Vom Schweigen meines Lehrers 27 Jahre nach dem Krieg

in deutsch •  5 years ago 

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Studierdirektor Dr. Alfons Kupper lehrte Geschichte und politische Gemeinschaftskunde an meinem Gymnasium, einer katholischen Privatschule.

Da meine Berufsentscheidung bereits im Alter von 15 Jahren gefallen war, wußte ich, daß diese beiden Fächer für mich von besonderer Bedeutung sein würden. Hoch motiviert und äußerst interessiert beteiligte ich mich sehr aktiv am Unterricht.

Wer nun glaubt, ich sei Lehrers Liebling gewesen, befindet sich gehörig auf dem Holzweg. An meinen fachlichen Leistungen kam Dr. Kupper nicht vorbei und mußte sie nolens volens (zähneknirschend?) gebührend honorieren, was auch erfolgte. Meine damals eher linke Gesinnung, mehr auf einer Art unreflektierter Frontalopposition zu meinem konservativen Elternhaus beruhend als auf wirklicher Überzeugung, brachte mich zwangsläufig alsbald in Konflikt mit dem erzkonservativen Lehrer, einem persönlichen Freud Franz Josef Straußens. Anders, als mein Religionslehrer, der überzeugend vertretene Gegenpositionen mit Höchstnoten belohnte, erwies Dr. Kupper sich als nachtragend. So zumindest empfand ich es. Mir war klar, daß ich mir bei der Überprüfung von Faktenwissen nicht den geringsten Fehler leisten durfte, um meine notenmäßige Spitzenposition zu verteidigen. Mein Lehrer wartete nur darauf, mich vorzuführen. Wo Gesinnung eine Rolle spielte, gerieten wir regelmäßig aneinander, zur Unterhaltung aller anderen, die dann getrost erst einmal eine längere Auszeit nehmen konnten, während wir Streithähne uns ineinander verhakten.

Einer unserer Hauptstreitpunkte war folgender: Wir behandelten die Geschichte von der Steinzeit bis unmittelbar vor das Dritte Reich. Dann kehrten wir wieder um in die Steinzeit. Dort lag sicher noch ein Stein, den wir noch nicht umgedreht hatten. Das erfolgte insgesamt dreimal. Als das Abitur in Sichtnähe geriet, der zweite Weltkrieg aber in unserem Lehrplan noch immer nicht stattgefunden hatte, mahnte ich dies mehrfach an. Erst nach Einschaltung des Direktorates erfolgten einige dürre und hastige Fakten über diese Zeit.
Unser Verhältnis war inzwischen zur Gänze zerrüttet. In politischer Gemeinschaftskunde wurde ich bei der Durchnahme der Ostpolitik als Freund Willi Brandts bezeichnet. Dafür schäme ich mich heute abgrundtief.
In der damals aktuellen Abtreibungsfrage vertrat ich einen sehr progressiven Standpunkt („Ich gehöre mir!“) und verkannte dabei völlig, daß Vorneverteidigung Rückzugsgefechten immer vorzuziehen ist, was viel später Ronald Reagan ähnlich sah mit der Betonung der Bedeutung des „Nein“.

Dr. Kupper war ein gewissenhafter und engagierter Lehrer, der sich Respekt zu verschaffen wußte. Etwas weniger autoritäre Strenge wäre der Vermittlung seiner Botschaft mit Sicherheit sehr zugute gekommen. So aber erfreute er sich breiter Ablehnung bei der Schülerschaft, was seinen Lehrerfolg erheblich beeinträchtigte. Das geriet aber auch den Lernenden zum Nachteil, denn er vermittelte durchaus Wissen auf beachtlich hohem Niveau, was von vielen nicht anerkannt und rezipiert wurde, weil die aufgebaute Aversion gegen seine Person dem entgegenstand.

An der Universität erst erkannte ich den wirklichen Wert seines Unterrichts. Seinem Rat folgend, hatte ich schon früh mit der Lektüre überregionaler Zeitungen begonnen. Dieser Wissensvorsprung brachte mir die Befreiung von der Vorlesung „Volkswirtschaft für Juristen“ ein und verhalf mir zu einem mühelosen Einstieg ins Staats~ und Verfassungsrecht.
Es dauerte noch sehr viel länger, nämlich bis zur Aufnahme meiner Aktivitäten im Rahmen von „Aufbruch - Wir für Deutschland!“, bis ich mir allmählich einen Reim auf das Verhalten meines Lehrers im Geschichtsunterricht machen konnte. Dazu trug auch die Begegnung mit Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof bei, der intensiv über die fragliche Zeit geforscht hat („Der Krieg, der viele Väter hatte“).
Konnte es sein, daß Dr. Kupper vorgezogen hatte, zu schweigen, als etwas Falsches zu vermitteln, weil er das mit seinem Berufsethos als nicht vereinbar erachtete? Konnte er es sich nicht leisten, die Wahrheit zu lehren aus Angst um seine berufliche Stellung? Warum hat er mir gegenüber dies nicht angedeutet? Wenn er es getan hätte, hätte ich es damals verstanden? Fand er den Gedanken schwer erträglich, sich mich mit der falschen Einstellung in der von mir angestrebten Position vorzustellen?
Letzteres verstehe ich heute sehr gut, denn auch ich blockierte später Bewerber für den diplomatischen Dienst, von deren Loyalität zu Deutschland ich nicht überzeugt war.

Leider weilt Dr. Kupper nicht mehr unter uns. Er lächelte nur selten. Doch ich bilde mir ein, wenn er mich heute erlebte, würde es ihm ein Lächeln entlocken. Und ich würde gerne um Entschuldigung bitten. Ich wußte es ja nicht besser. Ein verspätetes Danke hätte ich auch gerne noch ausgebracht.
Man sollte niemanden vorzeitig aufgeben. Manche finden den richtigen Weg zur Wahrheit über Umwege. Ich denke, ich bin noch nicht ganz angekommen, aber ich befinde mich auf dem richtigen Pfad des Zweifelns als Voraussetzung zur Erkenntnis. Und ich habe mich der Wiedergutmachung verschrieben. Versprochen, Dr. Kupper!

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/wissenundtechnik/vom-schweigen-unserer-väter-und-großväter-nach-dem-krieg/ar-BB12sC8M?

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Es gibt Menschen, die glauben, dass wir uns auf der anderen Seite wiedersehen. Also ist das Danke nur aufgeschoben....auch wenn es noch viele Jahre dauern wird. Außerdem bin ich mir fast sicher, dass er es auch so weiß :-)
Du hast eine wundervolle Art zu schreiben. <3

Vielen herzlichen Dank für diesen konstruktiven Trost und die netten Worte. Hoffen wir, daß Du Recht behältst. Sehr lieben Gruß!