Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!
Viel werden derzeit eine inhärente Antipathie und Überlegenheitsphantasien Deutschlands gegenüber allem Slawischen herbeigeschriebelt. Nichts von Alledem kann ich - inzwischen nicht mehr ganz taufrisch an Lebensjahren - aus eigener Erfahrung konstatieren.
Als Westdeutsche bin ich ein Kind meiner Zeit.
Nie hörte ich im Elternhaus auch nur ein kritisches Wort über Rußland. Meine Mutter war - ganz im Gegenteil - geprägt von starken ressentiments gegenüber den USA, herrührend aus eigenen Kriegserfahrungen, die den Zuständen des Rheinwiesenlagers einigermaßen nahekamen. Mein Vater war in Stalingrad, verlor aber nie ein negatives Wort über Rußland.
Beide Eltern befürworteten und ermöglichten, daß ich schulbegleitend Privatunterricht in der russischen Sprache erhielt. Russischunterricht wurde seinerzeit in westdeutschen Schulen noch nicht als Fremdsprache angeboten.
Mein erster Roman, den ich im Alter von dreizehn Jahren las, war Lew Tolstois „Anna Karenina“. Fasziniert ließ er mich in die russische Welt der damaligen Zeit eintauchen und erfüllte mich mit Neugier auf das Land.
Studienbegleitend vertiefte ich später an der Diplomatischen Akademie zu Wien meine Kenntnisse der russischen Sprache.
Noch sehr viel später war Rußland mein Wunschposten für den Auslandseinsatz im diplomatischen Dienst. Aufrichtigerweise muß ich allerdings zugeben, daß ich dabei maßgeblich auch von Karrieregesichtspunkten geleitet war, denn damals führte der Weg nach ganz oben im Ministerium über Moskau. Wer sich dort bewährt hatte, konnte mit steilem Aufstieg rechnen.
Tatsächlich führte mich mein zweiter Auslandsposten auch dorthin. Überrascht und erfreut machte ich die Erfahrung überaus freundlicher Aufnahme durch die Bevölkerung des Landes. Nicht ein einziges Mal wurde meine Herkunft kritisch thematisiert. Ungeachtet aller Unzulänglichkeiten, erhielt ich stetes Lob für meine Bemühungen um die Landessprache.
Das Land befand sich mitten im Umbruch der Nach-Gorbatschow-Jahre. Den Bürgerkrieg erlebte ich vom Fenster meiner Wohnung aus mit Blick auf das brennende Parlament ganz unmittelbar mit. So wurde ich sehr direkt Zeitzeuge von Geschichte.
Beruflich erlebte ich die russischen Kollegen als ausgesprochen kooperativ und stets angenehm.
Privat begab ich mich in Moskau in meiner viel zu knapp bemessenen Freizeit auf das Abenteuer der Entdeckung der russischen Kunst und Architektur, die mich schon immer begeisterten und die ich nun endlich erleben durfte. Vieles war damals noch in der Phase der Restaurierung nach Jahren der Vernachlässigung - so auch die Tretjakow-Galerie. Das große Museum am Roten Platz war leider permanent geschlossen. Das Kaufhaus GUM hatte mit einem Konsumtempel nicht das Allergeringste zu tun, sondern war in seinem Inneren ein trauriger Ramschladen. Doch barg die Stadt dennoch eine Fülle an kunsthistorischen Kostbarkeiten.
Leider schaffte ich es nie nach St. Petersburg, wo man mit Leichtigkeit ein ganzes Leben in die Erkundung der Schätze der Stadt investieren könnte. So ganz oberflächlich wollte ich es nicht abhaken. Das Reisen im Land war damals auch noch nicht ganz einfach.
Eine Dienstreise führte mich nach Almati, der damals eher trostlos anmutenden Hauptstadt des gerade unabhängig gewordenen Kasachstan.
Drei Jahre vergingen wie im Flug, und mit großer Trauer mußte ich schließlich routinemäßig Moskau und Rußland verlassen. Die Personalabteilung wußte meinen Einsatz zu schätzen und hatte den zutreffenden Eindruck gewonnen, daß ich mich pudelwohl an meinem Einsatzort und dort ganz in meinem Element fühlte.
Rußland hatte sich mir in einer schwierigen Phase von seiner allerbesten Seite gezeigt.
Nun verbindet nicht alle Deutsche persönliche Erfahrungen mit Rußland. Worauf sich jedoch genuine Russophobie gründen sollte, erschließt sich nicht. Sie wurde nur in hohle Köpfe primitiver Individuen gepflanzt, um ihre Ignoranz gegen Deutsche und Russen zu instrumentalisieren.