Über links und rechts - ein Plädoyer

in deutsch •  6 years ago 

Meiner Meinung nach sollte man links und rechts auch im politischen Sinne als das verstehen, was sie sind: Richtungsangaben.
Dies ist ein Plädoyer dafür.

Am einfachsten ist es dafür sich stehend vorzustellen. Dann kann man sich auf einer Linie stehend (eindimensional), auf einer Fläche (zweidimensional) oder im Raum wahrnehmen. Abstrakt gehen dann selbstredend noch mehr Dimensionen als drei.

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Nun noch ein Intro und Vergleich zu Zeit. Gerne hört man einmal die Aussage „Im Hier und Jetzt leben“ oder „im Moment leben“ und man solle Vergangenheit und Zukunft vergessen. Beides ist in dieser Ausdrucksweise widersprüchlich.
Jetzt oder Gegenwart gibt es nur mit Vergangenheit und Zukunft. Das liegt daran, dass ein Punkt immer einen Hintergrund oder Kontext braucht. Wenn du mit einem Füller einen Punkt in der Luft machen willst, funktioniert das nicht. Du brauchst immer eine Linie/Faden, eine Fläche oder einen Körper, worauf du den Punkt tupfen kannst. Das Konzept von Zeit bedingt alles drei: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
Alternativ könnte man sich fragen: Wann ist jetzt? Jetzt, jetzt oder jetzt? Oft heißt es dazu gerne: Jetzt ist immer schon vorbei. Das liegt einfach daran, dass du einen Punkt oder Zeitpunkt (eigentlich hier schon Zeitabschnitt) immer kleiner machen kannst, unendlich klein bis zur quasi Nicht-Existenz. Oder eben daran, dass du zum darstellen und messen immer einen Abschnitt oder Kontext brauchst.
So viel dazu. Im Grunde ist das, was ich hier formuliert habe, ein gestalttheoretischer Gedanke (Figur-Grund dafür nachschlagen, um bekannte Bilder wiederzuerkennen).

Bleiben wir erst einmal bei einer eindimensionalen Vorstellung, also einer Linie. Diese kann nun als Gerade ohne Ende und Anfang (also es geht in eine immer noch rechtere oder immer noch linkere Richtung) oder als Strecke aufgefasst werden. Bei einer Strecke gibt es die Möglichkeit genau den Mittelpunkt (oder bei einer Geraden den Nullpunkt) festzustellen/-legen, und so die Menschen in 50/50 rechts/links aufzuteilen. Genauso aber ist es möglich gleichgroße Bereiche zu je einem Drittel von links, mitte, rechts zu definieren oder eine breite Mitte von 50% und links, rechts von je einem Viertel usw.
Je nachdem kann man sich auf dieser Strecke weiter links oder rechts vom Mittelpunkt stellen und von dort aus nach links oder rechts schauen. So sehen dann eben verschiedene Perspektiven aus. Für den einen liegt dann ein (Stand-)Punkt in einer Richtung weiter links oder überhaupt links, für den anderen weiter rechts.
So geht dann ebenso das Formulieren von Rechtsruck und Linksruck bzw. des verschiebens des Overton Windows.

Häufig wird auf Biegen und Brechen versucht rechts und links auf eine Achse einzudampfen. Dann kann es zu absurden Resultaten kommen, oder sagen wir, Resultaten mit denen viele nicht übereinstimmen.

So meint Oliver Janich z.B., dass der Christchurch Attentäter links sei, weil er klar antikapitalistisch ist. Er würde vermutlich rechts als individualistisch, marktwirtschaftlich/kapitalistisch und liberal/libertär bezeichnen und links als kollektivistisch, autoritär und sozialistisch. Oder ganz kurz stampft er es eben auf eine Achse freiwillig vs. Zwang bzw. kapitalistisch - sozialistisch ein.

Wenn man das pdf des Täters liest, findet man eine Mischung aus kruden Meinungen und zynisch-ironischen Beiträgen (memes), die für einen nicht alle zu erkennen/verstehen sind. Die meisten würden ihn nach der Lektüre allerdings als rechts einordnen. Das tut auch Martin Sellner. Dabei ist die Bezeichnung Neo-Nazi einiger Medien ein Fehlgriff.

Jedenfalls deckt sich das mit dem, was ich von vielen Rechten mitbekommen habe. Viele definieren sich eben explizit nicht über eine Wirtschaftsform (sozialistisch/kapitalistisch oder anderweits), sondern sehen das weltanschauliche politische Spektrum außerhalb von Wirtschaft. Dann definieren sie rechts eben über Traditionalismus, Ethnie/Nation, Erhaltung von Kulturen und Naturen, von der Vielfalt der Ethnien/Kulturen und Weiterem.

Genau wie sich nicht alle originär Linken primär über sozialistisch, sozial-demokratisch oder soziale Gerechtigkeit definieren werden, sondern einige über Fortschritt (progressivism), Liberalität und Humanismus und anderem.

Kommen wir nun dazu, wie rechts und links im politischen Sinne meiner Meinung nach verwendet werden sollten.
Der Versuch alles auf eine Achse einzudampfen, sei zu unterlassen.
Stattdessen sollte benannt werden, dass es eine Vielzahl von Dimensionen gibt und dann, was man auf einer spezifischen Dimension für wichtiger hält und dies spezifisch artikulieren.
Ist z.B. Erhaltung (Konservation) oder Fortschritt wichtiger.
Universalismus oder Relativismus korrekter (hier muss man oftmals wohl noch unterteilen (z.B. Kultur, Moral, Humanismus, ...)).
Individualismus oder Kollektivismus.
Freie Marktwirtschaft, soziale Marktwirtschaft, Sozialismus.
Soziale Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit.
Offenheit/Liberalismus beim Lifestyle oder an spezifischen Werten orientierte/eingeschränkte Lebensweisen.
Humanistisch vs. anti-humanistisch (oder romantisch).
Sicherheit/Garantie vs. Risikofreude/Spekulation.
Pro Life pro Choice.
Atheistisch religiös.
Bei allem aufgezählten ist eine Mitte mitgedacht, es ist also kein 0 oder 1 oder weiß und schwarz, sondern wird immer in Spektren gesehen.

Selbstredend überschneiden sich viele dieser Dimensionen (sie sind also nicht als orthogonale Faktoren zu betrachten) und andere können einem einfallen (das waren jetzt spontan einige, die mir einfielen).

Daran seht ihr, dass ich letzlich Versuche wie den political compass (zweidimensional) zwar ganz nett finde, aber letztendlich diesen für zu simplifizierend und nicht sonderlich zuträglich halte.
Der Einfachheit halber oder aus dem Affekt heraus, wird dann doch wieder manchmal in rechts links unterteilt und für einen orthodoxen Christen, der sich als paläokonservativer Rechter sieht, ist dann der atheistische (darwinistische) Liberalismus das Problem der heutigen Zeit (und der letzten Jahrhunderte).

Dazu noch eine kurze Auslassung. Gerade im politisch-institutionellen Bereich habe ich mir angewöhnt von der Organisierten Linke und der Organisierten Rechte zu sprechen.
Analog zu Organisierter Kriminalität.
So habe ich dann 4, ggf. 5 (das Fünfte voluntaristisch, wobei ich mich mit Privatrechtsstädtlern ebenso anfreunden kann) Spektren. Und der Vorteil ist, mit je einem Teil der Linken und je einem Teil der Rechten, kann ich etwas anfangen und ich muss nicht alle verteufeln :P (und habe freundliche Zeitgenossen aus der Mehrzahl (3 von 5) Spektren^^). Aber das ist eben ebenfalls nur eine unzuverlässige Vereinfachung; letztlich entscheidet es sich danach welche Dimension die höchste Priorität für Jemanden hat (z.B. Armenfürsorge, Freiheit, Bequemlichkeit, Kriegsvermeidung-/behinderung, Gottesfürchtigkeit).

Und wenn du dich von rechts links als auf einer Dimension gelöst hast, kannst du dich stattdessen über verschiedene Themen unterhalten und dann zu diesen dich und andere einordnen.

Ich glaube das kann ich unter Metaphysik abspeichern.

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