Die Ärzte waren unschlüssig, was mir wirklich fehlte. Da war alles vertreten, von Restless Leg Symptom bis hin zur Diagnose ALS (Amyotrophe Lateralsklerose).
Es fing mit Muskelkrämpfen und Zuckungen an, so dass ich nicht mehr schlafen konnte. Fehlte mir Magnesium? Ich bekam einen Monat Magnesium-Präparate, aber es wurde nicht besser, sondern schlimmer. Meine Beine zuckten, machten sich selbstständig, ich konnte sie nicht mehr kontrollieren.
Der Orthopäde tippte auf das Restless Leg Syndrom. Aber Restless Leg hat man nur nachts, während ich es rund um die Uhr, ohne Pause, hatte. Ich wurde zu einem Neurologen überwiesen. Er diagnostizierte eine PAVK Erkrankung, d.h. eine Durchblutungsstörung der Beine.
In dieser Zeit gingen mir grauenvolle Gedanken durch den Kopf. Danach wurde ich zu einem Gefäß Chirurgen überwiesen, der wiederum keine PAVK in Betracht ziehen konnte. Er verpasste mir dann den nächsten Schock.
ALS.
Ich war am Boden zerstört, hatte Angst. Mit dieser Diagnose hatte keiner gerechnet.
Auf den Weg nach Hause dachte ich an meine Kinder, grübelte über mein Leben. Vor allem dachte ich an die Worte einer Bekannten, die gesagt hatte: „Wenn ich deine Beine sehe, weiß ich sofort, was du hast. So
sah meine Schwester auch aus. Die starb fünf Jahre, nachdem sie erkrankt war.“
Angst schnürte meinen Hals zu. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich träumte von meiner Beerdigung. Ich fürchtete, dass ich meine Kinder nicht aufwachsen sehen würde. Schließlich bat ich meine Schwester mir zu helfen. Ich wollte meine Familie absichern.
„Bitte, kümmere du dich um meine Kinder, wenn ich nicht mehr da bin.“ Solche morbiden Gedanken machte ich mir. Als ich ins Krankenhaus ging, hoffte ich, dass es alles nur ein böser Traum war, aus dem ich irgendwann erwachen würde.
Die Ärzte im Uniklinikum Aachen stellten mich auf den Kopf, aber sie machten mir wenig Mut. Der Verdacht erhärtete sich mehr und mehr wegen der Symptome wie Zungenzittern, der Abbau der Muskeln in der Handfläche und das Zittern am ganzen Körper.
Die Diagnose lautete ALS.
Das ganze Wochenende rannte ich ruhelos umher, weinte, wollte aus meinem Körper. Ich flehte Gott an, dass dieser Alptraum bitte nicht wahr werden würde. Marc versteckte seine Gefühle. Wir erzählten den Kindern nichts.
„Wenn Sie mir diese Diagnose geben“, sagte ich zu den Ärzten, „dann geben Sie mir gleich eine Einzelfahrkarte nach Amsterdam.“
Ich wollte aktive Sterbehilfe, wenn ich nicht geheilt werden könnte, um selbst zu entscheiden, wann ich
Abschied nehmen würde. Mir gingen in diesen Tagen die schlimmsten Gedanken durch den Kopf. Mein Leben war ein Alptraum. Ich war gefangen in einem Körper, in dem ich nicht mehr sein wollte.
Montag früh kamen die Ärzte ins Zimmer. Ich musste mich komplett frei machen. Sie beobachteten meinen Körper, ohne mir einen Hoffnungsschimmer zu geben.
„Könnte es nicht sein, dass dies wieder eine Reaktion auf meinen Hashimoto ist?“
„Absolut nicht. Warten Sie ab, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind.“
„Ich habe aber Angst.“
„Wenn die Untersuchung heute gut geht, dürfen Sie sogar nach Hause.“
Bei dieser Untersuchung wurde eine Nadel in meinen Kopf gesteckt. Ein Band wurde am dicken Zeh befestigt. Dann drehten die Ärzte an einem Rädchen, und Strom floss durch meinen Körper. Ich stand buchstäblich unter Strom, und zwar ca. fünfzehn Minuten. Das war sehr unangenehm. Als ich zurück auf die Station kam, gab ich die Untersuchungsergebnisse im Schwesternzimmer ab.
„Wie sind meine Blutwerte?“, fragte ich.
„Warten Sie, ich schaue nach.“ Die Krankenschwester sah in den Computer.
„Die sind ja völlig aus dem Rahmen. Andere lägen damit schon längst auf der Intensiv, und Sie laufen hier herum, als wenn nicht los ist.“
Ich ging auf mein Zimmer und wartete, bis ich zu einer Untersuchung gerufen wurde. Das war sicher kein gutes Zeichen. Am Aufzug kam mir auch schon Marc und Lena entgegen. Sie begleiteten mich zur Untersuchung. Ich wartete auf der Pritsche und dachte an den Deal, den ich mit dem Oberarzt abgeschlossen hatte.
„Sie geben mir ein gutes Ergebnis, und ich gebe Ihnen Brezeln.“ Das hatten wir abgemacht. Ich klammerte mich an jeden Strohhalm Hoffnung.
Nach wenigen Minuten kam der Oberarzt. Erst beruhigte er mich und sagte, dass soweit alles im grünen Bereich sei. Nur meine Blutwerte machten ihm Sorge. Deshalb wollte er sicherheitshalber diesen Test durchführen.
„Denken Sie an unseren Deal!“
Er lachte. „An Humor fehlt es Ihnen nun wirklich nicht. Schauen wir mal, was Sie sagen, wenn Sie fertig sind.“
Zuerst desinfizierte er die Haut, malte zwei Punkte auf meine Wade und nahm einen Stab mit Nadel. Mit der Nadel stach er in meinen Muskel. Das tat verdammt weh. Mir schossen Tränen in die Augen. Ich spürte die Nadel noch, als sie längst wieder draußen war. Zweimal stieß er zu.
„Frau Rückenwind, herzlichen Glückwunsch, Sie haben kein ALS.“
Ich weinte, so erleichtert war ich, und hätte in diesem
Augenblick die Welt umarmen können. Der Oberarzt
freute sich sichtlich mit mir. Ich rannte aus dem Behandlungszimmer zu Marc und Lena.
„Ich bin gesund!“, heulte ich, spannte die Arme aus wie Segel und lachte unter Tränen. Das war die schönste und wertvollste Nachricht an diesem Tag. Ich durfte meinen zweiten Geburtstag feiern. Es war der 02.10.2018
Kurz darauf stellte man fest, dass meine Schilddrüse an dem ganzen Desaster schuld war. Leider konnte mir der Arzt nicht sagen, ob die Beschwerden bleiben oder abklingen würden.
Eigentlich war es mir auch egal. Wichtig war nur: Ich war nicht sterbenskrank. Ich durfte leben. Auch in Zukunft konnte ich für meine Kinder da sein.
Wir verließen das Krankenhaus mit Freude und Erleichterung. Ich dankte dem lieben Gott für diese zweite Chance. In Zukunft würde ich mehr auf mich achten. Zur Feier des Tages lud ich meine Familie zum Essen ein. Ich hatte ein neues Leben geschenkt bekommen. Das war mein zweiter Geburtstag.
Nachwort
Liebe Leser, kurz darauf entschied ich mich, meine Geschichte aufzuschreiben, um meine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen, die dasselbe Schicksal ertragen und sich jeden Tag durchs Leben kämpfen müssen.
Ich möchte Ihnen Mut, Hoffnung und Selbstvertrauen geben. Schätzen Sie Ihr Leben und konzentrieren Sie sich nicht auf Ihre Erkrankung. Leben Sie Ihr Leben, so wie Sie es wollen. Nehmen Sie Ihre Krankheit an als eine Gabe, als eine Aufgabe, als eine Art Herausforderung, Ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Niemand, der nicht am Hashimoto erkrankt ist, kann hier mitreden. Sogar Ihr Partner erahnt nur, was in Ihnen vorgeht.
Für Sie als Betroffene ist es ein Leidensweg, der nie enden werden wird. Für die Angehörigen ist es eine Last. Möchten Sie auf Dauer eine Last sein? Sicher antworten Sie hier mit „Nein“.
Ich habe mich nie aufgegeben, egal wie viele Steine mir in den Weg gelegt wurden. Das hat mich wachsen und reifen lassen, ich bin stolz auf mich. Das, was ich in meinem Leben durchgemacht habe, soll mir erst jemand nachmachen. Reden können viele, machen nur die Wenigsten.
sehr bewegende geschichte.....hoffe das es dir jetzt besser geht auch wenn mal ein schub kommt,du weisst woher.....besser als - ALS......lg dir und berg auf ist es anstrengend,doch die luft ist besser....
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Ich bin froh, das ich aus dieser Nummer raus kam.
Ich danke dem lieben Gott jeden Tag dafür.
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