichts der Vielfalt von verfügbaren Instituten, Einrichtungen und Experten nicht akzeptabel. Wegen der weitreichenden Auswirkungen der eingeleiteten Schutzmaßnahmen wird von der zu Grunde gelegten Datenbasis und deren Interpretation das künftige Schicksal unserer Gesellschaft abhängen. Es ist aus Bevölkerungsschutzperspektive zwingend erforderlich, verschiedene auch untereinander im Wettbewerb stehende Quellen zu erschließen.
Eine ausführliche Erläuterung des Datenbedarfs für den Entscheidungsprozess findet sich, wie bereits erwähnt, in Anlage 5.

6.3 Ergänzende Auswertung einer neueren Ausgabe des Lageberichts des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG - Konkret untersuchte Fassung vom 22. April 2020
Der Lagebericht sollte eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Krisenmanagement sein. Tatsächlich kann er nicht viel beitragen. Der Bericht wurde mit der Zeit immer ausführlicher. Am 8. April startete er noch mit 8 Seiten, nunmehr sind es 16. Der Gehalt an entscheidungsrelevanten Informationen ist genauso gering wie zu Beginn.

Daten in dieser aktuellen Grafik werden nicht in einen Zusammenhang gebracht, der eine Bewertung und einen Vergleich von Gefahren und Risiken zuließe.

(Quelle: aus dem untersuchten Lagebericht, Seite 2)

Zum Vergleich wird hier beispielhaft die Entwicklungskurve von Influenzafällen in der Grippesaison 2017/18 (nach RKI) betrachtet. Der Anstieg der Kurve steigt steiler an als bei Covid-19 (trotz geringerer Übertragbarkeit), und sinkt noch deutlich steiler wieder ab.

(Quelle: RKI)

Es steht zu befürchten, dass die in DEU getroffenen Schutzmaßnahmen dadurch, dass sie eine Durchseuchung verhindern (verlangsamen), zugleich ein schnelles Erreichen des Endes der (gesundheitlichen) Krise – und natürlich ein Abbremsen aller Kollateralschäden – verhindern. Überprüfen ließe sich das mit einer korrekten Gefahrenanalyse und –bewertung,
z.B. nach der in dieser Ausarbeitung beschriebenen Methode.

Eine über Seiten reichende detaillierte Analyse von Intensivkapazitäten und Krankenhausbetten wird gar nicht benötig. Es reicht deutlich zu machen, dass die Kapazitäten bei weitem nicht ausgelastet sind und wie groß die Reserven sind. Außerdem müsste ebenso akribisch erfasst werden, wie viele OPs wegen der einschränkenden Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten (gegenüber Durchschnittswerten und konkret abgesagten Terminen) und welche Schäden (einschl. Todesfälle) dadurch bisher entstanden sind.
Die Daten und Erläuterungen zu Testkapazitäten enthalten teilweise irrelevante Informationen (Anzahl der meldenden Labore), unvollständige Angaben (Unterscheidung in anlasslose Test und Verdachtfälle, ggf. postmortem), vor allem aber wird nicht deutlich, was damit ausgesagt werden soll. Die entscheidende Zahl fehlt immer noch: der ungefähre Durchseuchungsgrad der Gesellschaft in DEU. Dazu wird noch nicht einmal eine Vermutung angestellt.
Die Testkapazitäten sind inzwischen insgesamt hoch. Wenn der Preis pro Test immer noch bei 200 Euro liegen würde, hätten die Tests bis heute 6 Mrd. Euro gekostet. Es fehlt eine Angabe über die Gesamtzahl der Tests und der Kosten, weil das ein relevanter Faktor für die Testoptionen darstellt. Auch unter Wirtschaftlichkeitsaspekten sollte das Testen untersucht werden: Brauchen wir die vielen Tests eigentlich überhaupt noch? Welchen Nutzen genau erzielen wir aus derartig vielen Testungen und Daten? Welche Relevanz haben die Testdaten für die Entscheidungen des Krisenmanagements. Könnten die Informationen anders (billiger) gewonnen werden? Wer verdient alles daran? Außerdem fehlen Angaben zur Genauigkeit der Tests.
Es entsteht teilweise der Eindruck von „Gestaltung“ von Informationen. Das begrenzt die Verwertbarkeit des Lageberichts zusätzlich.
• Seite 12 (tendenziös) im Kontext mit extremistischen Gruppen: „Der Bundesregierung wird eine gezielte Desinformationskampagne über die Pandemie vorgeworfen.“
Die von der Bundesregierung zur Begründung ihrer Maßnahmen vorgetragenen Informationen waren für eine Bewertung der Gefahrenlage unbrauchbar, wie meine ausführliche Analyse zeigt. Das dies von Außenstehenden als Desinformationskampagne interpretiert wird, ist eine adäquate (nachvollziehbare) Wahrnehmung. Wenn die Information hier im Kontext mit extremistischen Gruppen gegeben wird, werden berechtigte Vorbehalte, die es in der Gesellschaft gibt, mit Extremismus gleichgesetzt. Dies führt zu einer Verharmlosung des Extremismus. Und zu einer Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung, die ihren Verstand gebrauchen.
• Seite 12: „Eine Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen lässt sich in Hellfelddaten derzeit nicht erkennen. Die Telefon- und Online-Beratung des Bundesfamilienministeriums verzeichnete für den März jedoch zweistellige Zuwächse im Vergleich zu den Vormonaten.“
Es ist unbedingt von einer starken Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen auszugehen. Dass es keine Erkenntnisse aus dem Hellfeld gibt, ist kein Indiz dafür, dass es nicht so wäre. Hier wird durch selektive Darstellung und Rückgriff auf unbrauchbare Daten der Eindruck erweckt, es gäbe keine nennenswerten Probleme mit häuslicher Gewalt und indirekt: die getroffenen Maßnahmen sind halb so schlimm. Die Auslastung von Plätzen in Frauenhäusern ist bekannt, das wäre ein besseres Indiz.
Seite 14: Andere relevante wie wirtschaftspolitische Eckdaten finden sich in dem Lagebild nur für andere Staaten und die EU, nicht aber für DEU. Das ist angesichts der auflaufenden hohen Kollateralschäden unverständlich. Es beweist leider erneut, dass das Krisenmanagement auch am 22. April 2020 einen Abgleich von Gefahren nach wie vor nicht vornehmen kann und nicht vornimmt.
Aufwand für BW wird auf Seiten 15 und 16 grafisch aufwendig aufbereitet dargestellt. Dies ist eher eine Schau der eingesetzten Kapazitäten, als nützliche Information für die Entscheidungsfindung.
Insgesamt ist erschreckend, dass nach den vielen bereits vergangenen Wochen der Krise, und einer breiten öffentlichen Diskussion immer noch keine Lagebeschreibung verfügbar ist, die Anhaltspunkte zur Einschätzung der bestehenden Gefahren bietet.

6.4 Auswertung der Rahmenvorgaben zum Krisenmanagement

Maßstab für die Arbeit eines Krisenmanagements ist der Normalzustand.

„Unter dem Begriff Krisenmanagement wird die Schaffung von organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen verstanden, die eine schnellstmögliche Zurückführung der eingetretenen außergewöhnlichen Situation in den Normalzustand unterstützen.“ („Information der Mitarbeiter/innen des BMI über Strukturen und Verfahren des Krisenmanagements“ aus 2014, Seite 3)

Das muss folglich auch für das Sterbegeschehen gelten. Es müssten Daten für den Normalzustand herangezogen werden, und es müsste ein Abgleich mit den aktuellen ist- Zahlen vorgenommen werden. Für das rechnerische Delta müsste erfasst werden, welcher Anteil auf den Krankheitserreger entfällt, und welcher auf die Kollateralschäden.
„Der Krisenstab des BMI ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument, dessen Struktur auch die Grundlage für die Gemeinsamen Krisenstäbe des BMI mit dem BMUB sowie des BMI mit dem BMG bildet.“ (ebd., Seite 6)

Im Konzert der Krisenbewältigungsinstrumente ist der gemeinsame Krisenstab von BMI und BMG das handlungsauslösende Element. Die Leitung des Krisenstabs wird durch einen Staatssekretär oder Minister wahrgenommen wird:
„Den Kern [des Krisenstabs] bilden die Mitglieder des Krisenstabes (AL Z, AL KM, AL B, IT-Direktor, Pressesprecher und Leiter Lagezentrum) unter Leitung eines Staatssekretärs bzw. von Herrn Minister. Der Leiter des Krisenstabes wird durch persönliche Assistenzdienste in einem Geschäftszimmer unterstützt. Ständiger Vertreter ist der Leiter der Abteilung ÖS in polizeilichen Lagen bzw. der Leiter der Abteilung KM in nichtpolizeilichen Lagen.“ (ebd., Seite 6)

Da es sich bei der Coronakrise um eine primär nicht-polizeiliche Lage handelt, ist der AL der Abteilung KM der vorgesehene Vizevorsitzende des Krisenstabs.
„In diesem Sinne haben sich BMI und BMUB im Falle von gravierenden Gefahren- und Schadenslagen durch Straftaten mit radioaktiven Stoffen sowie BMI und BMG im Falle einer Pandemie und des Bioterrorismus auf die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe nach dem Modell des Krisenstabes BMI verständigt. Durch die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe werden ressortspezifische Interessen gebündelt und ein einheitlicher ressortgemeinsamer Krisenbewältigungsansatz gewählt, der die Möglichkeiten einräumt, alle vorhandenen Handlungsoptionen ergänzend auszunutzen. Sie bilden die Ausnahme zu dem sonst gültigen Ressortprinzip.“ (ebd., Seite 6)

In der Coronalage ist davon abgewichen worden. Vizevorsitzender ist AL ÖS. AL KM wird (laut Organigramm des Krisenstabs vom 23.3.2020) lediglich „bei Bedarf“ hinzugezogen. Es muss hier offen bleiben, ob das geschehen ist, weil der Krisenstab Bioterrorismus als Pandemiehintergrund vermutet (in dem Falle wäre AL ÖS regulär Vizevorsitzender des Krisenstabs, s.o.).
Im Falle der Pandemie mussten (wegen des sehr starken Risikos von Kollateralschäden) zusätzlich die Ressorts Wirtschaft, Finanzen und Soziales eingebunden werden. Das ist geschehen.
Aufgrund der Grundsatzzuständigkeit für KRITIS wäre hilfreich, wenn BMI die Einbindung der Ressorts hinsichtlich möglicher KRITIS-Kollateralschäden koordinieren würde (KM, ggf. mit CI). Das bietet sich an, da in einer Pandemie Kritische Infrastrukturen in allen Sektoren gleichermaßen betroffen sind und ansonsten keine Gesamtlage ermittelt wird (sektorale Ressortzuständigkeit). Bei einer Neufassung der Rahmenvorgaben für die Krisenreaktion auf eine Pandemie, sollte für diesen Funktionsbedarf eine Lösung gefunden werden.

„Er [der gemeinsame Krisenstab BMI-BMG] ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument des BMI und des BMG und soll ein bundeseinheitlich koordiniertes Vorgehens im Gesundheitsschutz in Abstimmung mit den Krisenstäben der Länder sicherstellen.“ (ebd., Seite 9)

Dass der Krisenstab in einer Pandemie ausschließlich die Aufgabe hat, den Gesundheitsschutz sicher zu stellen, erscheint als Mangel in den Rahmenvorgaben zur Krisenbewältigung einer Pandemie.
„Der Gemeinsame Krisenstab wird regelmäßig gemeinsam durch den/die Sicherheitsstaatssekretär/in des BMI und den/die Staatssekretär/in des BMG geleitet, sofern nicht der Minister/die Ministerin oder ein(e) andere(r) Staatssekretär/in die Leitung übernimmt oder einem zuständigen Fachabteilungsleiter die Leitung übertragen wird. Ständiger Vertreter des/der Sicherheitsstaatssekretärs/in des BMI ist der Leiter der Abteilung KM im BMI, im Falle bioterroristischer Gefahren- und Schadenslagen der Leiter der Abteilung ÖS im BMI.“ (ebd., Seite 9)

„Das BMG wird auf Ebene der Abteilungsleiter (Mitglied des Gemeinsamen Krisenstabes) durch den/die Abteilungsleiter/in 3 sowie einen eigenen Stabsbereich Gesundheitsgefahren im Gemeinsamen Krisenstab vertreten.“ (ebd., Seite 9)

Das BMG ist lediglich auf AL Ebene im Krisenstab vertreten. BMI ist in der komfortablen Position, den stärkeren Einfluss auf das Krisenmanagement ausüben zu können. Im Falle einer Pandemie ist das hilfreiche - allerdings nur, wenn eine angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung durchgeführt wird. Das ist in der Coronakrise bis Anfang Mai 2020 nicht der Fall. Eine eigene Gefahrenanalyse und -bewertung der Gesamtlage durch das BMI gibt es in der Coronakrise nicht. Für die Lageberichte des gemeinsamen Krisenstabs mit BMG wurden zu Beginn ausschließlich Datenaufbereitungen und -bewertungen aus dem Geschäftsbereich des BMG herangezogen, später wurden diese durch einzelne Klein-Beiträge des BMI mit sicherheitspolitischem Bezug und beliebig erscheinenden internationalen Meldungen ergänzt. Die Risikoeinschätzung wurde in dieser Krise in jedem Moment alleine von der Gesundheitspolitik bestimmt. Das muss als weiterer Mangel angesehen werden.
Zusammenarbeit mit den Ländern in einer Pandemie

Das gemeinsame Kriseninstrument von Bund und Ländern ist die sogenannte IntMinKoGr,
die „Interministerielle Koordinierungsgruppe des Bundes und der Länder“:

„Die IntMinKoGr ist das gemeinsame Koordinationsgremium des Bundes und der Länder bei Gefahren- und Schadenslagen, die im Rahmen der üblichen Amtshilfe voraussichtlich nicht bewältigt werden können. Dazu zählen im Wesentlichen lang anhaltende und großflächige Schadens- und Gefahrenlagen (z.B. Unfälle in Kernkraftwerken im In- und Ausland, Pandemien, Naturkatastrophen erheblichen Ausmaßes), von denen mehrere Bundesländer betroffen sind und ein hoher Beratungs- und Abstimmungsbedarf besteht. Die IntMinKoGr hat die Aufgabe die betroffenen Länder zu beraten und zu unterstützen sowie die Entscheidungsfindung der Bundesressorts zu koordinieren.“ (ebd., Seite 10)

Die IntMinKoGr hat die Aufgaben, „auf eine bundesressort- und länderübergreifende Vorgehensweise hinzuwirken“ und „auf Grund von Fachexpertisen die im Krisenmanagement Handelnden zu beraten“.

In der Coronakrise erfolgte die Beratung der Länder auf Basis der Risikoanalyse des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG (niedergelegt in den Lageberichten). Da die Risikoanalyse einseitig auf gesundheitspolitische Aspekte fokussiert war und eine eigenständige ganzheitliche Gefahrenanalyse und -bewertung gar nicht stattgefunden hat, konnte auch die Beratung der Länder nur defizitär sein. Auf dieser Basis wurden jedoch weitreichende Entscheidungen getroffen.
Das u.a. für die Entwicklung von Methoden zur Risikoanalyse zuständige BBK, nimmt (unterstützt durch das BMI-Lagezentrum) in der Krise die Aufgabe einer Geschäftsstelle der IntMinKoGr wahr:
„Die Aufgaben der GSt IntMinKoGr werden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) unter Einbeziehung der Ressourcen des Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) wahrgenommen. Das BBK stellt das Personal für die GSt IntMinKoGr. Das Lagezentrum des BMI unterstützt die Arbeit und die Sicherstellung des Betriebes der GSt IntMinKoGr am Dienstsitz des BMI in Berlin.“ (ebd., Seite 11)

Das in Fragen der Risikoeinschätzung auch in Pandemielagen besonders qualifizierte und erfahrene BBK eng in das Krisenmanagement einzubinden ist ein richtiges Element.

Die Rolle der Kanzlerin

Im Falle einer besonders schweren Krise übernimmt die Bundeskanzlerin die Koordination und Führung.
„Für das Krisenmanagement auf Bundesebene ist in Abhängigkeit von der konkreten Gefahren- oder Schadenslage das jeweils fachlich überwiegend zuständige Ressort federführend. Die Bundeskanzlerin kann jedoch die Zuständigkeit für die Koordination / Führung, vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung einer eingetretenen Lage, übernehmen.“ (ebd., Seite 14)

Es bleibt unklar, was diese „Führungsrolle“ bedeutet. Es könnte z.B. bedeuten, dass die Bundeskanzlerin die vom Krisenstab vorbereiteten Entscheidungen nach außen vermittelt (wie eine Sprecherfunktion, in Kombination mit einer Art massenpsychologischer Betreuung der Bevölkerung). Es könnte aber auch bedeuten, dass die Bundeskanzlerin völlig frei nach Lust und Laune, oder auch nach eigenen festen Kriterien entscheidet. unterschreibt Es gab Besprechung im Kanzleramt. In allen Ergebnisprotokollen, die ich gesehen habe, wurden die gleichen Lageberichte und Daten zugrunde gelegt, wie im gemeinsamen Krisenstab von BMI und BMG. Auf der politischen Ebene hat sich der Fehler der unterbliebenen umfassenden und systematischen Gefahrenanalyse und –bewertung unmittelbar ausgewirkt und aller Wahrscheinlichkeit nach zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen geführt.
„In den Ressorts, die zu einer Bewältigung einer Gefahren- oder Schadenslage beitragen können, wurden Vorkehrungen (z.B. organisatorisch-technische Vorbereitungen, Erreichbarkeitsregelungen) getroffen, um kurzfristig spezifische Krisenstäbe aufrufen zu können. Der Krisenstab des federführenden Ressorts übernimmt die Koordinierung im Bund sowie die Abstimmung mit den von der Gefahren- oder Schadenslage betroffenen Ländern.“ (ebd., Seite 15)

Die „lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die Abstimmung mit den betroffenen Ländern“ obliegt dem den Krisenstab der federführenden Ressorts. Das bedeutet, dass die Lageberichte des Krisenstabs die Grundlage für alle Interventionen sein müssten:
„Durch das in den letzten Jahren geschaffene System des Krisenmanagements auf Bundesebene wird sichergestellt, dass die lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die Abstimmung mit den betroffenen Ländern durch den Krisenstab des federführenden Bundesressorts gewährleistet werden. Damit ist eine vormals der Interministeriellen Koordinierungsgruppe zugeordnete Aufgabe in das bestehende System des Krisenmanagements übergegangen.“ (ebd., Seite 16)

Hausanordnung Gruppe 4 Blatt 1 „Krisenstab und Koordinierungsstab“

Nachrichten und Informationen, die für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsam sind, werden von den KoSts der Stabsbereiche dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis geben.
„Das Lagezentrum im Krisenstab steuert die Informationen an die KoSt der Stabsbereiche, die wiederum die aufgabenbezogene Weiterleitung an die Leitung des Stabsbereiches und die jeweils betroffenen Organisationseinheiten sicherstellen. Zugleich gewährleisten die KoSt, dass die für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsamen Nachrichten und Informationen, die Erfüllung von Aufträgen sowie personelle Veränderungen in der Besetzung der Stabsbereiche des Krisenstabes unverzüglich dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis gelangen.“ (Seite 3)

Die Koordinierungsstellen sind dafür zuständig, dass dem Krisenstab alle für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsamen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht geschehen.
Auf die von KM 4 dem Stabsbereich zugeleiteten Informationen (Analysen und Berichte) erfolgte keine Reaktion.

6.5 Zwischenbilanz der Bundesregierung

Am 7. Mai 2020 erschien eine "Zwischenbilanz der Bundesregierung"
(https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/gegen-corona-pandemie-1747714)

Das Dokument ist übertitelt: "Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID- 19-Pandemie und zur Bewältigung ihrer Folgen". In dem Papier wird vorausgesetzt, dass eine Gefahr durch Covid-19 besteht, beschrieben wird die Gefahr nicht. Sie wird nicht einmal genannt. Sie ist quasi schon da, bevor das Papier einsetzt. In dem 22-seitigen Bericht gibt es an keiner Stelle eine Beschreibung der Gefahren und auch keinerlei Dokumentation einer systematischen Abwägung von Maßnahmen mit ihren Nebenwirkungen.
Zu Beginn heißt es: „Die COVID-19-Pandemie hat weltweit für alle Länder außerordentliche Belastungen zur Folge. Auch in Deutschland sind Wirtschaft, Sozialstaat, Gesundheitssystem und Gesellschaft massiv unter Druck geraten. Als weltweit vernetztes Land, aber auch als wichtiger Mitgliedstaat der EU steht Deutschland damit vor der größten Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“
Auf den Seiten 7 und 8 wird in zwei eingeschobenen Textkästen die „Entwicklung wichtiger Kennziffern und Quellen (Stand: 22. April)“ dargestellt. Auch hier werden keine Gefahren beschrieben, sondern es werden einige der bekannten Datenkategorien genannt, die ohne Interpretation oder Erläuterung des Kontextes eine Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus eben gerade nicht ermöglich, z.B. die Zahl gemeldeter Neuinfektionen, der Anstieg von Testkapazitäten, die verfügbaren Intensivbetten und die Versorgung mit Schutzausrüstung.
Die eigentlichen Schäden (Tote) kommen nicht vor.

6.6 Könnte es eine Gefahrenanalyse und –bewertung außerhalb des Lageberichts des Krisenstabs gegeben haben (oder noch geben)?
Die Sorgfaltspflicht gebietet es, in Erwägung zu ziehen, dass möglicherweise außerhalb der Lagebilder eine Gefahrenanalyse und –bewertung – wie von mir gefordert – durchgeführt wurde. Mir ist zwar kein vergleichbares Dokument begegnet oder eine diesbezügliche Aktivität bekannt geworden, dass muss aber nicht bedeutet, dass es eine solche nicht gibt. Denn Referat KM4 ist möglicherweise in derartige Aktivitäten nicht einbezogen worden.
Dagegen spricht allerdings:

• Laut den Hausanordnungen des BMI, die alle Arbeitsabläufe und alle sonstigen Vorgaben der Krisenbewältigungsmechanismen definieren, ist der Krisenstab dafür zuständig, alle Entscheidungen zu treffen oder zumindest vorzubereiten.
• Es mag im Bundeskanzleramt, im BMI oder auch in andern Häusern gesonderte formelle und informelle Besprechungsrunden geben (z.B. Corona-Kabinett), die auch eine Art von Lageberichten produzieren. Diese hätten jedoch auch im Krisenstab zusammengeführt und konsolidiert werden müssen. Ohne die üblichen Abstimmungsverfahren zwischen den Ressorts (und ggf. mit den Ländern) ist das jedoch nicht denkbar.
• Wenn umfassende Aufstellungen und Berichte, die „sorgfältige Abwägungen“ enthalten
sollten (wie von BK und den MP der Länder in ihrem veröffentlichten Beschluss vom

  1. April 2020 behauptet wird1) existierten, hätten sie in den Sitzungen des Krisenstabs behandelt werden müssen oder diesem zumindest zur Kenntnis gegeben werden müssen. Die Regierungen (Bund+Länder) haben sich an keiner (hier bekannten) Stelle auf andere Grundlagen für Ihre Entscheidungen berufen, als die

1 „Bund und Länder wägen bei allen Entscheidungen deren Wirkung in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht sorgfältig gegeneinander ab.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 1)

Lageberichte des Krisenstabs und die des RKI (die regelmäßig Bestandteil der Krisenstabslageberichte sind).
• Eine Durchsicht der „Ergebnisprotokolle der 15., 16. und 17. KriSta-Sitzung BMG-BMI“, die mit etwas zeitlichem Verzug am heutigen 7. Mai 2020 um 17:59 Uhr innerhalb des Krisenstabs verteilt wurden, ergibt, dass weder sorgfältige noch sonst irgendwelche Abwägungen mit Kollateralschäden vorgenommen wurden. In der 14. Sitzung wurde jedoch einmal über das Lagebild gesprochen (s.u.). Aus dieser Befassung kann geschlossen werden, dass auch die Bundeskanzlerin auf die bekannten Lagebilder zurückgreift.

Beispielhafte Auswertung der Sitzungen 15, 16 und 17 (nach Aktenlage), sowie des Protokolls der 14. Sitzung:
An den Sitzungen des Krisenstabs nahmen zwischen 29 und 38 Personen teil. Die meisten kamen aus dem BMI und dem BMG. Die übrigen aus BMWi, BMF, BMVI, BMVg, AA, BMAS, und dem RKI sowie dem BK. Bei der Beteiligung der Ressorts fällt auf, dass RKI und BMF gleichermaßen (aber nicht an den gleichen Tagen) zu einer Sitzung nur einen Vertreter schickten, zu einer anderen Sitzung zwei, und in einer Sitzung gar nicht vertreten waren. Das überrascht insbesondere bei dem Finanzressort, welches die finanziellen Mittel für alle Aktivitäten bereitstellen muss. Der Krisenstab tagte zweimal pro Woche für jeweils zwei Stunden.
• 28.4.20 (17. Sitzung, 2 h) 38 TN: 16 BMI, 11 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 2 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 1
BMF, 0 RKI

• 23.4.20 (16. Sitzung, 2 h), 34 TN: 15 BMI, 6 BMG, 1 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 2
BMF, 2 RKI

• 21.4.20 (15. Sitzung, 2 h), 29 TN: 13 BMI, 6 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 1 AA, 1 BMAS, 1 RKI

Aus den Sitzungen des Krisenstabs:

• In der 14. Sitzung wurde zum Thema „Lagebild“ im Sitzungsprotokoll festgehalten,
o dass die Bundeskanzlerin das Lagebild als sehr hilfreich erachtete und es gerne noch um Beschaffungen erweitert sehen würde – insbesondere im Hinblick auf Schutzmasken.
o BMI und BMG kündigten an, der Bitte nachzukommen, erklärten jedoch, dass eine tagesaktuelle Bereitstellung der Beschaffungsdaten schwierig sei und wöchentliche Aktualisierung in den Lageberichten dafür ausreichten. BMWi wolle künftig Beiträge zur Produktion der Schutzausrüstung erstellen.
• In der 15. Sitzung kündigte RKI Ergebnisse einiger Studien für Ende Mai und Ende Juni an.
• In keiner Sitzung wurde über die Gesamtkosten der Schutzmaßnahmen oder den Neuverschuldungsbedarf diskutiert und auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Entwicklung am Arbeitsmarkt wurden nicht behandelt. Auch die gesundheitlichen Kollateralschäden (einschl. Todesfälle) waren kein Thema.
• In zwei Sitzungen (15., 17.) wurde über die Lage in einer (einzigen) Kritischen Infrastruktur gesprochen (Telekommunikationsunternehmen). Der Status von KRITIS in DEU insgesamt stand bei keiner der untersuchten Sitzungen auf der Agenda.
• Mit einem Papier vom 28.4. informiert das RKI in der 17. Sitzung im Zusammenhang mit Aktivitäten der EU darüber, dass die Reproduktionszahl R geringe Rückschlüsse auf wesentliche Indikatoren böte.
Dieser eigentlich katastrophale Befund deckt sich nicht ganz mit dem, was die Regierungen der Öffentlichkeit vermittelt:
Die politische Führung von Bund und Ländern reklamiert für sich, dass bei allen Entscheidungen, deren Wirkung „in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht“ sorgfältig gegeneinander abgewogen würden. Die „ständig zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über dieses neuartige Virus“ und viele interdisziplinäre Expertenmeinungen sollen dabei in die Entscheidungsfindung eingeflossen sein.
Ein Blick in die vielfältigen Beiträge aus allen tangierten Wissenschaftsbereichen, die in den letzten Wochen im Internet zu lesen waren, sowie ein Abgleich mit den in den Lageberichten zusammen getragenen Inhalten offenbart, dass dies nicht umgesetzt worden sein kann. Bei der Erhebung von medizinisch-gesundheitlichen Lagedaten wurde auf ein sehr enges Set an Indikatoren zurückgegriffen (s. andere Kapitel dieses Berichts), während die in DEU reich vorhandene Expertise in vielen anderen unmittelbar betroffenen Disziplinen brachliegen gelassen wurde.
„Die Verantwortung für die Entscheidungen liegt bei Bund und Ländern, für die angesichts des Umstandes, dass es sich um eine Situation ohne Beispiel mit vielen noch schwer abschätzbaren Risiken handelt, ein vorsichtiges Vorgehen in regelmäßigen Schritten und ein besonders strenger Maßstab für vorübergehend notwendige Grundrechtseinschränkungen das leitende Prinzip für verantwortbares Handeln ist.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 2)

Der strenge Maßstab, den die Regierung angelegt haben will, ist nicht zu erkennen.

In dieser Darstellung wird ein Grundproblem des Krisenmanagements in der Coronakrise deutlich: die wesentlichen Entscheidungen werden von der Politik getroffen. Und die Politik hat in dieser Krise stark gestaltet.

Zusammenhang Gefahrenbewertung + Entscheidungsfindung

Beispiel: In anderen Gefahrensituationen, wie z.B. bei einem Feuerwehreinsatz an einem brennenden Wohnhaus, werden die Entscheidungen von qualifizierten Rettungskräften getroffen, nicht vom (politische gewählten) Bürgermeister. Der Brandmeister der Feuerwehr entscheidet, ob die einzige verfügbare Leiter genutzt wird, um zuerst eine aus einem Fenster auf der eine Gebäudeseite um Hilfe rufende schwangere Frau zu retten, oder ein aus dem anderen Gebäudeteil winkendes Kind, das von dichten Rauchschwaden eingehüllt ist. Diese Entscheidung trifft der Brandmeister (und nicht der Bürgermeister) auch dann, wenn der Bürgermeister direkt danebensteht, und selbst dann noch, wenn es um das Haus des Bürgermeisters geht, in dem seine Frau und sein Kind in die Notlage geraten sind.
Es stellt sich die Frage, wie effektiv und praktikabel es sein kann, wenn in einer Pandemie die Politik entscheidet und inflationär agiert, wenn, wie in der Coronakrise, einige wenige Regierungsmitglieder, die nicht für die Bewältigung derartiger Gefahrenlagen ausgebildet wurden, und die über die dafür erforderliche Fachkompetenz in der Regel nicht verfügen können, das Schicksal des Landes bestimmen sollen.
Es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen einer Vielzahl an operativen Aktivitäten und Maßnahmen der Ministerien einschließlich ungezählter Änderungen des Rechtsbestands unseres Landes, mit denen zahlreiche Lebensbedingungen der Bevölkerung dauerhaft verändert werden einerseits, und der versäumten umfassenden Gefährdungserhebung der Gesamtlage. Es liegen seitenlange Darstellungen mit Überschriften und Kurzbeschreibungen alleine der Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI vor2. Wobei die ministeriellen Arbeitsprozesse seit März 2020 vielfach als unprofessionell und unsolide eingestuft werden müssen. Denn komplexe und auswirkungsstarke Gesetzentwürfe, die im Ressortmitzeichnungsverfahren normalerweise innerhalb von mehreren Wochen fachlich geprüft werden, und bei denen die jeweils zuständigen Referate weitere Parallelreferate oder nachgeordnete Behörden unterbeteiligen müssen, wurden in den letzten beiden Monaten vielfach mit „Verschweigefristen“ (die ohnehin in einer rechtlichen Grauzone liegen), innerhalb weniger Stunden „ressortabgestimmt“. Das bedeutet: Eine angemessene fachpolitische Prüfung kann nicht erfolgt sein. Der Prozess der Entscheidungsfindung über die von den Ministerien erarbeiteten Vorlagen im Deutschen Bundestag kann, wenn man die Zeit zwischen der abgeschlossenen Ressortabstimmung und der Verkündigung von Maßnahmen und Gesetzen betrachtet, nicht sehr viel gründlicher gewesen sein.

2 Getroffene Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI, „Kurzdarstellungen wesentlicher Maßnahmen und Themenfelder“, zuletzt 20 Seiten.

Indirekt wird mit dieser Verfahrensweise die Risikolage bei Kritischen Infrastrukturen deutlich verschärft. Denn für das vielfach miteinander verwobene und stark interdependente Gesamtsystem von Kritischen Infrastrukturen sind Veränderungen a) sehr vieler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die b) innerhalb kurzer Zeit erfolgen und die c) nicht gründlich geplant und dann gut vorbereitet und planvoll realisiert werden, ein Problem. Es entsteht eine Dynamik von Wechselwirkungen, die schwer einzuschätzen ist. Der Aufwand, die Systemstabilität aufrecht zu erhalten, steigt. In der Konsequenz steigt die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft und es werden natürlich mittelfristig die Preise für kritische Dienstleistungen steigen. Denn in der Regel werden alle zusätzlichen Aufwände (wegen neuer Vorschriften und Auflagen) von den Anbietern und Betreibern an die Kunden/Verbraucher weitergegeben (Strom, Gas, Wasser, Internet, …). Das wird schneller bei Leistungen privater Anbieter/Betreiber wirksam, aber auch die zusätzlichen Aufwände für staatliche Leistungen werden am Ende refinanziert werden müssen (z.B. über Steuererhöhungen oder Corona-Sonderabgaben).

6.7 Exkurs Exit-Strategien

Es soll eine exit-Strategie des BMI geben (wurde schon vor Wochen in der Presse bekannt). Gemeint ist der Ausstieg aus den Schutzvorkehrungen und Maßnahmen. Mit liegt sie nicht vor. Das bedeutet, ich kann sie nicht auswerten. Aber auch alle anderen Kollegen, die sie nicht kennen, können nicht damit arbeiten. Wenn sie verbindlich wäre, müsste sie als Vorgabe bekannt gegeben werden, damit das gesamte Krisenmanagement auf die gleichen Ziele hinarbeitet.
Wie sieht das aus der Sicht der Bevölkerung aus? Die Bevölkerung würde vielleicht hinterfragen, warum es eigentlich einer Strategie für den Ausstieg aus Maßnahmen bedarf? Sie müssten doch eigentlich nur beendet werden. Ist das überhaupt eine exit-Strategie, von der die Rede ist, oder ist es eine Strategie, bei der das Ziel darin besteht, den Zeitpunkt und die Dramaturgie des Ausstiegs z.B. nach politischen oder anderen Kriterien zu gestalten, zu dosieren und ggf. zu strecken? Es gäbe sicherlich Gründe und Interessen, den exit zu planen. Es kommt darauf an, welche Art von Interessen damit umgesetzt werden. Wenn es Minderheiteninteressen wären, die sich gegen die Interessen des Gemeinwohls durchsetzten, wäre das anders zu beurteilen, als wenn den Eigeninteressen der Gesellschaft zur Geltung verholfen würde. Wenn die Strategie zu einer Verschleppung des exits führen sollte, so könnte aus Bevölkerungssicht befürchtet werden, würde sich die Fallhöhe der Gesellschaft erhöhen und der Schaden der Bevölkerung wachsen. Da jeder Tag zählt und Menschenleben davon abhängen, sollte es erlaubt sein oder sogar geboten, die hier wirksamen Interessen genau zu untersuchen und zu hinterfragen – z.B. durch den Krisenstab BMI-BMG.

Aus professioneller Sicht des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe wäre sinnvoll und hilfreich gewesen, eine exit-Strategie zu haben, die ein Instrumentarium dafür bietet, den Zeitpunkt zu finden, zu dem die Kollateralschäden aus dem Ruder laufen und die zu erwartenden Gesundheitsschäden beginnen zu übertreffen. Das ist schwierig, weil man auf Prognosen angewiesen ist. Insofern kann es aber auch nicht schwieriger sein, als bei der Entscheidung zugunsten von einschränkenden Schutzmaßnahmen – auch die basieren auf nichts anderem als Vermutungen und Prognosen (siehe Auswertung der Beschlüsse der Regierungen von Bund und Ländern vom 22. März 2020 in diesem Papier), die mehr oder weniger plausibel sein können.

QYOU_brisant.png

Authors get paid when people like you upvote their post.
If you enjoyed what you read here, create your account today and start earning FREE STEEM!