Am frühen Nachmittag machten wir Rast in Beni, auf dem Gelände der Diözese. Wir wurden mit Softdrinks (die allgegenwärtigen Produkte der Coca-Cola Company), Bier, dem einzigen industriell hergestellten Produkt kongolesischer Herkunft, das mir überhaupt dort begegnet ist und Früchten verköstigt und durch einen Kinderchor willkommen geheißen. Auch dieses kirchliche Gelände hatte etwas inselhaft-paradiesisches. Ich sollte die ganze Reise lang gespalten bleiben zwischen der Anerkennung, daß überhaupt etwas in diesem Land getan wird, und dem Gedanken daran, was eigentlich in der Macht der Kirchen läge - wenn es denn gewollt wäre.
Etwas widerwillig machten wir uns wieder auf den Weg. Keiner konnte genau sagen, wann wir in Butembo ankommen würden (eigentlich galt es „nur“ 180 Kilometer zu überbrücken). Es war bereits dämmrig, als es soweit war. Vielleicht war es ganz gut, daß die Dunkelheit ein wenig verhüllt hat, was sich uns dort bot, denn schon so war es kaum faßbar. Am Eingang der Stadt, als noch Tageslicht herrschte, begrüßte uns eine Musikappelle von vielleicht zehn Mann, inmitten einem Meer von Menschen, links und rechts der „Straße“. Diese Kapelle sollte uns den ganzen Aufenthalt über begleiten und mir mit ihrem hinter bananenrepublikanischer Pseudowürde kaschierten Dilettantismus immer wieder ein Kopfschütteln abnötigen. Vielleicht bin ich ein Miesepeter, aber für eine unfreiwillige Parodie von Schneidigkeit und etatistischem Gehabe fehlt mir inmitten von Hunger und Elend einfach das Verständnis.
Ich weiß nicht mehr, wie lange die Fahrt zum klösterlichen Internatsgebäude „Institut Malkia Wa Mbingu“, in dem wir wohnen sollten, gedauert hat. Ich war zu überwältigt von den Menschenmassen, die sich am Straßenrand versammelt hatten und uns wie die Popstars oder Päpste empfingen. Die ganze Stadt und Umgebung schien auf uns gewartet zu haben. Frenetischer Jubel von allen Seiten, als seien 300 Erlöser eingetroffen. Unserem Minibus, der bis dahin wacker durchgehalten hatte, ging ausgerechnet auf diesem letzten Stück das Benzin aus, so daß wir in einen Jeep umsteigen mußten, um die letzten Kilometer zu überbrücken. Wir hatten in dem Aufruhr keine Gelegenheit, uns um unser Gepäck zu kümmern, das in dem Bus geblieben war, aber auf irgendeinem Weg ist es schließlich nachgekommen. Das große umzäunte Internatsgebäude, das man für uns leergeräumt hatte, war von Tausenden von Menschen umringt, durch die sich unser Wagen seinen Weg bahnen mußte. Auf dem Vorhof empfing uns eine Pygmäen-Tanzgruppe mit afrikanischen Rhythmen, sowie viele Einheimische mit einem „S.I.P.A.“-Schildchen an der Brust, was wohl so eine Art „V.I.P.-Karte“ darstellte. Irgendwie ist unsere Dreiergruppe schließlich in der Turnhalle des Internats gelandet, wo sich unsere Delegation zu sammeln begann. Der unvermeidlichen „margherita“ meine Aufmerksamkeit zu schenken, war mir wohl nur deswegen noch möglich, weil ich wußte, daß ich für H.-W. und Réjane mitzuhören hatte. Die wichtigste Information betraf die Zimmeraufteilung. Auf Bitte der Nonnen hatten Frauen und Männer getrennt zu schlafen, was angesichts der begrenzten Zahl der Doppelzimmer nicht für alle möglich war. Zu Orgien ist es meines Wissens dennoch nicht gekommen.
Réjane ergatterte nach einigen Schwierigkeiten ein Zimmer, und auch H.-W. und ich fanden in einem der letzten freien Zimmer Platz. Der Rest blieb in der Turnhalle. Am nächsten Tag begann das Symposium. Gegen 8,30 Uhr hatten wir das nahegelegene Gebäude erreicht, indem es stattfinden sollte. Langsam füllte sich die langgezogene Halle mit den Teilnehmern, die auf verschiedene Pavillons verteilt wurden. Neben unserer Delegation wohnten etwa 800 afrikanische Besucher der Veranstaltung bei.
Erst im Laufe der Konferenz erfuhr ich von der Anwesenheit zweier Schweden und eines Belgiers. Internationale Presse war ebensowenig zugegen wie Vertreter von Organisationen wie der UNO, obwohl es hieß, Mary Robinson, UN-Hochkommissarin für Menschenrechtsfragen, habe über ihren Sekretär Grüße entrichten lassen. Als wir bereits Platz genommen hatten und auf den Beginn der Konferenz warteten, marschierte die oben bereits erwähnte Kapelle ein, gefolgt von Jean-Pierre Bemba, dem örtlichen Machthaber und Führer des FLC (Front de Libération du Congo; kongolesische Befreiungsfront) mit seiner Entourage.
Bemba ist Führer einer von mehreren Gruppierungen, die man „offizielle Rebellen“ nennen könnte, weil sie „offiziell“ für einen freien Kongo und gegen Kabila Jr.s Regierung in Kinshasa aufbegehren. „Inoffiziell“ wird eigentlich nur gerätselt, wessen Marionetten diese Führer nun genau sind, ob nun Uganda, Ruanda, Burundi oder westliche Strippenzieher oder alle zusammen hinter und über ihnen stehen. Es mag mir an Menschenkenntnis mangeln, aber für mich war Herrn Bemba das Despotische nicht ins Gesicht geschrieben. Er wirkte sogar nachdenklich, angesichts der Menschenmenge, die nichts als der Wunsch nach Freiheit und Friede einte. Die Taktlosigkeit, die Kapelle von einem säbelschwingenden Soldaten dirigieren zu lassen, unterband er allerdings nicht, ebensowenig wie er seine Söldner angewiesen hatte, vielleicht „zur Feier des Tages“, etwas weniger martialisch aufzutreten.
---------
Jean Pierre Bemba heute:
Kriegsverbrecher Bemba in Den Haag erneut verurteilt
--------
Nach der Begrüßung durch die Kongreßleitung, die den protokollarischen Teil angenehm spielerisch handhabte, begannen die Vorträge. Näheres zur Konferenz erläutert Réjanes Bericht, da sie das Tagungsprotokoll führte. Ich möchte mich auf einige persönliche Eindrücke beschränken. Auffällig war beispielsweise die Involviertheit des Publikums. Die Aufmerksamkeit der afrikanischen Zuhörerschaft war angesichts der Länge und großen Zahl der Referate beeindruckend. Die Menschen begleiteten das Gesagte auch emotional, nickten zustimmend oder schüttelten den Kopf, rumorten und klatschten. Es war nichts von der schicken „kritischen“ Distanz zu spüren, die auf europäischen Veranstaltungen herrscht. Auch die Redner waren in einem Maße direkt und unverblümt, wie man es sich von unseren Politikern manchmal wünschen würde. Angesichts der realen Gefahr, die für die Referenten im Kongo tatsächlich droht, ist der Mut (der Verzweiflung?) um so höher anzuerkennen, und um so mehr schwindet bei mir die Geduld, wenn ich unsere Vertreter von „politisch-diplomatischen Zwängen“ schwadronieren höre.
Ein weniger positiver Eindruck erwuchs aus der Komplexität des kongolesischen Konflikts. Ich gestehe, daß ich über dem Durcheinander der involvierten und gegeneinander kämpfenden Staaten, politischen Gruppierungen, Interessensvertretungen und Ethnien die Übersicht verloren habe. Diese Kompliziertheit läßt auch kaum eindeutige Schuldzuweisungen zu, da beispielsweise jede Ethnie, ob nun Hutus, Tutsis oder kongolesische Stämme, soviel Leid erlitten hat, daß die eigenen Vergehen zumindest verstehbar werden. Einzig die internationalen Konzerne und deren nationale Regierungen, deren Verflechtungen und Verbrechen beim Symposium vergleichsweise wenig zur Sprache kamen, scheinen mir als Sündenbock zu taugen. Ich bin zwar ein glühender Verfechter der Marktwirtschaft, aber ich würde diese Einstellung nie als Ausrede für eine derart schamlose Ausbeutung eines Landes und seiner Bewohner benutzen. Vermutlich ist den abstrakt denkenden Vertretern der reinen Lehre des Kapitalismus nie aufgegangen, wie zynisch es ist, einem Arbeiter so wenig zu zahlen, wie der überbordende Arbeitskräftemarkt in so einem Land eben erlaubt, auch wenn der Lohn nicht einmal für die Sicherung der nackten Existenz reicht. Vielleicht sollten sie einfach mal nach Afrika reisen und den hungernden Menschen ins Gesicht sagen, daß „der Markt“ für sie einfach gerade nicht mehr hergibt.
...Fortsetzung folgt
seguime te sigo, upvote y upvote! gracias !
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Upvoted and RESTEEMED!
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Vermutlich ist den abstrakt denkenden Vertretern der reinen Lehre des Kapitalismus nie aufgegangen, wie zynisch es ist, einem Arbeiter so wenig zu zahlen, wie der überbordende Arbeitskräftemarkt in so einem Land eben erlaubt, auch wenn der Lohn nicht einmal für die Sicherung der nackten Existenz reicht.
Höre ich da Minarchismus heraus? Würdest du das heute auch so schreiben? Immerhin ist Kinder bekommen eine persönliche Entscheidung, die viele arme Menschen eben gegen den zukünftigen Willen ihrer Kinder treffen.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Erwischt, würde das heute anders formulieren, aber aus einem anderen Grund. Die Kinder haben in dem Kontext weniger damit zu tun, als der Umstand, dass es dort ja bislang kaum Unternehmer gibt und "miserable Löhne" aus unserer Sicht dort ja sehr viel bewegen könnten. Ich bleibe aber dabei, dass die Gefahr besteht ins theoretisieren zu verfallen. Wobei das Etatisten ja viel mehr betrifft, weil die ja angesichts der offensichtlichen und dringenden Not eben sofort nach dem Staat und "Entwicklungshilfe" rufen.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit