Es geht mehr um den Weg, als um das Erreichen eines Ziels.
Ich weiß, das klingt wieder so hochtrabend und eigentlich ist es nichts Neues für mich.
Als Langstreckenläuferin habe ich die Erfahrung schon häufiger gemacht. Auch hier kann auf 50 oder 86 km deutlich mehr passieren, als man sich vorzustellen vermag. Vor allem mental ist es der Weg, der dich am Ende verändert, anstatt das Ziel, dass du nach all den Kilometern erreichst. Denn wie du das Ziel erreichst ist viel ausschlaggebender, als dass du es überhaupt erreichst. Um mal auf das eigentliche Thema zu kommen.
Nachdem ich mein Masterstudium der Germanistik letztes Jahr im Herbst beendet habe, bin ich auf der Suche nach einem Job. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist auch dies ein Weg, den wohl alle schon einmal beschritten haben. Ob kurz oder lang, erfolgreich oder weniger erfolgreich, früher oder später gelangen wir alle an irgendeine Position in unserem Leben. Wie auch immer die dann aussehen mag.
Ich hatte das Glück, gleich bei meiner ersten Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Es war wirklich ein Traumangebot und eben das, was ich mir unter einem Job vorstelle, welchen ich langfristig machen möchte. Und das nicht nur bezüglich dessen, was ich gelernt habe und worin ich ausgebildet bin, sondern auch bezüglich meiner eigenen Interessen, wäre es die perfekte Stelle gewesen.
Ja, ich spreche hier im Konjunktiv, denn ich habe die Stelle nicht bekommen. Ich hatte Konkurrenz. Gestern war ich echt niedergeschlagen und tatsächlich hat es sich angefühlt, als hätte mir jemand etwas weggenommen, was ich schon gehabt hätte.
Was, wie bereits erwähnt, nicht der Fall war, aber es fühlte sich so an. Ich glaube ich habe mich noch nirgendwo so sicher gefühlt und so selbstbewusst in meinem Auftreten, wie bei diesem Vorstellungsgespräch. Aber mir war klar, wenn es etwas ist, was ich kann und wo ich zu einhundert Prozent hinter stehe, dann kann ich das auch selbstsicher vermitteln. Aus 50 Bewerbern war ich wohl unter den besten zwei. Nun, die Entscheidung fiel gegen mich.
Nach dem Gespräch am Montag habe ich mir immer wieder ausgemalt, wie eine Zusage und wie eine Absage lauten könnte. Was würden sie mir sagen, wie würde ich reagieren und wie würde es mir gehen? Bei meinen morgendlichen Läufen durch die Dunkelheit und den peitschenden Regen, Sturm und Kälte war ich jedes Mal hin- und her gerissen, sah mich in dem Team und sah mich erneut an meinem PC die aktuellen Stellenangebote durchsuchen.
Gestern war Tag der Entscheidung. Ich habe mich dazu entschieden traurig zu sein.
Bewusst habe ich dem Job nachgetrauert und es bedauert. Ebenso bewusst habe ich mich dazu entschieden, mir zu vergeben und zu wissen, dass ich alles gegeben und richtig gemacht habe.
Ich verbuche es unter einer Erfahrung, die ich gemacht habe und unter dem Weg, der mich näher dahinführt, wo es für mich hingehen soll.
Mein früheres Ich hätte sich Vorwürfe gemacht. Es hätte sich selbst verurteilt. Es hätte sich vielleicht gehasst…und im Anschluss wieder nach Perfektion gestrebt, obwohl es wüsste, dass dies nirgendwo hinführen würde.
Heute begegne ich mir mit Selbstliebe, Verständnis und Vertrauen. Ein Weg ist selten einer, der geradlinig verläuft und ich glaube darüber wäre ich tatsächlich erstaunt gewesen.
Ich bin nicht religiös noch irgendwie gläubig, aber ich lebe nach einem Grundsatz oder besser nach einem Motto, das mir mein Vater mal mit auf den Weg gegeben hat und das da lautet „Habe Vertrauen in den Prozess“.
Mittlerweile verstehe ich, was er damit gemeint hat. Es geht nicht darum dort zu sitzen und abzuwarten. Es geht darum, Erfahrungen zu machen, ohne diese jedes Mal als gut oder schlecht zu bewerten, sondern sie als das aufzugreifen, was sie in diesem Moment nun mal sind.
Prozesse muss man immer wieder neu anstoßen. Sie ziehen sich über längere Zeit hin und sind andauernde Vorgänge, die sich stetig verändern können. Es ist wie beim Laufen. Du läufst los, die ersten 5km mögen sich mühsam anfühlen, die nächsten 30 kann man beschwerdefrei rennen und ab den 50 Kilomentern und den 1500 Höhenmetern kann es echt verdammt hart werden. Das einzige, was dann zählt, ist das richtige Mindset, die mentale Stärke, dein Durchhaltevermögen und dein Wille.
Ich möchte am Ende einer jeden Woche drei Dinge nennen können, die ich in der Woche gelernt habe:
Für die letzte Woche halte ich fest:
- Ich weiß wieder mehr, wie mein Traumberuf aussehen soll und was mir wichtig ist.
- Es geht immer irgendwie weiter und mehr um die Reise als um das Ziel selbst.
- Trauern ist wichtig, vergeben aber auch. Und je schneller du dir vergeben kannst, desto glücklicher und zufriedener kannst du sein.
Gerade fühle ich mich wie Josef K. in Kafkas „Der Prozess“. Er weiß nicht, warum er angeklagt ist und er befindet sich in einem Zustand, der sein Alltag beeinträchtigt und ihn stetig daran erinnert, dass er nicht komplett frei ist.
Der Maler Titorelli stellt ihm hier drei Möglichkeiten vor, wie mit seinem Fall weiter verfahren werden könne. Zum einen wäre da die „wirkliche Freisprechung“, er wäre frei. Eine weitere Möglichkeit wäre die „scheinbare Freisprechung“, hier ginge es um eine Aufrechterhaltung des Prozesses, in der er nicht wirklich frei wäre aber auch nicht verurteilt würde. Und in der letzten Variante spricht er von der sogenannten „Verschleppung“, die ungefähr das zweite Stadium beschreibt, der Prozess aber stetig im niedrigsten Prozessstadium erhalten bliebe.
Ich plädiere für Freispruch :D.
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