Herzlich willkommen zurück meine Lieben! Schön, dass ihr auch für den dritten Rotkäppchenteil Zeit habt! 📚📖
In den vergangenen beiden Wochen haben wir uns bereits mit den Rotkäppchen Versionen Charles Perraults und der Gebrüder Grimm beschäftig. Heute folgt der dritte und letzte Teil dieser Miniserie.
Die Version von Tahar Ben Jelloun – Marokko
Tahar Ben Jellouns Version La petite à la burqa rouge („Die Kleine in der roten Burka“) spielt wieder etwa 150 Jahre später, doch lassen sich bezüglich des Frauenbildes leider kaum Unterschiede zwischen dem deutschen des 19. Jahrhunderts und dem marokkanischen des 21. Jahrhunderts feststellen.
Die Rolle der Frau wird in Marokko durch den Islam definiert, da dieser die konstitutionell festgelegte Staatsreligion ist. Der Koran besagt u. a., dass die Aufgabenbereiche der Frau innerhalb des Hauses liegen, zur Erfüllung dieser Aufgabe sollen Frauen nicht lange in die Schule gehen, sondern früh die Haushaltsführung und Kindererziehung beigebracht bekommen und heiraten. Sie sollen zurückhaltend und ihrem Mann hörig sein, dieser hingegen hat die Entscheidungsgewalt in allen übrigen Lebensbereichen.
Die Vorgaben des Islams führen dazu, dass Frauen in Marokko kaum Rechte haben, geschweige denn Geld und oftmals auch keine (gute) Bildung. Mittlerweile haben zwar auch Frauen das Recht sich scheiden zu lassen und die Gehorsamspflicht gegenüber dem Ehemann wurde abgeschafft, doch die Umsetzung dieser neuen Vorgaben sieht häufig anders aus.
Laut einer Statistik widerfährt mehr als einem Drittel der Marokkanerinnen Gewalt, meist ausgeübt von den Ehemännern. Strafbar ist das jedoch nicht, da der Koran ausdrücklich sagt, der Mann solle den Ungehorsam seiner Frau durch Schläge bestrafen. Besonders heikel ist die Lage bei Vergewaltigungen. So garantierte beispielsweise bis Anfang 2014 der § 475 des marokkanischen Strafgesetzbuches einem Vergewaltiger Straffreiheit, wenn er als Wiedergutmachung sein Opfer heiratete. Das ist jetzt zwar nicht mehr möglich, doch werden Frauen, die außerhalb einer Ehe schwanger werden und die Kinder, die so gezeugt werden, nach wie vor ausgegrenzt, zusätzlich benachteiligt das Erbrecht Frauen, indem sie nur halb so viel erben können wie Männer und Abtreibungen sind nur möglich, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist.
Wie ihr seht, ähnelt das Bild der Frau im Marokko des 21. Jahrhunderts auf erschreckende Weise dem in Frankreich vor 300 und in Deutschland vor 150 Jahren. Frauen werden noch immer in- und außerhalb der Ehe unterdrückt und haben kaum Rechte, werden von der Gesellschaft ausgeschlossen sowie als minderwertig und als Gefahr für die männliche Moral betrachtet. Es gibt Bestrebungen, diese Ungleichheiten aufzuheben, doch sind kaum Resultate zu verzeichnen, obwohl immer mehr Frauen in der Politik mitwirken und auch immer mehr Frauenrechtsbewegungen entstehen. Eine tatsächliche Besserung der Situation würde erst eintreten, wenn sich die marokkanische Regierung zu einer Trennung von Religion und Staat entschließt.
Die Geschichte
Jelloun hat all das oben genannte bei seiner Rotkäppchen Version berücksichtig und dadurch eine spannende Verbindung aus altertümlicher und moderner Erzählung geschaffen. Doch gibt es dadurch wesentliche Unterschiede zu den zuvor besprochenen Märchen.
Die Unterschiede beginnen damit, dass Jelloun im Gegensatz zu Perrault und den Grimms seiner Protagonistin einen Namen gegeben hat. Sie heißt Soukaïna und ist von Beginn an klug. Sie und ihre Mutter wissen, dass es für Frauen absolut notwendig ist, sich bis auf den kleinsten Flecken Haut einzuhüllen, damit sie auf gar keinen Fall die schwache Moral der Männer reizen. Daher beginnt die Geschichte mit der absurden Situation, dass die Mutter das Mädchen in ein Tuch hüllt, bis sie nur noch aus einem Auge gucken kann.
Der Wolf wird in Jellouns Version von einem Soldaten verkörpert und Soukaïna ist sich der Gefahr, die von ihm ausgeht, sehr bewusst. Sie versucht also die Konfrontation mit ihm zu vermeiden und als es unweigerlich zu einem Gespräch kommt, stellt sie sich naiv:
„Soukaïna fit mine de ne rien comprendre et se mit à pleurer.“
(„Soukaïna tat so, als verstehe sie nichts und begann zu weinen.“)
Doch nicht nur das, auch sie stellt dem Soldaten Fragen, die augenscheinlich naiv sind, durch die sie jedoch auch einiges über ihn und seine Waffen erfährt. Sie weiß die Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen; diese Eigenschaft hatten ihre Vorgängerinnen nicht.
Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass Soukaïna gegen den Soldaten kämpft, als dieser sie erst vergewaltigen und dann aufgrund ihres Ungehorsams umbringen will, ihn verspottet und sich am Schluss selbst rettet. Sie ist also das erste Rotkäppchen, dass nicht dank des Jägers überlebt, sondern aus eigener Kraft heraus. Dieser Prozess bewirkt, dass aus der klugen Soukaïna eine weise Frau wird. Das Mädchen zeigt mit seinem Verhalten, dass man belohnt wird – in diesem Fall mit Weisheit – und es der Gesellschaft hilft, wenn man sich gegen das Böse zur Wehr setzt.
Der Autor stellt in seiner Version des Märchens die archaischen Zustände seiner Heimat - verkörpert durch den Soldaten - und eine moderne Lebensweise voller Mut und Potential - verkörpert durch Soukaïna - gegenüber und drückt sehr deutlich aus, wie sich die Zukunft seiner Meinung nach entwickeln sollte.
Tahar Ben Jelloun hat eine Reihe von Märchen auf diese Weise in die Moderne versetzt und damit in seinem Sammelband „Mes contes de Perrault“ von 2014, erschienen bei Seuil, überaus lesenswerte Geschichten kreiert, die ich allen ans Herz legen möchte, die mal etwas ganz Anderes lesen und einen Einblick in eine fremde Kultur erhalten möchten.
Ihr Lieben, das war (fast) alles, was ich zu Rotkäppchen zu sagen habe. Über eure Gedanken zu diesem Thema freue ich mich sehr! Vielleicht kennt ihr noch eine weitere Version oder eine Adaptation einer anderen Geschichte in ein völlig neues Umfeld. Wie hat euch der Vergleich gefallen? Welches ist euer Lieblingsmärchen und wieso? Und wer von euch weiß, wieso Rapunzel heißt, wie sie heißt?
À la prochaine fois
Votre meluni
Bildquellen 1 und 2
Liebe Melanie,
du weißt, dass ich deine Serie extrem interessant finde, auch wenn ich nicht alles kommentiere.
An dieser Stelle, ist es doch die letzte Rotkäppchen-Ausgabe, möchte ich dir ein Buch empfehlen - wer weiß, vielleicht geht deine Reihe noch weiter.
Es heißt Grrrimm und Karen Duve nimmt darin recht bissig einige Märchen meiner geliebten Brüder Grimm (klar, @w74, die lungern bei mir nicht nur auf dem Sofa rum, da sie aber zu zweit sind, teile ich meine Freude an ihnen gern) unter die moderne Lupe. Rootkäppchen ist dabei:
"Rotkäppchen wohnte in Vifor, einem der höher gelegenen Bergdörfer. Ihr Vater war Kimi Topolov, der Gemeindediener, und ihre Mutter hatte angeblich schon einmal im Gefängnis gesessen. Ich weiß nicht, wie das anderswo läuft, aber hier bei uns in den Bergen ist es der soziale Tod, wenn jemand als Einziger auf dem Schulhof eine rote Kappe trägt, während alle anderen eine schwarze haben."
Du siehst, und weißt es natürlich auch, Märchen sind zum Interpretieren da, egal ob in Marokko, in Frankreich oder im deutschen Wald. Die Grimmis haben sich die Story ja nicht ausgedacht, sondern mündliche Erzählungen gesammelt. Da soll bei überlieferten Parabeln kulturell schon was bei rumkommen.
Rapunzel ist soweit ich weiß eine Pflanze. Naja, mehrere. Die glockenblumenähnliche soll als Aphrodisiakum genutzt worden sein. Passend.
Liebe Grüße,
Christiane
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Liebe Christiane,
besten Dank für Buch- und Essayempfehlung! Das klingt nach einer spannenden Auslegung und ich bin stets offen für andere Interpretationsansätze!
Rapunzel - zumindest der, den ich meinte - ist gewöhnlicher Feldsalat :) Rapunzels Mutter war ganz begierig auf diesen Salat, der im Garten der Hexe grünte und als der Vater beim Diebstahl der Pflanzen erwischt wurde versprach er der Hexe bereitwillig das Kind zu überlassen, ist ja die einzig logische Handlung!
Hab ein tolles Restjahr und genieß die hoffentlich auch bei dir sonnigen Tage!
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Ach ja, so war das... 😂
Komm gut ins neue Jahr,
alles Liebe,
Christiane
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Hallo Meluni,
da du scheinbar und guter Weise z.Z. der Salonnière Malwida von Meysenbug ähnelst, gibt es mal wieder einen Resteem von mir.
Da, heute noch bei den Mohamedanern, die Wurzel allen Übels dieser nämliche himmlische Zauberer Gott ist, liegt also die Lösung vieler Schwierigkeiten darin begründet, gleich dem Unkraute, das Übel an der Wurzel zu greifen und als das was es ist, eine Fabel, diesen Gott mit Aufklärung zu töten. [1] Denn dasjenige Haus, mit all seinen Übeln, wird dann in sich stürzen, welches auf Gott baute.
So plante ich für letzte Woche eine Gottesaustreibung an 4 Kindern. Als ich gemäß Planung beginnen wollte, frug eines der Kinder mich folgendes: "Mein Papa sagt, daß Gott die Tiere erschuf. Aber im Fernsehen hörte ich etwas ganz anderes. Was ist richtig?" Ich mußte lachen und sprach also die Wahrheit. - Daß es Gott nicht gibt usw. - Dann frug man mich: "Aber woher weiß man das (, daß die Tiere nicht von Gott stammen)?" Ich antwortete, daß dieses der werte Herr Charles Darwin herausfand und begann also Dokumentationen, wie die Folge 15 über Darwin (die Entstehung der Arten) aus der Lernserie: Es war einmal... Entdecker und Erfinder, - kommentiert - zu zeigen.
[1] Missionierender Atheismus.
Anmerkung: Wenn Gott, dann richtig: Alles - was ist, - ist Gott; und diese unabänderlichen Gesetze der Natur, die Naturgesetze, seien dann sein Buch. Irgendwelche Fabeln, - man denke an den gordischen Knoten, - welche quasi jeder Willige, obgleich als unabänderbar gelogen, ändern oder gar mißachten kann, waren weder göttlich, noch sind diese es. Des Menschen Regeln, sind vom Menschen immer änderbar. - So gibt es bekanntlich Mißstände nur, weil die Mehrheit diese will und oder duldet. Aber nun schweife ich ab. Der - allgemeine - Glaube, und besonders der Aberglaube, dieser Glaube an Zauberei, an änderbare Unabänderbarkeit uvm., gehört, auch mit Hilfe einer geistigen Sterbehilfe, zu Grabe, - gleich so wie man es mit den Göttern des Olympes tat, - getragen. - Und also wird unser Leben, und das Leben unserer Kinder und Kindeskinder besser sein. Ecrasez l'infâme!
Beste Grüße, weiter so, sei mutig und gehe mit Nietzsche!
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Hallo Taldor,
Danke für das Kompliment. Ich fürchte nur, dass ich diesen Zustand nicht lange aufrecht erhalten werden kann, das ist nämlich überaus arbeitsintensiv ;)
Ich halte es auch nicht für sinnhaft Kindern einzubläuen, Gott habe alles geschaffen. Wer an seinem Glauben festhalten mag, der solle dies tun, doch sind extreme Denkweisen nie gut. Und vermeintlich Dinge/Aufträge im Namen Gottes zu erledigen ist doppel plus ungut. Doch denke ich auch, dass man Kindern ihren kindlichen Glauben - egal an was - durchaus zunächst lassen kann, denn es hilft ihnen, auf ihre Weise die Welt zu verstehen. Bei einer ausreichenden Bildung im weiteren Lebensverlauf wird sich dieser (teilweise) irrigie Glaube ohnehin "herauswachsen".
Liebe Grüße über die große Erdfalte!
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Da bist du aber ganz schön auf dem Holzwege werte Meluni, wie man dieses von den Religionen weiß. Schließlich glauben, und geben diesen Glauben an ihre Kinder weiter, unsäglich viele erwachsene Menschen, Sachen wie:
Ich bleibe dabei: Glaube hat unter unserer Sonne nichts zu suchen. Zu glauben heißt, schlechte Gedanken zu haben. Es sollte ein Kinderrecht sein, Kinder vor Lügen zu bewahren. (Kinder sollten verstehen, daß eine Fabel keine Wahrheit ist und trotzdem schön sein kann.) Glauben heiße ich also für Kinder eine Jugendgefährdung.
Grüße zurück auf die große Erdfalte.
PS: Lasse uns aber dieses Thema hier nun ruhen.
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Alles richtig gemacht, weiter viel Erfolg...
Du hast ein kleines Upvote vom German-Steem-Bootcamp erhalten.
Du findest uns im Discord unter https://discord.gg/HVh2X9B
Aktueller Kurator ist @don-thomas
Du bist herzlich eingeladen zu unserem Weihnachtskalender wo du jeden Tag einen tollen Preis erhalten kannst.
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Hallo Melanie,
wie ich feststellen kann, beziehen wir ab sofort meine ehemalige Heimat links des Rheins mit in den #deutschdienstag ein.
Vielleicht wird es ja mal irgendwann der #europadienstag?
Liebe Grüße
Wolfram
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Lieber Wolfram,
gegen einen #europadienstag hätte ich nichts einzuwenden!
Liebe Grüße!
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Dann warte ich gespannt auf den ersten Schritt über die Grenze hinaus.
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Zu dem Thema Rotkäppchen und böser Wolf gibt es auch einen ganz tollen Film von Neil Jordan. Die Zeit der Wölfe zeigt die Thematik in einigen zusammenhängenden Kapiteln. Ich fand den Film damals richtig gut.
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Lieber @depot69,
ich habe mir mal gerade den Trailer zum Film angeschaut und muss sagen, dass er ganz schön gruselig wirkt :D Danke für die Empfehlung!
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Hallo @meluni, sehr schöne Version vom Rotkäppchen. Mein Lieblingsmärchen ist Schneewittchen, habe leider vergessen, warum Rapunzel so heisst. Liebe Grüße Alexa
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Hallo Alexa!
Schneewittchen ist auch ein überaus schönes Märchen! Wenn du die Antwort zu Rapunzel wissen möchtest, dann schau mal weiter oben in meine Antwort an @chriddi! :)
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