Grenzen | Borders (Limits, Boundaries)

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Grenzen…

  1. These: Viele Grenzziehungen, wahrscheinlich die meisten, sind mentaler Art, aber nicht alle. Es gibt objektive Grenzen wie in der Naturtheorie (Physik) zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum oder den absoluten Nullpunkt der Temperatur bzw. in der Logik (Mathematik) die Sätze vom Widerspruch oder vom ausgeschlossenen Dritten. Innerhalb solcher Grenzen spielt sich das Geschehen und das Denken ab, ohne dass diese Grenzen verschiebbar sind.

  2. These: Es gibt Grenzsituationen. Eine solche Grenzsituation ist zum Beispiel meine persönliche Sterblichkeit oder die Abhängigkeit von Zufällen, das Leidenmüssen oder das Schuldigwerden. Solche unausweichlichen Grenzsituationen definieren mein Selbst. Im Unterschied zu meinen physischen oder geistigen Belastungsgrenzen, den Grenzen meiner Sprache und den Grenzen meines Wissens kann ich sie nicht hinaus schieben.

  3. These: Landesgrenzen / politische Grenzen sind wichtig für die individuelle Freiheit. Erst wenn alle Menschen und somit alle Staaten eines Sinnes wären im Hinblick auf Menschenwürde und Menschenrechte, wären Staatsgrenzen verzichtbar. Staatsgrenzen durchlässig zu machen, ist die Aufgabe von Bündnissen, innerhalb derer die Partner gleichartige Interessen haben und vertreten. Ein Bündnis aller Staaten könnte dauerhaft Kriege verhindern, jedoch nicht um den Preis einer einzigen zentralen Regierung, sondern nur in föderalistischer Struktur gleichberechtigter Partner. Die Bildung einer globalen Zentralregierung oder die ersatzlose Auflösung aller Einzel-Regierungen stößt an praktische Grenzen, bis die Menschheit insgesamt gesellschaftlich und innerseelisch derart verfasst ist, dass Menschenwürde und Menschenrechte die obersten und nicht mehr (auch nicht temporär) suspendierbaren Grundwerte sind.

  4. These: Auch wenn Grenzen nicht immer präzise bestimmbar sind, bedeutet das nicht, dass sie fließend und damit unverbindlich seien. Das gilt insbesondere von den Grenzen des Wachstums (in biologischer, aber vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht), von den Grenzen meiner Sprache als den Grenzen meiner Welt und von den allgemeinen Grenzen des möglichen Wissens. Auch die Grenzen des guten Geschmacks unterliegen diesem Unschärfe-Prinzip.

  5. These: Das Wort „Grenze“ ist nicht definierbar. Die genauere Bedeutung des Wortes ergibt sich aus dem Gebrauch im Kontext, in Verbindung mit Synonymen und Antonymen. Dadurch ist das Wort „Grenze“ (übrigens im Deutschen ein Lehnwort aus dem Altpolnischen, wie ich heute gelernt habe) propagandistisch formbar. So kann es zum Beispiel recht unauffällig von einem Areal in ein anderes übertragen werden, indem von ästhetischen oder moralischen „Grenzverletzungen“ geredet wird, als seien dies politisch-militärische Ereignisse, oder indem von den Grenzen des Wissens getan wird, als seien diese in geeigneter Übereinkunft willentlich so verschiebbar wie die Gemarkungslinien zweier aneinander grenzender Kommunen.

Mit Dank an Kant, Jaspers, Wittgenstein und Popper (in der Reihenfolge ihrer Geburtsjahre) sowie an die Lehrer, die sie mir näher gebracht haben. Im übrigen bin ich der Meinung, dass Hannah Arendt öfter zitiert werden muss.

Anmerkung:
Das englische Wort „border“ ist nicht so umfassend wie das deutsche Wort „Grenze“. In den meisten meiner obigen Thesen passt das Wort „limit“ besser (Grenze des Wissens, des Wachstums, meiner Sprache etc.), was im Deutschen mit „Begrenzung“ wieder gegeben werden könnte. Insofern wäre ich glücklicher gewesen, „boundary“ und nicht „border“ als englische Entsprechung von „Grenze“ gefunden zu haben.

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photo: ty-ty

Borders... (Limits, Boundaries)

Preliminary remark:
The English word "border" is not as inclusive as the German word "Grenze". In most of my theses below, the word "limit" fits better (limit of knowledge, of growth, of my language, etc.), which in German could be rendered as "Begrenzung". In this respect, I would have been happier to have found "boundary" and not "border" as the English equivalent of "Grenze".

Thesis 1: Many boundaries, probably most of them, are mental, but not all. There are objective boundaries, such as the speed of light in a vacuum in natural theory (physics) or the absolute zero of temperature in logic (mathematics) or the theorems of contradiction or of the excluded third entity. Events and thinking take place within such boundaries without these boundaries being movable.

2nd thesis: There are borderline situations. One such borderline situation is, for example, my personal mortality or dependence on coincidences, having to suffer or becoming guilty. Such unavoidable borderline situations define my self. Unlike my physical or mental limits, the limits of my language and the limits of my knowledge, I cannot postpone them.

3rd thesis: National borders / political borders are important for individual freedom. Only if all people and thus all states were of one mind with regard to human dignity and human rights would state borders be superfluous. Making state borders permeable is the task of alliances within which the partners have and represent similar interests. An alliance of all states could permanently prevent wars, but not at the cost of a single central government, but only in a federalist structure of equal partners. The formation of a global central government or the dissolution of all individual governments without replacement will reach its practical limits until humanity as a whole is socially and psychologically organised in such a way that human dignity and human rights are the highest and no longer (even temporarily) suspendable fundamental values.

4th thesis: Even if boundaries cannot always be precisely defined, this does not mean that they are fluid and therefore non-binding. This applies in particular to the limits of growth (in biological, but above all in economic terms), to the limits of my language as the limits of my world and to the general limits of possible knowledge. The boundaries of good taste are also subject to this principle of blurring.

5th thesis: The word "border" cannot be defined. The exact meaning of the word results from its use in context, in conjunction with synonyms and antonyms. This makes the word "border" propagandistically malleable. For example, it can be transferred quite unobtrusively from one area to another by talking about aesthetic or moral "border violations" as if these were political-military events, or by talking about the borders of knowledge as if these were as arbitrarily movable by suitable agreement as the demarcation lines of two neighbouring communities.

With thanks to Kant, Jaspers, Wittgenstein and Popper (in the order of their years of birth) and to the teachers who brought them closer to me. Incidentally, I am of the opinion that Hannah Arendt needs to be quoted more often.

(...and to DeepL...)

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Es wäre umfangreich, jeden Abschnitt im Detail zu widerlegen, aber ich kann einige kritische Anmerkungen zu den präsentierten Thesen machen:

Objektive Grenzen in der Naturtheorie und Logik:

In der Naturtheorie und Logik gibt es tatsächlich objektive Grenzen, wie die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum oder die Sätze vom Widerspruch. Jedoch sind diese Grenzen nicht unbedingt fest und in Stein gemeißelt. In der Physik kann es theoretische Fortschritte geben, die zu neuen Erkenntnissen und möglicherweise zu einer Neubewertung von bisherigen Grenzen führen. Ebenso kann die Logik weiterentwickelt werden.
Grenzsituationen und Definition des Selbst:

Die Idee von Grenzsituationen, die das Selbst definieren, ist philosophisch diskutabel. Die Annahme, dass persönliche Sterblichkeit und andere existenzielle Herausforderungen unverrückbare Grenzen darstellen, wird von verschiedenen philosophischen Strömungen unterschiedlich betrachtet.
Wichtigkeit politischer Grenzen für individuelle Freiheit:

Die These über die Wichtigkeit politischer Grenzen für individuelle Freiheit ist umstritten. Einige könnten argumentieren, dass die Abschaffung von Grenzen zu einer größeren individuellen Freiheit führen könnte, während andere betonen, dass klare Grenzen notwendig sind, um Rechte und Pflichten zu definieren.
Grenzen des Wachstums und Unschärfe-Prinzip:

Die Grenzen des Wachstums, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, sind in der Tat ein komplexes und kontroverses Thema. Das Unschärfe-Prinzip kann auf verschiedene Aspekte angewendet werden, einschließlich der Grenzen des Wissens und des guten Geschmacks.
Undefinierbarkeit des Begriffs "Grenze":

Die Idee, dass das Wort "Grenze" nicht definierbar ist, wird von Sprachphilosophen oft infrage gestellt. Während es stimmt, dass Bedeutungen kontextabhängig sind, gibt es dennoch grundlegende Merkmale und Konzepte, die den Begriff definieren.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Widerlegung philosophischer Thesen oft subjektiv ist und von verschiedenen philosophischen Perspektiven beeinflusst werden kann.

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Es ist wichtig zu beachten, dass

Woher kenne ich diese Wendung, lass mich überlegen...
:-)

Ich überlege gerade, ob die in These Nr. 2 genannten Grenzsituationen nicht doch beeinflußbar sind...: die eigene Sterblichkeit (die ist unzweifelhaft, aber den Zeitpunkt kann man schon irgendwie "schieben"...), das Leidenmüssen (vermeidbar?) und das Schuldigwerden (auch nicht zwangsläufig, oder...?)

Indem ich mein Sterben aufschiebe, beeinträchtige ich nicht meine Sterblichkeit.
Leidenmüssen ist nur zufällig nicht da, es ist nicht aktiv vermeidbar. Allein schon das Sterben von jemand, der mir nahe steht, bedeutet Leiden.
Schuldig zu werden, ist nur in recht einfachen Kontexten vermeidbar, aber bei genauem Hinsehen selbst dort nicht. Schuldig werden ist nicht das gleiche wie Gesetze zu übertreten. Es ist möglich, schuldig zu werden, indem das Gesetz formal eingehalten wurde. Das Problem am Schuldigwerden ist, dass oft erst in der Rückschau die Schuld klar wird. Verantwortung zu übernehmen, ohne zu versagen und schuldig zu werden, würde Vollkommenheit voraus setzen: Vollkommenheit, die Situation zu überblicken, und Vollkommenheit, mich nicht von Eigeninteressen beeinflussen zu lassen.

Maybe, but then everyone has their viewpoints and of course, you can make your suggestions but not force them. Cheers. By the way, I have a comment in dream social club which I am waiting for your response.

That's a nice use of the prompt word and a very insightful write-up that describes the prompt word in depth. I would love to do this word but in my way. Let me see how far I reach.

"Go for Gold!", as the Olympians would say. ;-)

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THX!

I was waiting for the 5th thesis because border is something that I’ve noticed a lot in movies bring issues between two different countries