Thomas von Aquin (Thomas d’Aquin) Summa Theologica

in deutsch •  6 years ago 

Heute wird es im Bereich der Ethik und Psyche etwas schwieriger zum lesen. Dies ist jedoch der alten Formulierung geschuldet.
Was an Thomas von Aquin so interessant ist, dass er schon zur damaligen Zeit vieles darstellte, was unserer heutigen Wissenschaft zugeschrieben und von unserer heutigen Wissenschaft auch wieder negiert wird. Scheinbar ist dieser Widerstreit bis heute aktuell und wird auch in Zukunft aktuell bleiben. Von irgend etwas müssen die Psychologen und Soziologen ja leben.

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Thomas von Aquin
(* 1225 bei Aquino; ✝ 1274 in Fossanova)

Ausgewähltes Werk:

Summa Theologica. Auszüge aus den Übersetzungen: (1) Summe der Theologie, Bd. 2. Die sittliche Weltordnung. Zusammengefaßt, eingeleitet und erläutert von Joseph Bernhart (JB). Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1954; (2) Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Thomas von Aquin, 12 Bände. Deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider (CMS). Regensburg: G. J. Manz, 1886-1892 (Online unter: www.unifr.ch/bkv/summa/); (3) Summa Theologica: Diedeutsche Thomas-Ausgabe, I. Buch & I. Teil des II. Buches in den Bde. 1, 4, 11, 12, 13. Schriftleitung: Heinrich Maria Christmann (HMC). Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe. Salzburg & Leipzig: Verlag Anton Pustet, 1940; (4) The Summa Theologica. Translated by Fathers of the English Dominican Province (EDP). Benziger Bros., 1947 (Online unter: http://dhspriory.org/thomas/summa/)

Summa Theologica

  1. FRAGE: DER WILLE [BUCH I., HMC]

  2. Artikel: Ist der Wille ein höheres Vermögen als der Verstand?

  3. Das Gute und das Ziel sind Gegenstand des Willens. Nun ist aber das Ziel die erste und höchste der Ursachen. Folglich ist der Wille das erste und höchste der Vermögen.

  4. Wir finden, daß die Naturdinge vom Unvollkommenen zum Vollkommenen voranschreiten. Das tritt auch bei den Seelenvermögen in Erscheinung, nämlich ein Fortschreiten von den Sinnen zum Verstand, der vornehmer ist. Nun vollzieht sich aber der natürliche Fortschritt von der Tätigkeit des Verstandes zur Tätigkeit des Willens. Also ist der Wille ein vollkommeneres und vornehmeres Vermögen als der Verstand.

  5. Die Gehaben sind den Vermögen angemessen wie die Vollkommenheiten dem Vervollkommnungsfähigen. Aber das Gehaben, wodurch der Wille vervollkommnet wird, nämlich die Liebe, ist edler als das Gehaben, durch welches der Verstand vervollkommnet wird: „Wenn ich alle Geheimnisse wüßte und allen Glauben besäße, hätte aber die Liebe nicht – ich wäre nichts“ (1 Kor. 13, 2). Also ist der Wille ein höheres Vermögen als der Verstand.
    Andererseits behauptet der Philosoph, das höchste Vermögen der Seele sei der Verstand.

Antwort: Die Erhabenheit des einen über das andere kann doppelt aufgefaßt werden: einmal schlechthin, sodann in gewisser Beziehung. Es wird etwas schlechthin als so beschaffen angesehen, sofern es an und für sich ein solches ist; in gewisser Beziehung aber, sofern man es im Hinblick auf ein anderes so beschaffen nennt. – Werden also Verstand und Wille an und für sich betrachtet, so wird der Verstand als erhabener erfunden. Das wird klar, wenn man die Gegenstände miteinander vergleicht. Der Gegenstand des Verstandes nämlich ist einfacher und unbeschränkter als der Gegenstand des Willens. Denn der Verstandesgegenstand ist das Wesen des erstrebbaren Guten. Das erstrebbare Gute jedoch, dessen Wesensbegriff im Verstand ist, ist Gegenstand des Willens. Je einfacher und abgezogener aber etwas ist, um so edler und höher an sich ist es. Und deshalb ist der Verstandesgegenstand höher als der Willensgegenstand. Da nun die Eigenart des Vermögens durch die Hinordnung auf den Gegenstand bestimmt ist, so folgt, daß der Verstand an und für sich und schlechthin höher und edler ist als der Wille.

In gewisser Beziehung jedoch und im Hinblick auf ein anderes wird der Wille bisweilen als höher erfunden denn der Verstand; dann nämlich, wenn sich der Gegenstand des Willens in einem höheren Dinge findet als der Verstandesgegenstand; wie wenn ich sagen würde, das Gehör sei in gewisser Hinsicht edler als das Gesicht, sofern das Ding, dem der Schall angehört, edler ist als das Ding, dem die Farbe angehört, obgleich die Farbe edler und einfacher ist als der Ton. Wie nämlich früher (16, 1: Bd. 2 u. 27, 4: Bd. 3) gesagt worden ist, besteht die Verstandestätigkeit darin, daß der Wesensbegriff des verstandenen Dinges im Verstehenden ist; die Tätigkeit des Willens aber vollzieht sich in der Weise, daß der Wille zum Ding selbst so wie es in sich ist, hinneigt. Deshalb sagt der Philosoph: „Das Gute und das Schlechte“, die Gegenstände des Willens sind, „sind in den Dingen; das Wahre und das Falsche“, die Verstandesgegenstände sind, „sind im Geist“. Wenn also ein Ding, in dem das Gute ist, edler ist als die Seele, in der das erkannte Wesen enthalten ist, dann ist im Hinblick auf ein solches Ding der Wille höher als der Verstand. Steht aber das Ding, in dem das Gute ist, tiefer als die Seele, dann ist auch im Hinblick auf ein solches Ding der Verstand höher als der Wille. Daher ist die Liebe zu Gott besser als die Erkenntnis; dagegen ist die Erkenntnis der körperlichen Dinge besser als die Liebe [zu ihnen]. Schlechthin jedoch ist der Verstand vornehmer als der Wille.

Zu 1. Das Wesen der Ursache wird erfaßt, indem man das eine mit dem andern vergleicht; und bei einer solchen Vergleichung findet sich, daß das Wesen des Guten hervorragender ist. Aber das Wahre ist unbeschränkter und drückt auch das Wesen des Guten aus. Daher ist auch das Gute etwas Wahres. Hinwiederum ist aber auch das Wahre etwas Gutes, sofern der Verstand ein Ding ist und Wahre sein Ziel (79, 11 Zu 2). Und unter allen Zielen ist dieses Ziel das erhabenste, wie der Verstand das erhabenste unter allen Vermögen ist.

Zu 2. Das, was der Erzeugung und der Zeit nach früher ist, ist das Unvollkommenere. Denn in einem und demselben Ding geht die Möglichkeit der Zeit nach der Wirklichkeit voraus und die Unvollkommenheit der Vollkommenheit. Jenes dagegen, was schlechthin und der Natur nach früher ist, ist das Vollkommenere: so ist nämlich die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit. Und in diesem Sinne ist auch der Verstand früher als der Wille, wie das Bewegende früher ist als das Bewegbare und das Tätige früher als das Leidende. Denn das vom Verstand erkannte Gut bewegt den Willen.

Zu 3. Das Gesagte gilt vom Willen im Hinblick auf das, was über der Seele steht. Denn die Tugend der Liebe ist es, wodurch wir Gott lieben.

  1. FRAGE: DIE FREIE ENTSCHEIDUNG [BUCH I, HMC]

  2. Artikel: Hat der Mensch freie Entscheidung?

  3. Wer immer freie Entscheidung hat, tut was er will. Der Mensch tut aber nicht, was er will: „Nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern ich tue das Böse, das ich hasse“ (Röm 7, 19). Folglich hat der Mensch keine freie Entscheidung.

  4. Wer immer freie Entscheidung hat, kann wollen und nicht wollen, handeln und nicht handeln. Das ist aber dem Menschen nicht gegeben: „Es ist nicht Sache des Wollenden“, nämlich zu wollen, „noch Sache des Laufenden“, nämlich zu laufen (Röm 9, 16). Also hat der Mensch keine freie Entscheidung.

  5. „Frei ist, was Ursache seiner selbst ist“ (Aristoteles). Was also von einem andern bewegt wird, ist nicht frei. Gott bewegt aber den Willen: „Das Herz des Königs ist in Gottes Hand; Er wendet es, wohin immer Er will (Spr 21, 1); „Gott ist es, der in uns das Wollen und Vollbringen bewirkt“ (Phil 2, 13). Folglich hat der Mensch keine freie Entscheidung.
    Andererseits heißt es Sir 15, 14: „Gott schuf im Anfang den Menschen und überließ ihn seinem eigenen Urteil.“ Die Glosse [fügt hinzu]: „d.h. der Freiheit seiner Entscheidung."

Antwort: Der Mensch hat freie Entscheidung, sonst wären Ratschläge, Ermahnungen, Vorschriften, Verbote, Belohnungen und Strafen zwecklos. Um dies einzusehen, muß man folgendes erwägen. Es gibt Dinge, die ohne Urteil tätig sind; so bewegt sich der Stein abwärts; ähnlich ist es mit allem, was ohne Erkenntnis ist. – Andere sind tätig mit Urteil, jedoch nicht mit einem freien, so die Tiere. Das Schaf urteilt nämlich, wenn es den Wolf sieht, dass es ihn fliehen muß, mit einem natürlichen und nicht mit einem freien Urteil, weil es nicht aus Überlegung, sondern aus naturhaftem Innenantrieb so urteilt. Ähnlich ist es mit jedem Urteil der vernunftlosen Sinnenwesen. – Der Mensch jedoch handelt mit Urteil; denn er urteilt durch die Erkenntniskraft, daß etwas zu fliehen oder zu erstreben ist. Weil aber dieses Urteil nicht aus einem naturhaften Innenantrieb in einem einzelnen Wirkbaren erfolgt, sondern aus einem Vergleich der Vernunft, so handelt er mit freiem Urteil und hat die Fähigkeit, sich auf Verschiedenes hinzuwenden. Denn der Vernunft steht hinsichtlich des Zufälligen der Weg zu Entgegengesetztem offen, wie sich dies bei den Wahrscheinlichkeitsbeweisen und den rednerischen Überzeugungsmitteln zeigt. Das einzelne Wirkbare ist aber etwas Zufälliges; deshalb kann diesbezüglich das Urteil der Vernunft eine verschiedene Stellung einnehmen und ist nicht auf eines festgelegt. Und darum ist es notwendig, daß der Mensch freie Entscheidung hat, eben weil er vernünftig ist.

Zu 1. Wenn auch das sinnliche Streben der Vernunft gehorcht, so kann es doch in manchen Stücken widerstreiten, indem es etwas begehrt im Gegensatz zu dem, was die Vernunft gebietet (81, 3 Zu 2). Dies ist also das Gute, das der Mensch nicht tut, obgleich er will, nämlich „nicht gegen die Vernunft zu begehren“, wie die Glosse Augustins daselbst sagt.

Zu 2. Jenes Wort des Apostels ist nicht so zu verstehen, als ob der Mensch nicht mit freier Entscheidung wolle oder laufe, sondern in dem Sinn, daß die freie Entscheidung dazu nicht hinreicht, wenn er nicht von Gott bewegt und unterstützt wird.

Zu 3. Die freie Entscheidung ist Ursache der Selbstbewegung, denn durch die freie Entscheidung bewegt der Mensch sich selbst zum Handeln. Zur Freiheit gehört aber nicht notwendig, daß das, was frei ist, erste Ursache seiner selbst sei; wie es auch dazu, daß etwas Ursache eines andern sei, nicht erforderlich ist, daß es dessen erste Ursache sei. Gott ist also die erste Ursache, die sowohl die natürlichen, als auch die willentlichen Ursachen bewegt. Und wie Er den natürlichen Ursachen, indem Er sie bewegt, nicht wegnimmt, daß ihre Tätigkeiten natürliche sind, so nimmt Er auch, indem Er die willentlichen Ursachen bewegt, nicht weg, daß ihre Handlungen willentliche sind; vielmehr bewirkt Er dies in ihnen; denn Er wirkt in jedem einzeln gemäß der Eigentümlichkeit desselben.

  1. Artikel: Ist die freie Entscheidung ein Vermögen?

Zu 3. Man sagt, daß der Mensch durch die Sünde die freie Entscheidung verloren hat nicht in bezug auf die natürliche Freiheit, die den Zwang ausschließt[/which is freedom from coercion (EDP)], sondern in bezug auf die Freiheit von Schuld und Elend. Von dieser wird in der Abhandlung über die Sittlichkeit im zweiten Teil dieses Buches (I-II Fr. 85-87: Bd. 12) die Rede sein.

  1. FRAGE: DAS WORIN DIE GLÜCKRUHE DES MENSCHEN BESTEHT [BUCH I-II, CMS/JB]

  2. Artikel: Besteht die Glückruhe des Menschen in den Reichtümern?

  3. Die Schrift. Denn Ekkle. 10, 19. heißt es: „Dem Gelde gehorcht Alles.“ Darin aber gerade besteht die Seligkeit als letzter Endzweck, was am meisten die menschlichen Neigungen beherrscht.

  4. Boëtius (III. de Consol.): „Die Seligkeit ist ein durch die Ansammlung aller Güter vollendeter Zustand.“ Eben aber mit Hilfe des Geldes kann man Alles sich erwerben, wie Aristoteles schreibt (1 Polit. 6.): „Zu dem Zwecke ist die Münze erfunden, daß sie gleichsam wie ein Pfand sei, vermittelst dessen der Mensch haben kann, was er will.“

  5. Die Schrift (Ekkle. 5,9.) wieder, die da sagt: „Das Verlangen des Geizigen wird niemals gestillt werden durch Geld.“ Das Verlangen nach dem höchsten Gute aber, woran man nie genug hat, scheint unendlich zu sein.
    Auf der anderen Seite besteht das Gut des Menschen mehr in der Wahrung der Seligkeit wie in dem Verlieren derselben. Boëtius aber sagt (II. de Consol.): „Die Reichtümer haben mehr Glanz, wenn sie verausgabt werden, als wenn man sie behält; denn der Geiz macht verhaßt, die Freigebigkeit geschätzt.“ Also besteht in den Reichtümern nicht des Menschen. Seligkeit.

Ich antworte, unmöglich könne des Menschen Seligkeit im Reichtume bestehen. Denn eine doppelte Art Reichtum gibt es nach Aristoteles. (1 Polit. 6.) Es besteht nämlich ein natürlicher Reichtum, der dazu dient, dem natürlichen Mangel des Menschen zu begegnen; dazu gehören die Speisen, die Getränke, die Kleider, die Fuhrwerke, die Wohnungen und Ähnliches. Die andere Art ist jene, welche für sich betrachtet den Bedürfnissen des Menschen nicht abhilft, wie das Geld; sie ist von der menschlichen Kunst behufs der Leichtigkeit des Austausches erfunden worden, gleichsam als Maß der käuflichen Sachen.

In der ersten Art Reichtum nun kann die menschliche Seligkeit nicht bestehen. Denn solcher Reichtum wird gesucht als Mittel, um die Natur zu stützen; er besteht also vielmehr wegen der Natur als zweckdienliches Mittel, als daß die Natur wegen seiner besteht. Im Bereiche der Natur also sind alle derartigen Dinge unter dem Menschen; weshalb der Psalmist sagt (8.): „Alles hast du ihm zu Füßen gelegt.“ Die zweite Art Reichtum wird nur gesucht wegen der ersten. Denn vermittelst des Geldes kauft man das für das Leben Notwendige. Also noch weit weniger trägt er den Charakter des letzten Zweckes.

Zu 1. Alles Körperliche gehorcht dem Gelde, wenn die Menge der Thoren berücksichtigt wird, welche nur körperliche Güter kennen; denn diese können mit Geld erworben werden. Ein maßgebendes Urteil aber rücksichtlich der wahren menschlichen Güter darf man nicht von den Thoren [S. 37] erwarten, sondern von den Weisen; wie ein gesundes Urteil über die Farben nicht von denen erwartet wird, welche kranke Augen haben.

Zu 2. Was käuflich ist, kann mit dem Gelde erworben werden. Geistige Güter aber sind nicht käuflich. „Was nützt dem Thoren der Reichtum,“sagt Prov. 17., „da er Weisheit nimmer kaufen kann!“

Zu 3. Das Verlangen nach „natürlichem Reichtume“ ist nicht unendlich; denn er genügt in gewissen Grenzen der Befriedigung natürlicher Bedürfnisse. Das Verlangen nach „künstlichem Reichtume“ aber ist ohne Maß und Ende; denn es dient der ungeordneten Begierlichkeit, welche kein Maß hat. (1 Po!it. 6.) Anders aber verhält es sich mit dem unendlichen Verlangen nach Reichtum wie mit dem unendlichen Verlangen nach dem höchsten Gute. Denn je vollkommener das höchste Gut besessen wird, desto mehr wird es geliebt und Anderes verschmäht; um so besser nämlich wird es gekannt, je mehr man es besitzt, weshalb es Ekkli. 24. heißt: „Die von mir essen,werden noch hungern.“ Umgekehrt aber liegt der Fall beim Verlangen nach Reichtum. Denn soweit er besessen wird, verachtet man ihn und will Anderes, wie der Herr selbst (Joh. 4.) dies andeutet: „Wer von diesem Wasser trinkt, der wird von neuem Durst haben,“ wo Er unter „diesem Wasser“ die zeitlichen Güter meint. Der Grund ist offenbar; denn wie ungenügend und mangelhaft diese Güter sind, wird desto mehr erkannt, je mehr sie besessen werden. Dieser Umstand also zeigt gerade ihre Unvollkommenheit und daß in ihnen das höchste Gut nicht besteht.

  1. Artikel: Besteht die Glückruhe des Menschen in den Ehren?

  2. Die Seligkeit oder das Glück ist nach Aristoteles (1 Ethic. 9.), der Lohn der Tugend“. Die Ehre aber scheint im höchsten Grade „Preis der Tugend“ zu sein. (Arist. 4 Ethic. 3.)

  3. Was Gott zukommt und den ausgezeichnetsten Personen, das scheint am ehesten Seligkeit zu sein, die doch das vollendete Gut ist. Derartig aber ist die Ehre, wie der Apostel (1. Tim. 1.) sagt: „Gott allein Ehre und Ruhm.“

  4. Nichts scheint mehr begehrenswert zu sein wie die Ehre. Denn die Menschen leiden lieber Verlust und Schaden in allen anderen Dingen, damit nicht ihre Ehre verdunkelt werde. Da also die Seligkeit das Begehrenswerteste ist, so scheint sie in der Ehre zu bestehen.

Auf der anderen Seite ist die Seligkeit im Seligen. Die Ehre aber ist nach Aristoteles (l Ethic. 5.) „nicht in dem, der geehrt wird, sondern vielmehr in dem, der Ehre erweist“.

Ich antworte, unmöglich könne die Seligkeit im Glanze der Ehre bestehen. Denn Ehre wird jemandem erwiesen auf Grund eines hervorragenden Vorzuges; und so ist sie Zeichen und Zeugnis eines Vorzuges, den der Geehrte besitzt. Der höchste Vorzug des Menschen ist aber eben seine Seligkeit, welche des Menschen unbeschränkte Vollendung in sich schließt; und dem fügen sich an als weitere Vorzüge die Teile der Seligkeit, soweit diese alle Vermögen durchdringt. Also kann die Ehre der Seligkeit wohl folgen; aber hauptsächlich in letzterer bestehen kann sie nicht.

Zu 1. Die Ehre ist nicht der Preis der Tugend, um dessentwillen die Tugendhaften wirken. Wohl aber empfangen sie Ehre von den Menschen anstatt des Lohnes, gleichsam wie von jenen, die nichts Größeres geben können. Der wahre Preis der Tugend ist die Seligkeit selbst und ihrethalben wirken die Tugendhaften. Falls sie um der Ehre willen arbeiteten; so wären sie schon nicht mehr tugendhaft, sondern ehrgeizig.

Zu 2. Die Ehre macht nicht Gott den Herrn und die ausgezeichnetsten Personen vorzüglich; sondern ist ein Zeichen und Zeugnis ihrer Vorzüglichkeit.
Zu 3. Aus dem natürlichen Verlangen nach Seligkeit, der die Ehre folgt, fließt es, daß die Menschen im höchsten Grade nach Ehre verlangen. Und aus diesem Grunde streben die Menschen am meisten danach, daß sie von den Weisen geehrt werden; denn deren Urteil läßt sie voraussetzen, daß in ihnen wirklich ein hervorragender Vorzug sei.

  1. Artikel: Besteht die Glückruhe des Menschen in der Geltung oder im Ruhm?

  2. Darin scheint die Seligkeit zu bestehen, was den Heiligen verliehen wird für die Trübsale, die sie in dieser Welt leiden. Das ist aber der Ruhm, wie Röm. 8. es heißt: „Es halten keinen Vergleich aus die Leiden dieser Zeit mit dem künftigen Ruhme, der in uns wird enthüllt werden.“ Also ist der Ruhm die Seligkeit.

  3. „Dem Guten kommt es zu, sich zu verbreiten,“ heißt es bei Dionysius. (4. de div. nom.) Durch den Ruhm aber wird, was der Mensch Gutes hat, im höchsten Grade verbreitet; denn „der Ruhm ist“, wie Ambrosius sagt, „glanzvolle Bekanntheit, welche zum Lobe gereicht.“ Also ist die Seligkeit nichts Anderes wie der Ruhm.

  4. Die Seligkeit ist das beständigste unter allen Gütern; denn dadurch erlangen die Menschen gleichsam Ewigkeit. „Unsterblichkeit aber bereitet ihr euch,“ sagt Boëtius (2. de Consol.), „gewissermaßen, wenn ihr an den Ruf denket, den ihr in Zukunft haben könnt.“

Auf der anderen Seite ist die Seligkeit das wahre Gut des Menschen. Der Ruf oder der Ruhm aber ist oft falsch, wie Boëtius (3. de Consol.) sagt: „So manche haben einen großen Namen gewonnen auf Grund der falschen Ansichten der Menge. Was ist schändlicher? Denn wer fälschlicherweise gepriesen wird, der muß vor seinem eigenen Lobe erröten.“

Ich antworte, unmöglich könne des Menschen Seligkeit im Ruhme bestehen. Denn Ruhm ist nichts Anderes, wie oben Ambrosius sagt, als „glanzvolle Bekanntheit, die zum Lobe gereicht“. Ein Erkenntnisgegenstand aber verhält sich anders zur göttlichen Kenntnis und anders zur menschlichen. Die menschliche Kenntnis nämlich wird verursacht von den erkannten Dingen; die göttliche aber ist die Ursache der erkannten Dinge. Die Vollendung des menschlichen Wohles also kann nicht verursacht werden von der menschlichen Kenntnis; vielmehr geht die letztere von der bereits vorhandenen Vollendung aus und wird gewissermaßen verursacht von der menschlichen Seligkeit, mag diese erst im Beginne sein oder bereits vollendet. Also im Ruhme oder im Rufe kann des Menschen Seligkeit nicht bestehen.

Des Menschen Wohl aber hängt ab wie von seiner Ursache von der Kenntnis Gottes. Und deshalb hängt ab von dem Ruhme, der bei Gott ist, die Seligkeit des Menschen wie von der Ursache, wie es im Psalm 90 heißt: „Ich will ihn erretten und ihn mit Ruhm krönen: mit der Länge seiner Tage will ich ihn anfüllen und zeigen werde ich ihm mein Heil.“ Dabei ist zugleich zu berücksichtigen, daß die Kenntnis der Menschen oft als falsch bezeichnet werden muß; und zwar zumal was das einzeln Zufällige anbetrifft, wozu die menschlichen Handlungen gehören. Deshalb ist auch häufig der Ruhm bei den Menschen ein auf Täuschung beruhender. Gott aber kann nicht getäuscht werden und ist darum der Ruhm, den man bei Ihm hat, immer ein wahrer; wie der Apostel sagt (2. Kor. 10.): „Jener ist erprobt, den Gott empfiehlt.“

Zu 3. Der Apostel spricht da vom Ruhme und der Herrlichkeit, die von Gott kommt; nicht von menschlicher. Deshalb sagt der Herr bei Mark. 8, 38.: „Der Sohn des Menschen wird ihn bekennen im Ruhmesglanze des Vaters vor seinen Engeln.“

Zu 2. Entweder ist der Ruf oder der Ruhm bei den Menschen ein wahrer; — und dann muß er sich ableiten von dem Guten, was bereits im Menschen vorhanden ist, setzt also die vollkommene oder begonnene Seligkeit voraus. Ist aber dieser Ruhm ein falscher, so entspricht er nicht der wirklichen Sachlage; — und so hat dann der Mensch nicht das Gut, ob dessen er gefeiert wird.

Zu 3. Der Ruf hat keine Beständigkeit, ganz im Gegenteil wird er durch Ausstreuungen falscher Gerüchte leicht verloren. Beharrt er manchmal, so beruht das nicht auf ihm selber, sondern auf äußeren Gründen. Die Seligkeit aber hat Beständigkeit aus sich heraus und für immer.

  1. Artikel: Besteht die Glückruhe des Menschen in der Macht?

  2. Die Menschen streben, Gott ähnlich zu werden, soweit Er letzter Endzweck und erstes Princip ist. Die machtvollen Menschen aber scheinen auf Grund ihrer Macht am meisten Gott ähnlich zu sein, weshalb sie in der Schrift „Götter“ genannt werden (Exod. 22.): „Den Göttern tritt nicht zu nahe.“

  3. Im höchsten Grade vollkommen ist, daß der Mensch auch andere angemessen zu leiten vermag. Also ist die Macht das höchste Gut.

  4. Das Gegenteil der Seligkeit wird am meisten geflohen. Am meisten aber fliehen die Menschen die Knechtschaft, d. h. das Gegenteil der Macht.

Auf der anderen Seite ist die Macht ein höchst unvollkommenes Gut. Denn „die menschliche Macht kann“, wie Boëtius (3. de Cons.) schreibt, „die Pein der Kümmernisse nicht vertreiben, die Dornen der Beängstigungen nicht vermeiden… Als mächtig siehst du an jenen, der einer Wache an seiner Seite bedarf; der da jene, die er schreckt, noch mehr selber fürchtet.“ Also ist Macht nicht des Menschen Seligkeit.

Ich antworte, unmöglich könne des Menschen Seligkeit in der Macht bestehen. Denn die Macht, also das Können, hat den Charakter des Princips, des Anfangs; die Seligkeit aber den Charakter des Zweckes, des [S. 40] Endes. Dann steht von der Macht selber aus dem nichts entgegen, daß sie zum Guten oder zum Bösen dienen kann; die Seligkeit aber ist wesentlich das vollendete Gut. Vielmehr also könnte eine gewisse Seligkeit bestehen im guten Gebrauche der Macht; welchen Gebrauch nur die Tugend gibt. Fassen wir nun diese für den Menschen äußeren Güter zusammen, so können vier Gründe geltend gemacht werden dafür, daß in keinem derselben die Seligkeit sein kann:

I. Alle diese Güter finden sich in Guten und Schlechten; die Seligkeit aber kann gar kein Übel in Verbindung mit ihr zulassen.

II. Möge auch ein beliebiges der genannten Güter oder alle zusammen der Mensch besitzen, so können ihm trotzdem noch viele andere fehlen, die ihm notwendig sind, wie z. B. Gesundheit, Weisheit. Besitzt aber der Mensch die Seligkeit, so darf ihm keines der ihm irgendwie notwendigen Güter fehlen.

III. Aus diesen genannten Gütern fließt manchmal Übles, wie Ekkle. 5. es heißt: „Die Reichtümer werden manchmal aufbewahrt zum Schaden ihres Herrn.“ Die Seligkeit ist nur und in höchst vollendeter Weise Gut. Also kann aus ihr nichts Übles kommen.

IV. Zur Seligkeit ist der Mensch hingeordnet kraft der ihm innerlichen Principien; da er von Natur zur Seligkeit Beziehung hat. Die erwähnten vier Güter aber sind von äußerlichen Ursachen und meistens vom Zufall abhängt, weshalb sie auch „Zufalls“-, „Glücks“- Güter genannt werden.

Zu 1. Die göttliche Macht ist ihre eigene Güte. Also kann sie der Macht sich nicht bedienen außer gut. Also ist es nicht genügend, Gott ähnlich zu werden in der Macht, wenn man nicht Ihm ähnlich wird in der Güte.

Zu 2. Zum Besten gereicht es, wenn jemand sich seiner Macht über viele gut bedient; zum höchsten Verderben aber, wenn er sie schlecht gebraucht. Also die Macht verhält sich gleichmäßig zum Guten und zum Übel.

Zu 3. Die Knechtschaft ist ein Hindernis für den guten Gebrauch der Macht; und deshalb fliehen sie die Menschen von Natur, nicht als ob in der Macht des Menschen sei das höchste Gut.

  1. Artikel: Besteht die Glückgeborgenheit des Menschen in irgend einenem Gut des Leibes?

  2. Ekkli. 30.: „Keine Abschätzung steht über der Abschätzung und dem Werte des körperlichen Wohles.“ Darin aber was als das Beste geschätzt wird besteht die Seligkeit.

Auf der anderen Seite überragt gerade mit Rücksicht auf seine Seligkeit der Mensch alle Tiere. Er wird jedoch, soweit das Wohl des Körpers in Frage kommt, von vielen Tieren übertroffen; wie z. B. vom Elefanten in der Lebensdauer, vom Löwen in der Stärke, vom Hirsche in der Schnelligkeit.

Ich antworte, unmöglich könne in dem, was zu etwas Anderem als dem letzten Zwecke und als seiner eigenen Vollendung hingeordnet ist, den letzten Zweck bilden das Verharren im Sein. Deshalb geht die letzte und maßgebende Absicht des Schiffshauptmannes nicht auf die Erhaltung des ihm anvertrauten Schiffes; denn das Schiff hat nicht darin seinen Zweck, daß es überhaupt ist, sondern daß es der Schifffahrt dient. Wie aber ein Schiff dem Schiffshauptmanne überlassen wird, damit er es steuere, so ist der Mensch seinem freien Willen und seiner Vernunft überlassen nach jenem Worte im Ekkli. 15.: „Gott hat den ersten Menschen gebildet und hat ihn überlassen der Leitung seines Ratschlusses.“ Nun ist es jedoch offenbar, daß der Mensch zu etwas Anderem als seinem letzten Endzwecke hingeordnet ist; denn der Mensch ist nicht das höchste Gut. Also ist es unmöglich, daß der letzte Zweck der menschlichen Vernunft und Willensfreiheit das Beharren sei im menschlichen Sein.

Selbst aber dies Letztere zugegeben, so kann trotzdem noch nicht gesagt werden, daß den letzten Endzweck des Menschen in irgend welcher Beziehung das Wohl des Körpers bilde. Denn das menschliche Sein besteht in der Seele und im Leibe. Nun hängt aber wohl das Sein des Körpers von der Seele ab; nicht aber das der menschlichen Seele vom Körper, wie oben (I. Kap. 75, Art. 1 und Kap. 90, Art. 4) gezeigt worden; — und der Körper selbst ist um der Seele willen, wie der Stoff Sein hat um seiner Form willen und die Werkzeuge da sind um dessentwillen, der sie gebraucht und in Tätigkeit setzt. Also beziehen sich alle Güter des Leibes auf die Güter der Seele als auf ihren Zweck. Unmöglich also kann im Wohle des Körpers die Seligkeit bestehen, nämlich der letzte Endzweck.
Zu 1. Wie der Körper da ist wegen der Seele, so haben alle äußeren Güter zum Zwecke den Körper selbst. Also wird das Wohl des Körpers mit Recht vorgezogen allen äußeren Gütern, welche durch den Ausdruck „Abschätzung“ bezeichnet werden; wie das Wohl der Seele vorangeht dem Wohle des Körpers. [...]

  1. Artikel: Besteht die Glückgeborgenheit des Menschen in der Lust?

  2. Die Seligkeit wird nicht um eines anderen Gutes willen ersehnt, sondern vielmehr verlangt man nach Anderem um der Seligkeit willen. Dies aber ist am meisten dem Vergnügen eigen. Denn „lächerlich ist es“, nach Aristoteles (10 Ethic.), „jemanden zu fragen, warum er sich ergötzen will.“ [...]

  3. Alle begehren nach Ergötzung: Weise, Thoren und selbst die vernunftlosen Wesen. Das höchste Gut aber ist gerade jenes, nach welchem Alles verlangt. Also.
    Auf der anderen Seite sagt Boëtius (3. de Consol.): „Traurig ist der Ausgang der sinnlichen Freuden; das wird ein jeder verstehen, der sich seiner Begierlichkeiten erinnern will. Könnten sie jemanden selig machen, so bestände gar kein Grund, warum nicht auch die Tiere selig wären.“

Ich antworte; weil die sinnlichen Ergötzlichkeiten der großen Mehrzahl bekannt sind; deshalb wurde ihnen der Name „Vergnügen“ gegeben, wie Aristoteles (7 Ethic. 13.) bemerkt; als ob sie dem menschlichen Verlangen genügen könnten. Es besteht jedoch in denselben nicht in erster Linie die Seligkeit.

Denn in jeglichem Dinge ist das, was zu seinem Wesen gehört, verschieden von jener Eigentümlichkeit, welche wohl dem Wesen immer folgt, jedoch ihrem tatsächlichen Sein nach von außen abhängt, vom proprium accidens; welche also nach der letzteren Seite hin zufällig ist. So ist im Menschen sein Wesen, daß er nämlich sinnbegabt, vernünftig und sterblich ist, verschieden von der dem Wesen selber anhaftenden Eigentümlichkeit, daß er zu lachen vermag, was kein Tier und kein Engel kann. Denn sein Wesen zwar ist immer dasselbe; jeder Mensch ist tatsächlich immer Mensch. Aber diesem Wesen ist es zu eigen, nur daß der Mensch lachen kann, nicht daß er immer tatsächlich lacht; der Grund von diesem Tatsächlichen liegt außen. [S. 43] Demgemäß muß man berücksichtigen, daß jedwede Ergötzlichkeit eine solche Eigentümlichkeit ist, welche der Seligkeit oder einer Seite derselben folgt. Deshalb nämlich ergötzt sich jemand tatsächlich, weil er ein ihm zukömmliches Gut entweder wirklich hat oder erhofft oder sich daran erinnert; während jedes Gut es in seinem Wesen einschließt, daß es ergötzen kann. Dieses zukömmliche Gut nun als ein allseitig vollendetes ist die Seligkeit selber des Menschen; ist es aber nach einer Seite hin unvollendet, so erscheint es als ein gewisser Anteil an der Seligkeit und zwar ein naher, oder ein entfernter oder wenigstens stellt sich dies der Mensch so vor. Danach also ist es offenbar, daß auch nicht jene Ergötzung selber, welche dem vollendeten Gute folgt, das Wesen der Seligkeit ist, sondern eine diesem Wesen anhaftende Eigentümlichkeit. [...]

Zu 1. Daß ein Gut ersehnt wird und daß das entsprechende Ergötzen ersehnt wird, ist ein und dasselbe. Denn das Ergötzen ist nichts Anderes als die Ruhe des Begehrens im Gute selber; und derselben Naturkraft z. B. wird es gedankt, daß der Stein nach der Tiefe verlangt und daß er nun da ruht. In der Weise also, wie ein Gut um seiner selbst willen erstrebt wird, so auch wird das entsprechende Ergötzen um seiner selbst willen erstrebt und nicht um eines anderen Gegenstandes willen, soweit nämlich der Zweckgrund in Betracht kommt. Wird jedoch die bewegende oder bestimmende Ursache berücksichtigt, insofern sie dem Begehren die bestimmte Form aufprägt, so ist das Ergötzen begehrenswert um etwas Anderem willen, nämlich um des Gutes willen, welches den Gegenstand des Ergötzens bildet und somit ist dieses Gut dann das Princip des Begehrens und prägt ihm die bestimmte Form auf. Denn deshalb wird das Ergötzen gesucht, weil es bedeutet: Ruhe im verlangten Gute. [...]

Zu 3. Wie jemand das Gute erstrebt, so erstrebt er das Ergötzen; jedoch ist letzteres erstrebt auf Grund des Guten, um des Guten willen. Also folgt nicht, daß das Ergötzen an sich ein Gut oder gar das höchste sei; sondern daß jegliches Ergötzen ein Gut begleitet und ihm folgt; und daß eine gewisse Art Freude und Ergötzlichkeit auch dem Gute an sich und selbst dem größten folgt.

  1. Artikel: Besteht die Glückgeborgenheit des Menschen in einem Seelengut?

  2. Die Vollendung ist etwas desjenigen, das da vollendet wird. Die Seligkeit aber ist die allseitige Vollendung des Menschen. Also ist sie etwas dem Menschen Zugehöriges. Sie ist aber nichts, was in seinem Körper ist. Also ist sie der Seele zugehörig und somit ein in der Seele befindliches Gut.

Auf der anderen Seite ist nach Augustin (I. de doct. chris. 22.) „das, worin das ewige Leben besteht, um seiner selbst willen zu lieben“. Der Mensch aber ist nicht zu lieben um seiner selbst willen; sondern vielmehr ist, was auch immer im Menschen ist, zu lieben wegen Gott. Also in keinem Gute der Seele besteht die Seligkeit.

Ich antworte, daß man in zweifacher Weise vom Zwecke sprechen kann: einmal von der Sache selbst, deren Besitz wir ersehnen; und dann vom Gebrauche oder dem Besitze derselben. Wird der erstgenannte Sinn berücksichtigt, so ist unmöglich die Seele oder eine Kraft derselben der letzte Endzweck. Denn die Seele in sich selber hat Sein wie etwas, was im Vermögen ist für das Sein; aus einer wissenden dem Vermögen nach wird sie nämlich und zwar erst kraft des Einflusses von außen, eine wissende dem tatsächlichen Sein nach; und ebenso wird sie eine tatsächlich tugendhafte, nachdem sie das Vermögen gehabt, tugendhaft zu werden. Da nun ein Vermögen um der Tätigkeit willen vorhanden ist, wie das, was da etwas werden kann darum, damit es dies werde, so erscheint es unmöglich, daß jenes, was an und für sich nur ein Vermögen für das entsprechende Sein ist, den Charakter des letzten Endzweckes trage. Also ist es unmöglich, daß die Seele selber ihr eigener letzter Zweck sei. [...] Sprechen wir jedoch vom letzten Endzwecke, insoweit dieser besessen und erreicht wird in irgend welcher Weise, so gehört allerdings zum letzten Endzwecke etwas von Seiten der Seele; denn der Mensch erlangt die Seligkeit vermittelst der Seele. Die Sache also selbst, welche als letzter Zweck erstrebt wird, ist das, worin die Seligkeit besteht und was selig macht; die Erreichung oder der Besitz dieser Sache aber wird Seligkeit genannt. Deshalb muß man sagen, die Seligkeit wohl sei etwas der Seele Zugehöriges; das aber, worin die Seligkeit besteht, ist etwas außerhalb der Seele Bestehendes.

Zu 3. Soweit die Seligkeit die Vollendung der Seele ist, ist sie ein der Seele anhaftendes und innewohnendes Gut. Das aber, worin die Seligkeit besteht, ist etwas außerhalb der Seele.

  1. Artikel: Besteht die Glückgeborgenheit des Menschen in irgend einem erschaffenen Gut?

  2. Der Mensch ist selig durch jenes Gut, in welchem sein Verlangen Ruhe findet. Das Verlangen des Menschen aber erstreckt sich nicht auf ein größeres Gut, wie er selbst fassen kann. Da also der Mensch nicht fähig ist, ein Gut zu erfassen, welches die Grenzen aller Kreaturen übersteigt, so scheint es, daß der Mensch vermittelst eines geschaffenen Gutes selig werden kann.

Auf der anderen Seite sagt Augustin (19. de Civ. Dei 26.): „Wie das Leben des Fleisches die Seele ist, so ist das selige Leben des Menschen Gott;“ von dem der Psalm (143.) sagt: „Selig das Volk, dessen Herr sein Gott ist.“

Ich antworte, unmöglich könne die Seligkeit des Menschen in einem geschaffenen Gute bestehen. Die Seligkeit nämlich ist das vollendete Gut, von dem das Begehren ganz und gar befriedigt wird; sonst wäre sie nicht der letzte Endzweck, wenn etwas zu begehren übrig bliebe. Der Gegenstand des menschlichen Begehrens aber, also des Willens, ist das Gute im allgemeinen, d. h. alles Gute; wie der Gegenstand der menschlichen Vernunft das Wahre im allgemeinen, alles Wahre ist. Wo also, wie dies in jeder Kreatur der Fall ist, nur ein beschränktes Gut sich findet, da kann nicht die Seligkeit des Menschen sein. Nur in Gott ist alles Gute, die Kreatur nimmt nur teil am Guten. Also nur Gott kann anfüllen den Willen des Menschen, nach Ps. 102.: „Der mit Gütern anfüllt dein Verlangen.“ Nur also in Gott besteht die Seligkeit des Menschen.

Zu 3. Das geschaffene Gut steht zwar nicht niedriger wie das Gut, das der Mensch als etwas ihm Innewohnendes und Innerliches fassen kann; — es ist aber ein minderes wie das, welches der Mensch fassen kann als Gegenstand; es ist nämlich minder wie das unendlich vollkommeneGut. Das Gut aber, was sowohl dem Engel innewohnt wie dem ganzen All, ist ein begrenztes und beschränktes Gut. Da also der Mensch fähig ist, unendliches Gut als Gegenstand zu erfassen und zu genießen, so kann der Gegenstand, worin er seine Seligkeit findet, weder ein Engel noch das All sein.

  1. FRAGE: DAS GUTE IM ALLGEMEINEN [BUCH I, HMC]

  2. Artikel: Besteht die Einteilung des Guten in das Edle, das Nützliche und das Angenehme zu Recht?

Antwort: […] Dasjenige, was gewissermaßen nur als Durchgangspunkt der Bewegung und als vorläufiger Endpunkt angestrebt wird, d.h. also als Mittel, durch das ein Weiteres erreicht werden soll, nennen wir das Nützliche. Dasjenige aber, was als letztes Ende der Bewegung des Strebevermögens gesucht wird, d.h. die Sache, die man wegen ihrer selbst wegen begehrt, wird als das Edle bezeichnet. Denn edel ist das, was um seiner selbst willen Gegenstand des Verlangens ist. Der Besitz der Sache aber, in dem die Bewegung des Strebevermögens „zur Ruhe kommt“, bzw. diese Ruhe selbst wird das Angenehme genannt. [...] ist das, worin die Seligkeit besteht und was selig macht; die Erreichung oder der Besitz dieser Sache aber wird Seligkeit genannt. Deshalb muß man sagen, die Seligkeit wohl sei etwas der Seele Zugehöriges; das aber, worin die Seligkeit besteht, ist etwas außerhalb der Seele Bestehendes.

Zu 3. Soweit die Seligkeit die Vollendung der Seele ist, ist sie ein der Seele anhaftendes und innewohnendes Gut. Das aber, worin die Seligkeit besteht, ist etwas außerhalb der Seele.

  1. Artikel: Besteht die Glückgeborgenheit des Menschen in irgend einem erschaffenen Gut?

  2. Der Mensch ist selig durch jenes Gut, in welchem sein Verlangen Ruhe findet. Das Verlangen des Menschen aber erstreckt sich nicht auf ein größeres Gut, wie er selbst fassen kann. Da also der Mensch nicht fähig ist, ein Gut zu erfassen, welches die Grenzen aller Kreaturen übersteigt, so scheint es, daß der Mensch vermittelst eines geschaffenen Gutes selig werden kann.

Auf der anderen Seite sagt Augustin (19. de Civ. Dei 26.): „Wie das Leben des Fleisches die Seele ist, so ist das selige Leben des Menschen Gott;“ von dem der Psalm (143.) sagt: „Selig das Volk, dessen Herr sein Gott ist.“

Ich antworte, unmöglich könne die Seligkeit des Menschen in einem geschaffenen Gute bestehen. Die Seligkeit nämlich ist das vollendete Gut, von dem das Begehren ganz und gar befriedigt wird; sonst wäre sie nicht der letzte Endzweck, wenn etwas zu begehren übrig bliebe. Der Gegenstand des menschlichen Begehrens aber, also des Willens, ist das Gute im allgemeinen, d. h. alles Gute; wie der Gegenstand der menschlichen Vernunft das Wahre im allgemeinen, alles Wahre ist. Wo also, wie dies in jeder Kreatur der Fall ist, nur ein beschränktes Gut sich findet, da kann nicht die Seligkeit des Menschen sein. Nur in Gott ist alles Gute, die Kreatur nimmt nur teil am Guten. Also nur Gott kann anfüllen den Willen des Menschen, nach Ps. 102.: „Der mit Gütern anfüllt dein Verlangen.“ Nur also in Gott besteht die Seligkeit des Menschen.

Zu 3. Das geschaffene Gut steht zwar nicht niedriger wie das Gut, das der Mensch als etwas ihm Innewohnendes und Innerliches fassen kann; — es ist aber ein minderes wie das, welches der Mensch fassen kann als Gegenstand; es ist nämlich minder wie das unendlich vollkommeneGut. Das Gut aber, was sowohl dem Engel innewohnt wie dem ganzen All, ist ein begrenztes und beschränktes Gut. Da also der Mensch fähig ist,unendliches Gut als Gegenstand zu erfassen und zu genießen, so kann der Gegenstand, worin er seine Seligkeit findet, weder ein Engel noch das All sein.

  1. FRAGE: DAS GUTE IM ALLGEMEINEN [BUCH I, HMC]

  2. Artikel: Besteht die Einteilung des Guten in das Edle, das Nützliche und das Angenehme zu Recht?

Antwort: […] Dasjenige, was gewissermaßen nur als Durchgangspunkt der Bewegung und als vorläufiger Endpunkt angestrebt wird, d.h. also als Mittel, durch das ein Weiteres erreicht werden soll, nennen wir das Nützliche. Dasjenige aber, was als letztes Ende der Bewegung des Strebevermögens gesucht wird, d.h. die Sache, die man wegen ihrer selbst wegen begehrt, wird als das Edle bezeichnet. Denn edel ist das, was um seiner selbst willen Gegenstand des Verlangens ist. Der Besitz der Sache aber, in dem die Bewegung des Strebevermögens „zur Ruhe kommt“, bzw. diese Ruhe selbst wird das Angenehme genannt. [...]

  1. FRAGE: VON DER UNTERSCHEIDUNG DER DINGE IM BESONDEREN [BUCH I, HMC]

  2. Artikel: Hat der Schmerz1 mehr die Bewandtnis des Schlechten als die Schuld?

Andererseits: Ein weiser Künstler bewirkt ein kleineres Übel, um ein größeres zu vermeiden; so schneidet der Arzt ein Glied ab, damit nicht der Leib verderbe. Die Weisheit Gottes aber verhängt Schmerz, um Schuld zu vermeiden. Also ist die Schuld ein größeres Übel als der Schmerz.

Antwort: Die Schuld hat mehr die Bewandtnis des Schlechten als der Schmerz; nicht nur als die Sinne treffender Schmerz der als der Schmerz, der im Verlust der körperlichen Güter besteht – an solche Schmerzen denken die meisten –, sondern auch als der Schmerz ganz allgemein gefaßt, sofern auch der Verlust der Gnade und der Herrlichkeit gewisse Schmerzen sind.

Der Grund hierfür ist ein doppelter. Der erste Grund: Durch das Übel der Schuld wird jemand schlecht, nicht aber durch das Übel des Schmerzes; Dionysius: „Bestraft werden ist kein Übel, aber Strafe verdienen.“ Das ist darum der Fall, weil das Gute schlechthin in der Wesensverwirklichung besteht und nicht in der Wesensanlage. Letzte Wesensverwirklichung nun ist die Tätigkeit oder der Gebrauch irgendwelchen Eigentums; das Gut des Menschen aber besteht schlechthin in der guten Tätigkeit oder im guten Gebrauch des Eigentums. Wir gebrauchen nun die Dinge durch den Willen. Darum heißt der Mensch gut auf Grund des guten Willens, mit welchem er die Dinge, die ihm gehören, gut gebraucht; und auf Grund des schlechten Gebrauches wird er Mensch schlecht genannt. Es kann nämlich wer schlechten Willen hat, auch das Gute, das ihm gehört schlecht gebrauchen; wie wenn ein Lehrer der Sprache sich sichtlich falsch ausdrückt. Weil also die Schuld in einem ungeordneten Akt des Willens besteht, der Schmerz hingegen in dem Verlust von irgend etwas, was der Wille gebraucht, so hat die Schuld mehr die Bewandtnis des Schlechten als der Schmerz.

Der zweite Grund kann aus dem Umstand genommen werden, daß Gott Urheber des Übels des Schmerzes ist, nicht aber des Übels der Schuld. Der Grund dafür ist folgender. Das Übel des Schmerzes beraubt eines geschöpflichen Gutes; sei es daß man unter dem geschöpflichen Gut etwas Geschaffenes versteht, wie die Blindheit des Gesichtssinnes beraubt; sei es ein ungeschaffenes Gut, wie durch die Beraubung der Schau Gottes dem Geschöpf ein ungeschaffenes Gut entzogen wird. Das Übel der Schuld aber ist im eigentlichen Sinne dem ungeschaffenen Gut entgegengesetzt. Denn es widerstreitet der Erfüllung des göttlichen Willens und der göttlichen Liebe, mit welcher das göttliche Gut in sich selbst geliebt wird und nicht nur insofern das Geschöpf daran teilhat. So ist es denn offensichtlich, daß die Schuld mehr die Bewandtnis des Schlechten hat als der Schmerz.

  1. FRAGE: DIE KARDINALTUGENDEN [BUCH I-II, HMC]

  2. Artikel: Ob es vier Kardinaltugenden gibt?

Andererseits sagt Gregorius: „In vier Tugenden steigt das ganze Gebäude des guten Werkes empor,“

Antwort: Die Zahl irgendwelcher Dinge kann bestimmt werden nach dem formgebenden Wesensgründen oder nah den Trägern, & in beiden Fällen ergeben sich vier Kardinaltugenden. Der formgebende Grund der Tugend, von dem wir jetzt sprechen, ist das Gut der Vernunft.

Dieses kann doppelt genommen werden. Einmal insofern es in der betrachtenden Tätigkeit der Vernunft selbst besteht. Und so haben wir die eine Haupttugend, welche Klugheit genannt wird. – Sodann, insofern in irgendetwas die Ordnung der Vernunft aufgerichtet wird. Und zwar entweder im Handeln, & so haben wir die Gerechtigkeit; oder in den Leidenschaften, & so sind zwei Tugenden notwendig. Die Ordnung der Vernunft muß nämlich in den Leidenschaften aufgerichtet werden in Anbetracht des Widerstandes, den sie der Vernunft entgegensetzen. Dieser Widerstand kann doppelt sein. Einmal, insofern die Leidenschaft zu etwas verleitet, was der Vernunft entgegen ist, so muß die Leidenschaft zurückgedrängt werden, & davon hat die Maßhaltung ihren Namen. In anderer Weise, insofern die Leidenschaft von dem zurückhält, was die Vernunft befiehlt, wie z.B. die Furcht vor Gefahren oder Mühsalen; & so ist es notwendig, daß der Mensch gefestigt wird in dem was vernünftig ist, daß er nicht von ihm zurückweicht; & davon hat die Tapferkeit ihren Namen.

Ebenso ergibt sich auf Grund des Trägers dieselbe Zahl. Denn der Träger dieser Tugend, von der wir sprechen, erweist sich als vierfach, nämlich als wesenhaft vernünftiger, den die Klugheit vervollkommnet, & als durch Teilhabe vernünftiger, der dreigeteilt ist, nämlich in den Willen, welcher Träger der Gerechtigkeit, in das begehrende Strebevermögen, das Träger der Maßhaltung & in das überwindende Strebevermögen, das Träger der Tapferkeit ist.

  1. FRAGE: DIE GÖTTLICHEN TUGENDEN [BUCH I-II, HMC]

  2. Artikel: Ob Glaube, Hoffnung und Liebe sinnvoll als göttliche Tugenden angenommen werden

  3. Die göttlichen Tugenden sind vollkommener als die verstandhaften 6 sittlichen. Nun wird unter die verstandhaften Tugenden nicht etwa der Glaube eingereiht, im Gegenteil, dieser ist etwas Minderes als die Tugend, da er eine unvollkommene Erkenntnis bedeutet. In ähnlicher Weise wird auch unter die sittlichen Tugenden nicht die Hoffnung eingereiht; sondern sie ist etwas Minderes als die Tugend, da sie eine Leidenschaft ist. Also dürfen diese noch viel weniger als göttliche Tugenden angenommen werden.
    Anderseits sagt der Apostell Kor 13, 13: "Jetzt aber bleiben Glaube. Hoffnung und Liebe, diese drei."

Antwort: Wie schon (Art. 1) gesagt, ordnen die göttlichen Tugenden den Menschen in der Weise zur übernatürlieben Seligkeit hin, wie der Mensch durch die naturhafte Neigung auf ein ihm naturgleiches Ziel hingeordnet wird. Das erfolgt in doppelter Weise. Erstens der Vernunft oder dem Verstande gemäß, insofern dieser die ersten allgemeinen, uns durch das natürliche Licht des Verstandes bekannten Ursätze enthält, von denen die Vernunft sowohl im Bereich der Schau als des Werkes ausgeht. Zweitens durch die Rechtheit des Willens, der von Natur auf das vernunftgemäße Gut hinstrebt.

Diese beiden bleiben aber hinter dem Stand der übernatürlichen Seligkeit zurück, nach 1 Kor 2, 9: "Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben." Darum mußte unter beiden Gesichtspunkten dem Menschen etwas in übernatürlicher Weise hinzugegeben werden, um ihn auf das übernatürliche Ziel hinzuordnen. Und zwar werden dem Menschen zunächst bezüglich des Verstandes übernatürliche Ursätze hinzugegeben, welche mit göttlichem Lichte erfaßt werden, das sind die Glaubensgegenstände, auf welche sich der Glaube bezieht. - Zweitens aber wird der Wille auf jenes Ziel hingeordnet sowohl bezüglich der Bewegung des Sichspannens, die auf das Ziel hinstrebt wie auf etwas, das zu erreichen möglich ist - was in den Bereich der Hoffnung fällt -, als auch bezüglich einer gewissen geistigen Einung, durch welche er gewissermaßen in jenes Ziel umgeformt wird, was durch die Gottesliebe geschieht; denn das Strebevermögen eines jeden Dinges bewegt sich und strebt von Natur aus auf ein ihm naturgleiches Ziel hin; diese Bewegung kommt aus einer gewissen Gleichförmigkeit des Dinges mit seinem Ziel. […]

Zu 2. Glaube und Hoffnung besagen eine gewisse Unvollkommenheit, weil der Glaube auf das geht, was nicht gesehen wird, und die Hoffnung auf das, was man nicht hat. Darum bedeutet der Besitz des Glaubens und der Hoffnung in den Dingen, die menschlicher Macht unterworfen sind, ein Zurückbleiben hinter dem Wesen der Tugend. Der Besitz des Glaubens und der Hoflnung aber in den Dingen, welche über der Fähigkeit der menschlichen Natur liegen, überragt jede am Menschen gemessene Tugend, gemäß jenem Wort 1 Kor 1, 25: "Das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen."

  1. FRAGE: DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON GESETZEN[/RECHTEN] [BUCH I-II, HMC]

  2. Artikel: Gibt es ein ewiges Gesetz?

Andererdeits sagt Augustinus: „ Das Gesetz, das höchste Vernunft genannt wird…, muß jedem Einsichtigen als unveränderlich & ewig erscheinen.

Antwort: Gesetzt ist wie gesagt (90.1), nichts anderes als eine Weisung der auf das Tun gerichteten Vernunft, im Herrscher, der eine vollkommene Gemeinschaft leitet. Vorausgesetzt, daß die Welt durch die göttliche Vorsehung gelenkt wird (I 22, 1.2:Bd.2), muß nun offensichtlich die Gesamtheit des Weltalls geleitet werden durch die göttliche Vernunft.Und deswegen hat eben der Plan der Regierung aller Dinge, der in Gott als dem Herrscher des Weltalls besteht, die Bewandtnis eines Gesetzes. Weil aber die göttliche Vernunft nichts nach Art der Zeit, sondern in ewigem Begreifen erfaßt (Spr. 8,23), muß man dieses Gesetz ein ewiges nennen.

  1. Artikel: Gibt es in uns ein natürliches Gesetz?

Andererseits bemerkt die Glosse [8] zu der Stelle Röm 2,14: , Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, aus reinem Antrieb der Natur die Forderungen des Gesetzes erfüllen: „Wenngleich die Heiden kein geschriebenes Gesetz haben, haben sie dennoch ein natürliches Gesetz, durch das jeder begreift & sich bewußt wird, was gut & was böse ist.“

Antwort: Da das Gesetz Regel & Richtmaß ist, kann es zweifach in jemandem sein (90,1 Zu 1): einmal in dem der regelt & mißt; das zweite mal in dem, was geregelt & bemessen wird; denn etwas wird insoweit geregelt & bemessen, als es an einer Regel oder einem Richtmaß teilhat. Aus dem Gesagten (Art. 1) ergibt sich aber, daß alle Dinge die der göttlichen Vorsehung unterliegen, vom ewigen Gesetz geregelt & bemessen werden. Somit nehmen offensichtlich alle Dinge in irgendeiner Weise am ewigen Gesetz teil, insofern sie nämlich aus seiner Einprägung die Neigung zu den ihnen eigenen Handlungen & Zielen besitzen. Unter den anderen [Geschöpfen] ist nun das vernunftbegabte Geschöpf in einer ausgezeichneten Weise der göttlichen Vorsehung unterstellt, insofern es auch selber an der Vorsehung teilnimmt, da es für sich & andere ,vorsehen´ kann [9]. Deswegen findet sich auch in ihm eine Teilnahme an der ewigen Vernunft, durch die es eine natürliche Hinneigung zu dem ihm wesensgemäßen Handeln & Ziele besitzt. Und diese Teilnahme am ewigen Gesetz im vernunftbegabten Geschöpf wird natürliches Gesetz genannt. Nachdem der Psalmist daher gesagt hat: „ Bringt Opfer der Gerechtigkeit“ (Ps 4,6), fügt er wie für jene, die fragen, welche die Werke der Gerechtigkeit seien, hinzu: „Viele sagen: Wer zeigt uns dann das Gute?“; auf diese Frage erwidert er: „Über uns, Herr, ist das Licht deines Antlitzes aufgestrahlt“: das heißt, das Licht unserer natürlichen Vernunft, durch das wir unterscheiden, was gut & was böse ist - & diese Unterscheidung ist Sache des natürlichen Gesetzes -, ist demnach nichts anderes als eine Einstrahung göttlichen Lichtes in uns. Mithin wird klar, daß das natürliche Gesetz nicht anderes ist als eine Teilhabe am ewigen Gesetz im vernunftbegabten Geschöpf.

  1. Artikel: Gibt es ein menschliches Gesetz?

Antwort: Das Gesetz ist, wie gesagt (90, I Zu 2), eine Weisung der auf das Tun gerichteten Vernunft. Nun ist aber der Überlegungsgang in der auf das Tun gerichteten Vernunft dem in der auf die Schau gerichteten Vernunft ähnlich: beide schreiten von Grundsätzen zu Folgesätzen fort (ebd.). Demgemäß muß man sagen: In der auf die Schau gerichteten Vernunft werden aus den unbeweisbaren, naturhaft bekannten Grundsätzen die Folgesätze der verschiedenen Wissenschaften abgeleitet, deren Kenntnis uns nicht naturhaft eingesenkt, sondern durch die Bemühung der Vernunft erarbeitet ist. Ebenso muß die menschliche Vernunft von den Geboten des natürlichen Gesetzes wie von allgemeinen und unbeweisbaren Grundsätzen aus übergehen zur Weisung hinsichtlich des Einzelnen. Und diese aufs Einzelne übergehende Weisung, hergeleitet durch menschliche Vernunft, werden menschliches Gesetz genannt.

  1. Artikel: War ein göttliches Gesetz notwendig?

Antwort: Neben dem natürlichen Gesetz und dem menschlichen Gesetz war zur Lenkung des menschlichen Lebens ein göttliches Gesetz notwendig. Und das aus vier Gründen. Erstens. [...] ist [...] der Mensch bestimmt für das Ziel der ewigen Seeligkeit, [...] Zweitens. Das menschliche Urteil ist unsicher [...] Drittens. [...] Dem Urteil des Menschen unterliegen [...] nicht die Regungen des Inneren, die verborgen bleiben, [...] Viertens. [...] kann das menschliche Gesetz nicht alle Untaten bestrafen oder verhüten.

  1. FRAGE: DAS NATÜRLICHE GESETZ [BUCH I-II, HMC]

  2. Artikel: Kann das Naturgesetz sich ändern?

Andererseits: „Das natürliche Recht ist in Kraft, solange es vernunftbegabte Geschöpfe gibt. Es wandelt sich nicht im Laufe der Zeiten, sondern dauert unwandelbar fort.“

Antwort: Das das natürliche Gesetz eine Änderung erfährt, kann in zweifacher Weise verstanden werden. Einmal dahin, daß ihm etwas ergänzend beigefügt wird. Und einer solchen Änderung des natürlichen Gesetzes steht nichts im Wege. Denn sowohl durch das göttliche Gesetz wie durch menschliche Gesetze wurde dem natürlichen Gesetz vieles hinzugefügt, was dem menschlichen Leben dienlich ist. Zum anderen kann Änderung des natürlichen Gesetzes Wegnahme bedeuten, so daß nämlich etwas was bislang unter das natürliche Gesetz fiel, fürderhin nicht mehr unter das natürliche Gesetz fällt. Und so gesehen ist das Gesetz der Natur in seinen ersten Grundsätzen ganz & gar unwandelbar. Hinsichtlich der zweiten Gebote hingegen, die wir als ins einzelne gehende, den ersten Grundsätzen jedoch nahestehende Folgesätze kennzeichneten (Art.4), ändert sich das natürliche Gesetz nur dergestalt, daß seine Forderung für die Mehrzahl der Fälle immer Recht bleiben. In einem einzelnen Sachverhalt aber, & zwar wegen gewisser besonderer Ursachen, die eine Beobachtung solcher Gebote verhindern.

  1. Artikel: Kann das Naturgesetz aus dem Herzen des Menschen getilgt werden?

Anderseits sagt Augustinus: „Dein Gesetz ist den Herzen der Menschen eingeschrieben, & keine Ungerechtigkeit wird es jemals vernichten.“ Aber das in den Herzen der Menschen eingeschriebene Gesetz ist das natürliche Gesetz. Also ist das natürliche Gesetz unaustilgbar.

Antwort: Wie gesagt (Art. 4.5), gehören zum Naturgesetz zuerst gewisse allgemeinste Gebote, die allen bekannt sind; sodann gewisse nachgeordnete, mehr ins einzelne gehende Gebote, die gleichsam Folgerungen sind, die den Grundsätzen nahestehen. Hinsichtlich jener allgemeinen Grundsätze kann nun das natürliche Gesetz in keiner Weise aus den Herzen der Menschen getilgt werden, was seine allumfassende Geltung anlangt. Dagegen kann es mit Bezug auf ein einzelnes Werk ausgelöscht werden, wenn die Vernunft infolge sinnlichen Begehrens oder sonstiger Leidenschaft daran gehindert ist, den allgemeinen Grundsatz auf das einzelne Werk anzuwenden (77,2. Bd. 12). – Hinsichtlich der anderen nachgeordneten Gebote indes kann das Naturgesetz aus den Herzen der Menschen getilgt werden, sei es sei es infolge übler Gewohnheiten und verderbter Gehaben – auch nach dem Zeugnisse des Apostels Röm 1, 24ff. galten mancherorts Raub oder naturwidrige Laster nicht als Sünde.

  1. FRAGE: DIE REICHWEITE DES MENSCHLICHEN GESETZES [BUCH I-II, HMC]

  2. Artikel: Ist es Aufgabe des menschlichen Gesetzes, alle Laster zu verhindern?

Antwort: Wie bereits gesagt (90,1,2), wird das Gesetz als Regel & Richtmaß menschlicher Handlungen aufgestellt. Das Maß muß aber dem Gemessenen gleichgeartet sein (Aristoteles); verschiedenes wird nämlich mit verschiedenem Maß gemessen. Daher müssen auch die Gesetze den Menschen entsprechend ihrer Verfassung auferlegt werden; denn ein Gesetz muss „der Natur & der Landessitte nach erfüllbar“ sein (Isidor). Das Vermögen oder die Kraft zu handeln kommt aber aus dem inneren Gehaben bzw. der inneren Verfassung: dem, der das Gehaben der Tugend nicht besitzt, ist nicht das gleiche möglich wie dem Tugendhaften, ebensowenig, wie ein Kind das leisten kann, was ein erwachsener Mann zu leisten imstande ist. Deswegen werden auch für Kinder nicht die gleichen Gesetze erlassen wie für die Erwachsenen; Kindern ist vieles erlaubt, was bei Erwachsenen gesetzlich bestraft oder doch gerügt wird. Ähnlich muß den in der Tugend nicht vollkommenen Menschen vieles zugestanden werden, was bei tugendhaften Menschen nicht geduldet werden könnte.

Das menschliche Gesetz wird aber einer Vielzahl von Menschen gegeben; & in ihr ist der größere Teil der Menschen nicht in der Tugend vollkommen. Deshalb werden durch das menschliche Gesetz nicht alle Laster verboten, deren sich die Tugendhaften enthalten, sondern nur die schwerer wiegenden, deren sich der größere Teil der Menge enthalten kann; darunter besonders jene, die sich zum Schaden anderer auswirken & ohne deren Verbot die menschliche Gesellschaft keinen Bestand haben könnte; so werden durch das menschliche Gesetz Mord, Diebstahl & ähnliches untersagt. [...]

Zu 2. Das menschliche Gesetz hat die Bestimmung, die Menschen zur Tugend hinzuführen, nicht auf einen Schlag, aber Schritt für Schritt. Daher legt es der Vielzahl der Unvollkommenen nicht sofort das auf, was Sache der in der Tugend Vollkommenen ist: das sie sich nämlich von allem Bösen fernhalten. Sonst würden die Unvollkommenen, die außerstande sind, solche Gebote zu ertragen, nur in noch schlimmeres ausbrechen, nach Spr. 30,33: „Wer zu stark drückt, preßt Blut heraus“, & Mt 9, 17: „Wenn neuer Wein“ d.i. Gebote vollkommenen Lebens, „in alte Schläuche gegossen wird“, d.i. unvollkommenen Menschen zugemutet, „dann platzen die Schläuche & der Wein läuft aus“.

Euer Zeitgedanken

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