Ist die Dezentralisierung des Krypto-Internets gefährdet?

in deutsch •  5 years ago  (edited)

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Als Bitcoin 2009 die Techszene in Aufruhr versetzte und sich bis in den Mainstream vorkämpfte, war und ist seitdem das Thema Dezentralisierung von everything immer wieder ein großes Thema in der Kryptobranche, aber auch für sämtliche andere Dienstleistungen wie Energie, Finanzen, Verkehr usw. Die Aufdröselung alltäglicher Dienstleistungen und Produktionsformen in kleinstmögliche „Zentren“ schien vielen Menschen seit dem Aufkommen von Bitcoin als Allheilmittel gegen zentrale Fehlleistungen, wie sie zumeist in Politik und deren angeschlossenen Behörden und kommunalen Betrieben zu finden sind.

Bevor jedoch diese Art und Weise des Wirtschaftens der unsichtbaren Lenkung überhaupt eine Chance im Internet und im physischen Leben bekommen kann, scheint sie nun bedrohter denn je.

Große Techkonzerne und die mit ihnen händchenhaltenden Regulierer haben kein Interesse an Dezentralisierung und sind versucht mit allerhand Methoden diesen Trend im Entstehen abzuwürgen.

Bleiben wir zunächst in der Kryptowelt: Facebook, Google und Twitter haben im letzten Jahr mit Krypto-Werbe-Blockaden von sich reden machen, die sie zwar teilweise wieder zurückgenommen haben, aber was gestern war, kann jederzeit heute wieder ohne Vorwarnung geschehen. Kryptowährungen waren für Monate das große Tabuthema auf diesen Plattformen. Und während Facebook versucht, eine Kryptowährung namens Libra zu klonen, wird die Zukunft der dezentralen Blockchain-Technologie durch ihr Handeln in Frage gestellt.

Wenn große Konsortien von Zahlungs- und Technologieunternehmen Allianzen bilden, um die Knoten in einem Netzwerk zu stellen und damit zu kontrollieren, ist das das völlige Gegenteil von dem, was Dezentralisierung eigentlich bedeutet. Und Libra und mit ihr die Libra Association will genau das sein; eine zentrale Superplattform.

Das soll kein Vorwurf an die handelnden Institutionen sein, weil jeder Unternehmer selbstverständlich Konkurrenz verabscheut und gern Monopolist auf seinem Gebiet sein möchte, um den größtmöglichen Nutzen aus einem Produkt zu ziehen. Da sind die BigTech-Firmen eben gar keine Ausnahme zu Rockefellers Standard Oil im 19. Jahrhundert. Und da sie bereits jetzt große Teile des Clearnets kontrollieren, sind sie natürlich um so interessierter daran, ihre Position nicht als gefährdet anzusehen.

Die lizenzierte Libra-Blockchain steht da genauso in der Rockefeller Tradition und wird/will die Welt mithilfe von Paywalls beherrschen. Die BigPlayer des Silicon Valleys lieben die eingefriedeten TechOasen und entfernen sich immer weiter von ihrem ursprünglichen Credo, die Welt mit nützlicher Technologie zu beglücken, die unfassbare Erleichterungen für alle Menschen ermöglicht.

Don´t be evil, war dereinst der Slogan der Google-Gründer. Seitdem sie ihn im Jahr 2015 entfernen liessen, fragt sich ohenhin die ganze Welt, ob sie die Seiten gewechselt haben.

Das Silicon Valley ist ein Ort geworden, an dem Technologieunternehmen zu noch lukrativeren Inselnationen werden können. Und wir wissen, wohin das führt. Mehr Werbung, mehr Überwachung und weniger Freiheit.

In einer Welt der naturgegebenen Unsicherheit und des algorithmischen Missbrauchs scheint es, dass Kryptowährungen und ihre verschiedenen Token zu unsicher und unheimlich für den Mainstream sind, um von Regierungen, Technologieunternehmen und den Mainstream-Medien „geliebt“ zu werden. In der Folge gingen die Suchanfragen bei einschlägigen Suchmaschinen nach dezentralen Kryptowährungen zurück bzw. sind auf niedrigem Niveau.

Ist Dezentralisierung nur ein Mythos?

Die Frage lautet daher: Wurde die Dezentralisierung des Internets auf einen unerreichbaren Mythos reduziert? Wurden Kryptowährungen erfolgreich aus dem boulevardattentatsverübenden Mainstream verdrängt und werden sie – vielleicht für immer? – ein Nischendasein führen? Wurde Bitcoin auf einen spekulativen Hype, ja Rausch, heruntergebrochen, der bald Opfer seines eigenen bisher bescheidenen Erfolges werden wird? Und all das frage ich vor dem Hintergrund, obwohl sich viele der reichsten Menschen der Welt darauf vorbereiten in Bitcoin zu investieren!?

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die Kryptowelt nur deshalb in der Versenkung verschwinden könnte, weil einige ICOs oder Kryptos mit der Absicht ins Leben gerufen wurden, Investoren um ihr Geld zu erleichtern. Dieses von den Regierungen und Zentralbanken bis zum Erbrechen kolportierte Argument ist so schwach wie die SPD in den letzten Umfragen.

Jetzt nach Jahren der Forschung stellen die TechKonzerne frustriert fest, dass diese neue Innovation sich nicht genügend monetarisieren läßt. Naturgemäß müssen sie jedoch in die Forschung investieren, um neue Ideen zu ergründen und auf Nutzbarkeit zu prüfen. Nun, nachdem sie wenige Jahre mit der Erforschung verbracht haben, werden sie nicht den von Satoshi Nakamoto erdachten Weg gehen. Sie gründen eher private Blockchains, die ein Aktivposten in der Bilanz großer Konzerne werden. Es darf die Frage gestellt werden, ob in diesem Fall der Name „Blockchain“ überhaupt noch Sinn macht, denn die Idee der Dezentralität ist mit der Blockchain unzertrennbar verbunden. Sie mutiert in den Fängen der BigTechs eher zum kryptographischen Ideengrab einer zu Tode chemotherapierten Graswurzelinnovation.

Unter dem Aspekt ist auch das anfängliche Peter-Thiel-Stipendium über $ 100.000 für Ethereum-Gründer Vitalik Buterin im Jahr 2014 zu sehen. Peter Thiel ist ein Freund von Monopolen, die unter allen Umständen so schnell wie möglich zu erreichen sein müssen. Wer mehr wissen möchte, dem sei sein Buch „Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet“ empfohlen. Durch das Aufkommen hunderter ähnlicher Plattformen wie Ethereum, dürfte das Monopol-Experiment als gescheitert gelten; arm ist Thiel dabei jedoch nicht geworden. Die Variantengrammatik der Blockchaintechnologie ist den BigTechs mindestens ein kleiner Dorn im Auge.

Ist die Welt reif für die Dezentralisierung?

Regierungen, Banken, Technologieunternehmen; sie alle wollen Macht und die Zentralisierung ist ihr Werkzeug diese zu erlangen, um ihren Einfluss auf werthaltige Kundendaten und gigantische Werbeeinnahmen zu behalten, die die Funktionsweise des Internets maßgeblich beeinflussen.

Der Traum von dezentralen Ökosystemen muss vorerst noch weiter geträumt werden. Noch sind alle Teilnehmer der dezentralen Welt zu unbedeutend. Ihre Gegenspieler überambitionierte Behüter ihrer Ertragsdomänen. Die Dezentralisierung selbst ist eine zu gefährliche Idee, um sie in ihrer reinsten Form leben zu lassen.

Überall dort, wo mit Technologie Geld verdient wird, werden die neuen Zweige (noch) von mächtigen Duopolen regiert, sowohl im Westen als auch in Asien.

Google und Facebook im Bereich Internetwerbung
Amazon AWS und Microsoft Azure im Bereich Cloudservices
Google Android und Apple iOS im Bereich mobiles Betriebssystem
Huawei und Samsung im Vertrieb von Smartphones
Google Assistant und Amazon Alexa im Bereich der Sprachassistenten
Baidu und Alibaba im Bereich der intelligenten Lautsprecher in China
Walmart und Amazon im Sektor Einzelhandel
Alibaba und JD im Bereich E-Commerce in China
Spotify und Apple im Bereich Musikstreaming
Netflix und Amazon Prime im Bereich Film- und Serienstreaming

Zudem hat Microsoft die Entwicklerplattform GitHub aufgekauft und macht damit deutlich, dass es Open Source versucht zu nutzen und vermutlich zu kontrollieren. Salesforce und ByteDance sind ebenfalls schnell wachsende Techfirmen, deren Ambitionen, ihren Bereich zu beherrschen, ebenfalls nicht hinter den BigPlayern zurückstehen.
Sind Superplattformen wie Libra also das ultimative Experiment der Zentralisierung der Finanzwelt? Abgesehen von regulatorischen Unwägbarkeiten, die auf die Association in jedem (!!) Land der Welt warten, ist natürlich die Gemengelage der Mitgliederinteressen zu bedenken. Mastercard und auch Visa, werden vermutlich nicht tatenlos zusehen, wie ihnen Libra das Geschäft streitig macht. Sie werden vorsichtig taktieren und lernen wie das Geschäft funktioniert und es vielleicht auch von innen her „bändigen“. Raubtieren gleich werden sie auf ihre Chance lauern, auch wenn zugebenermaßen Facebook jetzt nicht irgendein Konzern ist der mal eben so zur Aufgabe bewegt oder gar gezwungen werden kann.

Aber all diese Plattformen und Superplattformen haben eines gemeinsam: sie stehen in der Welt der Wettbewerbsökonomie in Konkurrenz und sind versucht, wenn nicht gar gezwungen, dem Wettbewerber Marktanteile zu entreißen.

Denken wir nur an den einstigen BigPlayer Nokia. Besiegt wurde er in atemberaubender Geschwindigkeit durch Apples Smartphoneinnovation bis Nokia völlig aus der weltweiten Verkaufslisten verschwand. Heute sind die Macher des Nokiahandys wieder zurück, jedoch nur durch tatkräftiger Unterstützung anderer BigPlayer wie Microsoft.

Oder um bei den Techkonzernen zu bleiben: Google+ musste die Tore im April 2019 schliessen, nachdem das Wachstum hinter den Erwartungen zurückblieb und zu allem Überfluss die Plattform durch Datenpannen im Jahr 2018 auf sich aufmerksam machte.

Zentralisierten Plattformen sind systembedingt niemals vollständig sicher. Allein das müßte schon ein Grund sein, seine eigenen Daten dezentral zu verwalten und unter der vollständigen Kontrolle des Nutzers zu halten.

Bleibt uns die Hoffnung auf die Wettbewerbsökonomie, die es unwahrscheinlich macht, dass ein oder zwei Konzerne jemals die komplette Macht über einen Markt erringen werden. Allen Unkenrufen zum Trotz.

Dieses in Stein gemeißelte marktwirtschaftliche Prinzip kann jedoch ausgehebelt werden. Nämlich dann, wenn Regierungen und Konzerne Allianzen schmieden, wie das in China mit Alibaba und der kommunistischen Regierung der Fall ist. Naturgemäß haben Regierungen an Zentralisierung immer ein lebhaftes Interesse. Zentrale Sammelbecken für Kapital, aber auch Daten (immer wichtiger!), sind für die Regierungen dieser Welt von großer Wichtigkeit.

Diese Allianzen sind in der Tat gefährlich. Sie lassen Monopole entstehen und schützen diese vor neuer Konkurrenz. Und genau an dieser Stelle kann Dezentralität Abhilfe schaffen.

Egal, ob es dabei um die persönlichen Adressdaten, Gesundheitsdaten oder Lebensverhältnisse etc geht. Hier sind die Menschen Herr und Meister ihrer Daten und teilen Sie nur mit den Menschen und Institutionen mit, mit denen sie sie teilen möchten.

Aber soweit ist es wohl noch nicht.

Dezemtralität wird von Kritikern als Mythos bezeichnet, weil sie u.a. behaupten, Bitcoin sei “übernommen” worden, da sich die Anzahl der umlaufenden BTC nur auf wenige Hände verteilt. Schaut man sich die 100 reichsten Adressen an und bereinigt diese um die Coldwallets der Kryptobörsen, dann blickt der Leser auf Wallets, in denen sich 1,91 Millionen BTC oder 10,7% aller zirkulierenden Bitcoins liegen.

Was die kritischen “Experten” jedoch nicht berücksichtigen ist die Tatsache, dass jede neue Technologie immer auch von BigMoney gepusht wird. Ob es beim Ausbau des Eisenbahnnetzes Anfang des 19. Jahrhunderts war oder eben heute Bitcoin & Co. ist. Immer fließt erst Investorengeld in die neuen gehypten Branchen, bevor sie sich dem Publikum öffnen, wenn denn die Branche überhaupt überlebt hat.

Halten wir fest, Dezentralität bleibt ein scharfes Schwert gegen Kontroll- und Überwachungswahn, auch wenn die Zeichen auf Sturm stehen und Gegenkräfte immer versuchen werden neue Innovationen zu verhindern bzw. unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Die Diskussion gleicht der nach den Einschränkungsversuchen des Darknets. Trotz dieser Versuche ist es heute lebendiger denn je.

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1,91 Millionen BTC entsprechen 1,07% aller zirkulierenden Bitcoins?

Natürlich nicht :) Geändert! Danke. 10,7%!

100% upvote und resteem von mir!

Danke ;)

Posted using Partiko Android

Die (Titten-) SpzilaitINNEN haben aus gutem Grund keine Lust auf Dezentralisierung ....

Was ist denn schließlich ein Rat ohne Zentrale !?

Unrat !?