Über die ABSURDITÄT!
Wo ist – mein Heim?
Darnach frage und suche
und suchte ich, das fand ich nicht.
O ewiges Überall,
o ewiges Nirgendwo,
o ewiges – Umsonst!
[Also sprach Zarathustra :: Der Schatten]
F. Nietzsche : KGA Band II ::
Frankfurt, Ullstein Verlag,
Nachdruck der 6. Auflage 1976; S. 785
Man kann vorwegnehmen, dass es sich bei der Absurdität um eine Diskrepanz zwischen dem menschlichen Drang nach Klarheit und einer als fremd und unheimlich empfundenen Welt handelt. Was darf man aber unter dieser Beschreibung verstehen und vor allem, wie findet dieser Zustand seine Formung? —
Nach Camus steht am Anfang ein bestimmtes »Klima der Absurdität« (Mythos des Sisyphos :: Seite 16). Dieses Klima beschreibt er in seinen Anfängen wie folgt:
»Antwortet ein Mensch auf die Frage, was er denke, in gewissen Situationen mit "nichts", so kann das Verstellung sein. […] Ist diese Antwort aber aufrichtig, stellt sie den sonderbaren Seelenzustand dar, in dem die Leere beredt wird, die Kette alltäglicher Gebärden zerrissen ist und das Herz vergeblich das Glied sucht, das sie wieder zusammenfügt — dann ist sie gleichsam das erste Anzeichen der Absurdität.« (MvS 15)
Camus zufolge kann das Gefühl der Absurdität einen Menschen »an einer beliebigen Straßenecke anspringen« (MvS 16) und entsteht durch ein »Warum«, das sich auf alles bisher Gewohnte richtet. Dieses Hinterfragen des Gegebenen ergibt sich aus einem Ennui; das Camus als »Überdruss« bezeichnet. Er sieht darin »das Ende eines mechanischen Lebens« (MvS 16) und den »Anfang einer Bewusstseinsregung« (MvS 16)
Was stellt dieses »mechanische Leben« dar? – Es bedeutet einerseits den Rhythmus des Alltags, der aus Arbeit und allerlei anderer Verpflichtungen besteht und andererseits das im Laufe unseres Lebens entstandene Bewusstsein, das sich zu einem großen Teil aus „Glaubensinhalten“ auseinander setzt, die wir quasi „mechanisch“ in unsere Schlüsse integrieren.
Die »Bewusstseinsregung« von der Camus spricht, beinhaltet nämlich unter anderem das Erkennen der menschlichen Unzulänglichkeit und die damit verbundene Unzugänglichkeit, was eschatologische Fragen betrifft; sprich, der Mensch erkennt die Disharmonie zwischen dem Reservoir an Glaubensinhalten, Wissen und Überzeugungen und dem menschlichen Erkenntnisvermögen.
Das wohl bedeutendste Werk zu dieser Thematik schrieb in der Frühen Neuzeit der Königsberger „Chinese“ Immanuel Kant – »Die Kritik der reinen Vernunft« – Er stellt sich darin unter anderem die Frage, inwieweit sich die Wirklichkeit mittels unseres Erkenntnisvermögens erkennen lässt und kommt zu dem Schluss, dass wir bei der Beantwortung einer metaphysischen Frage zwangsläufig in so genannten Antinomien (Widersprüchen) enden. Der Mensch unterliegt also dem Schein; der Lüge. Das Ding an sich, die „Wahrheit“ oder Platons immanente Idee, sind mittels der zerebralen Fähigkeiten nicht erkennbar.
Camus geht in ironischer Darstellung noch weiter und greift neben allen metaphysischen Werten selbst das Wissen an, das uns als belegt und durch Fakten gerechtfertigt gilt. Alle Beschreibungen, Klassifikationen und Lehren gelten ihm nicht viel, weil er in ihren Darstellungen stets die Macht der Metaphorik am Werke findet. »Man erklärt mir die Welt mit einem Bild. Jetzt merke ich, daß wir bei der Poesie gelandet sind: nie werde ich wirklich etwas wissen.« (MvS 22)
Was Camus im weiteren Verlauf darlegt, erinnert an wesentliche Punkte, die sich in der Schrift »Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn« von Friedrich Nietzsche wieder finden. Dieser schreibt darin:
»Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind […]« (F. Nietzsche : KGA Band III :: Frankfurt, Ullstein Verlag, Nachdruck der 6. Auflage 1976; S. 1022)
Unsere „mechanischen“ und selbstverständlichen Wahrheiten sind nach Nietzsche und Camus also Illusionen. Dieses Bewusstsein rechtfertigt Nietzsches Hinweisen auf den Tod Gottes (siehe »Die fröhliche Wissenschaft« §125 »Der tolle Mensch«) und veranlasst Camus folgende Sätze zu schreiben, die seine agnostische Haltung widerspiegeln: »Für die Existentialisten ist die Verneinung Gott. Genaugenommen behauptet dieser Gott sich nur durch die Verneinung der menschlichen Vernunft.« (MvS S.40)
Aus der Einsicht in die Endlichkeit des menschlichen Erkennens und der Einsicht in die Relativität der Wahrheiten ergibt sich für Camus nun ein weiteres emotionales Phänomen:
»Was für ein unberechenbares Gefühl raubt nun dem Geist den lebensnotwendigen Schlaf? Eine Welt, die sich – wenn auch mit schlechten Gründen – deuten und rechtfertigen läßt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Verstoßen-sein gibt es für ihn kein Entrinnen, [eben] weil er der Erinnerungen an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist« (MvS 11)
Die einhergehende Verfremdung lässt die Welt dicht und undurchdringbar erscheinen. Alles was dem Mensch aus Gewohnheit nahe stand, steht ihm nun in einer unüberbrückbaren Distanz gegenüber. Selbst seine Mitmenschen »sondern Unmenschliches ab« (MvS S. 18) und erwecken den Eindruck, als wären sie andersartig. Das »Verstoßen-sein« (oder vielmehr die Tatsache, dass sich der Mensch in einer Ohnmachtsposition befindet) erzeugt infolge ein inneres Ressentiment gegen die Umwelt; einen Ekel, wie Camus’ Zeitgenosse Sartre dieses Gefühl nennen würde:
»Sein Hemd aus blauer Baumwolle hebt sich fröhlich von einer schokoladenfarbenen Wand ab. Auch das verursacht den Ekel. Oder vielmehr: das ist der Ekel. Der Ekel ist nicht in mir: ich spüre ihn dahinter auf der Wand, auf den Hosenträgern, überall um mich herum. Er ist eins mit dem Café, und ich bin in ihm.« (Jean-Paul Sartre : Der Ekel :: Hamburg, Rowohlt TV, 46. Auflage 2003; Seite 30)
Dieses multifaktoriale Gefüge von Erkenntnissen und Gefühlen ist der zu anfangs erwähnte Zustand der Diskrepanz zwischen dem Mensch und der Welt; dies ist der »Zwiespalt zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Schauspieler und seinem Hintergrund […]« (MvS S.11) — Was dem Mensch früher als Sinn galt, muss ihm nun notgedrungen als wertloses Gebilde erscheinen. In dieser Sinnlosigkeit und unerbittlichen Abgrenzung zu allen Dingen dieser Welt, empfindet sich das sinnsuchende Individuum als einsam. Es ist ohne Halt, ohne Orientierung und um in den Worten Nietzsches zu sprechen ein: Hyperboreer. —
ENDE Teil #2
LITERATURVERZEICHNIS
CAMUS, Albert
Der Mythos von Sisyphos
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 1960, Reinbek bei Hamburg
CÉLINE, Louis-Ferdinand
Reise ans Ende der Nacht
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 2005, Reinbek bei Hamburg
de MONTAIGNE, Michel
Von der Freundschaft
Deutscher Taschenbuch Verlag, 4. Auflage 2006, München
MÖLLER, Ferdinand (Hrsg. und Übers.)
L’Art de Vivre. Citations françaises
Die Kunst zu leben. Französische Zitate
Deutscher Taschenbuch Verlag, Originalausgabe 1986, München
NIETZSCHE, Friedrich
Werke II
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976
NIETZSCHE, Friedrich
Werke III
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976
SARTRE, Jean-Paul
Der Ekel
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 46. Auflage 2003, Reinbek bei Hamburg
VOLTAIRE alias François Marie Arouet
Candid und andere Erzählungen
Ausgabe für Bertelsmann Reinhard Mohn OHG; Rest nicht ersichtlich
von GUENTHER, Johannes (Hrsg.)
Religiöse Lyrik des Abendlandes
Ullstein Verlag, Frankfurt/M , 1. Auflage 1958
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