Sagen wir mal, es gibt eine Welt in der wir leben, eine Welt, die wir anfassen können, auf der wir gehen, welche uns ernährt und auf welcher wir schlafen können. Es gibt die Welt in der wir alleine sind und in der wir zusammen sind. Sei es mit anderen Geschöpfen, die sich bewegen, die atmen, essen, scheissen. Oder mit solchen, die wachsen und faulen. Es gibt die Welt in der die Sprache spricht in der Befehle erteilt und Geschichten erzählt werden. Es gibt die Welt in der es regnet, schneit, es kalt ist, warm. Es gibt die Welt der ewigen Nacht und des zu langen Tages. Es gibt die Welt des Sterbens, der zerfallenden Körper. Es gibt die Welt der Träume.
[David Wojnarowicz:] «Zuerst gibt es die Welt. Dann ist da die Andere Welt. Die Andere Welt ist dort, wo ich manchmal den Halt verliere. Im Umblättern des Kalenders, in seiner vorerfundenen Existenz. Eine Welt die ich vorerfundene Welt oder Andere Welt nenne. Sie ist schon da, bevor es ein Ich gäbe und doch gibt es sie erst durch das Ich, sie ist in mir drin, aber nicht ich. Sie macht in mir ganz komische Sachen, lässt mich Dinge sehen, die ich sonst nicht sehen würde und verbirgt solche, die sonst sichtbar wären.
[David Wojnarowicz:]«(Es ist die) Andere Welt, wo ich mich immer wie ein Ausserirdischer gefühlt habe. Aber es gibt die Welt, wo man die Grenzen der Anderen Welt durch die Imagination verändern und dehnen kann. Aber auch dann ist diese Imagination mit der erfundenen Information der Anderen Welt kodiert. Man hält vor einem Licht das von Grün auf Rot wechselt an und man altert dabei um Jahrhunderte. Jemand hat einmal gesagt, dass die Andere Welt von einer anderen Menschenspezies unterhalten wird. Es ist die Distanz des einen Schritts zurück oder des Verlangsahmens, welche die Andere Welt enthüllt. Es ist die Verschiebung der Erwiderung, welche sie das erste Mal enthüllt, weil die Andere Welt mit der Unsichtbarkeit eines Liebhabers in die Blutbahn hineinkriecht. Sie nimmt langsam die Form von Zellen und deren Wachstum an, internalisiert bis es eine Erweiterung des Körpers wird.» Wie kann ich aber den Schritt zurück mit dem Bein machen, auf dem ich stehe? Wohin geht dieser Schritt? Kann ich nach dem Schritt überhaupt wieder zurück auf diese Welt? Was macht denn mein Ich noch aus, wenn die Andere Welt durch meine Adern fliesst, meine Zellen ausfüllt, meinen Blick steuert, meine Gedanken einnimmt? Die Fragen kommen immer wieder, auch wenn ich schon lange immer die Andere Welt vor Augen habe, ich spüre sie, warum spürst du sie nicht? Kann es tatsächlich sein, dass es Menschen gibt, die diese Welt nicht sehen? Weil sie zu nah ist? Weil sie schon ganz zu dieser Anderen Welt geworden sind? Und wenn ich weiter so frage, merke ich, dass ich schon wieder vergessen habe, die Andere Welt gespürt zu haben, sie verschwindet immer dann, wenn ich denke sie zu erfassen. Ich sehe sie ja, und dann, ganz plötzlich ist sie wieder weg. Nicht weil sie sich plötzlich in Luft aufgelöst hat, aber genau deshalb. Sie schleicht sich in die Luft, in die Lunge, in die Blutbahnen, verpfuscht mir meinen Körper. Der Körper ist schlecht, ich muss ihn loswerden und wenn ich mir ein Bein abschneiden würde, die Andere Welt könnte ich damit nicht aus dem Bein schaffen, nicht einmal aus dem abgeschnittenen. Wenn ich mir in den Kopf schiesse, rein hypothetisch jetzt, könnte es denn sein, dass sie dann verschwinden würde?
[David Foster-Wallace:]«Ich nehme jetzt seit, mal überlegen, rund einem Jahr Antidepressiva, und ich würde mal sagen, da kann ich ganz gut einschätzen, wie diese sind. Sie sind eigentlich ganz okay, aber so, wie es okay wäre, auf einem anderen Planeten zu leben, wo es warm und gemütlich ist und Essen und frisches Wasser gibt: Es wäre okay, aber es wäre natürlich nicht die gute alte Welt. Ich war jetzt fast ein Jahr nicht mehr auf der Welt, weil es mir auf der Welt nicht besonders gut ging. Hier auf dem anderen Planeten, wo ich jetzt bin, geht es mir etwas besser, und das dürfte für alle Beteiligten eine gute Nachricht sein.» Die andere Welt habe ich ausgetauscht mit dem anderen Planeten, nur ist die Welt gleich auch verschwunden. Es bleibt mir nur noch dieser andere Planet.
«Die große Frage ist: Gibt es auf dem anderen Planeten die Üble Sache der anderen Welt? Ich weiss es nicht. Vielleicht hat sie es in der dünneren Atmosphäre mit weniger Spurenelementen schwerer. Mir geht es jedenfalls in mancher Hinsicht so. Wenn ich manchmal nicht daran denke, habe ich das Gefühl, ich bin der anderen Welt entkommen und kann hier ein normales und ergiebiges Leben als Anwalt oder so führen, wenn ich wieder lesen lerne. Weit weg zu sein, hilft gegen die andere Welt. Nur ist dieser Gedanke einfach albern, wenn du daran denkst, was ich vorher gesagt habe: Die andere Welt [bin ich].» Ich muss wohl hier bleiben.
Die Eine-Welt-Theorie besagt, dass trotzdem, dass multidimensionale möglich sind, diese sich immer innerhalb einer Welt aktualisieren. Es handelt sich dabei um die eine Welt, welche genauso die andere Welt und den anderen Planeten in sich selbst trägt. Wir kommen immer wieder zurück auf die eine Welt, nicht weil sie eine stärkere Anziehungskraft hat als die anderen, sondern, weil die anderen immer schon in dieser Welt sind. Wir kommen also, einfach gesagt, nicht aus der einen Welt heraus, auch wenn wir die andere Welt sehen, auf einem anderen Planeten sind oder uns in einsame Traum-Enklaven beamen. Wenn aber die anderen Welten und Planeten auftauchen, ist es möglich sich eine Welt ausserhalb vorzustellen, weil wir die Schwelle spüren können. Die Schwelle führt aber, das ist die falsche Vorstellung, die uns der Eingang eines Hauses vorgibt, nicht irgendwo anders hin, sondern verlängert das hier um etwas, das eine andere Welt zulässt, ohne an einem anderen Ort zu sein. Wer jetzt denkt, das habe etwas mit Phantasie und Märchenwald zu tun, oder mit Drogen, Wahnsinn oder Quantenphysik mit denen die Grenzen ausgedenht oder verschoben werden können. Der liegt nicht ganz falsch, aber hat es nicht ganz getroffen. Denn die Grenzen sind nicht die Grenzen zu einen andere Welt, welche sie uns in dieser Welt vorgeben, sondern es sind die Grenzen dieser Welt zu sich selbst. Auch wenn wir noch so strampeln und uns umbringen oder andere Dummheiten begehen, wir müssen hier bleiben.
König Ubu wohnt in meinem kleinen Zeh und Gott zählt meine Haare, während Joelle grosse Reden schwingt. Sie spricht, sie schreit, sie sagt alles Rückwärts. Woher sie kommen, weiss ich nicht und ist auch nicht von Interesse, wie sie nicht verschwinden, das ist die Frage. Sie sträuben sich gegen die Auflösung. Sie erzählen um ihr Leben. Deleuze schreibt von Blanchot der von Musil schreibt, aber Beckett meint: «Allergrösste Genauigkeit und höchstgradige Auflösung. Das sind die beiden Bedeutungen der Erschöpfung. Es ist die Erschöpfung der möglichen Welten, alle sind ausgeschöpft, sie bleiben immer nur in der einen Welt. Wir müssen wohl hier bleiben.
Hier bleiben im Jetzt – banal. Hier bleiben im Hier – noch banaler. Hier bleiben mit allem was hier ist – langweilig. Und doch können wir nur das Begehren, was schon hier ist, was produziert ist, was unter dem Bett wartet. Es gibt einsame Inseln, einsame Planeten, aber sie sind schon immer bevölkert, sie sind nur einsam, nicht alleine für sich oder ausserhalb. Wir können hinfahren, hinbeamen, hinfliehen. Und doch müssen wir hier bleiben.
Ihr sagt, das hat nichts mit eurem Leben zu tun? Schaut euch doch um, schaut euch an, ihr seid einfach nur einsam. Einsam in der einen Welt!
Ein schlauer Fuchs hat mal geschrieben: «Die Einsamkeit ist die Nicht-Kommunion des Kommunen. Und das, was am Anfang der Gemeinschaft steht ist die Einsamkeit. Die Einsamkeit ist das einzig wirklich gemeinsame, in welcher die Gemeinschaft den Sinn der Gemeinschaft finden kann. Die Einsamkeit ist in der Gemeinschaft drin, ohne die Gemeinschaft zu sein, steht an ihrem Anfang, ohne, dass die Gemeinschaft aus ihr herauskommen würde. Einsamkeit gibt es nicht alleine, sie ist genauso innerhalb der Gemeinschaft, wie die Andere Welt in der einen Welt ist. Wer nun eine einfache Lösung dazu erwartet, der muss leider enttäuscht werden, nicht einmal einen Ausweg könnte ich liefern. Aber meist passiert etwas interessantes, wenn die Einsamkeit auftaucht, die Gemeinschaft, das grosse Eine Dingsbums wird plötzlich sichtbar. Nicht so sichtbar, wie wenn man vom Mond aus den Planeten Erde betrachtet, eher so, wie wenn wir eine Karte davon zeichnen könnten, während wir auf unsere Zehenspitzen stehen. Ein abschätzen der Grösse, vergleichen, aufschreiben, zeichnen, die Hand mit einem Arm Abstand um Grössenverhältnisse aufzunehmen. Während wir also eigentlich die Einsamkeit betrachten wollten, ist sie uns schon wieder entwischt, weil das grosse helle, in welcher die Einsamkeit ist, nur mehr einen Schatten auf die Einsamkeit legt. Dort bei der Einsamkeit geschieht etwas, das nicht ein Ausweg ist, sondern die Möglichkeit der Verschiebung, «Dislocation» wie David sagen würde, wenn er Abstand von sich selbst nimmt und die Andere Welt erkennt, während weder er noch die eine Welt auf Abstand gehalten werden kann. Wir müssen wohl wirklich hier bleiben.
«Einsamkeit macht krank. Einsame Menschen sterben früher, in einer atomisierten Gesellschaft ist jeder auf sich allein gestellt, der einsame Wolf wird Privatier. Tatsächlich kann es passieren, dass beim nächsten Psychiater-Besuch die Diagnose gestellt wird, dass man nun an Einsamkeit leide. Ich habe deshalb unruhigen Schlaf, ein schwaches Immunsystem, vielleicht trinke ich deshalb zuviel. Ich müsse mehr unter die Leute, wahre Freundschaften entwicklen, andere in mein Leben lassen, in andere Leben eintreten. Eins, zwei, drei, vier, fünf – du stirbst ganz alleine, ohne dass es jemanden interessiert. Jeder Fünfte, stand heute stirbt alleine. Nicht im Sinne, dass niemand mit ihm mitstirbt, das ist eher selten, sondern, dass tatsächlich niemand sich um den Sterbenden sorgt. Eine solche statistische Aussage kann man natürlich auch hinterfragen. Wer stirbt denn nun, wer wird in dieser Statistik erfasst, wer gehört zu den Lebenden, die beim Sterben betrauert werden darf. Einfaches Beispiel, wer nicht arbeitet hat nichts zu essen, ausser man gehört zu denen, die eben so etwas haben wie die Staatsbürgerschaft, welche wiederum daran gekoppelt ist, dass jemand an meiner Stelle oder für mich gearbeitet hat. Kann, darf oder will ich nicht arbeiten, habe keine Vor-Generation von solch jemandem, werde ich es wohl kaum schaffen, eine solche Staatsbürgerschaft zu erhalten, für welche ich dann in diese Statistik der einsamsterbenden aufgenommen würde. Arbeit ist dabei nur das Sozialdemokratische Paradigma, davon gibts diverse. Was nun in einer solchen Statistik auftaucht ist die Hörbarkeit der Einsamen, welche sich nicht nur dadurch auszeichnen, dass sie ohne Sorgende sterben, sondern es ist oft ein kollektive Einsamkeit. Die Hörbarkeit der Einsamkeit. Sie entscheidet sehr oft um subsistenzielle Fragen des Überlebens. Noch heute hallen die verstummenden Sprechchöre der Aids-Aktivistinnen durch die Ohren der Einsamen: Silence equals Death!
www.madame-psychosis.com