Brisant! (Teil 8)

in deutsch •  5 years ago 

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Fortsetzung von Teil 7

  1. Gegenüberstellung von Vorwissen und realem Handling des Krisenmanagements 2020
    Am Krisenmanagement war selbstverständlich nicht alles falsch (aber leider wesentliches). Wenn man einmal von der Gefährdungsanalyse absieht, hat die Zusammenarbeit der Ressorts untereinander und miteinander im Krisenmanagement recht gut funktioniert. Das gilt sowohl für die Bundesbehörden und als auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Zwar agierten die einzelnen Bundesländer als Träger der wichtigsten konkreten Entscheidungen über Maßnahmen eigenständig und graduell differenziert, aber es kam nicht zu extremen Alleingängen einzelner Länder sondern bildete sich ein sehr ähnlicher, eher einheitlicher Umgang mit der Krise heraus.
    In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind. DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich und detailliert. Das alles war dem BMI bei Ausbruch der Krise bekannt. Dennoch waren die Schutzmaßnahmen in DEU (im Vergleich zu anderen Industriestaaten) nicht etwa reduziert, sondern besonders umfassend.
    • In der Corona-Pandemie 2020 wurde zwar von Anfang an auf die Kompetenz von Fachleuten zurückgegriffen. Allerdings sehr selektiv. Es wurden nur ausgewählte Fachleute angehört, nur deren Auffassungen wurde beachtet. Die Fachexpertise aus virologischen und immunologischen Spezialdisziplinen muss in die ganzheitliche Gefährdungsanalyse und –bewertung einer Pandemie unbedingt eingehen, sie muss in diesem Prozess jedoch mit anderen Faktoren abgeglichen werden. In der Coronakrise wurden vom professionellen Krisenmanagement fachlich einseitige, gefilterte Fachinformationen isoliert herausgegriffen und zum alleinigen Maßstab für jede erfolgte Intervention gemacht. Da nützen einem die besten Spezialisten nichts.

Sie kennen sich zwar in ihrem sehr begrenzten Kompetenzfeld gut aus, haben aber nicht die erforderliche Einsicht in die komplexen Rahmenbedingungen die darüber hinaus ein modernes Gemeinwesen prägen. In diesem Gemeinwesen sind Einflussgrößen aus sehr vielen weiteren Spezialgebieten wirksam. Wie konnte das Krisenmanagement annehmen, dass die medizinischen Experten des RKI dies überblicken? Die Kollegen des RKI konnten von den Anforderungen und den Erwartungen, die in der Krise an sie gerichtet wurden, nur hoffnungslos überfordert sein.
• Ein Blick in die Beschreibung der Methode der Risikoanalyse macht die Unbrauchbarkeit der Risikobewertung durch RKI deutlich:
„Bei der Risikobewertung handelt es sich um eine deskriptive, qualitative Beschreibung. Denn für die
verwendeten Begriffe “gering“, „mäßig“, „hoch“ oder „sehr hoch“ liegen keine quantitativen Werte für Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß zugrunde. Allerdings werden für die Schwerebeurteilung ( = Schadensausmaß) genutzten drei Kriterien bzw. Indikatoren (Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressourcenbelastung) mit jeweils quantifizierbaren Parametern beurteilt.“ (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung_Grundlage.html )
• Das heißt, die Kanzlerin und die MP der Länder haben ihre weitreichenden Maßnahmen auf der Basis einer Risikobewertung getroffen, die Risiken nach in die qualitativen Kriterien gering, mäßig und hoch beschreibt, ohne jede Größendimension. Die Bewertung der Gefährlichkeit der Pandemie für unser Land bemisst das RKI nach der Übertragbarkeit des Krankheitserregers, nach der Zahl von Infektionen und nach dem Schwereprofil (u.a. Anteil Tote). Gesundheitsschäden durch Kollateralschäden sind für RKI kein Kriterium, sie werden nicht erwähnt, obwohl dadurch größere Mengen an Todesfälle entstanden sind, als durch Covid-19 (siehe Anlage zur Kurzfassung).
• Im Falle der Corona-Epidemie sind von der beteiligten Wissenschaft neben bewiesene Wahrheiten auch Meinungen, Interpretationen und Prognosen bezogen worden, denn auch die werden von einem verantwortungsbewussten Krisenmanagement benötigt. Diese spekulativen Elemente (Vermutungen) waren sogar in wesentlichen Entscheidungen handlungsleitend für das Krisenmanagement, insbesondere bei den Entscheidungen über die für Bevölkerung und Wirtschaft belastende Schutzmaßnahmen und solche Maßnahmen, die sich problematisch auf das Sicherheitsniveau unserer Kritischen Infrastrukturen auswirken.
• In dem Pool sämtlicher Prognosen, Meinungen und Interpretationen dieser Welt, gibt es solche, die sich im Nachhinein als näher oder weiter entfernt von der Wahrheit erweisen werden. Im Falle der Bewertung der Gefahren des Corona-Virus für unsere Gesellschaft werden wir das vermutlich in spätestens fünf Jahren zuordnen können. Um heute im Krisenmanagement die besten Entscheidungen treffen zu können, müssen wir möglichst viele verschiedene Meinungen, Interpretationen und Prognosen anhören und sie sorgfältig abgleichen. Viel mehr als eine Plausibilitätsprüfung werden wir nicht leisten können, aber die muss umso konsequenter durchgeführt werden. Denn jede Prognose kann falsch sein, und wenn wir aufgrund voreiliger Limitierungen nur solche Prognosen heranziehen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen werden, wird das im Falle dieser Coronal-Krise schlimme Folgen für unsere Gesellschaft haben. Es kommt also bei der Auswahl sehr ernsthaft zu erwägender Prognosen grundsätzlich nicht darauf an, wie beliebt eine bestimmte Prognose in bestimmten Kreisen ist, wie bequem oder opportun sie für bestimmte politische oder auch parteipolitische Ziele erscheint, und auch nicht, wie viele Menschen sie für am wahrscheinlichsten halten, sondern ob wir genau diejenige Prognose(n) in unseren Abgleich einbezogen haben, die der Wahrheit am Ende am nächsten gekommen sein wird. Das heißt, es müssen alle Theorien geprüft werden, auch die auf den ersten Blick abwegigen, denn auch unter ihnen kann am Ende der Treffer (der später erkennbaren Wahrheit) sein. Das Krisenmanagement kann einen unvermeidbaren Fehler machen, indem es seine Entscheidungen auf eine zwar plausible aber falsche Prognose stützt. Das Krisenmanagement kann aber auch einen vermeidbaren Fehler machen, indem es Prognosen versäumt in die ernsthafte Plausibilitätsprüfung einzubeziehen, unter denen (im Moment unerkannt) die richtige ist.
• Ein Sicherheitskonzept kann nur dann als wissenschaftlich begründet und optimiert gelten, wenn es den Selektionsprozess von Theorien nicht vorzeitig schließt, sondern auch in der sich entwickelnden Krise noch laufend offenhält. Mit Blick auf die breite Fachdiskussion im Internet und die darin diskutierten vielfältigsten Thesen, und im Vergleich dazu das enge Spektrum der im Krisenmanagement einbezogenen Thesen, müssen Zweifel daran bestehen, ob die Vorgabe der Wissenschaftlichkeit in der Corona-Krise ausreichend realisiert wird.
• Die Auswahl der einbezogenen Wissenschaftler scheint einseitig zu sein. Die starke Fixierung auf das Robert-Koch-Institut (RKI) und teils massive Abwertung von wissenschaftlichen Gegeneinschätzungen durch RKI sowie die Öffentlichkeitsarbeit der BReg führen dazu, dass nicht alle wissenschaftlichen Meinungen ausreichend berücksichtigt werden.
• Bei dem Bemühen des Krisenmanagements um eine Bewältigung der Virus-Infektion wurden Maßnahmen getroffen, die im Verlaufe der Krise zu einer eigenständigen Gefahr geworden sind. Wir haben es in der Corona-Krise also mit zwei Gefahren zu tun, die wir bewerten müssen, für die wir eine Risikoeinschätzung vornehmen müssen.
• Die Bedeutung von Ursache Wirkungsbezügen wurde in der Aufarbeitung des Wissensstandes dargelegt. In der Coronakrise haben sich in der Arbeit des Krisenstabs erhebliche Probleme offenbart, in der Gefahrenanalyse Ursache- Wirkungs-Bezüge zu erkennen und folgerichtig auszuwerten. Insbesondere die langfristigen Auswirkungen auf das Resilienz- und Sicherheitsniveau der Versorgung mit kritischen Dienstleistungen blieben unbeachtet, bzw. wurden von anderen Aspekten dominiert. Tatsächlich haben das Fachreferat KM4 und die nachgeordnete Behörde BBK Auswirkungen im KRITIS-Bereich erfasst. Allerdings wurden überwiegend nur Zustands- und Lageerhebungen zu aktuellen Zeitpunkten durchgeführt, Prognosen wurde nicht abgegeben. Das geschah auch in dem gemeinsamen Melde und Lagezentrum von Bund und Ländern, das vom BBK betrieben wird. Aus diesem Kontext wurde in den Krisenstab hinein unregelmäßig berichtet, schließlich stoppte der Krisenstab die Lieferungen und verzichtet seither ganz darauf, obwohl gerade die Entwicklung bei Kritischen Infrastrukturen zu den potentiell auswirkungsstärksten Bereichen gehört und viele absehbare Auswirkungen erst mit zeitlichem Verzug, aber dann unaufhaltsam eintreten.
• Wichtig wäre eine Prognose über zu erwartende Ausfälle im KRITIS-Bereich gewesen und natürlich eine Betrachtung des Gesamtgeschehens im KRITIS-Bereich. Es wäre nicht nur erforderlich gewesen, eine umfassende Bewertung der Krisendynamik im KRITIS-Kontext eigeninitiativ zu erstellen und dem Krisenstab zur Verfügung zu stellen, sondern auch, dass der Krisenstab selbst diese Prognose und Einschätzung anfordert. Beides ist so gut wie nicht geschehen. Die Analysen, die im zuständigen Fachreferat KM4 dazu gefertigt wurden, wurden nicht beachtet und nicht weiter transportiert. Der Mitarbeiter, der laufend dazu Analysen geschrieben und Anforderungen formuliert hatte (und diesen Bericht verfasst hat), wurde nicht in das Krisenmanagement eingebunden, so dass seine Möglichkeiten, im Verlaufe der Krise zu überprüfen, ob die Belange des KRITIS-Schutzes ausreichend beachtet wurden, schließlich kaum mehr gegeben war – Protokolle von Krisenstabssitzungen und interne Strategiepapiere wurden zu Beginn der Krise noch so weit gestreut, dass auch KM 4 stets informiert war, später wurden nur noch Auszüge verschickt, die Anbindung an das strategische Gesamtvorgehen wurde immer spärlicher. Das ist absolut unverständlich angesichts der Tatsache, dass das reibungslose Funktionieren Kritischer Infrastrukturen von allerhöchster Priorität sein müsste.
• Timing des deutschen Krisenmanagements: Nicht zuletzt aufgrund der fehlerbehafteten Gefahrenbewertung kam das deutsche Krisenmanagement mit seinen Aktivitäten bisher in jeder Phase der Coronakrise zu spät, es schiebt von Anfang an eine überdimensionale Bugwelle von überfälligen Entscheidungen vor sich her. Im Januar 2020 wurde versäumt, sich intensiv mit dem Virus in China auseinander zu setzen, im Februar wurde unterlassen, Maßnahmen gegen eine Pandemie vorzubereiten und im März hat man darauf verzichtet, eine aussagekräftige Daten für eine belastbare Gefahrenanalyse und –bewertung zusammen zu tragen. Diese Bugwelle gilt es jetzt abzubauen, denn im April steht offenkundig auf der Agenda der notwendigen Taten, die stark in das öffentliche und private Alltagsleben und die Rechte der Betroffenen eingreifenden Maßnahmen aufzuheben, insbesondere
o Kontaktverbote
o harte Wirtschaftsrestriktionen
o das Aussetzen des öffentlichen Lebens.

• Heute wird sich vermutlich nachteilig auswirken, dass die Arbeiten an einer erneuerten KRITIS-Strategie, trotz zeitig erfolgtem Arbeitsauftrag der BMI Hausleitung (in 2015), jahrelang so erfolglos betrieben wurden. Die strategische Neuausrichtung und die konkretere programmatische Ausgestaltung hätte unserem Land ein solides Fundament schaffen können, um in einer Krise mit konkreten Maßnahmen schnell nachzusteuern und das Sicherheitsniveau bestmöglich zu sichern. Da dies nicht geschehen ist, wird die Aufgabe jetzt doppelt so schwierig.
• Rückschlüsse aus der Risikoanalyse von 2012, die nicht ausreichend beachtet wurden:
o Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei jeglichen Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten Warnmeldungen als Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und umfassenden Schutzmaßnahmen wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential inne (als Kollateralschaden). Dieses Schadpotential entfaltet vor allem bei einem Fehlalarm und Überschätzung der gesundheitlichen Gefahren seine fatale ironische Wirkung.
o Aus der Risikoanalyse hätte eine Sensibilisierung für das Problem der Kollateralschäden erwachsen müssen, insbesondere im Fall eines Fehlalarms oder einer zu hohen Gefahreneinschätzung. - Und das umso mehr, je mehr ein Krisenmanagement die Nachlässigkeit begeht, einseitig bei den gesundheitlichen Gefahren auf Nummer Sicher zu gehen, und die Gefahren, die von den eigenen „Schutzmaßnahmen“ ausgehen, nicht angemessen zu berücksichtigen und jede Kritik an der eigenen Arbeit statt zu überprüfen, zurück zu weisen. In diesem Fall können aus staatlichen Schutzmaßnahmen, staatliche Schädigungsmaßnahmen werden. 2020 haben wir noch die Chance, die Strategie nachzujustieren und gemachte Fehler zu begrenzen.
o Fehler werden in einem komplexen Krisengeschehen immer gemacht. Es kommt darauf an, wie mit den Fehlern umgegangen wird und ob noch im laufenden Verfahren flexibel nachanalysiert und die Strategie wo nötig korrigiert wird. Im Übrigen gibt es vermeidbare und unvermeidbare Fehler. Bei unzureichender Datenlage diejenige Auswahlentscheidung zwischen zwei ähnlich plausiblen Handlungsoptionen zu treffen, die sich im Nachhinein als falsch erweist, ist ein unvermeidbarer Fehler. Sich nicht ausreichend sorgfältig und vorausschauend um aussagekräftige Daten für eine plausible Risikoeinschätzung zu kümmern und dann falsche Entscheidungen zu treffen, ist ein vermeidbarer Fehler, der zu einem unverzeihlichen wird, wenn, um das Gesicht zu wahren an falschen Entscheidungen festgehalten wird.
o Auch für die Möglichkeit, dass es eine Fehlmeldung vorliegt, muss ein Krisenmanagement laufend eine Plausibilitätsprüfung vornehmen, und umsteuern, sobald der Fehlalarm in den zyklischen Überprüfungen als die plausiblere Wahrheit zu erkennen ist.
o In der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario: „Neben der Information der Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf bestehenden Plänen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen zur Eindämmung und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah einberufen und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen.“
Die Realität 2020 sieht etwas anders aus. Nicht die Behörden treffen Maßnahmen, nicht die Krisenstäbe übernehmen Leitung und Koordination der Maßnahmen, sondern die Politik trifft die Entscheidungen und die Krisenstäbe finden gute Begründungen dafür. Auch das ist ein Problem des Krisenmanagements in der Coronakrise. Die Rolle der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder, die über keine Kompetenz und Erfahrung in der operativen Entscheidungsfindung in komplexen Krisensituationen haben (fachlich ohnehin eher nicht) und diese gar nicht haben können, führen das Heft.
Damit kommt das administrative und ministeriale Rollenmodell zur Wirkung. Es ist dann kaum noch möglich, eigene Impulse von den Behördenapparaten zu erwarten. Die Behörden und Ministerialen spielen die Rolle, die sie immer spielen weiter, sie versuchen so gut es geht zu erraten, was die politische Führung glaubt und anstrebt und orientiert das eigene Veralten vollständig an diesen Projektionen.
Für den Bereich des Trinkwassers wurden trotz der Benennung von Lieferengpässen und Lieferketten als Schlagworte nicht vorausgesehen, dass beim Fehler einzelner Komponenten ganze Systeme wegbrechen können. Das, was sich aktuell als Problem bei der Trinkwasserversorgung abzeichnet ist eine neue Erfahrung, für die es keine fertige Lösung aus den Übungen und Simulationen gibt. Dieses Problem muss on the job gelöste werden – mit den Leuten, die dazu in der Lage sind.

• Problematisch ist, dass wir es mit einem komplexen System von Kritischen Infrastrukturen in DEU zu tun haben, das beim Ausfall nur einer einzigen wesentlichen Komponente, den Rest des Systems ebenfalls zum Kollabieren bringen kann. Wenn die Stromversorgung flächendeckend und länger anhaltend ausfällt, nützt uns die weltbeste IT-Sicherheit nichts. Wenn das Internet nicht wie gewohnt verfügbar ist, ist mit einer ähnlichen Kaskade zu rechnen. Ähnliches gilt für die Trinkwasserversorgung und die Nahrungsmittelversorgung. Demgegenüber hätte realistisch betrachtet der Tod von 200.000 Einwohnern (zufälliger Wert) durch einen neuen Krankheitserreger, oder sogar der Tod von 1 Mio. Einwohnern im Rentenalter, kaum Auswirkungen auf die Versorgung mit Kritischen Dienstleistungen – sowie die Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Wertschöpfungsprozesses, die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Stabilität der staatlichen Ordnung). Damit wird keine Bewertung von Menschen vorgenommen, sondern Funktionen, Wirkungsweisen und reale Konsequenzen werden veranschaulicht.
Wenn (ursprünglich) gesundheitliche Schutzmaßnahmen wie die der laufenden Corona-Pandemie, zu einer Destabilisierung des Systems Kritischer Infrastrukturen
führen, kann das hingegen den Exitus unserer gesamten Gesellschaft bedeuten mit zig Millionen Toten (vgl. Blackout der Stromversorgung) und natürlich der Aufhebung jeglicher, nicht nur der staatlichen, Ordnung. Insofern ist es für das Krisenmanagement unverzichtbar, die bereits eingetretenen, und die noch möglichen Auswirkungen der Schutzmaßnahmen umfassend und objektiv zu erheben, um die Gefahren von a) Erkrankungen und b) Schutzmaßnahmen vergleichen zu können und optimal darauf zu reagieren.
• Die Rolle der Bundeskanzlerin, die einer gesonderten Untersuchung bedarf, war vielfach nicht transparent, vielleicht sogar missverständlich, aber bei den Medien und der Bevölkerung kam das Agieren der Kanzlerin gut an. Dieser Komplex müsste aus drei Gründen näher untersucht werden: 1. Publikumsgefallen ist keine Garantie und noch nicht einmal überhaupt ein Kriterium für richtige Entscheidungen. Mit ihm kommt ein sachfremder Motivator ins Spiel, der anfällig für Fehlentscheidungen macht. 2. Übergroße Zustimmung und Akzeptanz selbst für Unsinn erzielen zu können, birgt eine große Gefahr für unser Gemeinwesen in sich. 3. Die nahezu durchgängige positive Resonanz der Medien insbesondere auf jegliche Aktivität der Bundeskanzlerin, egal was sie gerade ankündigte und wie und mit welchem Timing sie ihre Haltung zu bestimmten Fragen als alternativlos darstellte oder auch änderte, bestätigt leider negative Vorurteile über die Presse. Als Korrektiv für Fehlentwicklungen z.B. in einem suboptimalen Krisenmanagement scheint der übergroße Teil der (freien) Presse mehr oder weniger unbrauchbar. Aus gesamtstaatlicher Sicht muss das als Warnsignal angesehen werden. Es empfiehlt sich sehr, bei künftigen Anpassungen der rechtlichen oder Rahmenbedingungen auf eine wieder größere Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit hinzusteuern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Presse die Regierung geschlossen massiv einseitig und ungerecht kritisierte, und durch ihren Einfluss eine politische Machtveränderungen einfach auslösen könnte, dürfte gegen null gehen. Die Gefahr, dass die Bevölkerung alles glaubt, was sie von den meisten Medien serviert bekommt, und sich dies unkritisch zu eigen macht, liegt sehr hoch.
• Bei der Risikoanalyse aus 2012 wurde der simulierte Pandemieverlauf vom RKI beigesteuert. Die Daten waren als Fakten für das Planspiel gesetzt, sie wurden nicht hinterfragt. Für ihr genaues Zustandekommen musste sich niemand der Übungsbeteiligten interessieren. Für ein Planspiel, in dem eine einzige konkrete Fallkonstellation hypothetisch durchgespielt werden soll, ist das eine praktikable Begrenzung ansonsten unzähliger möglicher Fallkonstellationen. In der Coronakrise hat sich das Krisenmanagement wie in einer Übung verhalten, es hat die Zulieferungen von hochspezifischem fachlich-medizinischen Input inhaltlich nicht mehr hinterfragt.
Gegen Vorschläge, Anregungen und Forderungen von außen hat man sich abgeschottet.
• Da nun alle Maßnahmen und alle Öffentlichkeitsarbeit (Krisenkommunikation) auf einseitigem oder suboptimalem fachlichen Input beruht, sind leider alle Maßnahmen und Entscheidungen des Krisenmanagements potentiell suboptimal. Das bedeutet auch, dass in der größten Krise, die die Bundesrepublik je erlebt hat, der Staat potentiell der größte Produzent von fake news war, gegen die er gerade in der Krise vorzugehen propagierte. Damit hat er dazu beigetragen, dass ein wichtiges Unterstützungspotential zur Bewältigung der Krise blockiert wurde.
• Die zwei Vorteile der Lage:

  1. Wir haben gerade Erfahrungen mit einer Krise gesammelt. Wenn wir diese Erfahrungen zeitnah aufarbeiten, können wir von den gemachten Fehlern noch lernen.
  2. Während wir bei der Coronalkrise mit einer Gefahr zu tun hatten, deren Wirkmechanismen und Ursprünge wir nicht kannten, verfügen wir bei den neuen Gefahren für die Kritischen Infrastrukturen (und darüber hinaus) über das volle Wissen der auslösenden Momente und haben größtmögliche Kontrolle über die in der Krise in Gang gesetzten Instrumente.
  1. Zwischenauswertung
    Die vom Krisenmanagement zugrunde gelegte Datenbasis war und ist ungeeignet zur Bewertung der Gefahrenlage für unsere Gesellschaft. Die Fixierung auf gesundheitliche Parameter verstellte den Blick auf weitreichende Auswirkungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
    Insbesondere eine systematische Erhebung der langfristigen Gefährdungslage im komplexen Gesamtsystem Kritischer Infrastrukturen hat in der Lageberichterstattung, die Grundlage von Entscheidungen war, nicht stattgefunden. Die Befassung mit einer Fülle an punktuellen Einzelmeldungen aus den Branchen und Sektoren, sowie das akribisch-formalistische Abarbeiten von zahlreichen Zuschriften/Einzelanfragen von Lobbygruppen und potentiellen KRITIS-Betreibern im Tagesgeschäft des Krisenstabs konnten dieses Defizit nicht auffüllen, sondern scheinen die strategische Arbeit der Gefahrenanalyse und –bewertung und die Abwägung von Entscheidungen über Maßnahmen limitiert zu haben.

Angesichts des (von mir ausführlich dargelegten) breiten Erfahrungsschatzes aus groß angelegten Pandemieübungen und Risikoanalysen, und angesichts der umfänglichen Erkenntnisse, die der Bevölkerungsschutz in den zurückliegenden Jahren konzeptionell und systematisch erarbeitet hat, müssen die schweren Versäumnisse bei der Gefahrenanalyse und –bewertung als methodisch-handwerkliche Fehlleistungen des Krisenmanagements betrachtet werden. – Allerdings haben wir darüber hinaus eine Dynamik erlebt, die auch auf (aus heutiger Sicht vielleicht suboptimale) rechtliche Rahmenbedingungen zurückgeführt werden muss. Diese haben einen Automatismus ausgelöst, der alleine mit guten Willen kaum mehr gebremst werden konnte und uns noch immer hemmt.
Die beobachtbaren Defizite im Krisenmanagement schlagen sich in der Konsequenz unmittelbar in einer stark gestiegenen Gefahrenlage bei den Kritischen Infrastrukturen nieder (siehe Kapitel 10).
Da sich das aktuelle Krisengeschehen in einem Transformationsprozess befindet, in dem es übergangslos von der einen in die nächste und voraussichtlich länger anhaltende Krise übergeht, erscheint dringend notwendig, die erste Phase bereits jetzt gründlich aufzuarbeiten. Die vorliegende Analyse behandelt schwerpunktmäßig die Aspekte „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ und „Gefahrenbewertung“. Dies wäre ein Baustein neben anderen, die in der Auswertung einbezogen werden müssten.
Es kann nicht darum gehen, vom Krisenmanagement hellseherische Fähigkeiten zu erwarten und es danach zu bewerten, ob es unvorhersehbare Risiken vorab richtig eingeschätzt hat.
Vielmehr müssten alle vorgesehenen Verfahrensschritte sorgfältig beachtet werden und alle möglichen Optionen genutzt werden, um die Gefahren so genau wie möglich zu ermitteln.
Das ist umso dringlicher geboten, als jedem Mitglied des Krisenmanagements spätestens im Laufe der Krise bewusst gewesen sein muss, welche schwerwiegenden Schäden unserer Gesellschaft durch die Schutzmaßnahmen entstehen würden und nunmehr tatsächlich entstehen. Das gilt für jeden einzelnen Tag, der ohne Veränderungen ins Land geht.

  1. Beschluss der Kanzlerin mit den Länderchefs am 22. März 2020 im Kontext der Ergebnisse dieser Analyse
    Da die politische Spitze keine anderen Entscheidungen treffen kann, als im Vorbereitungsprozess durch das Krisenmanagement erarbeitet worden sind, wurden die Defizite des Krisenmanagements in den politischen Raum übertragen. Beispielhaft zeige ich diesen Effekt an den Beschlüssen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder am 22. März 2020.
    Die einzige Begründung, die die Regierungschefs von Bund und Ländern für die von ihnen verfügten Maßnahmen und Einschränkungen von Rechten angeben, ist, dass die rasante Verbreitung besorgniserregend sei. Es wird nicht dargelegt, wie die Gefahr von der Bundesregierung oder den Länderregierungen oder sonstigen Stellen (z.B. Krisenstäbe, RKI,
    …) eingeschätzt wird. Es wird überhaupt nichts zur Gefährlichkeit des Coronavirus gesagt.

„Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder fassen folgenden Beschluss: Die rasante Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) in den vergangenen Tagen in Deutschland ist besorgniserregend. Wir müssen alles dafür tun, um einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und unser Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten. Dafür ist die Reduzierung von Kontakten entscheidend,“ Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März 2020 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1733246/e6d6ae0e89a7ffea1ebf6f32cf472736/2 020-03-22-mpk-data.pdf?download=1

Das Ziel, einen unkontrollierten Anstieg von Fallzahlen zu verhindern, ist eine Aussage, bei der nicht erkennbar wird, was genau sich dahinter verbirgt. Alle möglichen Fragen bleiben unbeantwortet, z.B. was mit Fallzahlen gemeint ist, und was die Fallzahlen über die Gefährlichkeit aussagen.
Auch die Qualifizierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit als „rasant“, ist fragwürdig. Das kann sich nur auf eine Mikrobetrachtung beziehen. Zu dem Zeitpunkt des Beschlusses lagen
– bezogen auf den Gesamtstaat, für den Maßnahmen verfügt wurden – keine Belege für eine gefährliche Verbreitung vor. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf diesem Niveau kann kein Ersatz- oder Hilfskriterium für Gefährlichkeit sein. Es gab laut Lagebericht des RKI vom
22.3.20 nur 18.610 bestätigte „Fälle“ (0,2 Promille der Bevölkerung), und 55 Verstorbene (0,0006 Promille der Bevölkerung).
Die Regierungschefs nennen zwei Ziele zur Abwehr der befürchteten Gefahr:

  1. Verhindern eines unkontrollierten Anstiegs der Fallzahlen sowie
  2. Erhalten der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.

Eines dieser zunächst gleichrangig genannten Ziele hatte offenbar Priorität: die Kontrolle des Fallzahlenanstiegs. Die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen auf das Gesundheitssystem als Ganzes wurden im Krisenmanagement weder gesondert nachgehalten (z.B. im Monitoring des Krisenstabs BMI-BMG), noch wurde darauf besondere Rücksicht genommen: z.B. wurde mit den dann konkret ausgeformten Vorschriften in Kauf genommen, dass abgesagte oder verschobene OPs zu Schäden und Todesfällen führen würden und u.a. die Kliniken und Reha-Einrichtungen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen – mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungskapazitäten.

In dem Beschluss wird eingeräumt, dass einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Es wird erklärt, dass der Grund darin läge, dass sie mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig seien, obwohl eine seriöse Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht durchgeführt wurde.
Nach den Erkenntnissen der vorliegenden Analyse kann keine belastbare Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt worden sein und auch die Notwendigkeit nicht erwiesen gewesen sein, da nicht einmal eine belastbare Gefahreneinschätzung vorgenommen wurde.
„Bund und Länder werden bei der Umsetzung dieser Einschränkungen sowie der Beurteilung ihrer Wirksamkeit eng zusammenarbeiten. Weitergehende Regelungen aufgrund von regionalen Besonderheiten oder epidemiologischen Lagen in den Ländern oder Landkreisen bleiben möglich. Bund und Länder sind sich darüber im Klaren, dass es sich um sehr einschneidende Maßnahmen handelt. Aber sie sind notwendig und sie sind mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig.
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder danken insbesondere den Beschäftigten im Gesundheitssystem, im öffentlichen Dienst und in den Branchen, die das tägliche Leben aufrecht erhalten sowie allen Bürgerinnen und Bürgern für ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Bereitschaft, sich an diese Regeln zu halten, um die Verbreitung des Coronavirus weiter zu verlangsamen.“
Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März 2020 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1733246/e6d6ae0e89a7ffea1ebf6f32cf472736/2 020-03-22-mpk-data.pdf?download=1

Die Inhalte des Beschlusses wurden auch in einfacher Sprache verbreitet. Auch darin ist nicht von einer Gefahr die Rede, sondern von einer „sehr ernsten Situation“.
„Das Corona-Virus verbreitet sich sehr schnell in Deutschland. Das ist eine sehr ernste Situation.
Die Verbreitung vom Corona Virus muss unbedingt gestoppt werden.

Deshalb gibt es Regeln, wie sich die Menschen in Deutschland verhalten müssen. Die Regeln gelten bis zum 19. April.“
Quelle: Bundesregierung im Internet. In einfacher Sprache: https://www.bundesregierung.de/breg- de/leichte-sprache/regeln-zum-corona-virus-vom-22-maerz-2020-1733310

Fazit – auf der Basis der in dieser Analyse gewonnenen Erkenntnisse – : Die Maßnahmen waren nicht begründet.

  1. Aktuelle und perspektivische Auswirkungen auf den Bereich der Kritischen Infrastrukturen

10.1 IT-Sicherheit

Auswertung der „IT-Sicherheitslage“, Ausgabe April 2020

In die Lageberichte des Krisenstabs sind Themenbereiche aufgenommen worden, die eigentlich nicht zwingend nötig gewesen wären (Extremismus, Internationale Politik). Andere Bereiche, die für die Beurteilung der Gefahrensituation für unsere Gesellschaft essentiell sind, werden weiterhin nicht beachtet. Dazu die IT-Sicherheit, die im BMI ressortiert. Der reguläre Monatsbericht des BSI erschien am 22. April, er macht eindeutige Aussagen zum Coronakontext. Es wird deutliche gemacht, dass die Resilienz im IT-Bereich gesunken ist und der Erfolg von Angriffen immer wahrscheinlicher wurde. Selbst Unternehmen oder Einzelpersonen, die ihre IT-Sicherheit normalerweise gut im Griff haben werden von den neuen Anforderungen an die IT überfordert, vernachlässigen Sicherheitsregeln und gehen zusätzliche Risiken ein. Diese Situation wird von Angreifern gezielt ausgenutzt.
IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020, Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am 22. April 2020

„Auswirkungen und Vorfälle auf die IT im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie: Die Auswirkungen von SARS-CoV-2 durchdringen mittlerweile alle Lebensbereiche und betreffen damit auch die Informationstechnologien. Die aktuelle Gesamtlage führt dazu, dass auch eine normalerweise gut aufgestellte Organisation sich von einem erfolgreichen Cyber- Angriff mit höherer Wahrscheinlichkeit nur schlecht oder gar nicht mehr erholen kann. Falls ein solcher Angriff auf eine für die Bewältigung der Pandemie wesentliche Organisation gelingt, können die daraus erwachsenden Konsequenzen beispiellose Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Wirtschaft haben. Darüber hinaus können die hier ausgeführten und weiteren Kampagnen auch Einzelpersonen in einer besonders angespannten Lage treffen und gravierendere Auswirkungen haben, als bisher üblicherweise beobachtet wurde. Es ist anzunehmen, dass Angreifer auch im nächsten Berichtszeitraum ihre Kampagnen im Kontext von COVID-19 fortsetzen und weiterentwickeln.“ (IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020, Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am 22. April 2020)
Das BSI diagnostiziert einen Ausnahmenzustand in der Gesellschaft, der Angst und Panik begünstigt.
• „Die COVID-19-Pandemie hat einen Ausnahmezustand hervorgerufen, der Angst, Verunsicherung und Panik in der Gesellschaft und Wirtschaft begünstigt, was wiederum von Angreifern ausgenutzt werden kann
• Durch die häufig abrupte Verlagerung von Beschäftigten und Geschäftsprozessen ins Home- Office wird in zahlreichen Fällen die IT-Sicherheit zugunsten eines ad hoc funktionierenden Home-Office vernachlässigt
• IT-Fachpersonal und IT-Sicherheitsdienstleister sind durch die geltenden Beschränkungen nicht im normalen Umfang oder nur mit erhöhtem Aufwand verfügbar.
• Aufgrund der wirtschaftlichen Folgeerscheinungen der Pandemie sind bei vielen Unternehmen die finanziellen und infrastrukturellen Sicherheitsvorkehrungen, um beispielsweise mit einem Cyber-Angriff umzugehen, bereits ausgereizt
• Der veränderte Einsatz der IT-Infrastruktur durch eine Verlagerung ins Home-Office erschwert die Unterscheidung von regulärem Nutzerverhalten und Angriffen“ (ebd. Seite 5)
BSI geht davon aus, dass mit den vermehrt aufgekommenen spezifischen Covid-19 Angriffe noch längere Zeit zu rechnen ist.

10.2. Gefährdungen im Bereich der Trinkwasserversorgung

Die Trinkwasserversorger und ihre Verbände werden seit den ersten großen Einschränkungen laufend im BMI vorstellig und bitten um schriftliche Bestätigung, dass sie als KRITIS-Betreiber besonders wichtig sind und daher beim Bezug und der Belieferung von bestimmten Produkten bevorzugt behandelt werden müssten, ihr Personal arbeiten können muss und alle notwendigen Ausnahmengenehmigungen erhält, viele Einschränkungen für sie nicht gelten sollen, usw., weil sie sonst ihre Kritischen Dienstleistungen nicht mehr zuverlässig liefern können – die Versorgung mit dem wichtigsten, was der Mensch zum nackten Überleben braucht, dem Trinkwasser. Der Bund und die Länder waren relativ großzügig mit generellen Bestätigungen der hohen Bedeutung der Absender. Teilweise hat das sogar Rechtsfolgen, die für die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen nicht absehbar waren, die die Briefe beantworteten. Denn der Bund hat keine Kompetenzen, eine Priorität rechtsverbindlich und mit Folgewirkung festzustellen. Zuständig sind die Länder.
Der Bund verwies daher überwiegend an die Länder, mit manchen Lobbygruppen wie der Jagd-Lobby ging die Korrespondenz und das Gerangel und Gefeilsche um Sonderrechte auf allerhöchster Ebene munter weiter. Auf jeden Fall wurden und werden immer noch sehr viele freundliche und verständnisvolle Briefe im Namen der Ministers, der Hausleitung oder des Krisenstabs geschrieben, die viele Mitarbeiter des BMI und seiner nachgeordneten Behörden sehr stark beschäftigt und ausgelastet haben. Viele Überstunden mussten gemacht werden, jeder hielt sich und was er macht für wichtig. Die Kollegen sind wichtig, aber das ändert nichts daran, dass zentrale Essentials der Krisenbewältigung vernachlässigt wurden.
Inzwischen schickt der BDEW, einer der großen Verbände der Trinkwasserbranche, seine Lageberichte an den Bundes-Krisenstab (am 7.4. und 16.4.) und denen ist zu entnehmen, dass aufgrund der Unterbrechung von Lieferketten bestimmt Produkte und Materialien künftig nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sein werden, die für die störungsfreie Versorgung mit frischem Trinkwasser unverzichtbar sind.
Die Lage bei der Kritischen Infrastruktur Trinkwasserversorgung ist keine Ausnahme. Allen anderen Kritischen Infrastrukturen geht es ähnlich. Wir stehen vor einer Situation, in der einzelne Kritische Dienstleistungen – örtlich oder überregional, kurz-, mittel- oder langfristig, kompensierbar oder nicht kompensierbar – nicht mehr wie gewohnt zur Verfügung stehen werden.
Wie bereits aufgezeigt, sind die Kritischen Infrastrukturen ein Gesamtsystem, dass nur so stark ist, wie jede einzelne Komponente für sich betrachtet. Diese besondere Bedeutung scheinen auf den ersten Blick nur einige herausragende Kritische Produkte zu haben, wenn man diese aufzählen möchte, merkt man allerdings schnell, dass diese Liste noch beim Sprechen immer länger wird, sie enthält z.B. die Stromversorgung, das Internet, Nahrung, Trinkwasser, aber auch Logistik und so manches andere. Es gibt sogar Kritische Infrastrukturen, die als solche bisher gar nicht angesehen wurden und sich erst in dieser Krise als solche erweisen (Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Wirtschafts- und Arbeitslebens z.B.).
Das bedeutet in der Konsequenz, dass durch die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus nicht nur einzelne punktuelle Lücken eintreten können, sondern die Risiken eines Systemkollapses steigen.
Die beschriebenen Probleme werden nicht nur kurzfristig bestehen. Es ist derzeit nicht absehbar, wann die Lieferketten wieder so reibungslos wie früher funktionieren werden.
Für den Bereich Trinkwasser sieht es so aus:

• Die Trinkwasserversorgung in DEU ist sehr vielfältig und sehr heterogen strukturiert. Eine Reihe großer und sehr großer Betreiber in bestimmten Ballungsräumen, aber auch sehr viele kleinere bis kleinste Anbieter. Große Wasserunternehmen verfügen teilweise über ein professionelles eigenes Krisenmanagement, bei kleinen fehlt das völlig.
• Die Trinkwasserversorger sind derzeit dabei, ihren Betrieb auf vollautomatisierten und digitalen Betrieb der Trinkwasserversorgung umzustellen, in vielen Bereichen ist das schon geschehen. Das erhöht die Abhängigkeit von Stromversorgung und Internet und erhöht damit die Versorgungsrisiken. Diese Risiken wurden und werden weiter eingegangen, weil es wirtschaftlicher ist. Der Staat hat bisher nicht interveniert. Ich habe einige kritische Vermerke geschrieben, das war’s.
• Der Staat ist im Rahmen der Daseinsvorsorge verpflichtet, seiner Bevölkerung Trinkwasser anzubieten. Vertragspartner auf der staatlichen Seite sind in der Regel die Kommunen. Wenn es zu Ausfällen kommen sollte, haben Bürgermeister und Landräte ein Problem – sie haften.
• Regionale und temporäre Engpässe und Lieferausfälle können ersatzweise mit Tankfahrzeugen kompensiert werden, die das Wasser aus anderen Regionen heranfahren. Bei einer flächendeckenden Lage ist das sehr viel schwieriger. Die bundesweiten Gesamtkapazitäten bieten äußerst begrenzten Spielraum. Wenn der erschöpft ist, fehlt das kostbare Gut und muss in Form von Mineralwasser- Trinkflaschen beschafft werden. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, was es bedeutet, wenn die Menschen den Eindruck haben, sie müssten besonders begehrte Produkte sofort und in größeren Mengen als üblich kaufen (WC-Papier, …). In deutschen Supermärkten müssten Wasserflaschen rationiert abgegeben werden. Es müssten wirksame Sicherheitsvorkehrung getroffen werden.
• Als Rückfallposition könnte man an die sogenannten Notbrunnen nach dem jahrzehntealten Wassersicherstellungsgesetz denken. Dieses ressortiert im BMI, das BBK übernimmt die Durchführung (Fachaufsicht: KM 4). In Kriegszeiten und sogar in zivilen Katastrophenlagen – das ist eine Sonderkonstruktion in diesem Sicherstellungsgesetz (normalerweise ist das strikt getrennt) – soll die Bevölkerung im Notfall mit Trinkwasser versorgt werden. Es gibt in ganz Deutschland etwa 5000 Notbrunnen. Die Qualität des Wassers ist gegenüber der Normalversorgung deutlich reduziert, aber es reicht zum Überleben. Was nicht reicht, ist die Menge an Notbrunnen. Es sind viel zu wenige. Schon die Vorstellung, dass die Berliner Bevölkerung in langen Menschenschlangen anstehen sollte, um aus den zu wenigen und nicht durchgehend funktionsfähigen Handschwengelpumpen, die über das Stadtgebiet verteilt sind, ihr Trinkwasser eigenhändig zu fördern, macht deutlich, dass die Notbrunnen keine Alternative sein werden.

Am 24. April 2020 wurden durch die Abteilung KM unter Mitarbeit des BBK die wöchentlichen Lageberichte des Bundesverbandes Energie und Wasser (BDEW) ausgewertet. Sie zeigen symptomatisch für alle Kritischen Infrastrukturen, dass die Resilienz unserer Gesellschaft gesunken und Verletzlichkeit gestiegen ist. Dieser Befund bestätigt die Bewertung der IT- Sicherheit durch BSI vom 22. April 2020(s.o.). Mit Ausfällen örtlicher Trinkwasserversorgung ist jederzeit zu rechnen. Daran ist ablesbar, das eine Dynamik in Gang gesetzt worden ist, die schwer kalkulierbar ist. Bis heute gibt es kein Monitoring des Status Quos kritischer Infrastrukturen in DEU. Dieses müsste regelmäßiger Bestandteil eines Lageberichts sein.

Für die Aufgabe Schutz Kritischer Infrastrukturen ergibt sich nunmehr folgende Bewertung:

zeitlicher Beginn Gegenstand der Gefahr Risikopotential für KRITIS
(Einschätzung vom 24.04.2020)
Ende 2019 gesundheitliche Gefahren durch den neuen Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2) (Gesundheitskrise); u.a. Risiken für die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen niedrig bis sehr niedrig
seit etwa Mitte März 2020 multiple Gefahren unterschiedlicher Art, die durch Maßnahmen, die zum Schutz vor den gesundheitlichen Gefahren ergriffen wurden, ausgelöst werden (Wirtschafts- und Gesellschaftskrise); u.a. Risiken für die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen hoch bis sehr hoch

  1. Was ist zu tun?
    mit unmittelbarem KRITIS-Bezug

  2. Gefahrenanalyse und –bewertung: Derzeit liegt keine belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft vor – weder für die Gefahren durch den Covid-19 Virus, noch für die Gefahren durch Kollateralschäden aufgrund der ergriffenen Schutzmaßnahmen. Die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen kann ebenso wenig festgestellt werden, wie deren Entbehrlichkeit. Das macht Veränderungen im Krisenmanagement dringend erforderlich (siehe Punkt 4 „Empfehlungen für den Krisenstab“). Dieser Zustand wirkt sich u.a. auf das Sicherheitsniveau und die Verletzlichkeit von Kritischen Infrastrukturen aus.

  3. Wir haben in der Krise an Widerstandfähigkeit und Widerstandkraft vor Störungen im KRITIS Bereich eingebüßt (Resilienz). Um unsere Resilienz annähernd auf das frühere Niveau zurück zu bringen, wäre wünschenswert, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von vor der Krise wieder herzustellen und möglichst wenig Veränderung beizubehalten. Denn ein großer Umfang an Veränderungen, die nicht in einem geplanten organischen Prozess erreicht wurde, bedeutet bei Kritischen Infrastrukturen stets Instabilität und unkalkulierbare Risiken. – Derzeit liegt keine belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft vor. Für die ergriffenen Schutzmaßnahmen kann so keine Notwendigkeit festgestellt werden. liegt keine Es Ob die ergriffenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz notwendig sind, ist daher nicht bekann. gesundheitliche bewertung einschätzung. Es kann für die Notwendigkeit noch die Entbehrlichkeit von Schutzmaßnahmen eingeschätzt werden. vor, so dass der Zeitpunkt Ob der richtige Zeitpunkt bereits gegeben ist, lässt sich nicht sagen, solange keine belastbare Gefahreneinschätzung vorliegt.

  4. Handwerklich-methodisch zum KRITIS-Schutz: Für die Zuteilung von Schutzausrüstung und Sonderrechten wird es dauerhaft eine Priorisierung geben müssen, die deutlich differenzierter ist, als bisher in der Krise praktiziert (fast unterschiedslos). Es muss eine Prioritäten-Hierarchie gebildet werden, die innerhalb von Branchen aber auch zwischen den Branchen Vorrangigkeit und Nachrangigkeit definiert. Der Aufwand alleine dafür ist groß und erfordert qualifiziertes Personal, das im benötigten Umfang nicht zur Verfügung steht. Trotzdem muss sofort an diese Aufgabe herangegangen werden, weil Verteilkonflikte zwischen Kritischen Infrastrukturen, die bereits jetzt ausgetragen werden, in Kürze stark zunehmen werden und der Staat unter Entscheidungsdruck gerät.
    Es ist zu empfehlen, das Personal des BBK umgehend zu erhöhen, damit der Bund die Länder und Kommunen bei dieser Aufgabe unterstützen kann – mit Handreichungen und Beratung. Die Länder erwarten vom Bund zumindest eine Koordinierungsfunktion. Diese Aufgabe ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Wenn die Priorisierung von Strukturen und Prozessen bei den Betreibern Kritischer Infrastrukturen und bei der Aktivierung von Personal und anderen Betriebsmitteln für die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen ebenso unprofessionell erfolgen sollte, wie das überforderte Krisenmanagement und die nicht minder überforderten Regierungen in der Coronakrise, so wird uns das zahlreiche zusätzliche – vermeidbare! – Tote kosten.

  1. Empfehlungen für den Krisenstab

• Es müsste kurzfristig eine fundierte Manöverkritik im Krisenstab und den sie berührenden Stellen durchgeführt werden, um die weitere Arbeit zu verbessern.
• Eines der größeren Versäumnisse stellt die Zusammensetzung des Krisenstabs dar, der bis heute alleine aus BMI und BMG besteht. Es fehlen alle Ressorts, in deren fachlichen Verantwortungsbereichen sich der Kollateralschaden abspielt. Der Krisenstab sollte künftig den Gefahren entsprechend zusammen gesetzt werden
• Die Krise ist nicht vorbei! Ein Krisenmanagement wird auch dann noch dringend gebraucht, wenn die Gefahr der Virusinfektion weitgehend gebannt ist. Die Bestandsaufnahme hinsichtlich der Kollateralschäden und die Organisationen der Reparaturen derselben müssen von einem Krisenmanagement gesteuert werden und die Gefahrenlage muss weiterhin eng kontrolliert werden, nicht zuletzt wegen der enorm erhöhten Verletzlichkeit, die jederzeit eine akute Krise auslösen könnte,
z.B. im Bereich der Kritischen Infrastrukturen.

• Im Krisenstab muss die Gefahrenanalyse und –bewertung professionalisiert werden. Auswirkungen auf Kritische Infrastrukturen müssen angemessen abgebildet werden. Wie das funktioniert, habe ich in diesem Bericht ausführlich beschrieben (Systematik der Gefahrenbewertung mit Checklisten, etc.). Die Einschätzung, was als Restrisiko vertretbar ist oder nicht, wird eine Gesellschaft nicht alleine unter medizinischen Gesichtspunkten treffen können.
• Sofort muss damit begonnen werden, entscheidungsrelevante Datenkategorien zu ermitteln und die zugehörigen Daten zusammenzutragen und auszuwerten.
• Für die Einschätzung der gesundheitlichen Gefahren müssten künftig alle verfügbaren Quellen ausgeschöpft werden, um Einseitigkeit und blinde Flecken zu vermeiden. Die in Anlage 7 (https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest) zusammengestellten fachlichen Positionen und wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Coronavirus müssten verifiziert werde. Viele legen nahe, dass die Gefährlichkeit des Virus überschätzt wurde. Es müsste geklärt werden, was von den im Umlauf befindlichen Informationen belastbar ist, und was nicht. Es sollte nach jedem brauchbaren Baustein gefahndet werden, der unseren Kenntnisstand verbessern kann.
• Lagebilder müssen, um aussagekräftiger zu werden, auf die Übersicht über die zentralen Gefahrenbereiche erweitert werden, die dann in einer Kurz- und einer Langfassung dargestellt werden können. Schon aus dem Lagebild muss ein Vergleich zwischen bezweckten Effekten und ungewollten Kollateralschäden möglich sein.
• Das Monitoring der Entwicklung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen muss integraler Bestandteil des Berichtswesens (Lagebilder) sein. – Dieser Punkt ist eine Kernanforderung aus der Perspektive des Schutzes Kritischer Infrastrukturen, die in diesem Bericht zuständigkeitshalber eingenommen wird. Er steht in dieser Aufzählung trotzdem erst (fast) am Ende, weil seine Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit von der Umsetzung der vorgenannten Schritte abhängig ist.
• Der Krisenstab müsste sich darum kümmern, den Einfluss von Interessen- und Lobbygruppen jeglicher Art auf die Entscheidungsfindung des Krisenmanagements zu ermitteln und zu neutralisieren. Es muss ausgeschlossen sein, dass vom Krisenmanagement andere, als dem Gemeinwohl verpflichtete Ziele verfolgt werden. Jede Fehlentscheidung kostet Menschenleben.

mit indirektem KRITIS-Bezug

  1. Beendet werden müssen nicht nur die Maßnahmen, sondern insbesondere die Stimmung, die von öffentlichen Stellen und den Medien bis heute verbreitet wird und als Alarmismus wahrgenommen wird. Dieser Alarmismus muss unverzüglich eingestellt werden. Denn mit einer durch die Maßnahmen der letzten Wochen nicht nur etwas belasteten, sondern schwer traumatisierten Bevölkerung werden wir den zweiten, sehr viel länger andauernden Teil der Krise viel schwerer bewältigen, als den ersten.
    Es wird daher nicht damit getan sein, den Alarmismus ab einem Zeitpunkt x zu beenden und Normalität zuzulassen. Man kann Normalität nicht einfach in gleicher Weise wie einschränkende Maßnahmen erlassen und verfügen. Die Ängste, vor allem die überschießenden irrationalen Ängste und die daraus resultierenden veränderten Verhaltensweisen, werden nicht automatisch verschwunden sein, wenn die Maßnahmen gelockert werden. Die in den vergangenen Wochen gemachten Erfahrungen haben sich im Gemüt vieler Menschen festgesetzt und es ist noch nicht absehbar, welche Folgen das haben wird. Wie werden die Kinder und Jugendlichen davon geprägt worden sein. Nicht jede Reaktion auf das Aussetzen der berechenbaren Normalität verläuft vordergründig, stürmisch oder vehement. Mancher wird es in sich hineinfressen, vielleicht krank werden, andere tragen ab jetzt möglicherweise ein tiefes Misstrauen gegenüber Menschen und staatlichen Institutionen in sich. Das meiste wird sich voraussichtlich unbewusst und für die Umwelt kaum erkennbar abspielen – was nicht heißt, dass es minder wirksam sein wird. Was bedeutet das für die Innovationskraft unserer jungen Generation, auf die wir angewiesen sind?
  2. Die schwierigste Aufgabe wird es sein, verlorenes Vertrauen zurück zu erlangen. Vertrauen in einen zuverlässig den Bürger schützenden Staat, der für diese wichtige Leistung legitime Eingriffe und Einschränkungen vornehmen darf. Dieser Staat hat in der Coronakrise in geradezu grotesker Weise versagt. Er muss, wenn er Vertrauen wiedergewinnen will, nicht nur umkehren, sondern offen mit seinen Fehlleistungen umgehen, sie einräumen und aufarbeiten, sonst werden dem Staat und dem politischen System möglicherweise die eingetretenen systemischen Fehler nicht nachgesehen.
    Es gibt zwar noch eine Verhaltensalternative, die diente jedoch nicht den Interessen der Bevölkerung und des Gemeinwesens, sondern denen einzelner Personen oder Gruppen: Die Politik könnte versuchen sich zu rechtfertigen, die Administration könnte unterstützend statistische Verfahren verändern, Zahlen umdeuten und versuchen nachzuweisen, dass sie alles auf geniale Weise richtiggemacht hat. In diesem Alternativmodell würde mit der aktivierten hohen Verunsicherung und Angst der Menschen weiter gearbeitet, kritische Stimmen würden einschüchtert und es würde auf die Wirkung sozialen Gruppenanpassungsdruck spekuliert werden. Diese Option birgt gleichermaßen hohe Risiken für die Gesellschaft, als auch für die Personen, die sich für sie entscheiden.
  3. Jede Krise hat ihre Profitteure, was nicht per se etwas Verkehrtes ist, aber diese Gruppe wird versuchen, ihre Partialinteressen mit geeigneten Mitteln durchzusetzen, vielleicht auch gegen die Interessen der Allgemeinheit. Dem muss entgegen getreten werden.
    Die Rückkehr zur Normalität bedeutet auch, alle eingeleiteten längerfristig angelegten Projekte müssten zurückgefahren werden, wenn sie nicht der Rückkehr zur gewohnten Normalität dienen. Sie haben ihren Sinn verloren und blockieren Ressourcen, die jetzt für wichtigeres dringend benötigt werden. Bei jedem Projekt, dass weitergeführt werden sollte, muss man sich bewusstmachen, dass die dafür notwendigen Ressourcen aus dem kleiner gewordenen zivilgesellschaftlichen Kapital beglichen und zuvor erwirtschaftet werden müssen.
    Einer der größten Aktivitätsposten geht auf die Intensivierung von digitalen Kommunikations- und Interaktionstechnologien zurück, sei es für Telearbeiter, virtuelle Klassenräume oder neuartige Bürger- und Unternehmens-Services, für die vorübergehend reduzierte Sicherheitsanforderungen galten. Diese Entwicklung beizubehalten bedeutete nicht nur eine starke Veränderung der Alltagskultur, sondern auch eine noch stärkere Abhängigkeit als bisher von Kritischen Infrastrukturen sowie einen graduellen Verlust an Persönlichkeitsschutz (z.B. in Bezug auf personenbezogene Daten, sowie weitere Betrugs, Missbrauchs- und Manipulationsgefahren). Wir würden unsere Zivilgesellschaft in einer Phase niedriger gesellschaftlicher Resilienz noch einmal zusätzlich schwächen. Auch hier wird der Versuch insbesondere der Politik möglicherweise groß sein, Erwartungen von Geschäftspartnern nicht zu enttäuschen. Und auch hier zeigt sich, dass die Zukunft unserer Gesellschaft von dem Gewissen unserer Politiker abhängt, denen wir in einer Demokratie während ihrer Amtszeit eine hohe Autarkie und faktische Macht zubilligen.

Schlussbemerkung

Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme und kann natürlich nur einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit behandeln. Wichtiger als ihn perfekt zu machen, war, dass er fertig wird. Er enthält daher noch einige Redundanzen und Ungenauigkeiten. Ich hoffe sehr, dass dieser Bericht dennoch einen produktiven Beitrag zum Krisengeschehen leisten kann.

  1. Vorwort 2
  2. Einführung 3
    1.1 Aufgaben und Arbeitsweise des Referats KM 4 3
    1.2 Warum diese Auswertung? 3
    1.3 Wen und was meine ich mit „Krisenmanagement“ in diesem Bericht? 4
    1.4 Der Schutz Kritischer Infrastrukturen 5
    1.5 Referat KM4 als Ressource bei der Krisenbewältigung 6
  3. Wie waren das BMI (und die BReg) auf die Krisensituation vorbereitet? 7
    2.1 Hinweise und Warnungen in früheren Arbeiten zum Bevölkerungsschutz 7
    2.2 Hinweise und Warnungen in Publikationen, Broschüren und Reden 11
  4. Auswertungen früherer Übungen 13
    3.1 Lükex 2007 13
    3.2 Auswertung der Risikoanalyse aus 2012 und Bezüge zur aktuellen Krise 15
  5. Hat der Staat bisher genug für den Schutz Kritischer Infrastrukturen getan? Und wenn nein, was hindert 19
    ihn daran?
  6. Was hätte bei der Gefahrenbewertung beachtet werden müssen? 23
    5.1 Anleitung zur Gefahrenbewertung mit Checkliste 23
    5.2 Wie hätte eine Gefahreneinschätzung (gesundheitliche Gefahren) nach Plausibilität ausgesehen? 25
    5.3 Plausibilitätsprüfung für die Gefährdung durch den Corona-Virus mittels Gegenüberstellung von 28
    Todesursachen
    5.4 Elemente einer Plausibilitätsprüfung für die Auswirkungen einer Wirtschaftskrise auf die Pflege 31
    5.5 Ansätze einer Plausibilitätsprüfung aus Perspektive der Bevölkerungsentwicklung 33
    5.6 Exkurs Lebensqualität im Alter und Sterblichkeit 39
  7. Auswertung der Erfassung von Daten, die für Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über 41
    Maßnahmen herangezogen wurden
    6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020) 42
    6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG (ab 8. April 2020) 44
    6.3 Ergänzende Auswertung einer neueren Ausgabe des Lageberichts des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG 50
  • Konkret untersuchte Fassung vom 22. April 2020
    6.4 Auswertung der Rahmenvorgaben zum Krisenmanagement 53
    6.5 Zwischenbilanz der Bundesregierung 57
    6.6 Könnte es eine Gefahrenanalyse und –bewertung außerhalb des Lageberichts des Krisenstabs gegeben 58
    haben oder geben?
    6.7 Exkurs Exit-Strategien 62
  1. Gegenüberstellung von Vorwissen und realem Handling des Krisenmanagements 2020 63
  2. Zwischenauswertung 70
  3. Beschluss der Kanzlerin mit den Länderchefs am 22. März 2020 im Kontext der Ergebnisse dieser Analyse 71
  4. Aktuelle und perspektivische Auswirkungen auf den Bereich der Kritischen Infrastrukturen 74
    10.1 IT-Sicherheit 74
    10.2. Gefährdungen im Bereich der Trinkwasserversorgung 75
  5. Was ist zu tun? 78
    Schlussbemerkung 82

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Mein lieber Mann, Frau heute morgen hast Du uns aber viel mitzuteilen ! 😉
VgA

Nicht ich, sondern der mutige Mann aus dem BMI. Er hat sich überirdisch Mühe gegeben, um uns in Kenntnis der Tatsachen zu setzen. Dafür hat er seine Karriere geopfert. Ich denke, das verdient ein Forum zu bekommen.