Ein Buchtipp für Erkenntnistheoretiker und welche die verstehen wollen.
Ludwig v. Mises unterscheidet in seinem Werk „Theorie und Geschichte“ drei Kategorien von Erkenntniswissenschaften:
- die nomothetische (gesetzfindende) Erfahrungswissenschaft (Naturwissenschaften),
- die individualisierende Erfahrungswissenschaft (Geschichte),
- die apriorische Wissenschaft (Logik, Praxeologie)
Zentral für die Praxeologie, zu der auch die Ökonomie gehört, sind folgende Aspekte:
- Der Mensch ist ein homo agens,
- der methodologische Individualismus: Es gibt keine vom Einzelnen unabhängige Entität; auf der makroökonomischen Ebene können keine Gesetzmäßigkeiten gelten, die nicht schon in der Logik der Mikroebene angelegt sind. Dieser Individualismus ist wertneutral; es geht nicht darum, Individualismus als Norm zu setzen,
- deduktives Schließen
- die kontrafaktische Methode: Die Beschäftigung mit dem, für das sich die menschen nicht entschieden haben, hilft zu verstehen, warum sie sich so entschieden haben, wie sie sich entschieden haben. Anschaulich beschrieben wird dies in dem text von Frederic Bastiat „Ce qu’on voit et ce qu’on ne voit pas“
- Konzentration auf ausgeübte (demonstrierte) Urteile (manifestierte Präferenzen) und nicht auf nur geäußerte (behauptete) Präferenzen.
Mises unterteilt die Praxeologie in folgende Teilbereiche:
- die Crusoe-Ökonomik: Diese beschäftigt sich mit dem ökonomischen Handeln des Einzelnen,
- die Katallaktik: Diese befasst sich mit dem unterpersonellen Tausch; sie stellt die Wirtschaftswissenschaft im engeren Sinne dar und ist die Grundlage der Wirtschaftsrechnung,
- die Spieltheorie: Sie beschäftigt sich mit der Logik des Spiels; die Österreichische Schule ist skeptisch, ob sie sich zur Übertragung auf das wirtschaftliche Verhalten der Menschen eignet,
- die Gewalttheorie: Bei ihr geht es um den Versuch, die Anwendung von Gewalt logisch herzuleiten. Diese Theorie ist kaum entwickelt,
- weitere noch unbekannte Felder.
Der Ökonomik vorgelagert ist die Psychologie (Protoökonomik). Sie beschäftigt sich mit den Gründen für bestimmte Präferenzen.
Die Ethik ist der Ökonomik andererseits übergeordnet (Metaökonomik). Sie beschäftigt sich mit der Frage, was in der Ökonomik sein sollte.
Sowohl Ludwig v. Mises als auch sein Schüler Murray N. Rothbard (1926-1995) übten Kritik an Karl Popper. Sie sahen im Prinzip der Falsifikation die Gefahr des Relativismus. Nichts kann als sicher gelten, alles darf und muss immer wieder neu getestet werden. Wenn der Sozialismus auch noch so oft gescheitert ist, und sich dies auch theoretisch begründen lässt, so beweist dies noch nicht, dass er immer scheitern muss. Weitere Versuche erscheinen also als legitim.
Indem Popper nur die induktive Methode zulässt, droht aus Sicht von Mises die Gefahr, dass der Mensch und die Gesellschaft zum Labor gemacht werden. Aus Mises’Sicht gibt es Dinge, bei denen wir aus logischen Gründen mit größter Gewissheit sagen können, dass sie richtig oder falsch sind. Die Kosten weiterer Versuche können wir uns sparen.
Friedrich A. v. Hayek hat sich demgegenüber der Popper’schen Position angeschlossen und stellt die Absolutheit von Aussagen sehr weitgehend in Frage. Letztlich zeigt immer erst der Praxistest, ob die Theorie wirklich keinen Denkfehler aufweist. Genau aus diesem Grund ist Wettbewerb seiner Ansicht nach essentiell. Falsche Theorien werden den Praxistest nicht bestehen. Der Nachteil ist, dass sie bis zu ihrem Scheitern erst einmal viel Schaden anrichten können.
Eine Kompromissposition könnte lauten, dass in Fällen, in denen Logik und Tradition für eine bestimmte Position sprechen, die Beweislast bei deren Gegnern liegt. Lässt sich der status quo auch logisch begründen, sollten wir mit Neuerungen sehr zurückhaltend sein.
Anders formuliert: Es gibt Grade der Plausibilität von Theorien und Hypothesen. Logisch-deduktive Argumente sind starke Argumente, auch wenn sie letztendlich kein Beweis sind. Eine Falsifikation von Hypothesen ist nicht in jedem Falle gleich dringlich.