Die Seidenstraße - ein magischer Name für einen steinigen Weg?

in deutsch •  5 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Unser Freund Erasmus Konsul beschäftigt sich noch einmal sehr detailliert mit dem Seidenstraßen-Projekt und ordnet seine Bedeutung, die über das Wirtschaftliche weit hinausreicht, in die internationale politische Machtkonstellation ein, welche entscheidend von ihm determiniert wird.
Wir danken Erasmus Konsul sehr herzlich dafür, daß er die Erkenntnisse seiner Arbeit mit uns teilt.

China und die Seidenstraße - ein Weg in die Großmächtekonfrontation

von Erasmus Konsul

  1. „Kalter Krieg in München - die USA greifen China an der Sicherheitskonferenz frontal an“: China verfolge immer intensiver eine interne Repression und stelle eine aggressive militärische Bedrohung dar, äußerte US-Außenminister Pompeo. Dies sind Überschrift und Text von einem Artikel der NZZ v. 16.02.2020, mit dem diese über die Münchner Sicherheitskonferenz berichtet. Nach Meldungen der DWN soll US-Präsident Trump sich telefonisch den britischen Regierungschef Boris Johnson vorgeknöpft haben, weil er sich (bisher?) weigert, die chinesische Firma Huawei als potentiellen Teilnehmer beim Aufbau eines britischen 5G-Netzes auszuschließen. Und der US-Wirtschaftsminister Wilbur Ross äußert öffentlich nur schlecht verhüllte Genugtuung darüber, dass der Corona-Virus das Nachdenken von US- Unternehmen über ihre internationalen Lieferketten und ihre Rückkehr nach Nordamerika „beschleunigen“ werde, wobei ganz offensichtlich China gemeint war, woher sie zurückkehren sollten. Fassen wir es zusammen: Die Schlussfolgerung aus München könnte lauten, dass China zum Staatsfeind Nummer 1 der USA avanciert ist.

  2. Woher kommt diese uneingeschränkte Feindschaft der USA gegenüber China? Warum ist sie keinesfalls nur eine der - angeblich - erratischen Einfälle des großen Donald, sondern beruht auf einem Zweiparteienkonsens im Kongress? Abgesehen davon gehört schon einige Chuzpe dazu, dass der Außenminister einer Macht, die mit Abstand die größten Militärausgaben weltweit tätigt, einer anderen Macht militärische Aggressivität vorwirft (US: 650 Mrd, China 250 Mrd, - die USA geben fast so viel aus wie die acht folgenden Staaten). Wahrscheinlich wird dieser intellektuelle Tiefschlag bei unserer Presse relativ ungestraft „ durchgehen“. Aber der zentrale Faktor kann das Militär doch wohl nicht sein. Einer der zentralen Faktoren für diese rundum feindselige Haltung der USA gegenüber China könnte und dürfte dagegen die sogenannte Seidenstraßeninitiative (oder Belt and Road Initiative, BRI, wie wir sie dem üblichen Sprachgebrauch folgend nunmehr nennen wollen) sein.

  3. Was ist die Seidenstraßeninitiative? Eine vom chinesischen Xi Jinping 2013 bei einer Auslandsreise im Bereich der „klassischen Seidenstraße“ in Kasachstan rhetorisch aus der Taufe gehobene Initiative, die sich zwar zunächst an dem historischen Handelsweg per Land (Marco Polo!) von China nach Europa orientierte, aber mit der Ergänzung einer sogenannten „maritimen Seitenstraße um den südlichen asiatischen Kontinent herum auch Süd(Ost)Asien, Afrika und Australien miteinbezieht. Es ist somit ein geographisch weitgehend offenes Programm, das mittlerweile über 80 Länder miteinbeziehen soll. Die Anbindung an das Programm erfolgt lose und anscheinend uneinheitlich, teilweise nur durch Absichtserklärungen. Es gibt Schätzungen, nach denen das Programm 60% der Weltbevölkerung und 40% des Handels umfassen soll (wobei es sich bei solchen Globalgrößen vermutlich um Addition der Wirtschaftskraft und -aktivitäten der beteiligten Länder und nicht konkrete Aktivitäten im Rahmen der Initiative handeln dürfte). Der geographischen Offenheit der Initiative entspricht auch ihre programmatische: Sicher liegt der Schwerpunkt im Bereich der Infrastruktur, von der Straße über den Hafen bis zur Schiene und dem Datenfluss. Insgesamt gibt es sechs Kooperationsfelder, zur Infrastruktur kommen hinzu Politik, Handel, Finanz, menschliche Beziehungen, Industrie. Die Finanzierung erfolgt aus dem riesigen chinesischen Außenhandelsüberschuss (allein mit der EU von 2006 bis 2018 rd. 1,6 Bio USD, akkumuliert soll China 2019 3 Bio USD an Fremdwährungsreserven besessen haben, Angaben laut Österreichische Gesellschaft für Europapolitik, ÖGfE). Einer Studie der ÖGfE zufolge soll das bisherige Finanzvolumen der BRI rd. 70 Mrd USD betragen, bei Einbeziehung abgeschlossener Kontrakte könnte man demnach bereits auf 1,9 MRD USD kommen! Die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank AIIB ist eine wichtige Säule der Finanzierung. Es ist der ÖGfE in ihrer Aussage zuzustimmen, dass die BRI ein multidimensionales, regional unbeschränktes und thematisch weitgehend offenes Projekt darstellt.

  4. Wohin liegt die Herausforderung für Amerika? Hierfür könnte es zwei wesentliche Gründe geben, die beide geostrategischer Natur sind, wobei der eine seiner Natur nach eher geographisch, der zweite eher systemischer Natur ist:

  • Der eurasische Faktor oder die Gefahren aus dem „Heartland": Die Stabilisierung Russlands und damit auch Zentralasien haben die Möglichkeiten eines eurasischen Wirtschafs(t)raumes an das Tageslicht treten lassen, die nunmehr mit der chinesischen Initiative umgesetzt werden sollten. Bereits im Jahr 1904 hat der britische Geograf Halford John Mackinder in einem Vortrag vor der Royal Geographical Society die später so genannte Heartland-Theorie entworfen. So könnten in einem eurasischen Wirtschaftsraum, dem Kernland, die Verkehrsverbindungen über Landkorridore kostengünstiger werden als der Seetransport, woraus der Mobilitätsvorteil der angelsächsischen Seemacht neutralisiert werden könnte. Sollte es gelingen, Deutschland mit diesem Kernland zu vereinigen, könnte dies zu einer Veränderung des internationalen Machtgleichgewichts führen. Nahezu hellsichtig fügte der Autor - sicherlich seinen Zeitgenossen entsprechend (man denke an Rudyard Kipling) sehr eurozentrisch überheblich denkend - hinzu, dieses System könne auch durch China realisiert werden, wenn die „ Chinesen, organisiert von den Japanern (sic!), das russische Reich überrennen". Wie dem auch sei, er konnte sich nicht vorstellen, dass die Chinesen einmal wirtschaftlich so fortschrittlich werden würden, dass sie wirtschaftlich fähig und auch für andere Staaten attraktiv genug sein würden, um solch ein Programm anzugehen - und Russland sozusagen als Gefolgsstaat mitzunehmen. Er konnte ja auch nicht annehmen, dass die lichten Geisteshöhen Washingtoner Politik einmal Russland nahezu eine solche Politik aufdrängen würden, nachdem das Land, in dem die Kaliber der Waffen bekanntlich oft größer sind als der Gehirnumfang des jeweiligen Schützen, Russland seit Jahren aus Europa hinausdrängen will. Die USA haben sich durch ihren konfrontativen Ansatz gegenüber Moskau den Weg, durch Mitsprache über Moskau einen Fuß in die Tür Eurasiens zu bekommen, selbst verbaut. Zudem: Aufgrund der Abschirmung über die russischen Nuklearstreitkräfte hat Washington derzeit auch keine realistische militärische Einwirkungsmöglichkeit. Was es also fürchtet, die Zusammenballung wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht im eurasischen Kern, kann somit von Washington nur aus der Peripherie bekämpft werden. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
  • Der systemische Faktor: Peking fordert Washington dort heraus, wo es am verletzlichsten ist, im Bereich der Wirtschaft. Hier kommen die strukturellen Verschiebungen in der Weltwirtschaft, durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas, aber auch anderer Staaten zum Ausdruck: So ist der Anteil der US-Wirtschaft am globalen BIP von 1980 bis 2020 bereits von über 20% auf knapp 15 % zurückgegangen, der Chinas von starken 2% auf knapp 20% angestiegen! Tätigten die USA 1928 noch rd. 28% der weltweiten Exporte, waren es 2015 nur noch gute 14%. Umgekehrt ist Chinas Anteil von knapp 1% (!) 1948 auf auf ebenfalls gute 14% angestiegen, das Land hat also in diesem Zeitraum mit den USA gleichgezogen. Behält man die erwähnten Überschüsse im Außenhandel Chinas im Blick, den erwähnten umfassenden Ansatz der BRI, so kann man zu dem Schluss gelangen, diese Initiative als wichtigen Teil oder gar als Symbol für eine chinesische Strategie zu betrachten, die Weltwirtschaft durch ein eigenes System von Handels-, Investitions- und Finanzstrukturen stärker auf die eigenen Bedürfnisse auszurichten. Es geht damit einen Weg, der durchaus mit dem amerikanischen verglichen werden könnte: Die USA haben im Zuge des und nach dem Zweiten Weltkrieg die Welt durch Gründung eines Netzes internationaler politischer und wirtschaftlicher Strukturen auf ihren Machtanspruch auszurichten versucht. UNO, Weltbank, Weltwährungsfond mögen dafür die bedeutendsten Beispiele sein. Und sie haben nach dem Zusammenbruch des Bretten Woods-Systems und der Aufgabe der Goldbindung des Dollars ihre Währung durch Zufluss von Geldern aus den reichen Ölstaaten des Nahen und Mittleren Ostens weiterhin als Weltwährung erhalten können. Dieser Status der Weltwährung ist entscheidend für die Finanzierung ihrer seit Jahren bestehenden Rekorddefizite im Außenhandel und im Budget. Der Status der Weltwährung wird wiederum gewährleistet durch das zweite Bein der US-Dominanz, ihrer weltweiten militärischen Präsenz, und in Abhängigkeit und Zusammenhang damit geheimdienstlichen. Gleichzeitig dient die militärische Präsenz und die damit verbundene Bedrohung wiederum dem Erhalt des Dollars als Weltwährung. Dieses „strategische Perpetuum mobile“ gerät jedoch in Gefahr, wenn ein Handelssystem jenseits des Dollars auch nur am Horizont erscheint! Der in der BRI zum Ausdruck kommende Versuch Pekings, das gewachsene Gewicht der chinesischen Wirtschaft strukturell zu gestalten und zu „verdichten“, muss deshalb in Washington, auch und vor allem vor dem Hintergrund des eurasischen Faktors als lebensbedrohliche Herausforderung für das eigene System der Weltbeherrschung zu begreifen. Es geht dabei auch um den Zugriff der USA auf die Ressourcen anderer Staaten im weltweiten Maßstab: Denn der Dollar ist auch eine Waffe des Ausschlusses, wie wir es an Beispielen von Teheran bis Caracas und eben auch Moskau sehen. Das Dollar-Clearing als Schlüssel für die Banken zur Glückseligkeit des internationalen Finanzgeschäfts, ohne den man in der provinziellen Welt der Binnenwirtschaft eingeschlossen bleibt. Ergänzt durch Handelssanktionen, deren Wert angesichts der Verlagerung des Welthandels, wie sie oben ansatzweise geschildert wurde, aber an Bedeutung verlieren muss und wird.

Die Frage ist deshalb, welche Schlussfolgerungen die USA aus dieser chinesischen Herausforderung ziehen werden. Zurzeit sieht alles danach aus, dass die gesamte Bandbreite der sogenannten „weichen“ Macht (soft power) der USA gegen China in Stellung gebracht wird: Kritik an China als Hort der Unterdrückung (wo sind eigentlich die chinesischen Asylanten?) sowie wegen der Menschenrechtssituation und Instrumentalisierung der Medien hierzu (man schaue Fernsehen in Deutschland und man kann sehen, wovon Sendungen über das Land in ihrem Geist „beflügelt“ sind, auch wenn die „Kritik“ noch nicht das Ausmaß derjenigen gegen Russland erreicht hat). Gleichzeitig werden zunehmend „harte“ Maßnahmen wie wirtschaftliche „Entflechtung“, Umgestaltung der Produktionsketten, Zollschranken ins Gespräch gebracht. Vieles spricht dafür, dass die letze Einigung in den Handelsgesprächen zwischen Washington und Peking nur eine Art Waffenstillstand im Hinblick auf die US-Wahlen ist. Je nach dem Schaden, der durch den Virus angerichtet wird, könnte das Problem kurzfristig entschärft werden, weil die chinesische Wirtschaft vorübergehend geschwächt wird. Aber es ist natürlich keineswegs auszuschließen und vielleicht sogar wahrscheinlich, dass irgendwann die „Sanktionskarte“ gezogen wird, Huawei ist ja eigentlich schon ein Beispiel dafür. Dies könnte der Startschuss für einen Wirtschaftskrieg sein!

  1. Deutschland und Europa:
  • Deutschland und diejenigen Länder Europas, die auf Deutschland als Vehikel für ihre eigenen Exporte angewiesen sind, von Ungarn bis zur Schweiz, von Polen bis nach Österreich, sind von diesem Konflikt der beiden Großmächte essentiell betroffen. Wiederholt wurde selbst in deutschen Fernsehanstalten auf die Bedeutung des chinesischen Marktes etwa für die deutsche Schlüsselindustrie, den Automobilbau, hingewiesen. Laut Managermagazin wurde jedes dritte Auto deutscher Herstellen 2018 in China verkauft. China ist seit einigen Jahren entweder der bedeutendste Handelspartner Deutschlands (Export/Import bei rund 200 Mrd € oder gut 8% des Gesamtvolumens in 2018) oder jedenfalls auf einem Spitzenplatz. Deutschland ist mit 81 Mrd € in China investiert. Natürlich haben auch die USA ein großes Gewicht für deutschen Handel und Investitionen. Und das werden sie ins Spiel bringen. Der Einsatz für Deutschland ist deshalb in und um China sehr hoch, letztlich geht es um die Stellung des Deutschlands als Exportnation!
  • Deutschland wird die ganze Macht der Vereinigten Staaten zu spüren bekommen, wenn es notwendig werden sollte, Berlin auf Linie mit welchen US-Vorstellungen des Vorgehens gegen China auch immer zu bringen. Auch hier sind Huawei und die Briten ein gutes Beispiel! Aber auch die Sanktionen gegen North Stream II. Auch im Sinne der o.a. geostrategischen Perzeption wird Washington alles versuchen, um das deutsche politische, wirtschaftliche und militärische Potential vor den eigenen Karren spannen zu können“ (Staatssekretär a.D. Willy Wimmer im Vorwort zu „Der Schlüssel zur Weltherrschaft“, Halford John Mackinder, Westens Verlag, Frankfurt, 2019, sehr empfehlenswertes kurzes Büchlein). Bis zu einem gewissen Grad wird Deutschland durch die EU geschützt, auch durch seine Bedeutung für die US-Vorposten in Osteuropa. Das ist der Rahmen! Aber der könnte schnell ins Wanken geraten.
  • Dies sollte man im Kopf behalten, wenn Forderungen nach Kritik an China erklingen, etwa im Bereich der Menschenrechte oder Systemkritik. Dies sollte man im Kopf behalten, wenn suggeriert wird, die globale Erwärmung sei das drängendste Problem unserer Zeit und deshalb sollte die Autoindustrie noch mehr in die Zange zwischen dem schrumpfenden Absatz in China und den Umweltrichtlinien genommen werden. Dies sollte man im Kopf behalten, wenn man denkt, dass die ganze Welt sich in die „Guten“ und die „Bösen“ teilt und wir zur Parteinahme für die ach so guten in Washington aufgefordert werden. Europa und Deutschland haben keine Weltherrschaft zu verlieren, das Dollarmonopol im Welthandel ist nicht unser Ziel. Der Grad des Anschlusses an Eurasien sollte sich nach deutschen Interessen bestimmen. Der Balanceakt mit den USA wird Berlin dabei nicht erspart bleiben. Die Gefahr liegt eher in der atlantischen „Schere“ im Kopf, die den Balanceakt von Anfang ausschließt!
  • Gefordert ist von uns Interessenpolitik, ein differenziertes Eingehen auf die BRI. Wir sollten dort darauf einsteigen, wo es eindeutige Vorteile gibt, wir sollten ihren ganzheitlichen Ansatz verstehen. Und es gibt keinen Grund, die Auseinandersetzung zu fürchten, wenn man wirtschaftlich gut aufgestellt ist. Wenn die Chinesen 10% der europäischen Terminalkapazitäten kontrollieren (so die ÖGfE, prominentes Beispiel Piräus), dann wird es sich für sie nur lohnen, wenn dort auch Waren umgeschlagen werden. Sie können die Kapazitäten auch nicht einpacken und mitnehmen. Das beinhaltet auch einen politischen Blick auf Investition, bei China wie bei USA und anderen. Denn: Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel. Und der Druck aus Washington wird Peking vielleicht zum Entgegenkommen in anderen Bereichen veranlassen, wenn es um den für europäische Investitionen schädlichen Protektionismus des Landes geht. Auch Peking wird die angestrebte Internationalisierung seiner Wirtschaft und damit verbunden mehr Geltung und Einfluss nicht ohne eigene Öffnung für Ansprüche anderer erreichen können.

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