Rote Handschuhe

in story •  6 years ago 

Dies ist eine kurze Geschichte


Rote Handschuhe

Alles begann an einem regnerischen Tag, einem Tag wie keinem anderen. Der Wind heulte und der Regen peitschte plätschernd nass. In dem Unwetter stiegen die Flüsse und rissen alles mit, was ihnen in die Quere kam, so auch einen kleinen Korb mit einem kleinen Kind, eingewickelt in gegerbtem Leder. Es trieb immer weiter und weiter mit den Strömen, bis es schließlich vor die Tür eines Waisenhauses geschwemmt wurde. Dort verharrte das Kind nicht lange, denn die lauten Schreie bewegten die Türen zum Öffnen, wo eine warmherzige Person das Kind aufzog. Das Kind war ein Mädchen, das scheinbar, laut der Notiz im Korb Leila hieß. Außerdem lagen zwei wunderschöne rote Handschuhe mit dabei. Doch so neugierig und fleißig Leila war, hatte sie auch eine dunkle Gabe. Das Mädchen durfte niemanden mit den Händen berühren, sonst gefriert er, angefangen vom Herz, bis zum letzten Zeh. So zogen ihr die Kindermädchen immer die roten Lederhandschuhe an, in die sie jedoch noch reinwachsen musste, so zart wie ihre Haut. Siebzehn Jahre später war das Kind zu einem hübschen Mädchen herangewachsen. Da sie nun das achtzehnte Lebensjahr erreicht hatte, sollte sie nun die weite Welt erkunden und ihr Glück dort draußen finden. Also machte sie sich mit ihrem wenigen Hab und Gut auf, über den grenzenlosen Horizont, über goldene Auen, tiefe Schluchten, windige Höhen, bis sie in einen ruhigen Wald kam. Die Bäume ragten bis zum Himmel und die Luft war so klar, wie nirgendwo anders. Tief in dem Wald wohnte ein junger Holzfäller, nicht viel älter als sie. Sie klopfte vorsichtig an die Tür. Beide Augen fesselten sich gegenseitig und so verliebte sie sich auf den ersten Blick in ihn und er in sie. Beide entschieden sich zusammen zu leben, sie kümmerte sich um den Garten und die Tiere, er fällte Bäume und verkaufte diese für ein gutes Leben mit ihr. Eines gemütlichen warmen Abends, fast zwei Jahre nach dem ersten Treffen saßen beide in warmer Sommerluft, am Rande des Waldes und betrachteten die untergehende Sonne. Der Moment schien wie eine herrliche Ewigkeit anzudauern, länger als die ganze Weltgeschichte. Als die Sonne untergegangen war, fragte er sie zum ersten Mal, warum sie immer so feine rote Lederhandschuhe trägt. Sie versuchte es ihm zu erklären, allerdings hatte sie Angst, er würde es nicht verstehen und sie für ein Monster halten. Doch das tat er nicht. Und so teilten ab diesem Moment, er und sie, ihr Geheimnis. Sie lebten lange glücklich zusammen, bis zu jenem Tag, genau einem Jahr nachdem sie ihr Geheimnis verraten hatte. Beide lehnten wieder zum Sonnenuntergang aneinander und vergaßen alles um sich herum. Sie wollten den Fluch vergessen und sahen sich an. Sie zog ihren Handschuh aus und wollte zum ersten Mal einen anderen Menschen mit ihrer bloßen Haut berühren. Beide streckten die Finger aus, ganz vorsichtig wollten sie sich berühren, langsam näherten sich die Spitzen und zum ersten Mal fühlte Leila die Berührung eines anderen Menschen mit ihrer Hand. Doch sein Atem blieb stehen. Nur ein letzter Hauch erkennbar am warmen Dampf, der aus seinem Mund kam, war zu sehen. Danach gefror der ganze Körper zu Eis, kaltes Eis, härter als Diamanten. Sie war fürchterlich unglücklich und begann zu weinen, bis tief in die Nacht. Doch als der Mond hoch stand, kam eine Person mit einer tiefen roten Kapuze auf sie zu und fragte sie, warum sie weint. Sie erzählte, was passiert war und fing wieder an zu weinen. Der Fremde jedoch schien eine Lösung zu kennen und erklärte ihr, wie sie den Fluch aufheben und ihren Freund retten konnte. Sie sollte über große Gipfel der höchsten Berge steigen, in das tiefste Schneegebiet, was es auf der Erde gibt. Dort wird sie eine Höhle finden, wo sie eine goldene Tür erwarten wird. Hinter der Tür muss sie ein Labyrinth durchgehen, um schließlich in den See der Seelen zu springen, ein See, der sie in das Land der Toten bringen wird. Dort muss sie ihren Freund finden und ihm den Eissplitter aus der Brust ziehen. Dann muss sie wieder zurück zu ihm kommen und ihn mit dem Splitter berühren. Dann wird sie bis in Ewigkeit von ihrem Fluch erlöst und der Freund geheilt sein.
Sie vertraute der seltsamen Gestalt und machte sich so auf den Weg. Einige Monate brauchte sie, bis sie die Gipfel der höchsten Berge erreichte. Dort war es fürchterlich kalt, der Wind stach wie tausend kleine Nadeln im Gesicht und ihre Füße spürte sie auch nur kaum. Nur die innere Wärme ihres Herzens konnte sie vor der tödlichen Kälte bewahren. Tagelang suchte sie in Schneestürmen die besagten Höhlen, doch finden konnte sie keine einzige. Sie wollte schon fast aufgeben und sich in den Tod weinen, als ihr am Morgen ein helles Licht ins Gesicht schien. Sie lief auf das Licht zu, schneller und schneller, in der Hoffnung es wäre etwas Wichtiges, etwas Überirdisches, was ihr den Weg weisen könnte. Und schließlich fand sie einen schmalen Eingang, aus dem das silber-strahlende Licht kam. Sie zwängte sich durch den schmalen Eingang und fand einen großen Kristall inmitten einer erleuchteten Höhle, der das Licht der Sonne brach und in ihre Richtung lenkte. Sie hatte nun endlich nach tagelanger suche die Höhlen gefunden, doch ihre Reise war noch lange nicht zu Ende. Leila ging vorsichtig durch die Höhlen, als sie tiefe Stimmen hörte. „Fünf für vier?“ „Drei für sieben!“. Es waren bemerkenswert große Gestalten, mit einem dicken weißen Fell. Sie standen um ein Feuer und schienen sich um Schuhe zu streiten. Doch es dauerte nicht lange bis einer von den drei Gestalten sie bemerkte. „Riecht ihr das? Menschenfleisch!“ „Schmeiß den Topf an!“ Es dauerte nicht lange und die Trolle fassten das Mädchen und brachten sie zum Feuer. Das Mädchen bat sie jedoch: „Bitte lasst mich weiter ziehen, ich habe doch eine Schuld zu begleichen! So lasst mich doch bitte weiterziehen!“ Die Trolle lachten jedoch nur und einer schmiss sie in einen Käfig. Wieder schien sie gescheitert zu sein. Sie hockte sich hin und wollte wieder anfangen zu weinen. Doch da kam ihr der Fluch in den Sinn und so sprach sie warnend: „Ich möchte euch nichts tun, doch wenn ich muss werde ich es!“ „Oh, sie kann sogar drohen!“, sagte ein Troll spöttisch. Der andere jedoch bemerkte ihre Schuhe: „Du hast aber schöne Schuhe! Wenn du uns sie schenkst, dann lassen wir dich gehen!“ „Quatsch die nehmen wir so oder so!“, entgegnete der andere Troll, „Unsere sind sowieso nur Schrott.“ Darauf nahm das Mädchen Nadel und Faden aus der Tasche und machte den Vorschlag alle Schuhe zu reparieren und ihre eigenen da zu lassen, um weiter gehen zu dürfen. Die Trolle fanden das natürlich sehr gut und versprachen ihr nichts zu tun. Drei lange Nächte und drei lange Tage arbeitete sie ununterbrochen, nur mit geschmolzenem Schnee und etwas Brot, was sie dabei hatte, bis sie schließlich fertig war. Auch legte sie ihre Schuhe ab und dann durfte sie gehen, wie die Trolle es versprochen hatten. Der Boden war vor Eis stachelig und kalt. Doch die innere Wärme in ihr konnte den Schmerz und die fast schon blutigen Füße verdrängen. Jedoch konnte sie nicht länger ihren Hunger verdrängen. Jede Stunde, die sie weiter lief, um die goldene Tür zu finden, wurde der Hunger schlimmer und schlimmer. Schließlich kauerte sie am Boden mit wunden Füßen und fing wieder an zu verzweifeln. Da hörte sie kleine leise Schritte. Ein Zwerg mit einer Schubkarre voller Brotlaibe, Weine und Früchten zog an ihr vorbei. Gerade noch rechtzeitig konnte sie ihn zum Anhalten bewegen und fragte, ob er ihr etwas von seiner Kost abgeben kann. „Ich bin kein Armenversorger, ich bin Händler!“, sagte er grimmig, „Wenn du nichts für mich hast, dann habe ich nichts für dich!“ Er hatte Recht, ihre Taschen waren leer. Doch er schien sich für ihre roten, zarten Lederhandschuhe zu interessieren. Kurz spielte sie mit dem Gedanken ihn zu Eis werden zu lassen, doch sie wollte nicht an noch einem Tod verantwortlich sein, da der Tod ihres Geliebten immer noch schwer auf ihren Schultern lastet. „Nun gut, ich gebe dir meine Handschuhe. Was kriege ich aber dafür, immerhin sind sie sehr wertvoll und meine einzige Erinnerung an meine Kindheit.“ „Du darfst dir nehmen, so viel wie du tragen kannst.“ So gab sie dem Zwerg ihre Handschuhe und fasste einen Apfel, dieser wurde jedoch sofort zu Eis, so wie alles Lebendige. Also zerriss sie ihren ohnehin schon schäbigen Mantel, wenn man ihn denn so nennen kann und wickelte sich die Stofffetzen um die Hände. Dann nahm sie einen Brotlaib, ein gutes Stück Käse und stopfte sich die Taschen mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen voll und ging weiter auf der Suche nach der besagten Tür. Der Wind brachte die letzten Fetzen, die sie noch an sich trug zum Flattern, ihre Füße schmerzen mehr und mehr, doch immer noch hatte sie Hoffnung und ihre innere Wärme. Je mehr die Eisgänge sie unter die Erde brachten, desto weniger Licht kam durch. So tappte sie fast schon im Dunkeln, als ihr ein glänzender Bogen auffiel. Der goldene Bogen über der goldenen Tür! Sie hatte es geschafft. Schnell rannte sie zur Tür und wollte diese öffnen. Doch die Tür war verschlossen. Das muss ein Irrtum sein, dachte sie sich. Vielleicht gibt es noch eine Tür. Je länger sie Fassungslos vor der Tür stand, desto bewusster wurde ihr, dass sie gescheitert war. Nach so vielen Qualen und Abenteuern, fast an Hunger gestorben steht sie nun vor so einer prächtigen Tür, die sich nicht öffnen lässt. Sie viel zu Boden und wollte nur noch auf ihren Tod warten. Doch da bemerkte sie eine Rinne. Eine Rinne, die hinter die Tür führte. Auf ihrer Seite führte die Rinne zu einem Kelch, der festgefroren auf einem Eistisch stand. Sie betrachtete ihn neugierig und erkannte die Worte „SANGUIS APERIT“, das Blut öffnet. So nahm sie ihre Nadel und stach sich tief in den Finger. Einige Blutstropfen fielen hinein und die Tür öffnete sich tatsächlich. Mit wunden Füßen, zerschlissenen Kleidern und blutendem Finger wagte sie sich weiter, mutig und hoffnungsvoll. Je weiter sie rein kam, desto wärmer wurde ihr und sie musste nicht mehr ständig vor Kälte zittern. Doch nach einiger Zeit, viel ihr auf, dass sie wieder an der gleichen Stelle war. Das muss wohl das Labyrinth sein, überall hohe Dornengewächse. So klug wie sie war, bog sie nun immer rechts ab, bis sie den Ausgang gefunden hätte. Auf dem Weg begegneten ihr Gerippe von anderen Menschen. Manche hatten Rüstungen, andere waren kahl. Es müssen mindestens hunderte gewesen sein. Das machte ihr nicht nur Angst zu versagen, sondern gestaltete die Atmosphäre sogar unheimlich. Nach einiger Zeit musste sie jedoch feststellen, dass sie wieder an einer ihr bekannten Kreuzung war, jedoch nicht mehr am Anfang. Sie lief und lief, stundenlang. Doch es kam kein Ausgang. Sie beschloss ihre müden Beine etwas auszuruhen und legte sich für eine kurze Pause hin. Die Skelette kamen auf sie zu, sie schrie und versuchte sich zu wehren, doch nur lebendiges konnte sie zu Eis gefrieren, nicht etwa die Toten. Sie saß nun gefesselt, in der gleichen Position wie die ihr begegneten Skelette. Plötzlich hörte sie ein lautes Piepsen. Eine riesige Ratte rannte auf sie zu, mit riesigen Nagezähnen und wollte sie fressen. Schreiend wachte sie auf und bemerkte, dass sie immer noch da war, wo sie eingeschlafen war. Sie stand wieder auf und ging weiter. Die meterhohen Büsche waren unüberwindbar. Doch da kam ihr der Fluch wieder in den Sinn! Sie berührte einen Busch. Und das Eis verbreitete sich wie ein Schatten eines Baumes über das Land, wenn die Sonne untergeht. Alles war Eis. Sie nahm einen Stein vom Boden und schmiss ihn gegen das Eis. Wie zerbrechendes Glas splitterte alles nieder zu Boden. Und nun erkannte sie einen großen Raum, hinter ihr einige hundert Meter die Tür, von wo sie kam, einige hundert Meter in der anderen Richtung war ein leuchtender See. Sie näherte sich dem See neugierig und sah leuchtende Flammen Unterwasser. Sie schwirrten wie große Glühwürmchen hin und her. Der Fremde in der Kapuze sagte ihr, sie sollte hier reinspringen, in das Land der Toten, gegen jeden Verstand. Nein, sie wollte nicht springen, was wäre, wenn er gelogen hätte? Andererseits hat er bis jetzt immer Recht gehabt. Sie war hin und her gerissen, überlegte lange Zeit und schließlich sprang sie doch in die Tiefe der Toten. Das Wasser schien ihre Haut aufzulösen, sie konnte nicht mehr atmen und die Seelenflammen schmiegten sich an sie, als würden sie ihr die Hoffnung aussaugen. Dann waren nur noch Dunkelheit, aber eine wohltuende Wärme, kein Schmerz. War das das Land der Toten? Hier liefen tausende von Gestalten rum, jede anders. Jedoch konnte sie keine finden, der ein Eiskristall in der Brust trug. Sie suchte und suchte, finden konnte sie jedoch keinen. Also saß sie sich hin und beobachtete alle genauestens. Da tippte sie jemand von hinten an. Es war der Fremde mit der roten Kapuze. Er erklärte ihr, dass sie eine Weile in die von ihm beschriebene Richtung laufen muss. Dort wartet ihr Geliebter. Sie tat, was er sagte und fand ihn. Ihn, für den sie so lange ohne Rast gelaufen war, für den sie ihre Füße wundgelaufen ist. Hoffentlich würde er sie in dem schäbigen Gewand erkennen. Er schien ganz verwirrt, jedoch konnte er sie weder berühren noch konnte er einen Laut von sich geben. So zog Leila den Eissplitter aus seiner Brust und hielt ihn fest in der Hand. Plötzlich kam ein heller Strahl aus dem mit schwarzen Wolken bedeckten Himmel, mitten auf sie gerichtet. Sie schloss ihre Augen, weil es so hell war, dass das Licht in den Augen brannte. Als sie ihre Augen wieder öffnete, war sie am Rande einer Stadt, mit prächtigen Gebäuden und hohen Wällen. Da lief ihr ein Mann über den Weg, den sie eigentlich nach dem Weg zum abgelegenen Wald fragen wollte. Da nahm dieser Mann ihre Hand und er wurde nicht zu Eis. Der Fluch war gebrochen, wie es der Mann mit der roten Kapuze gesagt hatte. Trotz der letzten Fetzen an Kleidung, die sie an sich trug, trotz der wunden Füße und trotz des ungepflegten Aussehens nach der ganzen Reise schien er sie zu lieben und sie ihn. Sie begleitete ihn in das Schloss, ständig musste sie jedoch an den Holzfäller denken, den sie doch immer so sehr geliebt hatte. Im Schloss waren prächtige Gemälde, hohe Kronleuchter mit tausenden Kristallen und ein Butler, der dem Mann Krone und Zepter brachte. Er war wohl ein König, der sich in eine verwahrloste Person verliebt hatte, die wegen ihrer Liebe zu einem Holzfäller bis ans Ende des Reiches der Lebenden gegangen war, mit einem Fluch, nein einer Gabe, wie sie erkennen musste, die ihr geholfen hatte das alles durchzustehen. Und nun wollte sie den Holzfäller und ihre Geschichte vergessen und den Prinzen heiraten. So schmiss sie den Kristall an ihrer Hochzeit in den Burggraben und wollte bis zum Ende ein neues glückliches Leben mit dem König führen.
Der Kristall versank jedoch nicht, sondern schwamm zum Rand des Grabens, wo der Fremde mit der Kapuze stand. Er hob ihn auf und sprach: „Deshalb hatte ich dich verflucht, damit du nicht blind vor Reichtum wirst."


Jeden Sonntag coole Projekte,
Und jeden Mittwoch spannende Geschichten und Rätsel!
Bis zum nächsten Mal!
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Einfach märchenhaft! Der Schluss ist überraschend.

Danke ;)