Spätestens Mitte Oktober stehen sie wieder auf allen Bahnhöfen der Stadt: die Verkäufer von künstlichen Mohnblüten zum Anstecken. Zwei Drittel der Menschen in der Stadt laufen mit der Blüte am Mantel oder der Jacke durch die Gegend. Mohnblüten im November?
Nun, die Mohnblüte ist Symbol für das Ende des 1. Weltkriegs am 11.11.1918. Der Tag selbst wird hier auf der Insel auch Remembrance Day genannt. Eingeführt wurde er von King George V. im Jahre 1919, um der Gefallenen im Krieg zu gedenken.
Der Legende nach schrieb der kanadische Offizier John McCray das Gedicht „Auf Flanderns Feldern“. Ein Professor an der Universität Georgia las das Gedicht und schrieb darauf ein eigenes Gedicht, „Wir sollten den Glauben aufrechterhalten“, und schwor, jedes Jahr eine rote Mohnblüte zu tragen, um an den Tag zu erinnern. Soweit zu den lyrischen Hochleistungen, die ihren Weg von Amerika nach Europa fanden. Im Britischen Empire, wenngleich leicht geschrumpft nach dem 1. Weltkrieg, gab es die richtigen Spin Doctors, diese Sitte zu verbreiten. Dabei soll die rote Farbe der Mohnblüte, die auf den Feldern in Flandern während des Krieges blühte, an den Blutzoll im Krieg erinnern.
Heute ist dieses Gedenken allerdings weniger auf die Grausamkeiten, Toten und Verbrechen gerichtet, die im 1. Weltkrieg verübt wurden, als vielmehr auf alle, die für das Empire gefallen sind. Und da wird es natürlich etwas unappetitlich. Nicht zuletzt, wenn man daran denkt, was vom Empire und seinen Politikern in den letzten 150 Jahren in der Welt angerichtet wurde. Wer sich etwas damit auskennt, der wird wissen, dass Indien nicht freiwillig zum Empire übergetreten ist, genauso wenig, wie die Vorgänge am Persischen Golf und in Palästina nicht auf sich selbst zurückgehen. Der Balfourt Plan stammt von einem britischen Politiker, ebenso wurde den Arabern ein eigener Staat versprochen, wenn sie den Kampf gegen das Osmanische Reich unterstützen. Teile und herrsche. Versprechungen, die nicht die Luft wert sind, die beim Aussprechen dieser Versprechungen bewegt wird. Erinnert das an irgendetwas? Kurden, die gegen den IS kämpfen und ihre eigenen unabhängigen Gebiete bekommen sollen? „Freiheitskämpfer“, die als reine Demokraten eine Diktatur in Syrien stürzen sollen?
So versuchen es die Qualitätsmedien zu vermitteln. Der Krieg gegen die Bevölkerung im Jemen wird gar völlig ausgespart. Nur wenige unabhängige Kanäle auf YouTube und Seiten im Internet berichten über diese Vorgänge.
Nun, das alles sind ja nur rechtsradikale, antisemitische und geschichtsvergessene nicht richtig recherchierte Verschwörungstheorien und -theoretiker, die nur eins zum Ziel haben: Mittels Schwächung der Demokratie in den werteorientierten westlichen Ländern Putin dort an die Macht kommen zu lassen, nachdem Faschisten für eben jenen Diktator die Macht gesichert haben.
Die rote Mohnblüte ist wirklich eines der schönsten Beispiele dafür, wie Verblödung funktioniert, eine eingeseifte Gesellschaft nicht über die wahren Hintergründe (auch für den ersten und zweiten Weltkrieg) nachdenkt und propagandistisch in die gewünschte Richtung gelenkt wird. Da ist es schon ein klares Zeichen, wenn ein Fußballer eine klare Meinung zeigt. Nemanja Matic, Mitglied der serbischen Fußballnationalmannschaft und Spieler bei Manchester United weigerte sich bei einem Spiel seiner Vereinsmannschaft, eine Mohnblüte zu tragen, die man ihm auf sein Trikot geklebt hatte. Auf seine Frage, was diese Mohnblume an seinem Trikot solle, antwortete man ihm, dass es darum ginge, britische Soldaten zu ehren, die bei Nato-Missionen ums Leben gekommen seien. Seine Antwort: „Ihr habt mein Land bombardiert. Ich werde das auf keinen Fall tragen. Wenn nötig, bin ich bereit, den Club und England sofort zu verlassen.“
Chapeau!
In Deutschland wohl kaum von einem der Profispieler zu erwarten. Da zieht man lieber den Schwanz ein und macht, was gesagt wird. Ähnliches gilt für die meisten Künstler, seien es Musiker, Maler oder Schriftsteller.
Vor dem Tower of London hatte man vor einigen Jahren die gesamte Rasenfläche mit Mohnblumen gefüllt, um an den Ausbruch des 1. Weltkriegs zu erinnern. In diesem Jahr stellte man tausende von Öllampen auf, die am Abend brennen. Für diesen Artikel wollte ich eben schnell zum Tower und ein Foto machen. Was ich antraf war eine völlig verblödete Menge, die scheinbar noch nie zuvor Lampen hat leuchten sehen. Es war ein Spektakel, mehr Handys, als Menschen, man hätte denken können, es gäbe etwas umsonst.
Die meisten wussten wahrscheinlich nicht, wozu diese Propaganda-Show abgezogen wird. Hätte man eine große Quietsche-Ente die Themse hinunterschwimmen lassen, wäre das für die Menge genauso entzückend gewesen. Es gab mal eine Zeit, da hätten Leute in Anlehnung an eine solche Aktion am Tower wenigsten noch für Frieden demonstriert und eine klare Meinung gezeigt. Heute ist es einfach nur noch dummer Volksverblödung und unterirdisches Entertainment zu einem Tag, der eigentlich zum Nachdenken anregen sollte...