Ein Schneider in Anagni schloß sich, der Schneiderei überdrüssig, am 3. Januar 1980 um fünf Uhr nachmittag in dem Raum hinter seiner Werkstatt ein und erhängte sich mit seinem Metermaß.
Ein Malermeister trank Mitte Februar eine Büchse Lackverdünner und starb einen Tag später im Krankenhaus. Er hatte sich eingeredet, daß seine Frau, während er anderswo Wohnungen anstrich, zu Hause regelmäßig andere Männer empfing.
Ein Verkehrspolizist stürzte sich im März unversehens von seinem Podest unter einen Krankenwagen, der mit heulender Sirene vorbeifuhr, und starb auf der Stelle. Er klagte schon seit Jahren über seine Arbeit. Er klagte vor allem über den Lärm, den die Autos machen, und über die Abgase.
Ein Professor für Römisches Recht provozierte einen nervenschwachen Studenten so sehr, daß ihn dieser mit einem Holzhammer ins Gesicht und an eine Schläfe schlug; den Hammer hatte der Professor vorher in Reichweite des Studenten auf das Katheder gelegt. Der Professor wollte seit einiger Zeit sterben; er sagte, das Römische Recht sei zu nichts mehr nütze, nur noch um Professoren und Studenten von Generation zu Generation zu quälen.
Ein Automechaniker schloß sich am 5. April in ein Auto ein und starb den Hungertod. Er war nicht verheiratet, weil ihm einmal eine Hand in einem Motor geblieben war; dies, sagte er, sei ein Nachteil, den die Frauen sofort bemerkten.
Eine Verkäuferin in einem Pelzgeschäft schloß sich an einem Samstagabend in ein Kabinett voll Mottenpulver ein. Da das Geschäft auch montags geschlossen war, starb sie an den Ausdünstungen des Mottenpulvers. Auf einem Zettel, der neben ihr lag, standen Beschimpfungen gegen die Eigentümerin des Pelzgeschäfts.
Ein Fernsehregisseur wurde während der Dreharbeiten an einem Film, der mit sehr wenig Geld und sehr wenig Schauspielern gedreht werden sollte, auf einem gußeisernen Stuhl sitzend vorgefunden, der in allen Szenen als elektrischer Stuhl mit Hochspannung vorkam. Offenbar sollte während der Dreharbeiten an allem gespart werden, selbst an der Beleuchtung.
Ein Vorstadtpfarrer, der an Arteriosklerose litt, zündete eines Nachts viele Kerzen an und aß viele Weihrauchkörner, die eine gefäßverengende Wirkung haben; vielleicht, weil er dachte, Weihrauch sei gefäßerweiternd. Daher bekam er gegen fünf Uhr früh eine Blutleere und starb. Der Umstand, daß er ein pharmakologisches Lexikon besaß, läßt jedoch vermuten, daß ihm die Wirkung des Weihrauchs auf die Herzkranzgefäße bekannt war.
Ein Politiker aus der Provinz fiel bei einer Wahlversammlung seiner Partei im Juli vom Podium und war tot. Das Podium war viel höher, als ein Podium normalerweise ist, und sehr eng. Es wurde eine Untersuchung eingeleitet, um festzustellen, ob er hinuntergestoßen worden war oder ob er sich selbst hinuntergestürzt hatte, um sich umzubringen.
Ein Fahrradmechaniker erhängte sich während der Hundstage im August mit einem Fahrradschlauch. Schuld daran war offenbar die Hitze.
Ein asthmatischer Gewerkschaftler kehrte eines Nachts in das Büro der Gewerkschaft zurück, wo er erstickte. Er war schon seit einigen Jahren in Pension und wurde am Morgen über dem Konferenztisch liegend aufgefunden. Das Asthma hatte er sich während der Konferenzen zugezogen, durch den unablässigen Pfeifen- und Zigarettenrauch, gegen den er allergisch war.
Ein Bienenzüchter wußte, daß der Stich einer Biene einen anaphylaktischen Schock hervorrufen kann; und er sagte immer zu seiner Frau: »Ich bring mich um«, weil ihn nichts freute, weder zu Haus noch im Beruf. Als er am 8. September an einem Bienenstich starb, sagte seine Frau, als sie verhört wurde, das sei Selbstmord gewesen. Aber der Untersuchungsrichter stellte das Verfahren wegen Mangels an Beweisen ein.
Ein Dichter, der mit einem elektronischen Rechner Gedichte ohne Sinn machte, tötete sich durch Einatmen von Gas, um seinen Gedichten einen globalen dramatischen Sinn zu geben. Aber im Protokoll der Polizei ist nur vermerkt, er habe den Gashahn vielleicht aus Fahrlässigkeit nicht zugedreht.
Ein Klempner mit einem schweren Nervenzusammenbruch stürzte sich in einen Kanal, er hatte sich Rohre mit einem Gesamtgewicht von zweiundzwanzig Kilo an den Hals gebunden.
Ein Dompteur im Alter von dreiundsechzig Jahren, des Zirkuslebens überdrüssig, betrat eines Nachmittags als Affe verkleidet den Tigerkäfig. Die Tiger waren zahm, aber da sie ihn nicht erkannten, zerfleischten sie ihn. Der Fall wurde als Selbstmord registriert.
Ein Totengräber, noch jung an Jahren, aber nicht gesund, ließ sich im Dezember anstelle eines Toten begraben, indem er sich in einen Sarg legte, bevor dieser geschlossen wurde. Der Tote dagegen wurde eine Woche später bei ihm zu Hause unter dem Bett gefunden. - Ermanno Cavazzoni: Kurze Lebensläufe der Idioten. Kalendergeschichten. Berlin 1994 (Wagenbach Taschenbücher 314)