Driving home for Christmas.

in deutsch •  7 years ago 

Im Auto alte Weihnachtslieder hören und mitsingen. O Tannenbaum. Ihr Kinderlein kommet. Stille Nacht. Und an die Vergangenheit denken. Plötzlich wird alles Tradition - ein Residuum von religiöser und familiärer Tradition in meinem entwurzelten, atheistischen, agnostischen, säkularen Leben.
Ein Tannenbaum, ein Adventskranz, Kerzen, bestimmte Texte, die Feuerzangenbowle, der Duft aus der Küche.
Der Kinderglaube ist weg, aber warum ist der Glaube an die verbindende Kraft der Tradition noch da? Der Rituale und Gebräuche, die uns über unser vereinzeltes, individualistisches Dasein, dessen höchster und einziger Zweck wir selbst sind, hinausheben und die uns einbetten in irgendeinen vorindividuellen Gesamtzusammenhang - überpersönlich und übersinnlich, tröstend und lindernd.
Dann sehe ich die Fotos auf Facebook, die die Weihnachtskarten ersetzt haben: Fotos von festlich geschmückten Tischen, festlich gekleideten Menschen, von Gebäck und Geschenken. Weihnachtsgrüße. Das ist irgendwie auch verbindend - ist Facebook die Art und Weise, wie wir uns versichern, dass unsere Rituale noch in etwas Gemeinschaftlichem eingebunden sind? Hat Facebook unseren Besuch der Weihnachtsmesse ersetzt?
Dann denke ich daran, dass unsere Kinder (die Jugend von heute) diese Lieder nicht mehr mitsingen können - in der Schule wird nicht mehr „Alle Jahre wieder“ gesungen, höchstens noch „Last Christmas“. Zuhause haben wir die Kinder nicht zum Singen und musizieren angehalten - wir haben sie ja nicht mal getauft, von wegen Zwang und Kindesmisshandlung und so. Gefeiert haben wir mit weniger Verve und Inbrunst als unsere Vorfahren - schließlich ist Weihnachten nur ein überkommener religiöser, vormoderner, vermodernder, ja heidnischer Brauch, der uns keine Botschaft mehr übermittelt. Zudem zu einem neoliberalen Konsumfest verkommen.
Krippen haben wir nicht mehr gebastelt, aus der Bibel haben wir nicht mehr vorgelesen.
Worin werden unsere Kinder eingebettet sein in 20 Jahren - an welche Tradition werden sie sich erinnern, was wird sie trösten und mit der Gemeinschaft verbinden? Es gibt noch keine herzerwärmende Tradition der Atheisten -es gibt keine säkularen Bräuche, in denen sich eine Kultur aufgehoben fühlen und mit Bedeutung versehen erleben kann. Und “Brauchtumspflege”? Das ist irgendwie unmodern, das ist peinlich, das ist so AfD. Oder sollen wir doch wieder Blockflöte spielen und uns ein religiöses Bild angucken? „Ich meine das ganz ehrlich. Sonst geht uns ein Stück Heimat verloren.“ (Angela Merkel)
Meine Kinder können “O Tannenbaum” jetzt schon nicht mitsingen. Von “Maria durch ein Dornwald ging” ganz zu schweigen. Sie wissen nicht, was “von Jesse kam die Art” bedeutet. (Weil ich es auch nie gewusst habe).
Vielleicht werden sie nichts mehr haben. Vielleicht werden sie keine gemeinschaftlichen Rituale mehr kennen. Was werden sie später weitergeben? “Kevin allein zu Haus”?
Anything goes. Jeder für sich.
Haben wir anderes verdient?

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