Hallo Freunde,
ich habe folgende Gedanken eine Weile lang konstruiert und möchte sie in geballter Form veröffentlichen. Sie sind Teil einer Seminararbeit, sollten aber keinesfalls als solche angesehen werden. Auf Literaturverweise möchte ich hier ebenfalls verzichten und der Text soll als philosophische Anregung dienen. Ich werde versuchen, das sehr abstrakte Thema möglichst anschaulich zu formulieren. Sollten dir gewisse Begriffe oder Ausführungen nicht klar sein, bitte ich dich darum, einen Kommentar da zu lassen.
Ich möchte im Folgenden zeigen, wie durch den sogenannten Weltentzug eine stete Arbeit an sich selbst möglich ist. Die Idee der Abschottung von äußeren Einflüssen soll einen übermäßig mentalen Weg der Menschwerdung beschreiben. In unseren postmodernen Zeiten ist es schwierig, ausschließlich an sich selbst zu arbeiten und sich mental von Gruppen- oder Kommunenideologien abzuschotten. Werbung, Medien und die Angst, im Leben zu versagen, macht es uns umso schwieriger, einen Weg der Selbstfindung einzuschlagen. Ich möchte also eine philosophische Betrachtung des Menschwerdungs-Prozesses und den Weg zur Glückseligkeit beschreiben. Der Weltentzug dient dabei als zentrale Maßnahme. Sich der Welt zu entziehen bedeutet fürs Erste, sich aufzuopfern. Was der Weltentzug allerdings nach sich zieht, versuche ich hier in Worte zu fassen.
Was bedeutet es, sich der Welt zu entziehen?
Die Welt sei in diesem Kontext all jenes, was sich außerhalb unseres Körpers und damit außerhalb unseres Abhängigkeit-Bereichs befindet und stattfindet. Innerhalb unseres Körpers existiert ein Ich. Dieses Ich kann klare Formen annehmen und ist doch ständig im Wandel. Das Ich nimmt zum Beispiel verschiedene Identitäten an und lässt sich die meiste Zeit über von der äußeren Welt formen. Sinneserfahrungen, Eindrücke, Emotionen und unsere daraus resultierenden Gedanken sind identitätsstiftende Prägungen, die unser Ich rund um die Uhr erfährt. Wollen wir uns der Welt also entziehen, dürfen wir uns auf unser Ich keinesfalls beschränken – es ist schließlich nur der Empfänger der äußeren Welt. Viel eher gilt es, ein Bewusst-Sein zu entwickeln, welches über dem Ich steht. Die Abkehr vom Ich nenne ich hier den “Inneren Zeugen”. Sich weg vom Ich in die Rolle des inneren Zeugen zu versetzen bedeutet, sich als den bloßen Beobachter seines Ichs bzw. seiner Gedanken, Eindrücke und Emotionen zu erkennen. Die Vollendung des Weltentzugs-Prozesses schließt also in der Selbsterkenntnis als Zeugen bzw. Beobachter. Erst so sind wir in der Lage, uns mental unabhängig von der äußeren Welt zu machen – nicht mehr nur zu re-agieren, sondern zu agieren. Der Prozess erfordert allerdings die stete Arbeit an sich selbst und geht mit großem Verzicht einher.
Die Weltentzugs-Praxis
Die Abkehr vom Äußeren, der Rückzug ins Innere resultiert nicht ohne Weiteres im Beobachter-Bewusstsein. Das Ich steht uns die ganze Zeit als Hürde gegenüber. Die Abkehr von medialen Einflüssen hat zunächst innerhalb des Selbsterkenntnis-Prozesses keine verheerenden Auswirkungen – möchte ich behaupten. Der Entzug von sozialen Beziehungen allerdings scheint bereits um Weiten schwieriger zu sein, genauso sind Einflüsse über die Sinnesorgane größtenteils nicht vermeidbar. Im Lernprozess der Abschottung durch beispielsweise den Verzicht auf übermäßigen Genuss und das Sich-Entgegenstellen zum Hedonismus erfordert zunächst das Opfern seiner Empfindsamkeit. Eine gewisse Abstumpfung geht mit dem Weltentzug einher, die sich aber, sobald im Prozess eine Ende sichtbar wird, wieder lüftet.
Das Sich-Verschließen birgt eine stete Arbeit an sich selbst mit dem Zweck, sich nicht durch außen, sondern sich von innen selbst zu gestaltet. Nach einigen Weltentzugs-Übungen wird sich eine gewisse Attraktion im Inneren aufstellen, zu der sich unser Ich zeitweilig angezogen fühlt. Dieser Attraktor manifestiert sich in der mentalen Idee, alles Vergangene hinter sich zu lassen und endet nicht selten in einem Empfinden von Ekel, sobald Äußeres versucht, an das Ich heranzukommen. Das Ich ist damit hin- und hergerissen zwischen nicht vermeidbaren, möglicherweise auch notwendigen Außenfaktoren und seiner Sehnsucht nach Abschottung zugleich. Die zwei Pole veranlassen zunächst die Auflösung unserer Identität – mit dem Nebeneffekt eines mentalen orientierungslosen Schwindelgefühls.
Die Lichtung
Das Ich wird vom Inneren und Äußeren hin- und hergerissen – es wird gespalten. Nicht Wenige werden am Streit der beiden unvereinbaren Pole so etwas wie depressiv. Identitätsverlust und Orientierungslosigkeit sind die Folgen – das Leben scheint auf unsicheren Wegen zu sein. Das Verweilen in dieser Position hat aber spätestens dann ein Ende, wenn wir uns an unsere Anfangsmotivation erinnern. Die Arbeit an uns selbst war anfangs zunächst durch die Abschottung eine Entrückung unseres mentalen Zustandes aus dem Gewöhnlich, dem Geheuren ins Ungewöhnlich, dem Un-Geheuren. Durch die Entrückung ins Un-Geheure üben wir uns selbst darin, Arbeit an uns zu verrichten. Der anfängliche, innere Attraktor des Ichs nahm dabei die Form eines Lehrers an, der uns lehrte, uns vom Äußeren abzuschotten. Doch da nach einiger Zeit der praktische Weltentzug zu Gewohnheit geworden ist, bedarf es einer neuen Herausforderung, eines neuen Lehrers, der uns erneut Arbeit an uns selbst verrichten lässt. Der Weltentzugs-Prozess ist im Gesamten also ein einziger Arbeitsaufwand im Sinne der Übung, sich aus dem Gewohnten zu entrücken. Die ständige Entrückung bleibt damit ein Übungssystem, das wir auf die Fortsetzung unseres Selbsterkenntnis-Prozesses anwenden können.
Die Abgründe der Religion
Religionen sind ebenfalls Übungssysteme, wie es der beschriebene Weltentzugs-Prozess ist. Ein Lehrer, in dem Fall Gott, stellt sich als vertikale Macht über uns und wirkt wie der innere Attraktor – möchte man meinen. Der Gott der Religionen manifestiert sich auf kurz oder lang jedoch im Glauben, der versucht, uns aus der material-gebundenen Welt ins Transzendale, ins Ungewisse zu entrücken, wie es das eigentliche Ziel der Selbsterkenntnis ist. Die Übungssysteme der Religionen führen allerdings nicht zum gewünschten Ziel, sondern ziehen uns wieder zurück in die Welt. Religionen funktionierne nicht, da sie uns im Hin- und Hergerissen-Sein zwischen Welt und transzendaler Welt eine Lösung in Form des Glaubens anbietet. Glaube soll hier heißen: Gott begegnet uns nicht mehr im Inneren unseres Selbst, sondern in Form einer institutionierten Übungssystem, der Kirche und deren Repräsentanten. Gott lässt sich dann nur noch außerhalb bzw. innerhalb einer Glaubensgemeinschaft finden, die uns die stete Arbeit an uns selbst durch gewisse Beschränkungen und Ablenkung verweigert.
Die Lichtung die sich im Streit zwischen Innen und Außen, Geheurem und Ungeheurem auftut kann deswegen keine Religion sein. Es kann auch keine kommunitaristische, sozialtheoretische Anthropologie sein, genauso wenig wie es der Staat, der Markt oder sonst irgendeine Ideologie sein kann, die uns die Arbeit an uns selbst durch Weltentzug gestattet. Von der Vertikalen kann nur der innere Zeuge sein, der uns aus unserem natürlichen Verlorensein durch den Streit zwischen Außen und Innen zu erlösen vermag.
Unser Bewusstsein also über das Ich hinweg zu entrücken, ist dasjenige Ziel, das den Menschen zur Glückseligkeit geleiten kann – zur Abkehr allem Negativen. Das Erreichen dieses Ziels stellt sich in buddhistischen Lehren als das Nirwana heraus – die vollkommene Ablösung seines Bewusstseins von der zwiegespaltenen Welt und des Ichs, das ohnehin nicht ewig währt.
Der Weg zur Lichtung oder: Die Kunst des Verzichts
Die Übung, sich der Welt zu entziehen ist spätestens dann abgeschlossen, wenn das Sich-Entrücken keine Herausforderung mehr darstellt. Das Ausfindigmachen einer adäquaten Übung jenseits der Ideologien ist also die Aufgabe. Es sei gesagt, dass das vollkommene Erreichen der Lichtung in Form des Beobachter-Bewusstseins nie ganz abgeschlossen werden kann. Einige Individuen wie der Buddha scheinen da die Ausnahme zu bilden. Viel eher ist das Weg der Ziel: Die Arbeit an sich selbst durch ein Übungssystem, das uns nicht erlaubt, zum Ich-Bewusstsein zurückzukehren. Die Arbeit vollzieht sich in diesem Abschnitt des Prozesses größtenteils ritualistisch und besteht aus zahlreichen Wiederholungen. Die Übungen für uns selbst sind bestimmte Rituale, die uns als vertikaler Lehrer den Auftrag geben, uns dem Ich ständig zu entrücken.
Durch den Verzicht erst sind wir in der Lage, uns selbst zu üben und Arbeit an uns zu verrichten. Ein Übungssystem des Verzichts ist so in der Lage, uns alle Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis offenzulegen – die einzigen Grenzen sind die Abstinenz vom Ich. Es lässt sich als eine immer fortdauernde Kunst beschreiben, die sich im Sinne des Weltentzugs bemerkbar macht. Sobald wir uns von ideologielosen vertikalen Mächten belehren lassen, eröffnet sich vor uns die Lichtung des Beobachter-Bewusstseins. Die Kunst selbst als schaffende, zukunfts- und möglichkeitseröffnende Kunst ist es, die ein adäquates vertikales Übungssystem für uns bereits stellt. Das ritualisierte Der-Kunst-Dienen und Kunst-Schaffen und das völlige Aufgeben des Ichs und damit jeglicher Ideologie eröffnet den Weg zur inneren Wahrheit – der selbstlosen Autonomie – und garantiert somit die Freiheit, bedingungslose Liebe geben zu können.
Der Kreis schließt sich somit: der anfängliche Rückzug aus der Welt bringt uns auf den Pfad, die Welt als Agent, nicht aber als bloßer Re-Agent zu betreten.
Danke fürs Lesen!
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