Die EZB als Gefahr?

in ezb •  7 years ago 

In der jüngeren Vergangenheit gibt es zunehmend Veröffentlichungen, dass die EZB mit ihrer Niedrigzinspolitik
-einen Rückgang der Produktivitätsgewinne (insbesondere der deutschen) Wirtschaft herbeiführe,
-sie massenhaft Kredite an "unproduktive Schrottfirmen" ausgebe (so exemplarisches Zitat aus SZ Nr. 179 vom 5. August 2017, S. 25),
-wegen des damit einhergehenden Geldanlagenotstandes viele Finanzierungen in den grauen Kapitalmarkt dränge (mithin eine Fehlsteuerung der Banken veranlasse) und damit
-ein enormes Insolvenzrisiko zu vielen Unternehmen schaffe, welches insbesondere bei einem künftigen Wechsel in der Zinspolitik möglicherweise schlagartig ein bisher ungekanntes Ausmaß eines wirtschaftlichen Niederganges bringen werde.

Als tatsächliches Indizien, dass diese Behauptungen zutreffen, wird immer wieder auf Einzelfälle verwiesen. Besonders namhaft ist dabei jüngst der Produktionsausfall im Herbst 2017 bei BMW aufgrund der Schieflage eines Zulieferers. Dessen Insolvenzreife habe Bosch dazu genötigt, diesen gleich selbst zu übernehmen. Solche Szenarien werden dabei gerne von Bonitätsdienstleistern, ggf. auch von bestimmten Versicherern öffentlichkeitswirksam gestreut.

Nun soll hier keinesfalls die EZB in Schutz genommen werden. Aussagen dazu wären kategorisch vermessen. Außerdem sind die konkreten Folgen des bis dato ungekannten Ausmaßes extremer Finanzierungshilfen durch eine Zentralbank aktuell wohl selbst für Profis nicht verlässlich absehbar, zeigen werden sie sich zudem wohl überdies erst im Laufe etlicher Jahre. In die Zukunft schauen lässt sich schließlich nicht, jedenfalls nicht aus der humanen Perspektive.

Gleichwohl muss erlaubt sein, die obigen - in ähnlicher Weise immer wiederkehrend vorgetragenen - Behauptungen näher zu betrachten.

Zunächst dazu, die EZB fördere mit ihrer Niedrigzinspolitik besonders unwirtschaftliche Betriebe: Argumentiert wird, dass es aktuell viele marode Unternehmen überhaupt nur deshalb gäbe, weil sie sich mit billigem Geld finanzieren und nur so die Konjunktur floriere, verbunden mit der Schlussfolgerung, dass ein solchermaßen künstliches „am Leben erhalten“ enorme Gefahren für die Gesamtwirtschaft biete, trotz historischem Tiefststand der Unternehmensinsolvenzen. Wenngleich einige dazu vorgebrachte – teils banale – Argumente zutreffen mögen (z. B., dass es am grauen Kapitalmarkt intransparent zugeht – was gerade allerdings wieder transparent ist), sind zwei Aspekte kritisch zu würdigen.

Offenbar wird teils eine statische Denkweise eingenommen. Der Wirtschaftskreislauf ist jedoch ein dynamischer. Sofern Banken tatsächlich massenhaft Kredite an „unproduktive Schrottfirmen“ ausgeben sollten, muss dies einerseits bei sich ändernder Zinslage nicht so bleiben. Andererseits können einzelne Unternehmen mit nicht mehr tragfähigen Geschäftsmodellen gerade ob dieser Finanzierungsmittel ggf. neue erschließen – und stellen damit mittelfristig möglicherweise gar kein wirtschaftliches Risiko mehr dar.

Vor allen Dingen dürfte aber die Aussage zurückzuweisen sein, dass ein Rückgang der Produktivitätsgewinne einzig auf eine Destabilisierung der Banken seitens der EZB zum Schaden der Wirtschaft zurückzuführen sei, was in der Folge ein enormes Insolvenzrisiko berge. Selbst wenn dies im Einzelfall zutreffen mag, ist ein breiter Rückgang der Produktivitätsgewinne volkswirtschaftlich vornehmlich als Marktsättigung wahrzunehmen. Die einstmals hohen Produktivitätsgewinne kann es bei einer stark diversifizierten Wirtschaft jedenfalls in den klassischen Sektoren folglich gar nicht mehr geben.

Insofern ist das Beispiel des Produktionsstopps bei BMW, weil ein Zulieferer ausfiel und Bosch diesen kurzerhand übernahm, kein passendes. Denn wenn zutrifft (wie jedenfalls vereinzelt behauptet), dass die großen – z. B. BMW, Bosch – von den Banken längst unabhängig seien, können diese sich ob der geringen Margen Risiken in der Zulieferkette in gewisser Weise erlauben – gerade weil sie notfalls diese aufgrund eigener Finanzstärke wieder inkorporieren.

Kurzum:
Gefahren etwaiger Fehlfinanzierung sind nicht zu unterschätzen – aber gerade bei historisch niedrigen Insolvenzanträgen auch nicht verzerrend zu überzeichnen (wenngleich aus der Warte der Bonitätsdienstleister verständlich). Schließlich dienen Insolvenzverfahren, aller modernen Sanierungsbestrebungen zum Trotz, vornehmlich der – im Einzelfall schmerzlichen, volkswirtschaftlich insgesamt jedoch positiven – Marktbereinigung.

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