Der Preis der Wahrheit

in deutsch •  5 years ago 

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Unser Freund Notan Dickerle hat sich verdienstvollerweise des Falles Assange angenommen, der in schockierender Deutlichkeit zeigt, wie schnell Staaten sich dazu bereitfinden, interessenbedingt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit über Bord zu werfen. Die Rede ist hier nicht von den als einschlägige Übertäter sattsam bekannten Parias der internationalen Szene. Hier sind Staaten am Werk, die sich selbst den Nimbus der Vorreiter und Hüter der Rechtsstaatlichkeit verliehen haben und völlig zu Unrecht auch als solche angesehen werden. Nach der Lektüre von Notan Dickerles ausgezeichnetem Kommentar und des Interviews mit dem UNO-Sonderberichterstatter für Folter wird man einige der involvierten Staaten mit anderen Augen sehen und fragen, welcher Werte sich der Westen rühmt.

Julian Assange und die Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit

von Notan Dickerle, Anwärter auf den Leuchtturmpreis für mutigen Journalismus gegen “Bunt”

Der Schweizer Rechtsgelehrte Nils Melzer bekleidet seit November 2016 die Funktion eines VN-Sonderberichterstatters für Folter. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen spricht er gerne Klartext – was möglicherweise auch damit zu tun hat, daß er die Tätigkeit ehrenamtlich ausübt, Karriereplanung also nicht im Mittelpunkt steht.
Melzer hat dem Schweizer Online-Magazin "Republik" Ende Januar ein großes Interview zum Fall Julian Assange gegeben, das es in sich hat, von den deutschen Leitmedien aber trotz (bzw. wahrscheinlich wegen) seiner Brisanz nur vereinzelt und an wenig prominenter Stelle aufgegriffen wurde. Der Titel des etwas länglichen, aber absolut lesenswerten Interviews lautet "Vor unseren Augen kreiert sich ein mörderisches System". Melzer beklagt darin die Erosion des Rechtsstaates und die Gefahr eines Endes der Pressefreiheit anhand des Falles Assange, an dem die dem westlichen Wertebündnis angehörenden Staaten USA, GB und Schweden (sowie das unter Druck gesetzte Ecuador) in verdeckter, von rechtsstaatlichen Grundsätzen unbeeindruckter Kollusion ein Exempel statuieren möchten, der vor unerwünschtem investigativem Journalismus abschrecken soll. "Bestrafe einen, erziehe hundert!" (oder waren es tausend?) war schon die Maxime eines berühmten Staatenlenkers des vergangenen Jahrhunderts – Mao-tse-tung (alias -tsedong)!

Zur Erinnerung: Der Australier Julian Assange ist nicht nur investigativer Journalist, sondern Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, deren Ziel es ist, geheimgehaltene Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen. Politisch steht er den Libertären nahe, die autoritäre und gängelnde Regierungsmethoden als Verschwörung zum Nachteil der Regierten bekämpfen. Wiederholt veröffentlichte Assange interne Dokumente der US-Streitkräfte u.a. zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak und enthüllte dabei schwerste Verfehlungen von Korruption bis zu Kriegsverbrechen. Die skandalöseste Veröffentlichung dürfte ein "Collateral Murder" genanntes Video gewesen sein, auf dem die Ermordung von zehn Personen (darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters) am 12. Juli 2007 im Irak durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber dokumentiert ist. In den USA forderten daher mehrere "Influencer" den Tod für Assange, denn "a dead man can't leak stuff" (so Fox-Moderator Bob Beckel 2010 – ein Toter kann kein Zeugs mehr verraten). Im menschenrechtlichen Musterländle Schweden, in dem sich Assange wegen der angeblich für investigativen Journalismus günstigen Arbeitsbedingungen dauerhaft niederlassen wollte, wurde in Folge ein Vorwurf wegen Vergewaltigung konstruiert, dem die Behörden zu keinem Zeitpunkt konsequent nachgehen, der Assange aber fast zehn Jahre lang unter Druck setzt. Ein von Schweden erlassener internationaler Haftbefehl wird erst im November 2019 diskret aus der Welt geschafft, nachdem eine entsprechende Anfrage von Melzer an die schwedische Regierung an die Öffentlichkeit gelangt war. Er war der Grund für Assanges siebenjähriges politisches Asyl in der Botschaft Ecuadors in London, nachdem die britischen Behörden den schwedischen Haftbefehl nicht nur äusserst ernst nahmen sondern im Gegenteil auf Schweden aktiv einwirkten, das Strafverfahren bloß nicht einzustellen. Nach einem Regierungswechsel in Ecuador beendete der von den USA mit finanziellen Hilfen geköderte neue Präsident das Botschaftsasyl und erkannte Assange sogar die zwischenzeitlich erworbene ecuadorianische Staatsangehörigkeit wieder ab. Dieser wurde unmittelbar beim Verlassen der Botschaft im April 2019 von der britischen Polizei festgenommen und – angeblich wegen Verstosses gegen Kautionsauflagen – zu 50 Wochen Haft in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbracht, wo er seither unter strenger Isolation auf seinen Anhörungstermin wartet, der für den 24. Februar vorgesehen ist - zehn Monate nach seiner Festnahme!

Julian Assange scheint inzwischen ein weitgehend gebrochener Mann zu sein. Als Melzer auf Betreiben von Assanges Anwälten sich der Sache annimmt und den Mandanten zusammen mit zwei renommierten Psychiatern in seiner Zelle in London besucht, stellen sie die typischen Symptome psychologischer Folter (sog. "Weiße Folter", ohne physische Gewaltanwendung), Stress- und Angstzustände sowie messbare kognitive und neurologische Schäden fest. Assange selbst kritisiert die Haftbedingungen als Isolationsfolter: nur zwei Besuche pro Monat erlaubt, Telefonbenutzung stark eingeschränkt, kein Zugang zu Internet, einem Computer oder auch nur einer Bücherei. Seine von Anfang an geäusserte, zunächst als Verschwörungstheorie belächelte Vermutung, in den USA sei ein geheimes Strafverfahren gegen ihn eröffnet, und Schweden bzw. Großbritannien werde ihn wahrscheinlich dorthin ausliefern, hat sich zwischenzeitlich bestätigt. Die USA verlangen seit 2017 von GB die Überstellung von Assange wegen gemeinschaftlicher Verschwörung zum Eindringen in Computernetzwerke der Regierung. Unter Trump haben sie die Anklage auf insgesamt 17 Punkte erweitert, u.a. nach dem "Espionage Act" von 1917 (leicht zu erraten, gegen was und wen das gedacht war!), so daß dem Enthüller unangenehmer Wahrheiten jetzt bis zu 175 Jahren Haft drohen (in Worten: hundertfünfundsiebzig)!

Für VN-Sonderberichterstatter Melzer ist der Fall Assange "ein abgekartetes Spiel" mit dem klaren Ziel, Enthüllungsjournalismus zu verhindern. Die angewandte Methode beschreibt er mit erfreulich deutlichen Worten: "Vier demokratische Staaten schliessen sich zusammen, USA, Ecuador, Schweden und Grossbritannien, um mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne daß jemand aufschreit. Der Fall ist ein Riesenskandal und die Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit."
Bereits nach seinem Besuch in der britischen Haftanstalt hat Melzer einen Artikel mit dem Titel "Demasking the Torture of Julien Assange" verfasst und mehreren renommierten Printmedien in den USA, GB und Australien vergeblich angeboten. Assanges Heimatstaat Australien, Teil der nachrichtendienstlich eng vernetzten, anglophonen "Five eyes", hat sich übrigens zu keiner Zeit für seinen in Not geratenen Sohn eingesetzt. Auch in Deutschland fassen zumindest die Großkoalitionäre den Fall Assange (wie bereits früher den Fall Edward Snowden) bestenfalls mit spitzen Fingern an. Der Sonderberichterstatter hatte am 27. November 2019 Gelegenheit, in einer öffentlichen BT-Sitzung darüber zu referieren. Im Auswärtigen Maasmännchen-Amt war ihm dagegen ostentatives (bündnistreues) Desinteresse signalisiert worden: man habe seine Berichte zum Fall Assange nicht gelesen und auch keine Zeit dafür, sich damit zu beschäftigen. So sieht werteorientierte Außenpolitik aus!
Mehr Empathie zeigt Ministervorgänger Sigmar Gabriel, der vor wenigen Tagen zu Protokoll gab, die Rechtsstaatlichkeit des britischen Verfahrens sei aus politischen Gründen nicht gewährleistet. Zusammen mit einigen Aktivisten vorwiegend linker Couleur hat er eine Unterschriften-Aktion mit dem Titel "Julian Assange aus der Haft entlassen" gestartet, die auch bei Konservativen wie dem früheren CSU-MdB Peter Gauweiler Anklang findet, und den auch der Autor dieser Zeilen unterschrieben hat (www.assange-helfen.de).
Nur aktuelle politische Funktionsträger scheinen unüberwindliche Bedenken zu haben, die müssen schließlich brav und "compliant" sein. Nicht auszudenken, wenn WikiLeaks demnächst über "Defender Europe 2020", "Defender Pacific" oder die Nuklearwaffenübung "Steadfast Noon" berichten würde, ganz zu schweigen von Details über Ramstein, alliierte Geheimvorbehalte wie den "Kanzlerbrief" oder die deutsche Souveränität....

https://www.republik.ch/2020/01/31/nils-melzer-spricht-ueber-wikileaks-gruender-julian-assange
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/ärzte-prangern-folter-von-wikileaks-gründer-assange-an/ar-BB106bz2?MSCC=1582033502&ocid=spartandhp

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