Wohnen im Knast

in deutsch •  5 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel vor 35 Jahren: mein erster Aufenthalt hinter Gittern. Auf Zeit gehe ich morgens in den Knast. Abends werde ich in den Freigang entlassen.

Nein, nein! Das ist schon in der korrekten Ablauffolge dargestellt - und nicht etwa versehentlich umgekehrt. Ich befinde mich im Rechtsreferendariat am Oberlandesgericht in Hamburg und leiste in „Santa Fu“ einen Teil meines Referendardienstes. Auf Anregung einer Freundin, die dort als Pastorin arbeitet, lasse ich mich auf diese neue Welt ein. Ich erwarte mir Einblicke, die mir bisher nicht zugänglich sind. In Anbetracht meines ganz anders gearteten Berufszieles, will ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mich einer Erfahrung zu unterziehen, die einmalig bleiben wird (anders als für die Kollegen mit Berufswunsch Strafverteidiger) und mich in eine Umgebung führt, von der ich zwar Vorstellungen habe, die mir jedoch zur Gänze unbekannt ist.

Schon am ersten Tag bin ich überrascht. Die Zellen sind individuell eingerichtet und gestaltet - wie kleine Wohnzimmer. Es fehlt nur an wenig. Es gibt Fernseher, Bilder, Pflanzen, Gardinen (nein, nicht nur die sprichwörtlich schwedischen) und sogar Bestecke mit Gabeln und Messern (!).
Die Gefangenen können, außerhalb der begrenzen Einschlußzeiten, ihre Zellen verlassen und sich frei in den Gängen und den Aufenthaltsräumen bewegen.
Es wird gesungen, gebastelt, gewerkelt, gelesen, diskutiert. Die Stimmung erscheint bestens.
Es dauert nicht lange, und ich komme mit den größtenteils sehr umgänglichen Gefangenen ins Gespräch. Einige laden mich ein zur Besichtigung ihrer Heime auf Zeit.
Mittagszeit im Knast: Das Essen ist köstlich. Sie haben einen Koch geschnappt, und dieser zeigt nun in der Küche, was er so drauf hat. Alle Achtung!
Eine eherne Regel gibt es: Zur Vermeidung des Zoo-Effektes ist eine Frage strikt tabu. Es ist die Frage, die einem am meisten auf der Zunge brennt: „Warum sind Sie hier?“ Doch irgendwann verfallen die Herrschaften in den Plauderton und verraten es ganz von selbst. Der nette und kluge Bibliothekar hat also jemanden auf dem Gewissen. Man ertappt sich bei dem Gedanken, wie die Begegnung mit ihm wohl verlaufen wäre, hätte sie früher und draußen stattgefunden. Die lehrreiche Erkenntnis: Böse Jungs sind auch nette Kerle. Grenzen sind fließend. Clichés geraten ins Wanken. Wir alle weisen die unterschiedlichsten Facetten auf.

Gefängnis - das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt. Ich erfahre dann allerdings auch, daß „Santa Fu“ als der deutsche Musterknast gilt, und alle Gefängnisinsassen nur ein Bestreben haben: Wer nicht ausbrechen kann oder will, möchte hierher „verschubt“ werden, wie es in der Fachsprache heißt.
Dennoch ist eines glasklar: Jeder Bewohner dieses Ortes zöge die Freiheit vor, so nett es hier auch ist.

In Deutschland ist damals noch grosso modo alles im Lot. Zumindest scheint es mir so, denn ich bin fest im System vertaut.

35 Jahre später: Deutschland ist in vieler Hinsicht ein Scherbenhaufen. Nichts ist, wie es scheint; und nichts scheint, wie es ist. Die Gesellschaft ist gespalten. Die Wahrheit ist nur noch mühsam zu verbergen. Demokratie und Rechtsstaat existieren nur noch auf dem Papier. Es gibt das „Recht“ der Machthaber und das der anderen. Eherne Prinzipien gelten nicht mehr, bzw. sind auf den Kopf gestellt. Und sogar ich habe endgültig „gecheckt“, was hier los ist.

Zurück zum Justizvollzug: Es zeichnet sich mittlerweile eine Tendenz ab, besonders unter deutschen Staatsbürgern (Das sind diejenigen, die schon länger hier leben!), die aus dem System gefallen sind in einem potentiell reichen Land, dessen Mittel von den Usurpatoren der Macht veruntreut werden, sich auf freiwilliger Basis im Knast einzunisten. Dort gibt es freie Kost und Unterkunft, medizinische Versorgung, Sicherheit durch Bewachung und sogar Weiterbildungsangebote - Dinge, die in diesem unserem Lande schon lange nicht mehr selbstverständlich sind für alle Angehörigen der indigenen deutschen Bevölkerung. Manche von ihnen begehen gezielt Straftaten und lassen sich bereitwillig dabei erwischen, um in den Genuß eines Lebens in Vollkaskomanier zu kommen.
Was als Strafe gedacht war, wird zum begehrten Modell.

Dies steht nicht nur für das Versagen staatlicher Stellen, bzw. die bewußte Zerstörung des Sozialsystems durch die internen und externen Feinde unseres Landes. Es steht auch für einen Strafvollzug, der so konzipiert und pervertiert ist, daß er die ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllt.
Wenn der Aufenthalt im Knast erstrebenswert und das Leben draußen für viele immer mehr zur Zumutung wird, dann stimmt vieles nicht mehr, um es mal euphemistisch zu formulieren.

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/panorama/zehn-häftlinge-gehen-nach-entlassung-freiwillig-zurück-ins-gefängnis/ar-AAEGlXl?ocid=spartandhp
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