Abschied auf Raten (Meine Oma und die Demenz)

in deutsch •  7 years ago 

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Deine Hände sind ein Symbol der Liebe, der Arbeit und des Lebens.

Du siehst mich an und weißt schon lange nicht mehr, wer ich bin.
Jeden Tag kämpfe ich erneut um deine Aufmerksamkeit und weiß nie, ob dein Kopf im Stande ist, sie mir zu schenken.
Ich kämpfe.
Kämpfe um deine Aufmerksamkeit, dein Gedächtnis, deine Liebe.

Noch ein einziges Mal möchte ich wie früher mit dir reden können.
Ich möchte dir Dinge aus meinem Leben erzählen und wissen, dass du sie auch morgen noch weißt.
Wieder möchte ich dein Wohnzimmer betreten und gefragt werden, wie der neue Job denn nun ist.
Doch wenn ich komme, weißt du glaube ich nicht immer, wer ich bin.

Ich nehme Abschied von dir und das seit 4 Jahren..auf Raten.
Immer mehr von dir verblasst und bald wird nichts mehr da sein.
Du fehlst mir.
Komisch, denn du sitzt ja vor mir.
Du bist physisch da, aber für mich lange nicht mehr greifbar.

Die Momente, in denen ich das Gefühl habe, du kommst zu uns zurück, werden rar.
Und wenn sie kommen, treiben Sie mir Tränen in die Augen und Sorgen für eine unendliche Welle des Glückes.

Du hast mich großgezogen, für mich gekocht, warst immer da.
Nun ist es an der Zeit für dich da zu sein, auch wenn es schwer fällt.

Dich so zu sehen, schmerzt und lehrt mich gleichzeitig so vieles.

Ich wünschte du wärst niemals an der Demenz erkrankt, Oma!

Du fehlst mir, obwohl du da bist.

(Diesen kleinen Text schrieb ich nach dem letzten Besuch bei meiner liebsten Oma)

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Sehr guter, bewegender Text, danke dafür!

Danke dir :)

Als man 300 und noch etwas, beim Kirchenkonzil von Nizea, die größten Lügen aller Zeiten verübte, da radierte man die WIEDERGEBURT aus den Texten aus. Heute gibt es zu diesem Thema sogar gute Forschungen. Es ist so, als ob dieser Mensch in zwei Welten schreitet. Du wirst deine Oma verlieren als auch wiederfinden und dies warscheinlich schon viel zu oft. Deine Liebe, wird sie empfinden. Deine Liebe, ist auch ein Geschenk, an dich selbst. Glaube nicht das Lieben zu können das Normal in dieser Welt ist, von den meisten Kindern eventuelle abgesehen?
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Vielen Dank für dein tolles und durchdachtes Kommentar. Ich glaube fest daran, dass es so sein wird. :) Danke!

Sehr berührend !! ich hatte auch so einen Fall in der Familie - weißt du, wie du Demenzkranken eine große Freude machen kannst ? Frage so öfter nach Dingen, die lange her sind - sie werden auftauen, sich richtig freuen, mit Begeisterung erzählen !!

Mein lieber Stiefopa Heinz, mittlerweile verstorben, war dann immer hellwach, wenn ich ihn 2-3x am nachmittag fragte, ob er in Amerika auch einen Chevrolet gefahren ist. Es war immer eine Freude, wie wach er dann aufeinmal war und seine Augen geleuchtet haben !

Auch wenn sie weit entfernt scheinen, so nehmen Demenzkranke ganz genau die Liebe und Fürsorge wahr !! Sei einfach für deine Oma da - sie merkt es ganz genau!!

Danke für diesen Beitrag - soetwas berührt mich immer wieder !!

Liebe Grüße

Michael

P.S. Bin auch von der Küste - wohne in Oldenburg

Hallo lieber Michael,

Ja das ist erstaunlich. Habe darüber schon einmal eine Dokumentation gesehen. Doch es gibt Tage ( so wie heute) an denen ich kraftlos bin und nicht hinfahren kann. Manchmal muss man sich davor schützen, wenn man eine Wahl hat. Aber morgen werde ich sie wieder besuchen.

Ich versuche das mit ihr auch desöfteren. Besonders taut sie auf wenn sie alte Fotos sieht, da erkennt sie dann doch den einen oder anderen wieder. Sie denkt viel über die Vergangenheit nach. Denkt, dass ihre Mutter noch lebt. Manchmal ist sie wieder mit meinem Vater schwanger oder sieht andere kleine Kinder durch ihr Schlafzimmer laufen.

Manchmal, so wie am Wochenende, da kommt sie zu mir zurück.

Sie lag im Bett, voller Schmerzen. Und ich saß an der Bettkante und habe ihre Hand gehalten. Auf einmal nahm sie meine Hand (wie früher bei Liebeskummer meinerseits) und streichelte sie unentwegt. Als ich dann genau auf unsere Hände schaute, bekam ich Tränen in den Augen.

,,Deern, wenn ich gewusst hätte, dass das alt werden so schlimm sein kann."

Das war ein Moment, in dem sie wieder ganz da war. Auch wenn er nur kurz war. Es sind die Kleinigkeiten, die auch dich noch heute bewegen. Aber genug gefaselt, darüber könnte ich stundenlang schreiben...

Aber toll, dass du ähnliche Erfahrungen machen durftest. Ich empfinde die Erkrankung auch auf der einen Seite als eine Art Bereicherung für mich als Mensch.

Oldenburg :) Na da fahre ich jedes Wochenende auf meinem Weg nach Fehmarn vorbei :)

Liebe Grüße und danke für dein Kommentar und das Lesen meines Beitrages.

Ich hab vor viiielen Jahren als Zivi Menschen in dieser letzten Phase begleitet, schon in den "nur" 20 Monaten war ich quasi live dabei, wie sich das Bewußtsein verabschiedet hat.
Das war eine anstrengende Zeit, aber die "Distanz", daß es keine Familienangehörigen sind, hat mir geholfen.

Interaktion war schwer bis unmöglich, aber es gab immer mal wieder ein unerwartetes Aufflackern, das jedes Bemühen gerechtfertigt hat.

Ja ich glaube dir, dass das schwer mit anzusehen ist. Mir geht es auch immer ans Herz, wenn sich die Seele des Menschen, sein ganzes Sein verabschiedet. Und das nach und nach. Ich bin ,,froh", das meine Oma aus der Phase raus ist, in der sie den Verfall bewusst mitbekommen hat.

Und genau so wie du es beschreibst ist es. Jedes Aufflackern gibt uns allen neue Kraft.

Danke für dein Kommentar :)

Bei meiner einen Oma geht es ungefähr schon genauso lang, vielleicht auch ein Jahr länger, nur daß ich aufgrund der Entfernung und meiner Finanzen sie gar nicht wirklich mit der Demenz erlebt habe und wohl auch nicht mehr erleben werde. Ich ärgere mich, sie nicht vorher über vieles ausgefragt zu haben, hat sie doch nicht nur den 2. Weltkrieg und eine Flucht, sondern auch die komplette Zeit der DDR erlebt.

Letztens hatten wir eine alte Dame zu transportieren, die uns als "ziemlich dement" übergeben wurde. Da ich die Dritte auf dem Wagen bin, sitze ich fast immer hinten beim Patienten, so auch dieses Mal. Ich hielt ihre Hand und wir redeten. Und ich gewann den Eindruck, daß sie schon noch zeitlich und bzgl. ihrer Verwandtschaft orientiert war.

Es ist schlimm und ich kenne deine Art des Ärgerns zu genüge. Auch ich habe das, wenn ich mal wieder nicht die Kraft übrig habe um sie zu besuchen. Man hat ein schlechtes Gewissen. Da gibt es auch kaum einen Rat für dich. Es ist schade, dass du sie nicht besuchen kannst.

Bei mir ist es zum Glück so, dass meine Großeltern ein Buch von mir bekommen haben.

,,Erzähl mal Opa und Erzähl mal Oma"

Da steht alles haarklein drin. Zum Glück habe ich damit einen Großteil ihres Lebens von ihnen niedergeschrieben bekommen.

Ich glaube der Begriff der Demenz wird immer populärer und wird gerne um sich geschmissen, auch wenn es häufig nicht zutreffend ist. Und auch ich ertappe mich im Praxisalltag gelegentlich dabei wie ich denke:

,,Mensch, was ist denn bloß mit dem Patienten los? Ist das der Beginn einer Demenz?"

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alle in die ,,Demenzschiene" drücken. Denn so Erfahrungen, wie du sie gemacht hast, habe ich auch schon machen müssen. Die Hand halten und reden ist das Wundermittel bei Demenzkranken. Berührungen sind unendlich wichtig.

Toll dass du diesen Job ausübst! Respekt und ein Job, der wirklich aller Dankbarkeit bedarf! Was wären die Patienten und Hausärzte ohne euch? Das muss auch einmal gesagt werden!

Liebe Grüße an dich! :)

Nicht Job, nur Praktikum. Ich bin ehrenamtlich beim Roten Kreuz.

Nur? Das ist ja noch löblicher! Toll wirklich!

Naja letzten Endes spielt es für mich keine Rolle ob du es ehrenamtlich machst oder aus anderen Gründen. Ich finde den Beruf toll und habe Respekt vor allen, die dafür sorgen, dass uns schnell geholfen wird.

Ich wünsch dir auf jeden Fall ein dickes Fell und gaaanz viel Kraft für deine Ausbildung. Ich zumindest glaub an dich (und bestimmt noch viele andere Menschen). :)

Das mit der Ehrenamtlichkeit ist nur die halbe Wahrheit. Ich bin von der Qualifikation her Rettungs(dienst)helfer und mache gerade die Praktika, um irgendwann in den nächsten 5-6 Jahren den Rettungssanitäter zu machen. Also 160 Stunden auf dem RTW bzw. im Krankentransport. 6 von 14 Schichten zu 12 Stunden habe ich schon hinter mir, den Großteil des ebenfalls notwendigen Krankenhauspraktikums auch.
Bisher war ich nur ehrenamtlich auf Veranstaltungen als Sani dabei.