Gefährliche Erfolge

in deutsch •  4 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Recep Tayyip Erdoğan, unter dem Druck wachsender Unzufriedenheit der türkischen Bevölkerung wegen der nun schon seit Jahren grassierenden Inflation, Versorgungsengpässen und repressiver Übergriffe von Polizei und Justiz einerseits, sowie einer sich gegen ihn formierenden Opposition andererseits, greift zu einem altbewährten Mittel: Er verlagert seine Aktivitäten nach außen und versucht so, über die Außenpolitik von innenpolitischen Problemen abzulenken und intern die Reihen zu schließen in solidarischer Gegnerschaft gegenüber den gemeinsamen Feinden draußen.
Bei Türken, die fast alle stolz zu ihrer Nationalität und der einstigen Größe und Bedeutung ihres Landes stehen, verfängt das Ziehen der nationalen Karte immer zuverlässig. Dabei gelingt Erdoğan sogar die teilweise Einbindung der politischen Opposition, die sich eine Alternative dazu nicht leisten und auch nicht vorstellen kann.

Wirtschaft beherrscht er so wenig wie Demokratie.
Mit brutaler Unterdrückung jeglicher oppositioneller Ansätze in der Bevölkerung hat Erdoğan sich viele Feinde im Land geschaffen. Wie für Despoten typisch, verlor er so die Anbindung an große Teile der Bevölkerung. Diese Unsicherheit kann dann nur noch mit immer weiteren Repressionen zum Machterhalt um jeden Preis kompensiert werden.
Dirigistische Eingriffe in die Wirtschaft können bestehende strukturelle Defizite nicht bekämpfen. Und so verfing sich Erdoğan auch hier im Gestrüpp punktueller Schraubendreherei. Durch Senkung des Leitzinses entgegen der Markttendenz versuchte Erdoğan die Wirtschaft anzukurbeln. Infolge der Überversorgung mit Geld erfuhr die türkische Lira auf den Weltmärkten einen Wertverfall ins schier Bodenlose, was auch durch die Auflösung von Gold~ und Devisenreserven des Landes, die auf den internationalen Markt geworfen wurden, nicht nachhaltig aufgehalten werden konnte. Die aufgrund der Importabhängigkeit des Landes und des dadurch bedingten chronischen Leistungsbilanzdefizites bestehende Auslandsverschuldung stieg durch den Währungsverfall dramatisch an. Die durch die eingetretene Abwertung der türkischen Lira angestiegenen Importpreise und die interne Geldflut schürten das Inflationsfeuerwerk noch weiter und entfachten Versorgungsengpässe, die Erdoğan nur mit absurden Theorien von „Gemüseterroristen“ zu kontern wußte.

In dieser Lage versuchte er sein Glück auf außenpolitischem Feld und hatte damit tatsächlich Erfolg.
In Libyen gewann er in der schwachen und dubiosen, mit islamistischen Kräften verbundenen Zentralregierung einen Verbündeten für seine maritimen Expansionsbestrebungen, die sich in erster Linie gegen Griechenland richten. Dafür unterstützte er seinen Allianzpartner in dessen interner Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden und vielversprechenden General Chalifa Haftar. Dessen schon greifbarer Sieg wurde durch türkische Unterstützung seines Gegners mit Waffenlieferungen und Söldnern vereitelt zum Nachteil Libyens sowie der Terrorismus~ und Migrationsbekämpfung.
Zwischen Aserbeidschan und Armenien schürte er kriegerische Auseinandersetzungen, die seinem Bündnispartner Aserbeidschan zum Sieg verhalfen und ihm selbst zu einem Platz - neben dem anderenorts mit der Türkei um Einfluß rivalisierenden Rußland - im Gremium zur Überwachung des Ergebnisses des Waffenganges.
In Syrien hält der Despot einen ganzen Landesteil im Norden widerrechtlich besetzt, den er schon faktisch annektiert hat.
Im Mittelmeer kommt es immer wieder zu Eskalationen zwischen der Türkei und Griechenland, Frankreich und zuletzt auch Deutschland. Dem für die Türkei unbefriedigenden seerechtlichen status quo liegen verheerende und willkürliche Entscheidungen der Weltkriegsgegner zu Grunde.
Auch gegenüber weitaus mächtigeren Gegnern gelingt es Erdoğan immer wieder, sich durchzusetzen. Dabei kommen ihm die geopolitische Scharnierlage der Türkei und die geschickte Ausnutzung von Interessen und Rivalitäten zu Hilfe. Er wechselt behende die Seiten ohne Berührungsängste - je nach Opportunität. So findet er sich Seite an Seite mit Rußland wieder in Aserbeidschan und auf der Gegenseite in Syrien und Libyen. Mit Israel beobachtet man Ähnliches in Aserbeidschan. Auch sein Verhältnis zu den USA ist von Ambiguität bestimmt (Rüstungskooperation mit den USA und Rußland, Vorwürfe an Washington wegen der Asylgewährung an seinen Rivalen Fethulla Gülen, Gegnerschaft im Mittelmeer und Allianz in Libyen mit den USA). Er legt sich wenig fest und erhält sich maximale Aktionsspielräume. Nur im Nahen Osten gerät er durch das Projekt der Aussöhnung Israels mit seinen Nachbarn in die Isolation.

Offensichtlich weiß Erdoğan seine Trumpfkarten fast optimal zum Einsatz zu bringen und erweist sich so als genialer Außenpolitiker, der die Hebel zum Vorteil seines Landes paßgenau ansetzt.
Das ringt durchaus Bewunderung ab, vereint mit großer Besorgnis, denn hier agiert ein gefährlicher und skrupelloser Extremist. Selbst für die Türkei bedeutet er ein maximales Unglück, denn seine lausige innenpolitische Bilanz wirft das Land Atatürks weit hinter das vor seiner Zeit bereits Erreichte zurück. Darüber täuschen auch seine Errungenschaften an der Außenfront nur wenig hinweg.

Die EU hätte mit einer ehrlicheren und offeneren Politik der Türkei gegenüber diesen Despoten wahrscheinlich verhindern können. Ihr zweiter Kardinalfehler war die Aufnahme Zyperns in die EU, ohne damit ein Junktim zur Lösung der Teilung zu verbinden. Diese verpaßten Chancen sind umso ärgerlicher, als sie seinerzeit offen auf der Hand lagen und der nun eingetretene Schaden glasklar absehbar war. Gleiches gilt für die Nachkriegsdiktate der Sieger. Versäumnisse rächen sich und sind dann nur, wenn überhaupt, sehr schwierig zu revidieren. In Deutschland erfährt man dies gerade sehr bitter.

Man darf trotz allem die Türkei, ein wichtiges Land, nicht mit Erdoğan gleichsetzen und abschreiben. Es wird eine Zeit nach ihm geben, die hoffentlich in nicht allzu großer Ferne liegt. Dann hat man hoffentlich aus den Fehlern der Vergangenheit wenigstens gelernt.

https://www.dw.com/de/aserbaidschan-%C3%BCbernimmt-von-armenien-kontrolle-%C3%BCber-region-kelbadschar/a-55727477
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/warum-putin-den-showdown-meidet-und-erdogan-provoziert/ar-BB19vEqK?ocid=msedgdhp
https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-griechenland-erdgas-1.5014705
https://www.nzz.ch/international/karabach-konflikt-israels-sonderbarer-bettgenosse-aserbaidschan-ld.1588251?reduced=true
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/t%C3%BCrkei-opposition-im-aufwind/ar-BB1a3uVF?ocid=msedgdhp
https://www.dw.com/de/erdogan-verspricht-neue-%C3%A4ra-der-wirtschaft/a-55676409
https://www.dw.com/de/bundeswehreinsatz-geheimdokument-belastet-t%C3%BCrkei/a-55751789

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