6. Klassifizierung der Übertragungen
Kohut fragt sich, ob es während einer psychoanalytischen Behandlung überhaupt zu Übertragungen käme bzw. ob sie sich im Vollzug entwickeln würden. In Anbetracht seiner Erfahrungen und der Annahme fragt er zudem, welches Wesen die Übertragungen narzisstischer Persönlichkeiten ausmache.
Dabei rekurriert er zunächst auf Freuds metapsychologische Beschreibung der Übertragung. Diese sei die Verschmelzung »verdrängter, infantiler, objekt-libidinöser Bedürfnisse mit (vor)bewußten Wünschen, die sich auf gegenwärtige Objekte beziehen.« (Heinz Kohut. Narzißmus. S. 57) ― Das heißt, dass die vorbewussten Einstellungen seitens des Analysanden im Rahmen der klinischen Therapie und im Verhältnis zum Analytiker zu Trägern der oben genannten Wünsche werden bzw. auch dass die Ängste sowie Abwehrmechanismen und pathologischen Veränderungen, die aufgrund von traumatischer Geschehnisse auf das Selbst in der frühen Kindheit wirkten, auch im späteren Leben die Beziehungen zu anderen beeinflussen. Die Übertragungen seien dabei nicht immer aktiv, sondern tauchen situationsbezogen sowie unter bestimmten Wahrnehmungen auf und werden nach Kohut auch in der Behandlung freigesetzt.
Die drei Arten von Übertragungen, die Kohut angibt und beschreibt, sind die idealisierende Übertragung, die Spiegelübertragung und die Zwillingsübertragung. Bei der idealisierenden Übertragung wird die eigene Unvollkommenheit insofern auszugleichen versucht, als Eigenschaften des idealisierten Elternimagos anderen Menschen zugeschrieben werden. Dies kann sich mitunter zeigen, wenn der Analysand den Analytiker als gut befindet, ihn wertschätzt und lobt und dabei behaupte, er habe dies verdient. Ein anderes Beispiel wäre die Idealisierung des Partners oder die Idealisierung von Stars. Dabei entsteht eine besondere Abhäng-igkeit in Bezug auf das jeweilige Objekt, da es ja im Zuge der Idealisierung ein Teil des Selbst, ja wenn nicht sogar die Stütze des Selbst geworden ist, weshalb Kohut schreibt: »Da alle Vollkommenheit und Stärke jetzt in dem idealisierten Objekt liegen, fühlt das Kind [bzw. der Erwachsene] sich leer und machtlos, wenn es von ihm getrennt ist, und es versucht deshalb, dauernd mit ihm vereint zu bleiben.« (Heinz Kohut. Narzißmus. S. 141) ― In einer extremen Ausprägung spricht man von übertriebener Schwärmerei.
Die Spiegelübertragung hingegen meint einen Ausdruck narzisstischer Strebung, wo der Mensch nach Bestätigung seines Größen-Selbst durch die Bewunderung anderer Menschen sucht. Sie taucht schon beim Kind auf, das den ursprünglichen allumfassenden Narzissmus dadurch zu erhalten versucht, dass es Vollkommenheit und Macht in das eigene Selbst verlegt. Häufen sich Kränkungen und wird zu-nehmend und über einen langen Zeitraum das Größen-Selbst mit kompensator-ischen Phantasien gefüttert, wird das Selbst quasi aufgeblasen und der Betroffene identifiziert sich mit seinem phantastischen grandiosen Selbst, wodurch er eine gestörte Selbstwahrnehmung erhält; z.B. er sei etwas Besseres als die Anderen, er sei der Mittelpunkt der Welt, Helfersyndrom etc. ― Kohut sieht darin auch den Versuch einer Wiederherstellung »jener normalen Entwicklungsphase des Größen-Selbst, n dem der Glanz im Auge der Mutter, der die exhibitionistische Darbietung des Kindes widerspiegelt.«3
Was die Zwillingsübertragung betreffe, so sei sie eine reifere Form, wo ein gewisses Maß von Getrenntheit vom Objekt gegeben ist. Hier will Gleichheit und Ähnlichkeit offensichtlich werden, wodurch sich das Selbst in dieser kongruenten Situation gestärkt fühle. Z.B. wenn in einem Gespräch versucht wird, gemeinsame ideologische Vorstellungen zu finden, wodurch man sich gewissermaßen als Brüder im Geiste begegnen kann und in diesem Sinne Verstärkung bekommt.
Per se seien diese drei Formen der Übertragung nicht als pathologisch zu be-trachten, aber aufgrund ihrer Inhalte, ihrer Häufigkeit, etc. würden sie Aufschluss darüber geben, inwieweit eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt und in welche Richtung bzw. in welche Typologie sie einzuordnen ist.
7. Typen narzisstischer Persönlichkeitsstörungen
Im Zuge seines Forschens unterscheidet Kohut zusammen mit Ernest Wolf gegen Ende der 70iger Jahre fünf verschiedene narzisstische Typen. So gäbe es:
(1) Narzissten, die süchtig nach Spiegelung sind und durch die Bewunderung anderer ihre narzisstische Zufuhr erlangen. In diesem zwanghaften Bedürfnis nach Anerkennung würden sie die eigene Wertlosigkeit kompensieren. Es sei dabei an die vorher erwähnte Spiegelübertragung erinnert. Diese Sucht nach Spiegelung kann einen enormen Arbeitseifer hervorrufen, wo durch die Erbringung von Leistungen die benötigte Anerkennung gesichert wird. Hierbei kann z.B. auch ein Helfersyndrom vorliegen, wo der Mensch denkt, er sei nur dann wertvoll, wenn er sich um die Sorgen und Nöte anderer kümmere, was aus einer übergroßen Bindung resultiert, wo eine gesunde Distanz fehlt. (häufig wenn das Kind die Rolle des Partners übernehmen muss)
(2) Menschen, die nach Idealen hungern und somit nach anderen Menschen suchen, die sie bewundern können, wodurch sie emotionale Stärke ziehen. Hier wirkt die idealisierende Übertragung und es liegt die Vermutung nahe, dass für einen Menschen dieser Art kein angemessenes Selbstobjekt für die Idealisierung zur Verfügung stand. Somit orientiert er sich an einem unerreichbaren, unreal-istischen oder unvollständigen System von Werten und Idealen. So entstehe ein unstillbarer Objekthunger, wo die Selbstobjekte nicht aufgrund ihrer Eigenschaft-en, sondern zwecks der Illusion, die innere Lücke füllen zu können, festgehalten werden.
(3) Alter-Ego-hungrige Persönlichkeiten, die auf Beziehungen aus sind, die ihrem Wertesystem entsprechen. Hierbei wirkt die Zwillingsübertragung und wie bereits angesprochen, wird nach Kongruenz im Geiste gesucht, wo durch Solidarisierung das geschwächte Selbst gestärkt werden soll.
(4) Narzissten, die nach Verschmelzung hungern und dabei ihre Selbstobjekte kontrollieren müssen, wodurch sie ihre innere fragile Struktur stärken können. Dies kommt besonders in Beziehungen zum Tragen, wenn der Betroffene eine krankhafte Eifersucht an den Tag legt. Weil es für ihn die Sicherheit, wirklich geliebt zu werden, niemals gab und somit das Fundament eines intakten Selbst-wertgefühls fehlt, gleichen diese Menschen einem Baum, der keine Wurzeln hat. In ihnen herrscht eine unbändige Angst vor erneuter Kränkung; vor erneutem Liebesverlust, wodurch diese gigantischen Besitzansprüche entstehen. Hinter all dem steht eine überaus große Bedürftigkeit nach Liebe und Zuneigung.
(5) kontaktvermeidende Persönlichkeiten, die den anderen Menschen gezielt aus dem Weg gehen, damit sie nicht von ihrem starken und verzweifelten Objekt-bedürfnis überwältigt werden. ― Hierin erkennt man den schizoiden Konflikt-verarbeitungsmodus wieder, wo die Abschottung und Isolation als die einzige Auswegsmöglichkeit erscheint. Auch bei dieser Haltung ist Angst der Begleiter; Angst vor zu viel Nähe, Angst vor Verbindlichkeit, Angst vor einer Verlassenheits-depression.
Allen diesen fünf Typen wohnt das Bedürfnis inne, ihr defektes Selbst zu stärken.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Betroffenen aufgrund ihrer Entwicklung und der damit verbundenen unangemessenen Spiegelreaktionen ein fragmentiertes Selbst aufweisen, das durch Angst und leere Depression gekenn-zeichnet ist. Mittels defensivem und kompensatorischem Verhalten würden sie dies verbergen und ausgleichen können, wobei im Hintergrund noch ein archaisches Größenselbst und eine idealisiertes Elternimago vorherrsche, die aufgrund der pathologischen Entwicklungsarretierung nicht neutralisiert werden konnten.
8. Kohuts Perspektiven zur Behandlung
Die Aufhebung und Neutralisierung der pathologischen Entwicklungsarretierung ist Heinz Kohuts Ziel und mittels der klinischen Psychoanalyse will er dem Patienten die Möglichkeit bieten sein Selbst zu vervollständigen. Dabei würde der Analytiker als Selbstobjekt fungieren, wo eine umwandelnde Verinnerlichung des neuen Selbstobjekts in die psychische Struktur stattfände.
Wie bereits zu Beginn der Arbeit angeführt, stellen die Empathie sowie die Introspektion wesentliche Aspekte in diesem Vollzug dar. Somit darf der Patient im Verlauf der Behandlung seine Idealisierung für den Therapeuten und auch die eigene Grandiosität zum Ausdruck bringen. Entscheidend ist hierbei, dass sich der Analytiker nicht zu einer frühen Konfliktdeutung hinreißen lässt, was eine Mobilisierung des Selbst nur verhindern würde. Vielmehr solle der Analytiker als eine Art Spiegel zur Verfügung stehen und im Zuge der Analyse die grundlegenden Frustrationen vermitteln, die für eine erneute umwandelnde Verinnerlichung notwendig seien. Dieser Vorgang stellt quasi eine Nachbearbeitung dar, welcher die frühen Selbstobjekte aufgrund ihrer mangelnden bis abwesenden Spiegelfunktion nicht nachkommen konnten. Der Analytiker gehe während der Analyse also ein Bündnis mit den gesunden Anteilen des Patienten ein, um die selbstzerstörerischen Anteile auf empathische Weise aufzuheben und dabei das falsche Selbst zu desillusionieren.
ENDE Teil #4
Literaturverzeichnis
Heinz Kohut. Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Titel der Originalausgabe: The Analysis of the Self. A Systematic Approach to the Psychoanalytic Treatment of Narcissistic Personality Disorders. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main. 7. Auflage 1990
Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. Titel der Originalausgabe: The Restoration oft he Self. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main. 1. Auflage 1979
Mentzos, Stavros. Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psycho-analytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuer Perspektiven. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt. 17. Auflage. 2000
Peter Fonagy & Mary Target. Psychoanalyse und die Psychopathologie der Entwicklung. Klett-Cotta Verlag. 2. Auflage 2007
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