Am nächsten Tag fand die Abschlußkundgebung des „S.I.P.A.“ statt. Ich hatte mich mit einem Herrn verabredet, der mir versprochen hatte, uns eine Video-Kassette zu geben, auf der Beweise für die Greueltaten der ruandischen Armee im Kivu zu sehen seien. Wir vollzogen die Übergabe unter H.-W.s wachsamen Augen. Die Vertreter der verschiedenen Delegationen wurden eingeladen ein großes Plakat zu unterschreiben. H.-W. übernahm diese Aufgabe für uns und Réjane arrangierte es, einige Worte im Namen des „Anthropos e.V.“ sprechen zu können. Anschließend begab sich die Versammlung nach draußen, von wo aus ein Friedensmarsch durch die Stadt stattfinden sollte.
Als wir uns auf dem Weg vor der Halle sammelten, fuhr eine lange Autokolonne vor. Herr Bemba, der sich nach seinem ersten Auftritt nicht mehr hatte blicken lassen, wollte offenbar die Massenveranstaltung nutzen. Er saß mit seiner Familie in einem Jeep, der den Friedensmarsch anführen sollte. Auf weiteren Jeeps waren Getreue und schwerbewaffnete Söldner verteilt, auf der Ladefläche eines Pick-ups sogar einige Kinder, die inbrünstig „Hey, Papa Bemba!“ sangen. Das Ende der Kolonne bildete ein monströses, gepanzertes Fahrzeug mit Flak-Bestückung. Ob Herr Bemba dumm, dreist oder dumm-dreist ist, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen. Vielleicht bin ich angesichts der professionell-durchgestylten Performances unserer westlichen Politiker einfach auch eine derart schreiende Naivität nicht mehr gewöhnt.
Es wurde unruhig. Offenbar wurde blitzschnell beraten, wie die Gruppe sich verhalten könne. Ich sah einige Mitglieder der italienischen Koordinierungsgruppe umherlaufen. Dann ging ein Ruck durch die Menge und alle drehten sich um. Wir fingen einfach an, in die andere Richtung zu marschieren. Während unseres Marsches in Richtung der Kathedrale, in deren Nähe, auf freiem Feld, der Abschluß- gottesdienst stattfinden sollte, konnte ich zwischen den Häusern beobachten, wie Bembas Kolonne auf Nebenwegen versuchte, sich wieder an die Spitze des Marsches zu setzen, dabei aber scheiterte. Wir ließen die mitgebrachten regenbogenfarbenen Friedensfahnen wehen und sangen, während sich uns aus verschiedenen Richtungen immer weitere Menschen anschlossen. Wieder schien ganz Butembo auf den Beinen zu sein.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gelaufen sind, bis wir den Platz vor der Kathedrale erreicht hatten. Die Sonne brannte auf das Feld, auf dem Bänke aus dem Gotteshaus vor einem großen Podium aufgestellt worden waren. Wir versammelten uns in dieser Open-AirKirche. Das Areal war von Zehntausenden von Menschen bevölkert. Nachdem die Messe begonnen hatte, begann ich schon bald mit dem Schlaf zu ringen und als nach ca. 2 Stunden die Möglichkeit bestand, in einem Gebäude nahe der Kathedrale zu warten, ergriffen H.-W., Réjane und ich diese umgehend.
H.-W. und Réjane hatten mit einem Philosophie- und Psychologieprofessor, der auf dem Kongreß referiert hatte, Bekanntschaft gemacht und unterhielten sich mit ihm. Er begleitete uns nach zwei weiteren Stunden und einer abenteuerlichen Fahrt auf der völlig überfüllten Ladefläche eines Pick-ups zum Essen im Internat. Dabei schilderte er uns die Notwendigkeit der psychologischen Hilfe für die Menschen im Kongo. Wir erläutertem ihm einige Denkmodelle wie das Lebensdreieck und die Korruptionspyramide und sprachen mit ihm z.B. über den Unterschied zwischen Moral und Ethik, was er fasziniert aufgriff. Wir vereinbarten, in Kontakt zu bleiben. Anschließend teilten wir uns auf, um die anstehenden Treffen mit weiteren interessierten Gesprächspartnern wahrnehmen zu können. Ich sprach noch einmal mit Herrn Paluku, der mir erzählte, daß 5.000 der ehemals 7.500 Bücher aus der Nationalbibliothek verschleppt worden seien.
H.-W. bat mich und Réjane, ihm auf unser Zimmer zu folgen, wohin er mit einem Gesprächspartner gegangen war. Es stellte sich heraus, daß diese Person uns ein Papier zur Verfügung stellen wollte, das die Genozid-Pläne der Tutsis an den Hutus dokumentierte. Unsere Verhandlungen erinnerten mich an Szenen aus einem Agentenfilm, obwohl mir klar ist, daß eigentlich Agentenfilme an solche Situationen erinnern sollten, und nicht umgekehrt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte, so war ich einfach ehrlich und gab ihm sämtliche Dollarnoten, die ich noch in meinen Socken versteckt hatte, als er andeutete, daß er eine Gegenleistung erwartete, weil ihn die Übergabe in Lebensgefahr bringe. Falls es ein nächstes Mal geben sollte, werde ich so kaltschnäuzig bluffen wie H.-W. und Réjane.
Als er weg war, beratschlagten wir, was wir mit der Kassette und dem Papier zu tun hätten. Genaugenommen beratschlagten wir nicht, H.-W. , der auf seinen Reisen ähnliche Situationen schon erlebt hatte, gab uns Anweisungen und ich fügte mich bereitwillig. Er versteckte beides, ohne uns zu sagen wo und bat mich, vorher noch den Text ins Deutsche zu übersetzen, um neben dem französischen Original noch eine Ausgabe zu haben. Es war inzwischen Nacht geworden und nach 23,00 Uhr wurde das Licht im Internat abgeschaltet, so übersetzte ich die zwei Seiten bei Kerzenschein. Die vollständige Übersetzung ist H.-W.’s Bericht beigefügt, ich möchte nur Punkt 22 in Zusammenhang mit der oben zitierten Geschichte von Herrn Paluku anführen:
22. Die Archive zerstören, um die Geschichte zu löschen, wie auch alle Referenzdokumente über die Realität im Kongo, vor allem im Kivu.
Die Rückreise nach Uganda am nächsten Tag verlief wieder problemlos. Zumindest hatten sich die „Probleme“, die ich auf der Hinreise geschildert habe, in meinen Augen relativiert. Uganda kam mir auf einmal wie ein blühend-aufstrebender Staat vor.
Bei der „margherita“ in Kasese, wo wir auch diesmal übernachten durften, geriet ich mit Don Albino aneinander, der den Vorschlag eines anderen Geistlichen vertrat, die Reise mit einem Gottesdienst in Kampala zu beenden. Don Albino war einer der Verantwortlichen, mit dem Zuständigkeitsbereich „Rampenlicht“. In meinen Augen wollte er damit die Reise instrumentalisieren und ich stellte überrascht fest, daß sich in unserer vermeintlich rein katholischen Gruppe nun auch eine bisher schweigende Minderheit von Areligiösen hörbar machte. Don Albino setzte während der nachfolgenden Diskussion eine filmreife Märtyrermine auf, als hätte ihn die aus heiterem Himmel entstandene Zwietracht in tiefe Trauer versetzt. Die Nacht verbrachten wir diesmal zu dritt unter freiem Himmel. Außer Ameisen gab es keine ungebetenen Gäste.
In Kampala fuhren wir zur Kathedrale, einem ulkig-häßlichen Trichter, der auch als Gedenkstätte für den sogenannten „ugandischen Holocaust“ dient. Dort wird der ugandischen Geistlichen gedacht, die zur letzten Jahrhundertwende von einem ugandischem König verbrannt wurden. Während die, denen der Sinn danach stand, ihrem Kult huldigten, versuchte ich draußen einige Worte zu finden, um die ich als Sprecher unserer kleinen deutschen Delegation gebeten worden war. Nachdem Gott gedient worden war, versammelte sich die Gruppe an einem nahegelegenen See zur Abschlußkundgebung. Der italienische Botschafter in Uganda schloß sich uns an, hörte aber der Lesung der „Briefe an die Welt“, die die Affinitätsgruppen liebevoll verfaßt hatten, gar nicht zu, da er von Don Albino in ein Gespräch verwickelt wurde. Aus Zeitgründen mußte der letzte Rest der Briefe sowie die Worte der spanischen und der deutschen Delegation am Flughafen verlesen werden. Ich dankte der Gruppe in unser Dreier Namen für die warmherzige Aufnahme, deren Schilderung in diesem Bericht sicher zu kurz gekommen ist. Abschließend ergriff auch der Botschafter das Wort. Zunächst bat er uns auf peinliche Art und Weise um Verständnis dafür, daß die politischen Mühlen „manchmal“ so langsam mahlen und daß beispielsweise die italienische Regierung die Übernahme der Schirmherrschaft für die Reise wegen der „unübersichtlichen und brisanten Lage“ verweigert hatte. Anschließend sagte er noch einige wohlwollende Worte, nicht ohne zu betonen, daß er diese nun als Privatmann und nicht als italienischer Botschafter ausspreche. Zum Glück konnte ich die Fassung ob dieses heroischen Aktes von „Zivilcourage“ bewahren, denn ich ergriff in der allgemeinen Aufbruchstimmung noch die Gelegenheit, Padre Zampese anzusprechen, von dem mir ein Mitreisender erzählt hatte. Seine Geschichte schildert H.-W. in seinem Bericht. Ob der Botschafter sie kennt, vermag ich nicht zu sagen. Ob es ihn interessieren würde, wage ich zu bezweifeln.
Es sind nun drei Wochen vergangen, seit wir am Sonntag, den 4.3.01, wieder in München angekommen sind. Wir haben noch kein Fazit gezogen. Ich weiß nicht, was wir als „Anthropos e.V.“ tun können. Ich weiß nicht einmal genau, was meine „Meinung“ zu dem ist, was ich im Kongo gesehen habe. Ich habe die menschliche Seele als etwas sehr empfindsames und sensibles kennengelernt, und ich tue mir schwer zu beschreiben, was ich bei der Vorstellung empfinde, was die Bilder, die mich flüchtigen Besucher erschüttert haben, bei denen anrichten, die keine Möglichkeit haben, in ein Flugzeug zu steigen und ihnen zu entfliehen. Vielleicht ist das einzige, was ich für den Kongo tun kann, mich gegen Resignation und Gleichgültigkeit zu wehren, und dabei auf dem schmalen Grat zu bleiben, der Aufmerksamkeit und Verzweiflung trennt, ob der Tatsache, innerhalb weniger Stunden wieder in einem Land zu sein, in dem über das rechte Maß an Stolz debattiert wird, das man empfinden sollte, ob des Umstandes, daß man eben Eingeborener dieses Landes ist, eines Landes, dessen Bewohner eigentlich wissen sollten, wohin Teilnahmslosigkeit und Desinteresse, ideologisches Eifern (von „rechts“ wie von „links“) und Fanatismus führen.
Ende.
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Der vollständige Bericht ist hier zu finden:
http://www.anthropos-ev.de/wp-content/uploads/Kongobericht.pdf
Danke das Du diesen Bericht mit uns geteilt hast. Fand ich sehr Interessant und bewegend. Schmunzeln musste ich immer wieder wenn Du die Verkehrsverhältnisse erwähnt hast, da ich auch schon in Neapel unterwegs war und weis was da auf der Strasse ab geht. Da kann ich mir dann deinen Puls so richtig vorstellen :-). Und mit Deinem Abschlusssatz hast Du vollkommen recht, nur scheint es leider oftmals so, als würden eben einige Leute eben das nicht zu bemerken und zu verstehen.
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Ganz herzlichen Dank! Es freut mich, dass es Dir gefallen hat. Es war eine sehr prägende Erfahrung.
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Glaube ich Dir aufs Wort. Aber auch Deine Seele wird damit mit Sicherheit um einiges gewachsen sein. Stichwort: Empathie!
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Excellent post thanks for sharing this excellent writing with the community@fabio
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have a nice day
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nice information for kongo @fabio
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Nice post ! I follwed you.
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