In den letzten Artikeln trafen wir vermehrt sogenannte Verzögerungen an. Verzögerungen sind Zeitstrukturen, mit denen mensch schlecht umgehen kann. Sie sind oft schuld am Misslingen von (Projekt-)Plänen. Alles braucht seine Zeit, sogar die Wahrnehmung von Ereignissen. Deshalb ist es in allen Lebenslagen wichtig, Verzögerungen zu verstehen und zu berücksichtigen.
Grenzen des Wachstums
In unserem Huhn-Ei-Beispiel - das zu Ostern ja gerade aktuell ist - legt ein Huhn täglich ein Ei, die Verzögerung beträgt also ungefähr einen Tag, d.h. es gibt immer ungefähr gleich viele Eier wie Hühner. Hingegen braucht es 21 Tage, bis aus einem Ei ein Kücken geschlüpft ist und dann noch ein paar Wochen, bis die Kücken zu Hühnern erwachsen sind. Die Verzögerung ist gegenüber dem Legefluss beträchtlich. Das wirkt sich z.B. im Archetypus Grenzen des Erfolgs aus (Archtypen werde ich einen der nächsten Beiträg widmen). In seinem Artikel USING “LIMITS TO SUCCESS” AS A PLANNING TOOL stellt Daniel Kim folgenden Wachstumsmotor eines Unternehmens vor:
Die Identifikation des Wachstumsmotors legt unsere impliziten Annahmen über die Entwicklung des Wachstums offen
Das ist das, was oft Managers Vision ist. Was er aber übersieht oder unterschätzt, ist die andere Seite der Medaille: dass er mit dem Wachstum auch eine bremsende Kraft heranzieht. Der Archetypus hat zwei Feebackschlaufen: einen reinforcing und einen balancing, d.h. der erste ist für ein (unbeschränktes) Wachstum verantwortlich, während der andere das Wachstum bremst. Je grösser die Kundenbasis, desto mehr Aufwand kostet deren Betreuung. Vielleicht hat man die wachsende Nachfrage nach Support zu spät erkannt oder für dessen Ausbau war kein Budget vorhanden. Es gibt kann noch weitere bremsende Einflüsse geben, je nach Geschäftsart. Z.B. könnte bereits die Produktion an ihre Grenzen kommen, wenn die erhöhte Nachfrage nicht befriedigt werden kann. Dann werden die Kunden zur Konkurrenz abwandern, und es besteht dann die Gefahr, dass sie dort bleiben.
Der bremsende Einfluss greift verzögert
Nimmt die Qualität ab, so wirkt sich das nicht sofort auf die Kundenzufriedenheit aus. Ein Kunde kann denken, dass es sich bloss um einen einmaligen Ausrutscher handelt und dem Unternehmen noch eine zweite (und eine dritte) Chance geben. Da würde man wahrscheinlich von einer Wahrnehmungsverzögerung sprechen, die wir später kennen lernen. Der Wechsel von einem Lieferanten, mit dem man bisher zufrieden war, zu einem neuen, unbekannten Lieferanten ist ja auch immer risikobehaftet. Deshalb zögern sogar unzufriedene Kunden, abzuspringen.
Der bremsende Zyklus wirkt sich also mit einer Verzögerung aus. Daher wächst das System zunächst an, wird später dann aber durch den anderen Zyklus ausgebremst. Das führt zu einem S-förmigen Wachstum (besser "logistisches Wachstum"). Wie aber sind solche Verzögerungen beschaffen, wie funktionieren sie?
Die Illustration ist derjenigen im zitierten Artikel von Daniel Kim angelehnt
Das ist ein typisches Verhalten von Wachstumsprozessen. Je grösser ein System wird, desto grösser ist sein Aufwand zur Lebensfähigkeit oder - im Unternehmensumfeld - zur Operabilität.
Im Allgemeinen wird zwischen Material- und Informationsverzögerungen unterschieden. Ich nenne sie lieber Fluss- und Wahrnehumgsverzögerungen. Beide können in verschiedenen Ordnungen vorkommen, also z.B. Flussverzögerung 1. Ordnung, 2. Ordnung, ... , n-ter Ordnung, je nachdem, durch wie viele Bestände der Fluss läuft. Hier zunächst drei Geschichten, anhand derer Sie die verschiedenen Verzögerungsordnungen erkennen können:
Drei Geschichten
(Fluss-)Verzögerung 1. Ordnung
Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Hühnerstall, umgeben von 100 Hühnern, die darauf warten, von Ihnen gefüttert zu werden. Sie halten eine Tüte in der Hand, die exakt 1000 Körner enthält. Nun werfen Sie gleichzeitig alle 1000 Körner so, dass sie möglichst gleichverteilt im Hühnergedränge landen. Es sind jetzt also 1000 Körner am Boden und verschwinden nach und nach in den Schnäbeln der Hühner. Erklären Sie, in welcher Weise der Bestand der 1000 Körner abnimmt, wenn Sie z.B. annehmen! Sie können irgend eine Annahme treffen, z.B. dass ein Pickvorgang 1 Sekunde dauert. Nach welcher Zeit sind nur noch 500 Körner vorhanden? Wann sind weniger als 5 Körner vorhanden? Wie lange dauert es, bis auch diese 5 Körner weg sind? Aber die Frage ist nicht nach exakten Zahlen, sondern nach einer qualitativen Beschreibung, auf welche Weise der Bestand der Körner abnimmt.
(Fluss-)Verzögerung höherer Ordnung
Stellen Sie sich vor, Sie machen eine gezielte Werbekampagne in den USA, indem Sie 1000 Personen, ungefähr gleichverteilt über die ganze USA, per Brief anschreiben. Sie geben die 1000 Briefe heute um 12 Uhr an einem Postschalter in Europa auf. Die Post nennt 5 Tage mittlere Zustellzeit für Briefe nach den USA. Beschreiben Sie qualitativ, auf welche Weise die Briefe bei den Empfängern ankommen.
Pipelineverzögerung
Eine Keramikfabrik hat einen langen Brennofen, der vom Brenngut durchfahren wird. D.h. auf der einen Seite schiebt ein Mitarbeiter z.B: alle Minute einen Wagen mit rohem Brenngut in den Ofen, die Wagen werden langsam, aber gleichförmig durch den heissen Ofen gezogen und kommen z.B. nach exakt einer Stunde Fahrzeit auf der anderen Seite wieder heraus. Offenbar erscheint auch auf der Ausgangsseite des Ofens jede Minute ein Wagen mit gebranntem Gut.
Nun nehmen Sie an, dass ein kleverer Materialingenieur ein Tonmaterial erfunden hat, das bloss die halbe Brennzeit benötigt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt stellt der Betrieb vollständig auf das neue Tonmaterial um. Mitten im Betrieb wird die Geschwindigkeit der Wagen, die durch den Ofen fahren, verdoppelt, ohne dass der Mitarbeiter, der die Wagen im Minutentakt in den Ofen hineinschiebt, informiert wurde. Das bedeutet, dass er den Ofen nach wie vor im Minutentakt bespickt.
Erklären Sie, wie sich die Erhöhung der Wagengeschwindigkeit auf der Outputseite auswirkt. Wie viele Wagen kommen pro Minute zum Ofen heraus?
Im nächsten Beitrag werde ich die Fragen auflösen und entsprechende Modelle dazu liefern.