Die Geschichte um Parzival gibt unglaublich viele Denkansätze mit und für ihr Zeitalter ist sie wirklich ausgesprochen fortschrittlich.
Es gibt ganze Bücher, die sich nur mit den Abhandlungen einzelner Themen dieser Saga beschäftigen.
Ich weiß nicht, wie viel Lust ihr habt, dass ich diese Geschichte tiefer mit euch analysiere.
Ich habe 3. Parts geplant die sich ausschließlich mit der Entwicklung von Parzival befassen.
Wenn ihr Lust darauf habt, dass ich generell Geschichten analysiere, auf ihren Bezug zur Gesellschaft, dann hinterlasst mir doch bitte einen Kommentar dazu. Ich würde mir dann weitere Gedanken machen. Aber eben nur, wenn ich auch lust drauf habt, weil es doch ziemlich zeit-intensiv ist.
Aktuell ist das eher eine Art Testlauf, wie es bei euch ankommt.
Warum wurde ausgerechnet Parzival zum Gralskönig ernannt?
Der Gralskönig gilt in der Saga als der weiseste und reichste Mensch. Dem Gral wird sehr vieles zugeschrieben, sowohl materielle Fülle als auch geistige Erleuchtung und ewiges Leben. Wer den Gral besitzt, wird nie wieder Leid erfahren.
Allerdings gibt es eine Ausnahme von dieser Erfüllung, nämlich, wer die Regeln bricht, seinen Trieben folgt und egoistisch handelt, der wird ewig Leben aber auch ewig leiden.
Der Gralskönig muss also ein wirklich weiser Mensch sein, der diese Verantwortung auch tragen kann.
Parzivals Geburt
Das ist schon ein sehr interessanter Start der Geschichte. Parzival wird vaterlos geboren und wenn man bedenkt, in welchem Jahr die Geschichte entstand, sagt uns das einiges. Damals war der Vater der Familie das A und O. Er positionierte die Familie in der Gesellschaft, sorgte für Sicherheit und ggf. für Wohlstand.
Der Vater war die höchste Instanz seiner Familie und die Erbfolge war existenziell. Sowohl ein Kind ohne Vater als ein Mann ohne Kinder war undenkbar. Familie sicherte das Überleben und war eine Gemeinschaft, die unzertrennbar verbunden war. Wie Pech und Schwefel, könnte man sagen.
Eine Mutter soll dem Kind die Menschlichkeit Empathie, seelische Nähe beibringen, der Vater die Regeln, Normen und Werte. Parzival fehlt beides, dadurch das er im Niemandsland mit einer ziemlich instabilen Mutter aufwächst. Er lernt eigentlich gar nichts über das Mensch-sein und bekommt von ihr, sagen wir mal, sehr merkwürdige Normen vorgelebt. Außerdem gehört er nicht zu dieser Gemeinschaft, die dein Überleben sichert, und dir Stabilität und die Basis deiner Identität verleiht.
Diese Art aufzuwachsen, hat sehr viel mit der Kindheit eines Autisten gemeinsam. Normalerweise setzt niemand dieses Werk (zumindest nicht das ich es wüsste), es in diesen Zusammenhang, dennoch finde ich das eigentlich sehr naheliegend.
Als autistisches Kind wirst du quasi elternlos geboren. Du hast zwar Eltern, aber du fühlst diese Verbindung nicht so, wie du sie fühlen solltest. Du lebst zwar inmitten der Gesellschaft aber dennoch abgeschnitten im Niemandsland. Um dich herum sind unsichtbare Mauern die dich von der Gesellschaft trennen. Die meisten Autisten wachsen auf, ohne jemals die Verbindung hergestellt zu haben, sie kennen und verstehen die Normen und Werte nicht, die ihnen hätten beigebracht werden sollen.
Von strahlenden Rittern und dem Königshof.
In der Sage stellt der Königshof von Artus unsere heutige Gesellschaft dar.
Als klein Artus dem ersten Ritter seines Lebens begegnet, fragt er diesen, ob er Gott sei.
Er kannte keine Ritter. Seine Mutter brachte ihm nur etwas über Gott bei, den allmächtigen Herrscher, der das Schicksal in seinen Händen hält und strahlt wie die Sonne selbst.
Als sich also das Licht auf der Ritterrüstung spiegelt, denkt Parzival, der stünde vor Gott.
Der Ritter findet das reichlich amüsant und klärt den Kleinen auf, erzählt ihm von der wahren Welt da draußen. Und natürlich will Parzival unbedingt Teil dieser Welt sein.
Das Parzival den Ritter mit Gott verwechselt, ist ein sehr bezeichnender Effekt. Jeder kennt es, dass man einem Menschen nacheifert, man vergöttert sein Idol und stellt die Person auf ein Podest, ohne die Fehler und Sünden zu erkennen.
Als Autist ist das nochmal besonders, weil die Gesellschaft als solches dir wie eine übergeordnete Instanz und unfehlbar erscheint. Du wächst auf, ohne ein Bewusstsein dafür, das es eine Gemeinschaft gibt, die alles umschließt. Du erkennst und fühlst diese Bindung nicht.
Folgender Satz ist für Autisten sehr bezeichnend.
„Wenn ich alleine in meinem Zimmer bin, bin ich nicht autistisch. Das werde ich erst, durch euch Menschen.“
Eines Tages begegnet einem sinnbildlich ein Ritter und erklärt die Gesellschaft. Es wird dir erzählt wie wundervoll diese Gemeinschaft ist, wie sich Liebe und Geborgenheit anfühlt und dieses Gruppen-Dingsda in das alle gehören und wie viel Spaß man in einer Gruppe hat. Meist geschieht das im Kindergartenalter.
Jetzt ist in dem Autisten die Sehnsucht erwacht, dieses tolle Etwas auch zu haben. Er möchte quasi an den Hof von König Artus und auch in die Rittergesellschaft aufgenommen werden, man entwickelt sein eigenes, total verherrlichtes Bild von einem Gefühl und Erlebnis, das man gar nicht kennt und niemals haben wird, in der Art wie man glaubt, müsse es sein.
Parzivals Defizite
Parzival zieht los und trifft auf die Jungfrau, schändet sie und ruiniert ihr Leben.
Auch das ist leider ein sehr bezeichnendes Bild für Autismus, Narzissmus und Psychopathie/Soziopathie. Ich setze hier diese Störungen keinesfalls gleich!!! Aber sie haben eines gemeinsam, ein gewisses Fehlen der Empathie.
Man bringt uns Autisten Regeln bei, ohne sie bis in die Tiefe zu erläutern, weil man davon ausgeht, das sei selbstredend.
So sagt Parzivals Mutter, er solle schöne Frauen küssen. Sie erwähnt aber nicht, wie das zu passieren hat, sie erläutert ihm nicht den Kontext und das ist für seine empathielose Seele nicht greifbar. Einem Menschen, der nicht von sich aus zur intuitiven Empathie fähig ist, muss man genau erklären, welche Regeln und Normen die Gesellschaft hat. So versteht Parzival nicht ansatzweise, dass er diese arme Frau vergewaltigt und damit ihre Zukunft zerstört. Ein Mensch mit mangelhafter Empathie merkt das ebenfalls nicht. Ich habe als Kind gestohlen, weil mir nicht ansatzweise die Tragweite des Stehlens bewusst war, ebenso habe ich gelogen, Unterschriften gefälscht und bin nicht immer gut mit Menschen umgegangen. Ohne jemals zu fühlen oder zu verstehen, was ich tue. Ich habe z.B bei engen Freunden meiner Eltern Geld geklaut. Ich durfte 1 mal die Woche bei ihnen Mittagessen, weil meine Mama da nicht konnte. Und weil die ihr Geld offen rumliegen liessen und ich mir gerne Chips und Co. kaufen wollte, war es für mich total naheliegend, dieses Geld zu nehmen. Ich verstand nicht ansatzweise, wieso das falsch sein soll. Irgendwann bemerkten die Eltern der Familie natürlich, dass ich die Ursache für ihren Geldverlust sein muss und ich wurde von ihnen und meinen Eltern darauf angesprochen. Ich erinnere mich ganz genau, wie ich da sass und überhaupt nicht verstand, was genau das Problem jetzt ist. Ich konnte weder die betrübte Stimmung auf mein Handeln beziehen noch wirklich nachvollziehen, was ich falsch gemacht habe. Zu sagen, klauen ist falsch, konnte ich einfach nicht zuordnen. Ich habe danach dasselbe Spiel weiter gespielt, wo ich nur konnte, und meine Eltern fingen an, die Leute die uns neu kennen lernten, vor mir zu warnen.
Erst als ich so 15-16 Jahre alt wurde, entwickelte ich eine gewisse Scham. Ich lernte einen Polizisten kennen, den ich unglaublich toll fand, es war mir wahnsinnig wichtig, wie er von mir dachte. Ich fragte ihn, warum Diebstahl eigentlich verboten sei, wenn man etwas fände, könne man es ja auch behalten. Er erklärte mir das so eine Handlung andere Menschen in große Not bringen könne und ein Vertrauensbruch sei. Er sagte mir nicht einfach, Diebstahl ist verboten, sondern erklärte mir detailliert, zu welchen Emotionen Diebstahl führt und das er persönlich, nie mit einem Menschen befreundet sein könne, der andere Menschen so egoistisch verletze. Das habe ich dann verstanden und von da an nie wieder geklaut.
Mit einem autistischen Kind zu schimpfen, ist genauso sinnlos wie ihm rational die konstruierten Regeln zu erklären. Man muss ihm die Empathie die hinter den Regeln stecken, immer wieder im Detail nahebringen. So kann es mit der Zeit selber Empathie entwickeln. Erklärt man es ihm nicht, hat es kaum eine Chance von innen heraus diesen wichtigen Charakterzug zu lernen und wird nie verstehen, warum es permanent abgelehnt wird.
(Bildquelle ohne Text Pixabay )