Ich bin dafür bekannt, dass ich eine Ader für Ethik und Philosophie im klassischen Sinne habe. Dabei finde ich vor allem jene Felder interessant, bei denen die meisten Menschen die Augen verdrehen und es sofort als Humbug abtun. So würde kaum jemand auf die Idee kommen „Wirtschaft“ und „Ethik“ im gleichen Atemzug zu nennen. Tut man dies trotzdem, bricht meist sofort hämmischer Spott aus und man hört die gleichen platten Attitiduden, die man an jedem Stammtisch hören kann.
Besonders habe ich mich daher über den Pfund eines Buches (in meinem Fall Audiobook) von Nassim Taleb (Skin In The Game – Das Risiko und sein Preis). Wer ebenfalls ein wenig für solche Themen interessiert, wird dabei sicherlich auch seine helle Freude haben. Dabei stehe ich mit so manchem liberalen Weltbild ziemlich auf Kriegsfuss, da ich die Thesen und Schlussfolgerungen daraus sehr primitiv und dumm halte. Gleichzeitig stehe ich aber dem gesellschaftlichen Liberalismus sehr nahe und glaube an der Freiheit des Individuums.
Talebs Überlegungen schaffen es dabei eine Brücke zu schlagen und mir ganz nebenbei ein paar Fragen zu beantworten, die mir schon lange unter dem Nägel brennen und ich nie so recht greifen konnte. Seine These ist grundsätzlich, dass Gesellschaft nur dann richtig funktioniert, wenn jemand „Skin in the Game“ hat, also seine eigene Haut riskiert. Das hört sich zunächst etwas befremdlich an.
Er zeigt aber an Hand vieler Beispiele auf, dass in der heutigen Welt genau dieses Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist und macht auch keinen Hell daraus wie sehr er so manchen Zeitgenossen dafür verachtet. Nehmen wir mal als Beispiel den klassischen Bänker der heutigen Zeit, den jeder von uns kennt. Man traut sich schon fast gar nicht mehr in die Hausbank, weil man ständig mit irgendwelchen dubiosen Angeboten überschüttet wird und seinen Dispo doch ausbauen soll.
Ich kenne Leute, die lieber eine Direktbank genommen haben, nur damit sie nicht ständig mit solcher Werbung überflutet werden. Die Ursache dafür ist klar! Der Bänker verdient sehr gut daran, wenn er einem etwas aufschwatzt. Ein solider Riester-Vertrag an einen unbeholfenen 20-jährigen, macht mal eben locker 2000€ für einen aus. Der Staat flankiert das Angebot noch und treibt die Menschen in solche Verträge. Kommen sie dann in ein Alter in dem sie merken, dass sie sehr schlecht beraten wurden, liegen die Verkäufer meist bereits unter der Erde oder sitzen bereits sabbernd in einem Pflegeheim.
Es ist also „risikolos“ für den Bänker und entsprechend zieht er es auch durch. Dies hätte früher so nicht funktioniert. In der guten alten Dorfbank, sprach es sich sehr schnell herum, wenn jemand versucht hat einen anderen über den Tisch zu ziehen. War der Ruf erst ruiniert, war es schwer damit noch sein Brot zu verdienen. Überhaupt im Handel war es wichtig einen guten Leumund zu haben, doch in Zeiten des anonymen Tradings, wird es natürlich leicht sich dem zu entziehen.
Oder was wenn das Risiko versteckt ist. Beispielsweise ein Arzt der einem Medikamente verschreibt, weil man eine Risikoerkrankung hat. Die Wahrscheinlichkeit daran zu erkranken ist nur gering, aber er wird eine Behandlung anstreben, weil er Angst davor hat, dass man ihm nachweist, dass er nicht richtig behandeln würde. Die Folgen hat der Patient dann jedoch aber vielleicht 20 Jahre später dadurch, dass er das Medikament ständig eingenommen hat und es nicht mehr richtig wirkt (Antibiotika) oder eben das eigentliche Risiko noch weiter erhöht hat als es vielleicht unbehandelt gewesen wäre.
Die Pharmaindustrie mag chronisch kranke natürlich gerne. Würde sie nur Patienten haben, die sowieso nur noch 5 Jahre zu leben haben, wäre es schwer damit Geld zu machen. Lebt einer aber über Jahre mit der Erkrankung, kann man richtig Kasse machen. Der Arzt wird hier zum Helfer, vielleicht sogar ohne böse Absicht.
Ich kenne dies selbst, dass es Ärzt gibt, die bei einer Nachfrage durchaus eine wesentlich bessere Beratung geben. Mein Diabetologe hat z.B. zwei Medikament vorgestellt und klar mich als Patient gefragt, welches ich haben möchte. Er sagte mir, dass beide Nebenwirkungen haben und ich entscheiden soll mit welcher ich besser leben könnte. Dazu gab er seine Erfahrung von anderen Patienten und sagt auch, dass das eine ein recht neues Medikament ist, was gut aussieht, aber eben noch nicht lange verabreicht wird. So etwas lobe ich mir.
Wann immer jemand nicht seine eigene Haut aufs Spiel setzt, läuft man Gefahr schlecht beraten zu werden. Dies ist auch der Grund, wieso ich hier vermeide z.B. über Aktien, ETFs oder P2P zu schreiben, die ich nicht selbst halte. Für Euch macht es keinen Unterschied, weil ihr nicht wisst, ob ich die Wahrheit sage. Aber für mich macht es einen moralischen Unterschied, wenn ich darüber schreibe. Gebe ich eine Rat ohen selbst investiert zu sein und es geht nach hinten los, würde es mir sehr leid tun.
Umso überraschter bin ich gewesen zu hören, dass in der Antike und anderen Kulturen mitunter ein ganz andere Moralvorstellung von fairen Handel gab als es heutzutage der Fall ist. Ja, heute ist es okay, solange es Profit macht! Jeder wird eine Geschichte haben, die er dazu erzählen kann. Der Volksmund jammert auch ständig darüber, dass heute nur noch die Gier herrscht. Dabei ist es gar nicht so leicht zu entscheiden ab wann ein unethisches Handeln eigentlich beginnt. Sollte man einen Profit ausschlagen, wenn die Gegenseite schlecht informiert ist?
Heute würde man eher zu einem „Nein“ tendieren. Die Seefahrer im Mittelmeer hätten darüber anders gedacht. So wird die Geschichte erzählt von einer Hungersnot in Rhodos und einem Seefahrer aus Alexandria, der es schaffte einen Tag vor den anderen abzufahren. Dabei war er sich bewusst, dass sehr viele Schiffe mit Getreide beladen wurden. Nun da er zuvor ankommt, kann er seine Ware zu Mondpreisen verkaufen oder eben davon berichten, dass andere Schiffe auch unterwegs sind.
Dies würde zwar seinen Profit ruinieren, allerdings würden die Leute ihm diese Fairness sicherlich hoch anrechnen. Würde er seinen Profit nehmen, würden sie einen Tag später merken, dass sie über den Tisch gezogen worden wären. In einem solchen Fall wäre der Ruf ruiniert und vermutlich würde man künftig skeptischer sein.
Oder eine jüdische Geschichte bei der ein Händler meditiert. Ein Kunde will ein Gut und macht das Gebot, dass der Händler will. Dieser will aber seine Meditation beenden und schweigt. Die Gegenseite wertet dies als Ablehnung und erhöht das Gebot. Die meisten Kulturen dieser Welt würden es für ethisch Einwandfrei halten, wenn der Händler das neue Gebot nimmt und einen höheren Profit realisiert. Immerhin bot der Händler dies ja an und wenn beide Seiten zustimmen, ist der Vertrag gültig.
So wurde im jüdischen Altertum ein solches Geschäft allerdings anders bewertet, da auch innere Haltung mit einfloß. Der Händler weiß ja, dass er hier einen Profit zu lasten des Kunden machen würde und er eigentlich mit dem normalen Preis zufrieden gewesen wäre. Er wäre also verpflichtet dem Kunden den alten Preis anzubieten und das höhere Angebot abzulehnen.
Was zunächst nach einem ehrenvollen und vielleicht auch dummen Verhalten aussieht, macht aber soziologisch durchaus Sinn, da es den Frieden wart. Was wäre wohl los, wenn ein paar Minuten später ein guter Freund des Kunden reinkommt und zum normalen Preis einkauft und die beiden Kunden sich miteinander unterhalten? Der eine würde feststellen, dass er über den Tisch gezogen wurde, da diese Preisschwankung nicht mit Marktpreisen zu Stande kommen würde. Er wäre vermutlich deswegen sauer und würde nicht mehr bei einem Einkaufen.
Ich stimme dieser Überlegung keineswegs vollständig zu. Es mag ratsam sein so zu handeln, wenn es um einen innerstädischen Handel geht. Aber in einer globalisierten Welt, würde so etwas nicht wirklich funktionieren. Wir nutzen freie Märkte ja gerade um einen fairen Wert zu ermitteln und damit ein Komplexitätsproblem zu lösen.
Dabei bin ich aber eben auch immer ein sehr großer Freund von Kant und dem kategorischen Imperativ. Handel stets immer so, dass dein Wirken und Tun ein allgemeines Gesetz für jedermann sein könnte. Oder platt gesagt: Behandel andere nur so, wie Du selbst behandelt werden willst.
Dazu spielt es für mich immer noch eine Rolle, wie machtvoll die Gegenseite ist. Aus einer starken Position heraus sollte man stets gnädig agieren, aus einer schwachen Position stets fordernd. Somit fließt ein Aspekt mit ein, der den Kontext des jeweiligen Handelns berrücksichtigt.
Dies macht in Kombination für mich durchaus Sinn und ich handel auch danach. Weiß ich, dass ich einen anderen Geschäftsmann vor mir habe, der sich der Marktsituation bewusst sein muss und entsprechend geschult ist, so handele ich anders mit ihm als mit jemanden der von einem Thema keine Ahnung hat. Kommt jemand mit einem Computerproblem zu mir und bietet mir Geld für etwas an, so lehne ich es ab, wenn ich weiß, dass es nicht soviel wert ist oder teurer wäre als wenn er zu jemand anderen gehen würde.
Das mag dumm sein. Aber Kant und auch meine innere Moralvorstellung zwingt mich dazu, so zu handeln und eben auch nur Dinge zu empfehlen, die ich selbst auch machen würde oder zumindest einem sehr guten Freund auch empfehlen würde. Bisher habe ich dies immer nur als „Ideal“ angesehen, dass man sich selbst aufbürdet und damit in so manchem Markt am Ende einen unfairen Kampf gegenüber Mitbewerbern führt, die diesem Kodex nicht unterwerfen.
Aber gerade im Sinne von „Skin in The Game“ macht das Ganze für mich durchaus Sinn. Am Ende zahlt man eben doch mit seinem Ruf und jeder dem man am Ende weniger in Rechnung stellt oder kopfschüttelnd von einer Idee abgebracht hat, wird künftig ein engeres Vertrauen haben, wenn man etwas empfiehlt. Es ist am Ende eben eine unsichtbare Währung, die man erhält und vielleicht künftig sogar damit Profit generiert, weil jemand wieder kommt.
So mancher Verkäufer prallt ja damit, dass man den Kunden nur richtig auspressen muss. Denn jeder Tag wird ein neuer Kunde geboren. Oder eben unfreundlicher gesagt im Volksmund: Jeden Tag, steht ein Dummer auf. Folgt man allerdings einer solchen Ethik, zahlt man am Ende eben doch mit seinem Ruf. Und es verwundert euch nicht mehr wirklich, dass das Volk einen solchen Zorn gegenüber Bänkern und der Wirtschaft im Allgemeinen hat.
Alles nur Betrüger und Abzocker! Das hört man häufiger und man muss objektiv sogar zustimmen, da vieles davon durchaus belegbar ist. Z.B. eben, wenn ich mal wieder einen jungen Menschen davon abhalte seine Seele an Riester oder irgendwelchen „Modulversicherungen“ zu verkaufen. Kopfschüttelndes Entsetzen überkommt mich, wenn man sieht, dass eine Versicherung einem 70-jährigen eine Zusatzrente anbietet, die erst rentabel wird, wenn dieser 105 wird und offenkundig offensichtlich ist, dass der gute Herr in finanzieller Hinsicht nicht der hellste Stern unter dem Firmament ist.
Es widert mich regelrecht an, wenn ich solche Fälle erfahre. Dabei halte ich es für jeden Menschen sehr für wichtig in all seinem Handeln und Wirken stets eben sich einer Ethik zu unterwerfen. Wie diese dann aussieht, dass ist Gegenstand von Diskussionen. Aber wer keine hat, wird auch nie besonders gut sein.
So keift Taleb z.B. oft über gut ausgebildete akademische Vollidioten, die wunderbar mit ihren Phrasen um sich werfen und perfekt eine Sache studiert haben ohne jemals auch nur die Zusammenhänge verstehen. Von Menschen die einen Schritt tun können ohne sich über den zweiten, dritten und vierten auch nur überhaupt Gedanken zu machen. Kein Bauwerk der Antike würde allerdings mit solchen Architekten überhaupt entstanden sein.
Und was will man überhaupt mit Architekten, die versuchen anderen Architekten zu gefallen und dann an den Bedürfnissen der Bewohner vorbei entwickeln. Dies ist nur dann möglich, wenn man nicht seine Haut dafür hinhalten muss, sondern in einem fernen Elfenbeinturm wandelt.
Erst hierdurch wird die Idiotokratie unserer Gesellschaft sichtbar. Wir glauben, dass Menschen mit einem Anzug und einer Krawatte, die komplexes Zeug reden irgendwelche Form von Kompetenz aufweisen würden. Dabei wiederholen sie immer nur die gleichen primitiven Phrasen. Genau aus diesem Grund, drehe ich auch bei den Neoliberalen immer wieder ab, wenn sie Ricardo oder andere andere Wissenschaftler rezitieren ohne auch nur offenkundig den nächsten Paragraphen nach ihrem Zitat gelesen, geschweige den Verstanden zu haben.
Und auch von uns als normale Menschen lässt dies insgesamt kein gutes Zeugnis, wenn wir uns immer wieder leicht in die Fänge solcher Schlepper bewegen und ihnen Glauben schenken. Denn die Lösung dafür wäre sehr einfach: Wir vertrauen künftig nur noch Leute, die ihre eigene Haut aufs Spiel setzen. Vorbei die Zeit der Bänker. Vorbei die Zeit der Versicherungsvertreter, die uns nur noch Angst verkaufen. Vorbei die Zeit von Politikern, die das Geld der anderen Ausgeben.
Wenn Euch künftig jemand berät, stellt Euch immer die Frage, welches Risiko er dabei eingeht. Läuft es schlecht, wird es irgendwelche Folgen für ihn haben oder steht ihr mit dem Schaden alleine da? Nun würden wir alle nach diesem Muster unsere Entscheidungen bewerten, würden wir gesellschaftlich solche Fehlbildungen sehr schnell korrigiert bekommen.
Solange man jedoch nur versucht sich mit einem Thema nicht zu belasten und froh ist so schnell wie möglich vom Seelenverkäufer wieder weg zu sein, solange werden diese auch noch für ihr verhalten belohnt und immer weiter damit machen. Kein Wunder also, dass es in unserer Gesellschaft an sovielen Stellen zu kranken scheint.
Du findest immer die richtigen Worte und jeder der nicht schon im oberen Viertel aufgehört hat, wird dem wohl zustimmen.
Kant ist auch meine Maxime, jedoch deine letzten Sätze beschreiben die Realität.
Die Wirklichkeit kostet viel Mühe und Aufmerksamkeit, Dinge die immer kostbarer werden.
Ich weiß von vielen die sogar in Kauf nehmen abgezogen zu werden, nur weil ihnen die Zeit und Aufmerksamkeit fehlt.
Eine Welt in der sich seit der Antike wohl so manches neues Geschäftsmodell gegründet hat, lebt von solchen "faulen" Menschen.
Es gibt zwar auch die andere Seite mit den Do it yourself Alleskönnern, jedoch die Masse will lieber machen lassen.
Es gibt ja aber auch schon Bewertungsportale und wer dafür zu faul ist, der gehört eindeutig zur Fraktion lernen durch Schmerz.
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Vielen Dank! Zum einen für die netten Worte, zum anderen eben dafür, dass Du weiter gelesen hast. Es ist tatsächlich so manches Mal schwierig mit Zeitgenossen überhaupt noch über Moral und Ethik zu unterhalten, da viele das einfach nur belastend finden. Am Ende wird man aber doch damit belastet, versteht nur nicht wieso ;)
Kant hat leider auch seine Kanten und kann schnell sehr kompliziert werden. Gerade dann, wenn es um Ethik geht. Aber ja, wer sein Maxim erst einmal verstanden hat, hat eine einzige sehr einfache Regel mit der man viele komplexe Entscheidungen sehr einfach treffen kann.
Ja, ich stimme dir da vollkommen zu. Vor allen den Aspekt, dass Leute sich bewusst täuschen lassen, ist so eine Sache bei der ich oft ans Menschen anfange zu zweifeln. Es scheint aber oft so, dass sie lieber einen Schaden in Kauf nehmen als sich auch nur ein wenig mit etwas zu befassen.
Das Argument Zeit lasse ich nicht durchgehen. Wir haben im Schnitt 80 Jahre Zeit und wer sich dann Doku-Soaps Abends auf dem Fernseher ansieht, darf sich nicht über mangelnde Zeit beklagen. Wer sein Geld zum Fenster rausschmeißt und dessen Schutz oder die Vertretung seiner eigenen Interessen nicht wahrnimmt... der sollte auch so konsequent sein und sich danach das jammern ersparen.
Erst wenn jemand Zeit und Aufmerksamkeit einbringt und dann gegen die Wand fährt, bin ich bereit für etwas Mitleid.
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Ja nur wer selbst Erfahrungen macht und durch Fehler machen etwas lernt, wird zukünftig besser gegen Betrug gewappnet sein.
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