Recht einfach #6: Das Plädoyer des Staatsanwalts - Lammbock ist nervös!

in deutsch •  6 years ago  (edited)

Morgen darf (muss) ich zum ersten mal den staatsaltschaftlichen Sitzungsdienst übernehmen. Das bedeutet: in einem echten Verfahren bin ich der Staatsanwalt. Deswegen bin ich schon ziemlich nervös, schließlich geht es für den Angeklagten um etwas sehr Wichtiges!

Der wichtigste Teil wird wohl das Plädoyer sein. Vermutlich kennt ihr das schon ein bisschen aus dem Fernsehen, trotzdem will ich heute ein bisschen davon erzählen:

Das Plädoyer des Staatswalts ist für diesen der letzte Teil der Verhandlung. Mit ihm würdigt er die Tat, die Beweise und beantragt schließlich eine Strafe oder einen Freispruch.

I. Feststellung des Sachverhalts

Zunächst stellt der Staatsanwalt fest, von welchem Sachverhalt er ausgeht. Das ist natürlich die Grundlage für alles Folgende.

II. Beweiswürdigung

Dabei muss er begründen, warum er von diesem Geschehen überzeugt ist. Das bedeutet, er muss z.B. ein Geständnis oder Zeugenaussagen würdigen. Gab es ein Geständnis? War der Zeuge glaubwürdig und seine Aussage glaubhaft? Widersprechen sich verschiedene Beweismittel vielleicht?

III. Rechtliche Würdigung

Ausgehend vom Sachverhalt stellt er dann fest, ob und wie sich der Angeklagte strafbar gemacht hat. In den meisten Fällen ist das ziemlich einfach. Es kann aber auch Fälle geben, in denen die rechtliche Bewertung schwierig sein kann.

IV. Strafzumessung

a) Festlegen des Strafrahmens

Ausgangspunkt ist dabei der Strafrahmen des verletzten Straftatbestandes.

Beispiel: Diebstahl => Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe

Sofern es besondere Strafschärfungen (z.B. besonders schwerer Fall) oder Strafmilderungen (z.B. verminderte Schuldfähigkeit) muss man diese hier anwenden.

In unserem Fall gehen wir mal davon aus, dass es hierzu nichts gibt. Es bleibt also beim oben genannten Strafrahmen.

Wenn der Täter mehrere Delikte verwirklicht, kann sich dieser Strafrahmen verschieben. Das ist allerdings etwas komplizierter, da es darauf ankommt, in welchem Verhältnis diese Delikte zueinander stehen.

b) Abwägung unter allen Gesichtspunkten

Hier müssen alle Punkte aufgezählt werden, die für und gegen den Angeklagten sprechen.

Zu Gunsten des Angeklagten sprechen z.B.:

  • ein Geständnis
  • Reue
  • straffreies Vorleben
  • Schadenswiedergutmachung
  • geringer Beutewert
  • usw.

Zu Lasten sprechen z.B:

  • Vorstrafen
  • Rückfallgeschwindigkeit
  • bleibende Schäden beim Opfer
  • Begehung mehrerer Delikte tateinheitlich
  • Uneinsichtigkeit
  • usw.

c) Festlegung der Strafart

Sofern man (wie bei unserem Beispiel Diebstahl) die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe hat, muss man diese jetzt treffen. Bei kleineren Delikte eines Ersttäters gibt es fast immer eine Geldstrafe, während Wiederholungstäter irgendwann auch bei kleineren Delikten eine Freiheitsstrafe bekommen können.

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(Die Todesstrafe ist in Deutschland bekanntlich abgeschafft. Vermutlich werde ich eine solche morgen also nicht beantragen.)

d) Festlegung der Strafhöhe

In diesem Schritt bestimmt man, wie hoch die beantrage Strafe sein soll. Dabei zieht man den oben festgestellten Strafrahmen heran und überprüft anhand der oben genannten Strafzumessungsgesichtspunkten, welche Strafe tat- und schuldangemessen ist.

V. Bei Freiheitsstrafen: Prüfung, ob Strafaussetzung zur Bewährung

Kernpunkt dieser Prüfung ist, ob eine günstige Sozialprognose besteht. Es kommt also darauf an, ob man erwarten kann, dass sich der Angeklagte von der Strafe allein genug beeindrucken lässt, um zukünftige Straftaten zu unterlassen. Laien haben manchmal den Eindruck, dass eine Bewährungsstrafe fast so etwas wie ein Freispruch ist, weil der Angeklagte nicht (zwingend) ins Gefängnis muss. Dass ist aber nicht so. Die Konsequenzen der Bewährung:

  • man ist vorbestraft (ab einer Strafe von mindestens 3 Monaten)
  • man muss gewisse Auflagen erfüllen (z.B. Drogentest, regelmäßiger Kontakt mit einem Bewährungshelfer, Sozialstunden, ...)
  • wenn man innerhalb der Bewährungszeit wieder straffällig wird, kann die Bewährung widerrufen werden und man muss die Zeit tatsächlich im Gefängnis verbringen

Besonders bei Jugendlichen und Ersttätern macht eine Bewährungsstrafe absolut Sinn. Nichts macht einen Menschen so sehr zum Kriminellen wie ein Gefängnisaufenthalt. Das Gefängnis ist sozusagen die Schule für Verbrechen. Daher sollte man immer prüfen, ob nicht eine Bewährungsstrafe noch ausreicht.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung ist nur für Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren möglich.


  • Das Plädoyer soll dem Angeklagten zeigen, wie man seine Handlungen bewertet und auch eine mögliche Strafe verständlich machen. Insofern hat es auch eine gewisse pädagogische Wirkung. Besonders bei Jugendlichen ist dabei auch einiges an Fingerspitzengefühl nötig.

  • Der Richter ist in nicht an das Plädoyer gebunden. Er kann auch eine geringere oder sogar höhere Strafe verhängen.

  • Auch wenn manche das meinen, ist es nicht die Aufgabe eines Staatsanwalts, eine möglichst harte Strafe durchzusetzen. Das Ziel soll eine gerechte Strafe sein. Sofern Staatsanwälte sich also mit ihren "Erfolgen" brüsten, ist das oft bedenklich.

  • Ich habe hier stets die männliche Form "Staatsanwalt" verwendet. Tatsächlich gibt es aber wohl mehr Staatsanwältinnen. Bei dem Gericht, bei dem ich bin, sind sogar 90 % Frauen!


So, das war endlich mal wieder eine Ausgabe von "Recht einfach". In Planung ist momentan noch eine Folge zur Religionsfreiheit. Wann ich diese fertigstellen kann, weiß ich aber noch nicht. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, habe ich dazu keinen festen Zeitplan. Sofern ich also wie momentan viel zu tun habe, kann das schon etwas dauern.

Solltet ihr hierzu oder zu anderen rechtlichen Themen Fragen habe, dürft ihr diese aber natürlich trotzdem wie immer gerne stellen! :)

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Bei all den Aspekten die zu beachten sind ist es ja sehr angenehm, dass der Angeklagte in deinem ersten Fall so pflegeleicht war 😋

Hab ein schönes wohlverdientes Wochenende!

  ·  6 years ago (edited)

Ja, das stimmt. Ich konnte zum Glück anhand eines Formblattes zumindest die Grundstruktur mehr oder weniger ablesen.
Ich finde es übrigens gut, dass die Erklärung, wie die Strafe zustande kommt, so ausführlich ist. Sowohl der Angeklagte als auch die Öffentlichkeit sollten die Strafe ja auch verstehen.

Wenn man in der Zeitung nur von der Strafhöhe liest, weiß man meist nicht, welche Aspekte für die Abwägung verwendet wurden. Das trägt vermutlich auch dazu bei, dass manche Strafen für den Laien nicht nachzuvollziehen sind.

Danke, wünsch ich dir auch :)

Wenn man in der Zeitung nur von der Strafhöhe liest, weiß man meist nicht, welche Aspekte für die Abwägung verwendet wurden. Das trägt vermutlich auch dazu bei, dass manche Strafen für den Laien nicht nachzuvollziehen sind.

Das stimmt! Als Außenstehender weiß man ja eher selten, was im Inneren geschieht und gerade bei so etwas stellt sich mir dann auch häufiger die Frage, wie das Ergebnis zustande kam.
Gibt es die Möglichkeit für normale Bürger solche Begründungen für Verurteilungen einzusehen oder müssen wir uns einfach mit dem Urteil zufrieden geben?

Als "Öffentlichkeit" hat man als Bürger grundsätzlich das Recht, die Verhandlungen zu besuchen. Dort erfährt man durch das Plädoyer des Staatsanwalts und vor allem der Begründung des Richters, warum die Entscheidung so ausgefallen ist.

Man kann das aber normal auch später nachlesen: in den Urteilsgründen müssten die genannten Punkte auch behandelt werden, also z.B. Abwägungen für die Strafzumessung usw. Das Urteil muss man allerdings oft erst suchen.

Ich fände es schön, wenn diese Gründe öfter auch in entsprechenden Zeitungsartikeln genannt würden. Dann gäbe es vermutlich etwas weniger Beschwerden über die Entscheidungen der Justiz. Allerdings ist ein reisserisches "Nur eine Bewährungsstrafe für gefährliche Körperverletzung!" wohl leichter zu verkaufen als eine ausgewogene Darstellung...

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Danke für deinen Beitrag. Das nimmt die Angst vorm Ref 😃.
Ich wünsche dir viel Erfolg!

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Ich kann nur wiederholen, dass mir das Ref Spaß macht! :)

Auch wenn ich nervös bin, bin ich doch auch froh, morgen diese Gelegenheit zu haben. Bei uns hatte man die Wahl zwischen Staatsanwaltschaft und Strafrichter für die Strafstation, wenn man also den Sitzungsdienst vermeiden wollte, konnte man das auch. Aber da ich eh überlege, in den Staatsdienst zu gehen, wollte ich das schon mal erleben.

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Da beneide ich Dich nicht.Letztendlich kannst Du nie sicher sein was wirklich passiert ist - außer Du wärst Augenzeuge der Tat gewesen - und ob das, was Du beantragst, auch gerechtfertigt ist.
Aber, wenn das Dein Job ist... mach das Beste draus.

Ja, oft ist es wirklich nicht einfach. Aber wenn der Täter geständig ist, und sich diese Aussage mit möglichen Zeugenaussagen deckt, kann man sich schon relativ sicher sein.

Deshalb wirkt sich ein Geständnis auch immer positiv für den Angeklagten aus, wobei es besser ist, wenn es schon früh kommt und nicht erst dann, wenn der Täter endgültig überführt ist.

Trotz Geständnisses muss man aber natürlich noch überlegen, ob das auch wirklich so gewesen sein kann. Hin und wieder kommt es vor, dass ein unschuldiger Angeklagter gesteht, weil er aufgrund erdrückender Beweise nicht mehr mit einem Freispruch rechnet und er so zumindest eine geringere Strafe (z.B. Bewährung) erwartet.

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Es ist eine große Verantwortung, denn es geht ja um die Zukunft von Leuten, aber auch Gerechtigkeit (soweit möglich) den Opfern gegenüber.
Und wie gesagt, Du weist es ja nie (oder zumindest selten) genau was passiert ist. Du hast die Ermittlungsergebnisse der Polizei (die leider nicht immer so auf zack sind wie im TV Krimi), Zeugen die gewollt oder ungewollt ungenaue Aussagen machen oder glatte Lügen auftischen, Indizien die in die Irre führen können, und vieles mehr.
Wenigstens gibt es hier keine Geschworenenprozesse. Oder die Todesstrafe. Trotzdem, viel Freunde macht man sich in dem Job wahrscheinlich nicht.

Hi Thomas, das war wieder total interessant und gut geschrieben. Für morgen alles Gute. Lieben Gruß Alexa

Vielen Dank! Freut mich, wenn es dir gefällt :)

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Ich wünsche dir gutes gelingen, das Kind schaukelst du schon.^^ Interessante Einblicke gewährst du uns. Liebe Grüße
Alucian

Danke :)
Ja, im Schlimmsten Fall verhaspel ich mich halt mal. Nervös bin ich aber trotzdem :D

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Das machst du schon, mir würde eher Sorgen machen, wenn du nicht nervös wärst. Deine Kollegen und die Richter sind bestimmt auch nachsichtig. Ein erstes mal, gibt es schließlich immer wieder. :-)
Vielleicht magst ja erzählen wie es war. Salve und Daumen gedrückt. Sascha

Du hast einen Vote von @portalvotes bekommen.

… in einem echten Verfahren bin ich der Staatsanwalt. Deswegen bin ich schon ziemlich nervös, …

Hallo @lammbock, das kann ich gut verstehen, schließlich wird nachfolgendes Wissen nicht gelehrt.

Person tötet Mensch! Teil 1

Person tötet Mensch vor Gericht! Teil 2

Wie siehst Du das, wenn Menschen mit diesem Trick letztendlich als Sache am Gericht behandelt werden?

Puh, ich hab mal an mehreren Stellen kurz reingehört und muss sagen, dass das rechtlich ziemlicher Unsinn ist. Für länger hatte ich weder Zeit noch Lust.

Nein, Menschen werden vor Gericht nicht als Sachen behandelt. Das wäre natürlich nicht zulässig.

Zu Menschen und Personen:
Menschen sind natürliche Personen. Daneben gibt es noch juristische Personen. Wenn das Gesetz den Begriff "Person" verwendet, können also (je nach Kontext) z.B. auch Kapitalgesellschaften gemeint sein. In den meisten Fällen des StGBs wird Person und Mensch schlicht synonym benutzt. Dazu kannst du auch mal ins BGB schauen, ganz am Anfang im 1. Buch heißt der erste Abschnitt "Personen", der erste Titel "Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer". Definiert ist es nicht direkt, was eine natürliche Person ist. Aus § 1 BGB lässt sich aber schließen, dass der Mensch gemeint ist.

In über 100 Jahre Gesetzgebung ist begrifflich manches inkonsequent oder ungenau geschehen. Nicht alles hat einen tieferen Sinn. Manche interpretieren aber in solche Begriffe irgendetwas, um so ihre eigenen Überzeugungen zu "begründen" ;-)

Ich weiß nicht, ob das auch in diesen Videos herangezogen wird, aber wird irgendetwas mit Art. 10 I EGBGB begründet? Zumindest habe ich mal was in die Richtung gelsen. Ist aber natürlich Unsinn. Art. 10 I EGBGB regelt nur das Namensrecht. Also welcher Staat die Regeln über Namen festlegen darf. So gibt es in Deutschland z.B. maximal Doppelnamen. Dreifachnamen sind (soweit ich weiß) nicht zulässig.

Ich habe es selbst bei einer Verhandlung gesehen, dass ein Angeklagter z.B. gesagt hat "Ich bin nicht der Herr XY, sondern der Mensch XY aus dem Hause Z". Was auch immer er mit dieser Aussage bezweckt hat, juristisch ist das nur eines: totaler Unsinn.

Falls du übrigens versuchen solltest, keine natürliche Person mehr zu sein, muss ich dich enttäuschen: Das kannst du nicht. Zumindest nicht solange du lebst :)

(Tut mir Leid, dass ich so einen deutlichen, abwertenden Begriff wie "Unsinn" verwende. Das ist eigentlich nicht meine Art, da ich mir gerne auch alternative Ansichten anhöre. Allerding ist das Ganze für Juristen ähnlich wie es für Mediziner wäre, wenn jemand Krebs wegtanzen will. Oder wenn jemand mit einer Nerfgun ein Flugzeug vom Himmel schießen wollte. Es ist absurd, irgendwie witzig und vor allem unverständlich, dass das jemand wirklich ernst nimmt. Das soll jetzt aber kein Angriff gegen dich persönlich sein.)

Puh, ich hab mal an mehreren Stellen kurz reingehört und muss sagen, dass das rechtlich ziemlicher Unsinn ist. Für länger hatte ich weder Zeit noch Lust.

Hallo @lammbock, dann nimm Dir doch mal die Zeit und sehe Dir die Videos der Reihe nach an!

Nein, Menschen werden vor Gericht nicht als Sachen behandelt. Das wäre natürlich nicht zulässig.

In den Videos wird verständlich erklärt, warum in der SACHE verhandelt wird.

Bin gespannt auf Deine Antwort, nachdem Du die Videos gesehen hast und dem Ergebnis von der NICHT ERÖFFNETEN Verhandlung, etc.

  ·  6 years ago (edited)

Momentan habe ich dafür nicht die 2 Stunden, die ich für die Videos benötige. Wenn sich das ändert und ich dran denke, werde ich sie mir aber wohl mal ansehen, um herauszufinden, wie sie das Ganze begründen. Vielleicht finde ich so heraus, an welchem Punkt sie juristisch "falsch abgebogen" sind. :)