Systemisches Denken mit Wirkungsnetzwerken

in de-stem •  7 years ago 

In einem meiner letzen Blogartikel forderte ich dazu auf, ein System Thinker zu werden. Ich denke, dass Sie mittlerweile genug Zeit hatten, sich mit System Thinking zu beschäftigen, so dass Sie folgendes Stück "System Thinking" nachvollziehen können oder es dazu nutzen, um Ihre System Thinking Skills zu verbessern.

System Thinking kommt wohl ohne Causal Loop Diagrams (CLD) kaum aus. Ich möchte mich heute der Frage widmen, inwiefern ein Causal Loop Diagram als systemisches Darstellungsmittel genügt. Inspiriert dazu hat mich der Artikel The Ambiguity of Causal Loop Diagrams and Archetypes von Kim Warren.

Wer und was


Ich mag Kim Warren sehr. Er war 2013 Präsident der System Dynamics Society und ich habe ihn ein paar Mal auf einer SD Conference getroffen. Zudem nahm ich vor ein paar Jahren an einer seiner hochspannenden SD-Trainings teil.

Über Causal Loop Diagrams (CLD) - auf Deutsch vielleicht mit Wirkungsnetzwerk übersetzt - und Systemarchetypen habe ich schon oft geschrieben, z.B. in Kein einzelner Teil... und in Archetypendiagramme

Zwei Archetypen


Der Archetypus "Eroding Goal" besagt, dass wir zu Beginn unsere Ziele zu hoch setzen, und wenn wir sie nicht erreichen können, schnell bereit sind, sie auf niedrigerem Niveau neu zu formulieren. Umgekehrt strengen wir uns immer mehr an, das Ziel zu erreichen. Ich habe diese Situation in Fallen gelassene Vorsätze von Dozenten, Studenten und Projektleitern beschrieben.


Der Archetypus "Eroding Goal" als CLD. Blaue Pfeile haben positive, rote negative Polarität.

Der Archetypus "Eroding Goal" als CLD. Blaue Pfeile haben positive, rote negative Polarität.
Der Archetypus "Escalation" skizziert die gegenseitige Konkurrenz zweier Parteien in ein und derselben Sache. Z.B. streben zwei Personen in einer Disziplin die Weltmeisterschaft an. Immer, wenn die eine einen Erfolg verbucht, fühlt sich die andere bedroht und gibt noch mehr, um das nächste mal die andere zu überbieten.


Der Archetypus "Der Archetypus "Escalation" als CLD

Die Diagramme sind mit insightmaker gezeichnet worden, ein freies Entwicklungstool, das Sie online und kollaborativ einsetzen können.

Gleiche Strukturen


Im erwähnten Artikel stellt Warren fest, dass beide Archetypen - "Eroding Goals" und "Escalation" - aus zwei zielsuchenden Loops bestehen und sieht sich deshalb ausserstande, den Unterschied der beiden Situationen mit einem CLD beschreiben zu können. Er folgert daraus, dass CLD uneindeutig und in gewissem Grad für eine präzise Beschreibung spezifischer (Unternehmens-)Situationen ungeeignet seien. Er räumt allerdings ein, dass der Einsatz von CLD dem "Laundry List"-Vorgehen von Nicht-System-Thinkers immer noch überlegen sei.

Warrens Definition, wonach ein Archetypus ein generisches CLD, zusammen mit einer speziellen Verhaltensstory sei, finde ich bestechend handlich. Gerade an ihrer Verhaltensstory können die beiden Archetypen - "Eroding Goal" und "Escalation" - sehr eindeutig voneinander unterschieden werden. Das fängt schon nur bei der Tatsache an, dass in "Eroding Goal" bloss eine Partei in gewissem Sinne gegen sich selbst handelt, während es in "Eskalation" zwei Parteien gibt, deren Handlungen sich an denjenigen des Gegners orientieren.

Dynamische Struktur


Warren plädiert dafür, nicht beim CLD stehen zu bleiben, sondern gleich den Schritt zum System Dynamics Modell zu machen, das erst die nötige Klarheit geben könne. Ich kann ihm in dieser Hinsicht nicht folgen. Ich glaube, seine Befürchtungen, dass ein CLD die nötige Eindeutigkeit fehle, sind zumindest dann übertrieben, wenn das CLD nach allen Regeln der Kunst erstellt wurde. Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen die vielen Berater, die CLD ohne irgendwelche Grundkenntnisse und ohne grossen Zeitaufwand ihren Kunden teuer verkaufen.

Wenn Warren z.B. schreibt: "The loop structure is mathematically identical", dann stimmt das nicht. In dem Archetypus "Eroding Goal" werden Soll-Zustand (Ziel) und Ist-Zustand als Differenz verglichen ("Lücke"). Das führt zu einer linearen Struktur. Im Archetypus "Escalation" hingegen werden die Resultate beider Parteien zueinander in Relation gesetzt, was nicht-linear ist.

Dass die Loopstruktur dennoch gleich ist, liegt daran, dass die Stories sehr verwandt sind. In beiden Stories versuchen die Parteien, durch Anstrengung ein Ziel zu erreichen. Während jedoch in "Escalation" das Ziel durch die andere Partei immer höher gesetzt wird, wird es in "Eroding Goal" durch den "inneren Schweinehund" immer mehr gesenkt.

Fluktuationen


Eine andere Aussage Warrens fordert mich zu einer Präzisierung heraus. Er schreibt: "For example, if A and B start with the same results, there is no escalation". Das ist rein rechnerisch zwar richtig, verkennt aber die Funktionsweise lebender Systeme. In einem System, das weit vom Gleichgewicht entfernt ist, wird die Dynamik stets von sogenannten Fluktuationen geprüft. Fluktuationen sind in Stärke und Ort zufällig vorkommende Störungen, die gegen die herrschende Struktur verstossen.

In "Escalation" versuchen die beiden Parteien ständig, sich selbst zu verbessern, ganz ungeachtet vom Resultat der Konkurrenz. Das führt auf alle Fälle zu Differenzen in den jeweiligen Resultaten, sogar, wenn beide Parteien mit exakt denselben starten würden.

Warrens Behauptung gilt bloss für Systeme, die sich in völligem Gleichgewicht befinden. Solche Systeme sind aber tot. In ihnen bewegt sich gar nichts mehr. In der Tat gäbe es auch keine Eskalation mehr.

Jedem CLD seine Story!


Für Warren ist erst ein System Dynamics Modell ein Modell. Für mich ist ein fachgerecht erstelltes CLD jedoch bereits ein (qualitatives) Modell. Allerdings steckt für mich bedeutend mehr hinter einem CLD, als bloss ein paar Parameter, die mit Pfeilen wirr verbunden sind.

Wenn also die generischen CLD der beiden Archetypen "Eroding Goal" und "Escalation" fast nicht unterschieden werden können, anhand ihrer Stories und weiteren Analysen lassen sie sich jedoch wohl unterscheiden. Das bedeutet für mich: zu jedem CLD gehört eine Story! Das erreichen Sie am besten, indem Sie sich zu Beginn fragen: "Welche Archetypen stecken in der zu untersuchenden Situation" und die Modellierung auf diesen Archetypen aufbauen. Dann tragen Sie auch stets die Story mit. Zu einem einfach mal so hingeworfenen CLD eine passende Story zu finden, dürfte ungleich schwieriger sein.

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@deepculture
gestern haben wir uns noch Gedanken zu iterativen Feedback Loop Systemen gemacht. Und heute sehe ich dass hier auch Experten anwesend sind. Sehr erfreulich. 100% Upvote und Geteilt wird der Artikel auch :)

Vielen Dank! Gerne werde ich mehr dazu publizieren. (Und ein follow habe ich auch hinterlassen)

Hallo @paaddor.

Wenn du eigene Beiträge von anderen Seiten hier reinkopieren willst (http://www.anchor.ch/denkmuster/systemisches-denken-mit-wirkungsnetzwerken/), solltest du vorher deine homepage bei steemcleaners verifizieren lassen, um Mißverständnissen vorzubeugen.

Heisst das, dass Steemit das Exklusvrecht auf den Artikeln will? Ich möchte meinen Blog auf Steemit fortsetzen und werde dazu die paar letzten Post hieher kopieren, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten. Ist das nicht richtig? Und ich dachte noch, dass das Steemit freuen wird.

Heisst das, dass Steemit das Exklusvrecht auf den Artikeln will?

Nein, es gibt aber Steemit-interne Strukturen, die Spam und Plagiate verhindern sollen. Dafür gibt es z.B. @cheetah und die erwähnten @steemcleaners. Du trittst keinerlei Rechte ab, es hilft nur dabei, dass so verhindert wird, dass du in den Verdacht des Plagiats kommst :)

  ·  7 years ago (edited)

nein, die rechte behältst du selbst, wie @egotheist richtig schreibt. Es geht darum, dass verhindert werden muss, dass jemand die identität eines externen bloggers klaut und daran verdient, kopierte texte zu posten. Daher die verifizierung, dass das andere sehen, dass es tatsächlich dein eigenes werk ist, das hier gepostet wird.

Danke für den Hinweis @lauch3d :D
Ja, ich freue mich immer über weitere Leute, die sich für Systemtheorien begeistern können.

Kim Warren war mir so jetzt noch kein Begriff. Ich nehme mal an, dass er eher ein Praktiker ist und populärwissenschaftlich auch nur für die Praxis schreibt? Zumindest benutzt er ja scheinbar erstmal nur vorhandene Theorien und nutzt ein Methodenmix für seine ganz bestimmte Ansprüche.

Ich kann die Diskussion aber nicht nachvollziehen, warum jetzt die eine Methode besser sein soll als die andere. Das richtet sich doch nach dem Zweck/Ziel, für das ich es benutzen will.

Und System Dynamics ersetzt wenn auch keine Wirkungskreisläufe, sondern dient dazu, die einzelnen Wirkungsbeziehungen innerhalb eines Wirkungskreises berechnen und simulieren zu können. System Dynamics ist daher sehr mächtiges Werkzeug, aber auch sehr aufwendig.
Aufwendig, weil für jede Beziehung eine, meist nicht-lineare, Wirkungsfunktion erstellt werden muss, was in komplexen Systemen schwierig ist und umfangreiche Forschungen braucht.

Für die Beispiele oben wäre das der absolute Overkill. Man benutzt ja auch kein professionelles Projektmanagementtool und ERP-Systeme, um sich einen Einkaufszettel zu schreiben, wenn eine einfache ToDo-Liste auch ausreicht.

Das oben wäre jetzt aber auch nur eine grobe Skizze, um eine Situation etwas zu verstehen. Es beruht ja erstmal nur auf intuitiven Annahmen der Zusammenhänge, die Variablen sind auch nicht so sinnvoll und vollständig ist es auch nicht, weswegen ein solches System einen irgendwann um die Ohren fliegen würde, wenn man es wortwörtlich nimmt. Aber für 3/4 Fälle reicht das in der Praxis völlig aus, v.a. wenn man nicht viel Zeit hat.

  ·  7 years ago (edited)

Vielen Dank, @deepculture, für Dein Interesse. Kim Warren ist einer der momentan führenden System Dynamics Experten. Wirkungsnetzwerke (CLD) stammen ebenfalls aus der System Dynamics (SD) Küche und dienen als Vorstufe von Stock-Flow-Modellen. Die Diskussion in der SD Gemeinde um CLD ist nicht ein Auspielen einer Methode gegen die andere, sondern die Empfehlung, gleich zum Modell weiterzugehen und nicht beim CLD stehen zu bleiben. George Richardson hat sich bereits in den 80ern Gedanken darüber gemacht. Auch Tom Fiddaman schrieb über die Unzulänglichkeit von CLD, wie ich ja in Wie nützlich sind Wirkungsnetzwerke im systemischen Kontext berichtet habe.

Warrens Beispiele sind nicht "der absolute Overkill", sondern zwei systemische Archetypen, die Peter Senge in seiner Fünften Disziplin eingeführt hat. Ich werde gelegentlich etwas über die Senge Archetypen schreiben.