Als die eigentliche Emanzipation noch in weiter Ferne lag, wurde Sie im Café Keese bereits praktiziert. Diese Einführung der Gleichberechtigung im Kleinen gefiel Männern und Frauen gleichermaßen.
Das Café Keese traf den Zahn der Zeit
Das Café Keese war 1948 bei seiner Gründung durch den Hamburger Gastronom Wilhelm Bernhard Keese in Hamburg-Eimsbüttel das erste Tanzlokal dieser Ausrichtung. Schon alleine aufgrund der besonderen Gepflogenheiten war es besonders beliebt bei Partnersuchenden beiderlei Geschlechts, obwohl es für beide eine große Umgewöhnung war, da der eigentliche Umgang der beiden Geschlechter, gerade bei Tanzveranstaltungen, eigentlich ganz anderer Natur war.
So war es schon mehr als ungewöhnlich, dass die Damen hier den Herrn ihrer Wahl zum Tanz aufforderten. Was für die Damen dadurch erleichtert wurde, dass den Frauen kein Tanz verweigert werden durfte. Dies nahm natürlich die Angst davor, einen "Korb" zu erhalten, also eine Verweigerung des gewünschten Tanzes erleiden zu müssen.
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Es wird dir vielleicht aus alten Filmen oder auch von Erzählungen her bekannt sein, dass es zu dieser Zeit für Frauen auf Tanzveranstaltungen hauptsächlich darum ging zu warten, bis ein Herr Interesse zeigte. Was einer Frau zur heutigen Zeit sicherlich nicht schwerfiele - eben einen Mann zum Tanzen aufzufordern - stellte damals noch einen Fauxpas dar. So kannst Du eventuell nachvollziehen, dass dieser Rollentausch für viele Männer und Frauen dieser Generation etwas darstellte, was man einmal ausprobiert oder erlebt haben musste, wenn sich denn die Gelegenheit dazu ergab.
Auch die völlig neue Art der Kontaktaufnahme mittels nummerierter Tischtelefone machte hier selbst für äußerst schüchterne Damen das Ansprechen der Männer etwas leichter und wurde später von ähnlichen Lokalitäten übernommen.
Keese hatte mit seinem "Ball Paradox" sein Vorhaben, die vielen Witwen der Nachkriegszeit wieder auf moralisch unverfängliche Art und Weise mit der Männerwelt auf Tuchfühlung gehen zu lassen, in die Tat umgesetzt.
Die Reeperbahn bekommt eine untypische Attraktion
Auch als das Tanzlokal 1953 in Räumlichkeiten auf der Reeperbahn umzog, änderte sich nichts an der Sittsamkeit innerhalb des Café Keese, auch wenn die Umgebung hier etwas anderes hätte vermuten lassen können. Damit es hier keine Missverständnisse geben konnte, übernahm die Ehefrau des Gründers Amalie Ilonka auch den Empfang der Gäste und machte die Damen auf eventuell zu freizügige Kleider aufmerksam.
Das Café Keese kam nie in irgendeiner Weise mit dem sonstigen Gebaren auf der sündigen Meile in Berührung und hatte trotzdem nach kurzer Zeit bereits einen Kultstatus, sodass es von der Reeperbahn nicht mehr wegzudenken gewesen wäre.
Nach dem Tod seiner Frau eröffnet Wilhelm Bernhard Keese zwei "Filialen" seines Tanzlokals in Berlin und in Niendorf/Ostsee, die ähnlich erfolgreich wurden.
Die Zeiten ändern sich
1973 sieht Keese für sich die Zeit gekommen, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen und er übergibt sein Café Keese auf der Reeperbahn an die Verleger Heinz-Peter Feussner und Klaus Tietje. Nach der Übernahme führen die neuen Inhaber das Geschäft im Sinne von Keese weiter, jedoch ist die zunehmende Emanzipation ein Grund für den Untergang des alten Konzeptes. Es ist nun nichts Besonderes mehr, dass eine Frau einen Mann anspricht und zum Tanz auffordert.
Ein neues Profil soll nun das Café Keese wieder für die Massen interessant werden lassen. Durch Mottopartys wie beispielsweise "Sweet Sunday" oder Konzerte soll jüngeres Publikum angesprochen werden. Auch viele Prominente genießen die Unterhaltung im ehemaligen Tanzlokal und ziehen wiederum damit Gäste in die Lokalität. Mit dem Tod Tietjes - 1998 - ist es allerdings erst einmal vorbei mit Veranstaltungen jeglicher Art.
Auch ist nach der Neueröffnung 2002 nichts mehr so wie es einst von Bernhard Keese angedacht war. Anfangs wird ein "Ball der einsamen Herzen" dem Ansinnen von Keese noch teilweise gerecht. Die nachfolgenden Konzepte - wie beispielsweise der Einzug des "Quatsch Comedy-Clubs" sowie im Anschluss der Umbau in "Die sündigste Fischbude der Welt" - haben allerdings überhaupt nichts mehr mit dem ursprünglichen Konzept zu tun, sodass die Geschichte des Café Keese spätestens 1998 abgeschlossen sein muss.