Götz Wittneben im Gespräch mit dem Gehirnforscher Prof. Manfred Spitzer. Unsere Gesellschaft liebt es kompliziert und teuer, wenn es um die Lösung von Problemen geht. Dabei bedarf es in der Regel nur ganz einfacher Grundbedingungen, um komplexe Prozesse wie Kreativität zu unterstützen. Der ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm und Gehirnforscher Manfred Spitzer hält in diesem Gespräch ein Plädoyer für Naturerlebnis und Räume für’s Selber-Machen. Spitzer zeigt anhand von Studien auf, dass sich Stress und Kreativität umgekehrt proportional zueinander verhalten, also je höher der Stress, desto geringer die Kreativität. Lebendiges Grün in Form von Pflanzen allein, sei es nun der Blick ins Grüne oder der Anblick von Zimmerpflanzen, vermindert bei Menschen den Stress deutlich und erhöht nicht nur die Fähigkeit zur Kreativität, sondern fördert beispielsweise auch den Heilungsprozess bei Menschen.
Als ausgewiesener Gegner der digitalen Euphorie – eines seiner jüngsten Bücher trägt den Titel „Cyberkrank“ – rät Spitzer Eltern: „Die Kinder müssen raus! Nicht nur ritualisiert am Sonntag, sondern so oft wie es geht!“ Die Natur in ihrer Komplexität biete für jedes Kind genügend Anreize auf den unterschiedlichsten Niveaus der Entwicklung, hier seien Dinge im wahrsten Sinne des Wortes zu „be-greifen“. Um sein Leben als Erwachsener wirklich selbstverantwortlich und autonom gestalten zu können, bedürfe es vieler tausend Situationen, in der ein Kind etwas wirklich ‚selbst‘ (griechisch: „autós“) gemacht hat. An diese Erfahrung kann es als Erwachsener immer wieder anknüpfen und seine Gaben und Fähigkeiten stetig weiter entwickeln. Darüber hinaus hält Spitzer Unterrichtsfächer wie Sport, Musik, Theater und Kunst/Werken für die wichtigsten Fächer zur Entwicklung von Kreativität und Autonomie – ausgerechnet aber diese werden in den heutigen Schulen weiter reduziert.
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