✍ TOD & SUIZID -- eine existentialistische Betrachtung (mit ALBERT CAMUS & Co) -- Teil #3 - ÜBER DEN TOD

in deutsch •  6 years ago 


ÜBER DEN TOD!


En toute chose il faut considérer la fin.
Bei allem muß man das Ende bedenken.
[La Fontaine :: Fables, Le renard et le bouc]
(L’Art de Vivre. Citations françaises ::
München, dtv, Originalausgabe 1986; Seite 8)


3.1. Von der menschlichen Endlichkeit


Mors ultima linea rerum est — Wenn Horaz den Tod als die äußere Grenze der Dinge markiert und uns damit auf das Spannungsverhältnis zwischen Werden und Vergehen aufmerksam macht, spricht er eine Gesetzmäßigkeit an, die dem Menschen seit jeher als Anlass zum Philosophieren galt. Inwiefern ist die Endlichkeit des Menschen nun für Camus relevant? —

Er nimmt auf den Tod insofern Bezug, als er Jaspers zu Rate zieht und dabei dem Leser näher bringt, dass der Tod eine Grenzsituation darstellt, die eine Existenz zwangsläufig auf sich selber zurück wirft.

Wie beim »Überdruss« beginnt der Mensch sein Leben zu hinterfragen und gelangt, sofern er nicht unbewusst wieder zu den Gewohnheiten des Alltages umkehrt, unter den erforderlichen Bedingungen schlussendlich zum oben ausgeführten Zwiespalt zwischen Mensch und Welt.

Camus sagt weiters, dass wir keine Erfahrung vom Tod haben, da man nur von Erlebtem wirklich sprechen kann und unsere Erfahrung ja nur so weit geht, als wir erschreckt vor einem Leichnam stehen. Das Erschreckende sieht er hierbei in der Erkenntnis der Unabdingbarkeit des Todes und dessen näher rückenden, ungewissen Stunde. »Das Grauen rührt in Wirklichkeit von der rechnerischen Seite des Ereignisses her. Die Zeit erschreckt uns mit ihrer praktischen Lektion, die Lösung kommt erst hinterher.« (MvS S.18f) — der Tod ist für Camus also »die blutige Mathematik, die über uns herrscht« (MvS S.18) und jede Sekunde unseres Lebens stellt eine Subtraktion in der Rechnung des menschlichen Lebens dar.
»Diese elementare und endgültige Seite des Abenteuers ist der Inhalt des absurden Gefühls. Im tödlichen Licht dieses Verhängnisses tritt die Nutzlosigkeit in Erscheinung.« (MvS S.19) —

All diese für das Absurde konstitutiven Einsichten in die Begrenztheit des Menschen, führen das Individuum nach einiger Zeit »folgerichtig zu der Lösung: Selbstmord oder Wiederherstellung.« (MvS S.16f.), weshalb Camus sich fragt, ob sich das Leben lohne oder nicht; also ob man freiwillig sterben oder trotz alledem hoffen müsse. —


3.2. Vom philosophischen Selbstmord


Diejenigen Individuen, die der Absurdität begegnet sind und sich gleichzeitig des sinnlosen Standpunktes ihres Daseins bewusst sind, haben keinerlei Möglichkeit mehr zu ihrer Unbewusstheit zurückzukehren; sie sind die Opfer ihrer Wahrheiten und haben weder Hoffnung noch Zukunft; das Absurde ist eingebrannt wie ein Siegel und der Mensch ist gezeichnet. — Der Gezeichnete will sich aber nicht mit dem Absurden zufrieden geben; er will nicht fortwährend in dieser Monotonie der Sinnlosigkeit leben; will nicht orientierungslos und leidend vor lauter Sehnsucht nach dem Einen und dem damit verbundenen Glück diese Welt durchstreifen. Er will diese Unlust weichen sehen; will ein erträgliches Leben. —

Eine Form dieses Ausweichens beschreibt Camus im folgenden Passus:

»Sie gehen, vom Absurden aus, auf den Trümmern der Vernunft in eine geschlossene, auf das Menschliche begrenzte Welt, und durch eine sonderbare Überlegung vergöttlichen sie das, was sie hilflos macht. Diese gewaltsame Hoffnung ist bei allen wesenhaft religiös.« (MvS S.32)

Dieser Akt ist laut Camus der »philosophische Selbstmord«, weil das Individuum sich in eine dem Absurden widerstrebende Hoffnung flüchtet und dadurch nicht logisch bis zum Ende ist. Die Annahme einer transzendenten Macht – wie bereits weiter oben angeführt wurde – ist mittels der zerebralen bzw. „geistigen“ Fähigkeiten nämlich unmöglich zu bestätigen und wenn der Mensch nun dennoch an Gott, das Licht oder das Ewige glaubt, so »springt« er im camusschen Sinn aus dem Kreis seiner Vernunft; übersteigt die menschlichen Grenzen und ist sich selbst gegenüber unaufrichtig. Er bleibt somit den Gesetzmäßigkeiten des Absurden nicht treu — denn das Absurde ist eben »die erhellte Vernunft, die ihre Grenzen feststellt« (MvS S. 45) und der aufrichtige Mensch weiß, dass er in dieser Hinsicht notgedrungen nur ein „Philosoph des Vielleichts“ sein kann. —

Entgegen seiner Maxime der Redlichkeit will Camus diese Vogelstraußpolitik hinsichtlich der Vernunft nicht abwerten oder schlecht beurteilen. Denn seines Erachtens ist der philosophische Selbstmord eine legitime aber bequeme Haltung, die ihren Schwachpunkt eben darin hat, dass sie die Realität des Absurden nicht anerkennt; Der Springende schleicht in den Worten des Zarathustradichters „um das Grab seines alten Gottes“ — ( s)einer alten Kraftquelle nachweinend. —


[FORTSETZUNG FOLGT...]



ENDE Teil #3


LITERATURVERZEICHNIS

CAMUS, Albert
Der Mythos von Sisyphos
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 1960, Reinbek bei Hamburg

CÉLINE, Louis-Ferdinand
Reise ans Ende der Nacht
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 2005, Reinbek bei Hamburg

de MONTAIGNE, Michel
Von der Freundschaft
Deutscher Taschenbuch Verlag, 4. Auflage 2006, München

MÖLLER, Ferdinand (Hrsg. und Übers.)
L’Art de Vivre. Citations françaises
Die Kunst zu leben. Französische Zitate
Deutscher Taschenbuch Verlag, Originalausgabe 1986, München

NIETZSCHE, Friedrich
Werke II
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976

NIETZSCHE, Friedrich
Werke III
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976

SARTRE, Jean-Paul
Der Ekel
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 46. Auflage 2003, Reinbek bei Hamburg

VOLTAIRE alias François Marie Arouet
Candid und andere Erzählungen
Ausgabe für Bertelsmann Reinhard Mohn OHG; Rest nicht ersichtlich

von GUENTHER, Johannes (Hrsg.)
Religiöse Lyrik des Abendlandes
Ullstein Verlag, Frankfurt/M , 1. Auflage 1958


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