Reise ins Herz der Finsternis - Teil 1

in deutsch •  7 years ago  (edited)

  

Prolog

Ich war 25, als ich in 2001 ins damalige Bürgerkriegsgebiet Kivu im Kongo gefahren bin. Ich habe meinen Teil des Berichts, kürzlich wiedergefunden und möchte ihn hier teilen. Ich werde am Ende den kompletten Bericht verlinken, da ich auf die Berichte meiner damaligen Mitreisenden verweise. 

Ich muss sagen, ich hatte tatsächlich damals noch weniger Politcal Correctness Hemmungen als heute... :-)

 „Herz der Finsternis“, so nannte Joseph Conrad 1899 die damalige belgische Kolonie Zaire, den heutigen Kongo. Dorthin, in die östliche Provinz Kivu, reisten wir, Réjane, H.-W. und ich, vom 22.2.- 4.3.2001. Conrads treffende Bezeichnung hat etwas romanhaft-poetisches, und unsere Reise in dieses Land mag vielleicht für den einen oder anderen einen abenteuerlich-heroischen Touch haben. Um es aber gleich vorweg zu nehmen: Wir sind keine Abenteurer. Wir sind nur drei Menschen, die dort Menschen in einem Elend gesehen haben, das jeder poetischen Umschreibung spottet, jede abenteuerliche Safari-Allüre im Keim erstickt. 

Wir reisten als Vertreter des „Anthropos e.V. - Für die Kinder dieser Welt“ in die Demokratische Republik Kongo (RDC), um über das Land und seine Bewohner soviel wie möglich zu erfahren, Kontakte zu knüpfen und die Möglichkeiten eines sinnvollen Engagements auszuloten. In München hatten wir bereits versucht uns auf die Tatsache vorzubereiten, daß wir in einem Kriegsgebiet weilen würden. Haben uns impfen lassen, Moskito-Schutz gekauft, besprochen, was wir im Falle eines Überfalls zu tun hätten usw...Ich habe versucht, H.-W.`s Anweisungen so ernst wie möglich zu nehmen, obwohl ich, mangels jedweder Erfahrung, den Ernst seiner Worte nicht nachfühlen konnte. So bin ich auch ohne Angst in die Reise gestartet. 

Donnerstagabend stiegen wir in den Nacht-Zug nach Mailand, ausgestattet mit unseren großen Wanderrucksäcken. Von Mailand, wo wir frühmorgens angekommen waren, nahmen wir einen Regionalzug nach Sesto Calende. Dort empfing uns Lorraine Buckley, eine Engländerin, die in Borgo Ticino Mitglied der örtlichen Gruppe der „Beati i costruttori di Pace“ („Selig sind die Erbauer des Friedens“), einer italienischen Organisation, die sich dem gewaltlosen Widerstand in Krisengebieten der Welt verschrieben hat und die mit der „Communita Papa Giovanni XXIII - Operazione Colomba“ („Gemeinschaft Papst Johannes XXIII - Operation Friedenstaube“) die Organisation der Reise übernommen hatte. Auch die internationale Friedenskonferenz „S.I.P.A. - Symposium International pour la Paix en Afrique“, die wir besuchen sollten und die den offiziellen Rahmen unserer Reise darstellte, wurde mit ihrer Unterstützung veranstaltet. 

Die Reisegruppe sollte etwas über 300 Teilnehmer umfassen, von denen die allermeisten aus Italien bereits an zwei Wochenenden an einer Schulung teilgenommen hatten, um auf die Reise vorbereitet zu werden. Neben uns drei aus Deutschland hatte sich noch eine kleine zwölfköpfige Delegation aus Spanien angemeldet, die dann am frühen Nachmittag zu uns stieß. Lorraine hatte sich bereiterklärt, die kleine Gruppe von „Ausländern“ zu einem Crash-Kurs bei sich zu beherbergen. Mit den Spaniern lernten wir auch Gigi und Nicola, unsere Ausbilder, kennen. Beide haben im ehemaligen Jugoslawien ihre Erfahrungen gesammelt, wo sie z.B. in Sarajewo unter Lebensgefahr für den Frieden demonstriert und gearbeitet haben. Sie erklärten uns einige wichtige Grundsätze, Regeln und Methoden ihres gewaltlosen Vorgehens. So erfuhren wir, daß die gesamte Gruppe in Untergruppen von 12 bis 18 Mitgliedern, sogenannte „gruppi di affinita“ (Affinitätsgruppen, Gruppen mit gemeinsamen Anliegen) untergliedert werden mußte, die unter allen Umständen zusammen bleiben und auch bei Entscheidungen als Gruppe gehört werden sollten. Dazu galt es wiederum einen Speaker (Sprecher) zu bestimmen, der als Sprachrohr der Gruppe an Treffen mit der Koordinierungsgruppe teilzunehmen hatte. 

Innerhalb dieser Gruppen wiederum waren „triadi“ (Dreiergruppen) zu bilden, die noch strikter angewiesen waren zusammen zu bleiben und deren Mitglieder gegenseitig aufeinander achten sollten. Unsere Dreiergruppe war ohnehin schon wie zusammengeschweißt und mit den Spaniern bildeten wir im folgenden einen vorläufige Affinitätsgruppe, zu deren Co-Speaker ich zusammen mit einem Italo-Spanier erwählt wurde. Wir lernten den Begriff „assemblea margherita“(Margheriten-Versammlung), das Entscheidungs- und Abstimmungsorgan der Großgruppe kennen. Hierbei bilden die speaker einen Kreis, und die Gruppen versammeln sich dann in der Form von Blütenblättern hinter ihnen. Vieles von dem, was wir gelehrt bekamen, erschien mir fast banal und selbstverständlich. Kommunikation, Vertrauensübungen, sogar eine kurze „Blindarbeit“. Ich vergesse manchmal, daß das, was auf den pAS-Seminaren gelehrt wird, nicht zum Allgemeinwissen gehört. 

Mit unserer Affinitätsgruppe wanderten wir in das kleine Borgo Ticino, an dessen Rand Lorraines Haus liegt, und veranstalteten um 18,30 Uhr eine „Lärmminute“ für den Kongo, bevor wir in einer Pizzeria die Gelegenheit hatten, Gigi und Nicola näher kennenzulernen. Besonders in Gigi fand H.-W. einen interessanten Gesprächspartner in Sachen internationaler Korruption. Auf dem Rückweg in einer „fila indiana“ („Gänsemarsch“) probten die beiden Trainer den Ernstfall, indem sie jemand aus der Gruppe entführten (was aber keiner aus der Gruppe als Entführung begriff) und uns später „überfielen“, nachdem ein realer Sturz einer etwas älteren Spanierin bereits für Tumult und Sprachgewirr gesorgt hatte. Als ich verstanden hatte, daß Gigi und Nicola nicht schlagartig zu unhöflichen Rüpeln geworden waren, sondern Rebellen darstellten, bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung, was es vielleicht bedeuten könnte, mit roher, rücksichtsloser Gewalt konfrontiert zu werden und dieser völlig hilf- und wehrlos ausgeliefert zu sein. 

Am nächsten Tag fuhren wir fort. H.-W. wurde von Gigi, der H.-W.’s Seminarerfahrungen sehr schnell zu schätzen gelernt hatte, zum Rucksack-Pack-Trainer erkoren und wies die staunenden Spaniern in die hohe Kunst des Rucksackpackens ein, was ich ehrfürchtig simultan übersetzte (eine in Spanien lebende Italienerin gab es dann weiter). H.-W. eröffnete mir später, daß dieses Kurzseminar nicht das Ergebnis eines Bundeswehr-Intensiv-Lehrgangs gewesen war, wie ich dies vermutet hatte, sondern des schlichten Gebrauchs gesunden Menschenverstandes. 

Nach einem letzten gemeinsamen Riesentopf Pasta brach unsere Delegation zum Flughafen Milano-Malpensa auf, wo sich der große Rest der Delegation versammelt hatte. Hier begann mir die Sinnhaftigkeit einiger theoretischer Überlegungen aus Gigis Crashkurs einzuleuchten. 300 Italiener heil in und wieder aus einem Krisengebiet wie dem Kivu zu bringen, bedarf sorgfältiger Planung. 

Wegen der Schwierigkeiten mit einer zusätzlichen Fremdsprache (Spanisch) wurden wir einer anderen Gruppe, der Nummer 9 (von 22) zugewiesen. Ich hatte also nur noch aus dem Italienischen ins Englische (mit Rücksicht auf Réjane) zu übersetzen. H.-W.’s Italienisch sollte ihn und mich im Laufe der Reise noch mehrfach ob seiner Güte verblüffen, was meine Arbeit wesentlich erleichterte. Wir wurden von unserer Gruppe wärmstens aufgenommen und hatten in ihr von nun an ein tolles Team an unserer Seite. Nach der Erledigung der Formalitäten des Check-ins konnten wir endlich das Flugzeug besteigen, das für unsere Gruppe gechartert worden war. 

Jetzt fing die Reise wirklich an.  


Fortsetzung folgt...

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Mit 25 so einen Schritt zu machen gebührt echt Respekt. Da war ich noch stark mit mir selbst beschäftigt

Danke! Ich hatte ja keine realistische Ahnung, worauf ich mich da eingelassen habe...Das wird in den nächsten Teilen deutlich, versprochen...

Bin ich sehr sehr gespannt, ich verfolge das definitiv.

Bei solchen Berichten hier auf Steemit würde ich mir echt wünschen irgendwelche Erinnerungen zu bekommen. :/

Wie meinst Du das? Leidest Du an partieller Amnesie?

:D nein ... ich meine

Fortsetzung folgt...

Ich habe Angst dass ich die Fortsetzungen nicht mitbekomme. Das ist auf Steemit alles recht unübersichtlich. Ich folge schon recht wenigen Leute und trotzdem, durch die Masse, übersehe ich einige Beiträge :(

😂😂😂😂😂 Ich Depp...

  ·  7 years ago (edited)

^^ ... Texte sind halt immer was anderes und vom Leser abhängig. Man kann ja alles aufklären 👍

Bruda👏✌

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Wirklich schön geschrieben. Ich kann mir gut vorstellen auf was ihr euch da eingelassen habt. Gibt es bereits eine Fortsetzung?