Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!
Prof. Dr. Peter Brenner kündigt sein F.A.Z.-Abonnement mit einer fulminanten Gesamtabrechnung mit einer zum Schundblatt degenerierten einstmals großen deutschen Zeitung. Sehr lesenswert machen sein Schreiben ausgesprochen profund recherchierte Informationen seinerseits, mit denen er die F.A.Z.-Propaganda als solche entlarvt, inhaltlich widerlegt und mit letzterem die Rolle übernimmt, die die F.A.Z. schuldig bleibt, für die sie aber ihren Lesern das Geld aus den Taschen zieht. Stattdessen mißbraucht Mit-Herausgeber Berthold Kohler das Forum für billigste Aufwiegelung und Hetze.
Keine klugen Köpfe
„Das war‘s. Warum ich mein F.A.Z.-Abonnement gekündigt habe“
Mi, 21. Oktober 2020
Offener Brief des Germanistik-Professors und enttäuschten Lesers Peter J. Brenner an die
Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen. Zeitung für Deutschland“: Kein Geld mehr für
manipulativen und schlechten Journalismus.
An die Herren Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen. Zeitung für Deutschland Gerald
Braunberger, Jürgen Kaube, Carsten Knop, Berthold Kohler 60267 Frankfurt a.M.
Sehr geehrte Herren Herausgeber,
zum 31. August 2020 habe ich mein Abonnement Ihrer geschätzten Zeitung gekündigt und das letzte Exemplar mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung zur Seite gelegt. Da ich seit knapp fünf Jahren Abonnent und seit über 50 Jahren regelmäßiger Leser der F.A.Z. bin, will ich Ihnen eine Erklärung geben (obwohl ich eigentlich der Ansicht bin, dass Sie mir eine schuldig seien).
Zwar habe ich den Eindruck gewonnen, dass Kritiker der F.A.Z. von Ihrer Redaktion erst einmal als verirrte Seelen wahrgenommen werden, nicht weit entfernt vom „rechten Rand“ und von Aluhutträgern. Das hat eine gewisse Tradition in Ihrem Haus: Peter Hoeres zitiert in seiner Darstellung der F.A.Z.-Geschichte einen Brief Ihres Redakteurs Rolf Michaelis aus dem Jahre 1964: „Was Leute ausserhalb des Hauses über uns denken und sagen, und man wird immer etwas finden, sollte uns nicht kümmern“.
Dieses Selbstverständnis Ihrer Redaktion hat Hans Magnus Enzensberger schon vor sechs Jahrzehnten kommentiert: „Kaum kann sie der rühmenden Worte über ihre eigenen Mitglieder und über ihre eigene Tätigkeit ein Ende finden.“ Das wird heute nicht viel anders sein. In Ihrer Internet-Werbung lese ich passend dazu: „Wer sich intelligent informieren möchte, liest die F.A.Z: gründlich recherchierte Fakten, präzise Analysen, klug geschriebene Kommentare. Eine Zeitung, gemacht von erstklassigen Journalisten für Leser mit höchsten Ansprüchen.“
An diesem Ihren eigenen Maßstab müssen Sie sich messen lassen.
„Gründlich recherchierte Fakten“
Schauen wir uns zunächst die „gründlich recherchierten Fakten“ an. Der Probierstein für jede journalistische Arbeit in Deutschland ist in diesen Jahren die Berichterstattung über die
Flüchtlingskrise und ihre Folgewirkungen. Ein Artikel im Wirtschaftsteil vom 5. Februar 2020 zu diesem Thema war für mich der Anlass, aus einem lange schwelenden Unbehagen die Konsequenz zu ziehen und eine Kündigung des Abonnements in Erwägung zu ziehen.
Der Artikel Ihrer Redakteurin Britta Beeger trug die Überschrift: „Jeder zweite Flüchtling hat Arbeit“. Im Kern bestand er aus der Wiedergabe des „Kurzberichts“ des „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ (IAB) 4 | 2020 vom Tag zuvor. Hier liest man in der Tat: „Fünf Jahre nach dem Zuzug nach Deutschland gingen 49 Prozent der Geflüchteten einer Erwerbstätigkeit nach.“ Die gleiche Nachricht konnte man in fast allen anderen deutschen Qualitätsmedien auch lesen.
Ihre Redakteurin übernimmt die Daten und Bewertungen des Berichts teils wortgetreu, als handele es sich um eine Nachricht vom Berge Sinai. Wir „Leser mit höchsten Ansprüchen“ erfahren aber nicht, dass die Quelle etwas trübe und das Datenfundament recht wacklig ist. Das „Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung“, das die Nachricht in die Welt gesetzt hat, ist eine Forschungseinrichtung der „Bundesagentur für Arbeit“, die wiederum seit 2004 keine Behörde mehr ist, sondern eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Dennoch aber unterliegt sie – warum wohl? – ausgerechnet bei der Arbeitslosenstatistik und Ausländerbeschäftigung dem Weisungsrecht des Bundesarbeitsministeriums. (§ 283 Abs. 2 SGB III) Die mitgeteilten Zahlen zur Beschäftigung von Flüchtlingen beruhen zudem keineswegs auf harten statistischen Daten, sondern auf nicht überprüfbaren Selbstauskünften von „rund 8000 Geflüchteten“.
Dass man Jubelmeldungen aus einer solchen Quelle auf einer solchen Datenbasis nicht einfach ungeprüft weitergibt, als wäre man ein Copyshop, erwarte ich eigentlich von einer Qualitätszeitung. Aber Ihre Redakteurin gibt sie nicht nur weiter, sondern verziert sie mit Girlanden, um sie glaubwürdiger zu machen.
„Fünf Jahre nach dem großen Zuzug“ sei man weit gekommen, versichert der Untertitel. Der „große Zuzug“ hat, nach allgemeinem Verständnis unbedarfter F.A.Z.-Leser, 2015 begonnen. Die Daten für den 2020 veröffentlichten IAB-Kurzbericht wurden aber 2018 erhoben, und sie beziehen sich auf Flüchtlinge der Ankunftsjahrgänge 2013-2016. Wenn das IAB also zu der Feststellung kommt, dass 49 Prozent der seit 2013 gekommenen Flüchtlinge nach fünf Jahren „Arbeit gefunden“ haben, dann kann sich diese Zahl nur auf die in eben diesem Jahr 2013 gekommenen Flüchtlinge beziehen: 2018 – 5 = 2013.
So ist es auch. Tatsächlich waren nach diesen Zahlen des IAB nicht „die Hälfte“, sondern nur 35 Prozent der von 2013 bis 2016 gekommenen Flüchtlinge im zweiten Halbjahr 2018 erwerbstätig. Wer den windschiefen Zahlen des IAB und ihrer getreuen Kopie in der F.A.Z. nicht recht trauen mag, erhält im daneben stehenden Kommentar derselben Autorin noch einmal eine „präzise Analyse“ der „gründlich recherchierten Fakten“: „Wer hätte das gedacht: Fünf Jahre nach der Ankunft in Deutschland hat gut die Hälfte der Flüchtlinge Arbeit gefunden.“ In der Tat: Wer hätte das gedacht, dass 49 Prozent „gut die Hälfte“ sind. Überall außerhalb der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion würde man 49 Prozent als „knapp die Hälfte“ beschreiben. Aber wir haben schon verstanden: Alles gut – wenn wir noch einmal fünf Jahre warten, dann haben „gut 100 Prozent “ der Flüchtlinge Arbeit gefunden.
Hinter der Nebelwand dieses Jubelgeschwurbels bleiben die unangenehmen Tatsachen verborgen. Denn auch die 35 Prozent des IAB sind geschönt. Die echten Zahlen erhält man, wenn man die – leicht zugänglichen – Daten des „Statistischen Bundesamtes“ über sozialversicherungspflichtig beschäftigte Flüchtlinge in Relation setzt zu den allmonatlich veröffentlichten Daten der „Bundesagentur für Arbeit“ über die Zahl jener Flüchtlinge, die Grundsicherung nach Hartz IV oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Das Ergebnis ist ernüchternd und weit entfernt von dem, was Ihre Redakteurin uns mitgeteilt hat: Nur rund 20 Prozent der Flüchtlinge gehen einer sozialversicherungs-pflichtigen Tätigkeit nach. Umgekehrt: Rund 80 Prozent der Asylbewerber beziehen staatliche Transferleistungen. Das sind die Zahlen, die mich als „Leser mit höchsten Ansprüchen“ und als Steuerzahler interessieren. Aus Ihrer Zeitung erfahre ich sie nicht.
Wenn Ihre Autorin also von einer Beschäftigungsquote von 50 Prozent fabuliert, zielt das sehr weit an der Asylwirklichkeit vorbei und erlaubt nebenbei die Frage, was es an einer Arbeitslosenquote von 50 Prozent in einer Bevölkerungsgruppe zu bejubeln gibt. Außerhalb der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion würde man das eher als ein volkswirtschaftliches Desaster verbuchen.
Wenige Monate später, am 6. August 2020, klagt die gleiche Autorin, wiederum im Wirtschaftsteil, darüber, dass die Corona-Krise arbeitswillige Flüchtlinge besonders hart trifft. Dafür fälscht sie zunächst einmal ihren eigenen Bericht vom Februar um: Jetzt heißt es: „Etwa die Hälfte der seit dem Jahr 2015 nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge hat bisher Arbeit gefunden“ – aber wie gezeigt, bezog sich diese ohnehin höchst anfechtbare „Hälfte“ ausschließlich auf das Jahr 2013 und keineswegs auf die Krisenjahre seit 2015.
Sodann beklagt sie das Schicksal der beiden Flüchtlinge Bilisuma – oder auch „Biliy“ – Duguma und Mujtaba Hamidi, die es wegen Corona doppelt schwer hätten, Arbeit zu finden. Aber wenn die seit sieben Jahren in Deutschland lebende äthiopische Friseurgehilfin Bilisuma Duguma nicht in ihrem Ausbildungsbetrieb bleiben will – „sie fühlte sich von ihrer Chefin nicht unterstützt“ –, und sie trotz Hauptschulabschluss offensichtlich immer noch „fehlende Sprachkenntnisse“ hat, dann hat das mit Corona nichts zu tun. Und mit Corona hat es ebenfalls nichts zu tun, wenn ein muslimischer Flüchtling nach der Probezeit in der Getränkeabteilung eines Supermarktes nicht weiterbeschäftigt wird. Dabei hatte er sich doch freundlicherweise bereit erklärt, trotz Ramadan-bedingten täglichen Fastens seiner Arbeit nachzugehen und sogar schwere Kisten zu heben. Dass ein Arbeitgeber kein besonderes Interesse daran hat, sich auf die Untiefen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Thema Arbeitspflicht (§ 611 Abs. 1 BGB) vs. Religionsfreiheit (Art. 4 GG) in Fragen des Ramadan oder des Verkaufs von Alkohol einzulassen, wäre vielleicht einer einlässlicheren Erörterung durch eine „erstklassige Journalistin“ wert gewesen.
In meiner letzten F.A.Z.-Ausgabe vom 31. August 2020 finde ich zum fünften Jahrestag der
Grenzöffnung prominent platziert auf S. 3 lupenreinen Relotius-Kitsch: Unter dem Titel „Er schafft das“ berichtet Reiner Burger über den afghanischen Flüchtling Nesar Ahmad Aliyar, der 2015 als 13-jähriger nach Deutschland gekommen sei und an einem katholischen Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen sein Abitur „mit Bestnote“ gemacht habe.
Ich zweifle nicht daran, dass es diesen Flüchtling wirklich gibt und dass sein Bildungsverlauf ungefähr so gewesen ist, wie Sie es berichten. Man kann die Geschichte aber auch anders lesen. Wer genau hinschaut, findet in der Fluchtgeschichte dieses Abiturienten erst einmal einen klassischen Fall von illegaler Kettenmigration und Asylmissbrauch. Der Flüchtling selbst wie auch Ihr Autor geben sich gar nicht erst die Mühe, einen der Asylgründe nach Art. 16a des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu simulieren. Der Asylantrag des Flüchtlings wurde 2017 abgelehnt, genauso wie zuvor der seines Vaters. Der war vier Jahre vor dem Sohn nach Deutschland gekommen und hat bis heute kein Beschäftigungsverhältnis gefunden.
Einem „erstklassigen Journalisten“ wären hier ein paar Fragen eingefallen: Wie ist es möglich, dass ein 15-jähriger afghanischer Flüchtling nach Ablehnung seines offensichtlich unberechtigten Asylantrags gegen den deutschen Staat klagt und ein Abschiebeverbot sowie eine befristete Aufenthaltserlaubnis erwirken kann? Wer hat ihn unterstützt, wer kommt für die Kosten auf? Und weder dem Journalisten noch dem Abiturienten kommt es in den Sinn, dass dieser nach Absolvierung seines medizinischen Wunschstudiums wieder nach Afghanistan zurückkehren könnte, wo Ärzte sicher noch dringender gebraucht werden als in Deutschland. Nur zu Besuch würde er gerne noch einmal nach Afghanistan reisen.
Man kann dem jungen Mann ja seinen Ausbildungserfolg gönnen, und er wird sicher nicht mehr nach Afghanistan zurück müssen, genau so wenig wie die anderen rund 252 000 ausreisepflichtigen Flüchtlinge mit und ohne Duldung, die sich zur Zeit in Deutschland aufhalten.
Ein paar Zahlen dieser Art hätten dem Artikel gut getan und uns „Lesern mit höchsten Ansprüchen“ die Einordnung erleichtert: Wie repräsentativ ist der Musterabiturient im Gesamtzusammenhang der Asylmigration? Wie sieht es mit den Schulabschlüssen von Flüchtlingen dieser Alterskohorte aus? Wie sind die Erfolgs- und die Abbruchquoten bei Deutschkursen? Diese Fragen werden gar nicht erst gestellt, geschweige denn beantwortet. Stattdessen wird ein Sachbearbeiter der „Düsseldorfer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ in Misskredit gebracht, der mit seinem Desinteresse an Aliyars kometenhaftem Bildungsaufstieg den Flüchtling „verletzt“ und „eingeschüchtert“ habe.
Wahrscheinlich hat der Mann nur versucht, die letzten Reste von Rechtstaatlichkeit, die in den
Asylverfahren erhalten geblieben sind, zur Geltung zu bringen – gefragt hat ihn Ihr Reporter
offensichtlich nicht, bevor er ehrenrührige Aussagen über ihn in Umlauf brachte.
Und schließlich begegnen wir in diesem Artikel zum dritten Mal Ihrer Falschmeldung vom Februar über die Arbeitsmarktsituation von Flüchtlingen: Der Mustermigrant hat „gerade in der Zeitung gelesen, dass schon rund 50 Prozent Arbeit haben“ und Ihr Redakteur bekräftigt diese Behauptung auch noch ausdrücklich.
Kurz: Statt der versprochenen „präzisen Analyse“ bekomme ich wiederum regierungsfromme
Asylpropaganda zu lesen. Was soll ich, als „Leser mit höchsten Ansprüchen“, damit anfangen? 2016 habe ich die Abonnements der Relotius-Blätter aus Hamburg und München gekündigt und mich Ihrer Zeitung zugewandt. Damals waren Sie das einzige Qualitätsmedium, das einigermaßen verlässlich und realitätsgerecht über die Flüchtlingssituation berichtete, die ich alltäglich am Münchener Hauptbahnhof mit eigenen Augen beobachten konnte. Das ist lange her.
Wenn ich mir das alles im Zusammenhang betrachte, kommt mir der Befund aus Günther Anders„ früher und immer noch lesenswerter Medientheorie in den Sinn: „Wo sich die Lüge wahrlügt, ist ausdrückliche Lüge überflüssig.“ Die vielen halben Wahrheiten in Ihrer Zeitung summieren sich am Ende doch zu einer ganzen Lüge.
„Klug geschriebene Kommentare“
So viel zum Thema: „gründlich recherchierte Fakten“. Nun zu den „klug geschriebenen
Kommentaren“, die Ihre Werbung uns verspricht. In der Ausgabe vom 22. Februar 2020 finde ich den Kommentar „Blut geleckt“ Ihres Herausgebers Berthold Kohler, vorbereitet am Tag zuvor von dem Kommentar „Aus der Hölle des Hasses“ des gleichen Autors und dem Artikel „Einzigartiges Experiment“ des Herausgebers Jürgen Kaube. In diesen Texten wird ohne die Spur eines Belegs ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt zwischen der AfD und den Morden von Hanau. Damit hat die F.A.Z. ihren Teil beigetragen zum Thema „Hass und Hetze“. Ich will darauf gar nicht weiter eingehen; etliche Leser haben sich in Leserbriefen am 27. Februar 2020 dazu geäußert. Fast könnte man den Eindruck haben, dass Ihre beiden Herausgeber mit diesen zügellosen Kommentaren vergessen machen wollen, dass Ihre Zeitung bis 2015 den Aufstieg der AfD wohlwollend begleitet hat und dass mit Alexander Gauland und Konrad Adam zwei Mitbegründer der AfD einmal auf der Gehaltsliste der F.A.Z.-Gruppe gestanden haben.
Es gibt gute Gründe, die AfD, ihre Programmatik, ihren Politikstil und ihr Personal nicht sympathisch zu finden. Trotzdem erwarte ich eine seriöse Berichterstattung auch über diese Partei. Aber ich kann mir schlecht vorstellen, dass Alexander Gauland noch einmal die Gelegenheit erhält, wie am 6. Oktober 2018 als „Fremde Feder“ einen F.A.Z.-Beitrag zu schreiben. Und nachdem ich am 24. Januar 2020 darüber belehrt wurde, dass Thilo Sarrazin ein „Wegbereiter der AfD “ ist – aber waren das nicht eher Sie von der F.A.Z.? – werden von ihm wohl auch keine Interviews oder Beiträge in Ihrer Zeitung mehr zu lesen sein. Aber zur Information und Meinungsbildung Ihrer „Leser mit höchsten Ansprüchen“ trugen solche Beiträge aus fremden Federn mehr bei als alle blutrünstigen Kommentare
Ihrer Herausgeber.
Zum Thema „Hass und Hetze“ hat die F.A.Z. inzwischen noch einiges mehr beizutragen, mal eher plump, mal eher subtil. Am 29. April 2020 lese ich in einem Feuilleton-Gastbeitrag des
österreichischen Regisseurs und Schriftstellers David Schalko im Feuilleton – Gott weiß, warum ausgerechnet er hier zu Wort kommt –, wieder mal so ganz nebenbei: „Tatsache ist, dass Vorschriftshörigkeit, Denunziation, Mauscheln und Konfliktscheu zur österreichischen Mentalität gehören wie der Kartoffelsalat zum Schnitzel.“ So sehen also die „Tatsachen“ aus, die ein F.A.Z.- Herausgeber unbeanstandet ins Blatt rücken lässt – ganz abgesehen vom antisemitischen Zungenschlag des Wortes „Mauscheln“.
In die gleiche Kategorie von „Hass und Hetze“ gehört der etwas subtilere Gastbeitrag von Sibel Leyla im Feuilleton vom 27. Juli 2020, von der Redaktion mit dem „neues deutschland“-Titel versehen:
„Rassismus ist keine Ideologie, sondern eine Krankheit“. Es ist eine sehr heikle redaktionelle
Entscheidung, die Mutter eines 2016 beim Attentat im Münchener Olympia-Einkaufszentrum
ermordeten Teenagers mit Migrationshintergrund zu Wort kommen und unbelegte Rassismusvorwürfe gegen deutsche Ermittlungsbehörden erheben und Verschwörungen andeuten zu lassen. Für die Ermittlungsbehörden wird die Sache nicht leichter dadurch, dass nicht nur sieben der neun Opfer, sondern auch der Täter einen Flüchtlings- und Migrationshintergrund hatte (was aber in dem Beitrag unerwähnt bleibt). Die Mutter kann ich verstehen, die Redaktion nicht. Qualitätsjournalismus sieht anders aus.
Und so geht es weiter, Tag für Tag. Es gibt kein Entrinnen. Wer Erholung sucht vom alltäglichen Einerlei des Politik- und Wirtschaftsressorts und den Sportteil aufschlägt, kommt vom Regen in die Traufe. Wenn nicht gerade die Diskriminierung des deutschen Fußballspielers Özil (4. Juli 2020) oder die Vorurteile gegen einen türkischen Fußballverein in München beklagt werden (13. Juli 2020), dann erfahren wir, wie Sportler „Auf Knien Rückgrat zeigen“ (3. Juni 2020) – liest eigentlich im Sportteil niemand Korrektur? –, wir werden belehrt, dass der kniebeugende Colin Kaepernick „Großes angestoßen“ hat (20. Juni 2020), dass Dirk Nowitzki angesichts des amerikanischen Rassismus „um Worte ringt“ (4. Juni 2020) und dass schließlich auch in Deutschland arbeitende Fußballprofis wie Anthony Ujah (ein Angestellter des Fußballvereins „FC Union Berlin“) „gegen Rassismus“ sind. Gut zu wissen.
Hochbezahlte Marketingprofis – Kaepernick wurde nach seiner Kniebeuge gleich als
Werbebotschafter für Nike verpflichtet –, die ihren kostenlosen antirassistischen Mut zur Schau stellen, werden in der F.A.Z. umjubelt, als hätten sie gerade Hitler zum zweiten Mal besiegt. Nach den „präzisen Analysen“ sucht man vergebens – nichts erfährt man über die Hintergründe dieser Inszenierungen und darüber, welche Götzen hier kniefällig angebetet werden.
Ich kann mir die Mühe sparen, meine Einschätzung zu formulieren, und zitiere statt dessen erneut Hans Magnus Enzensberger, der vor knapp 60 Jahren zu einem ähnlichen Urteil über Ihre Zeitung gekommen ist: „Alle diese Manipulationen haben etwas Kleinliches, so sehr, daß man zögert, den von der Redaktion selber vorgeschlagenen Ausdruck ‚Unterschlagungen„ auf sie anzuwenden. Immerhin ist zu bedenken, daß sich ihre Wirkung auf die Dauer wohl summiert, und daß das gezielte Informations-Defizit, das auf solche Weise entsteht, ansehnliche Summen erreichen kann.“
Ihre Akzentsetzungen in der Nachrichtenauswahl, Ihre Gewichtungen und insbesondere Ihre
Kommentare sind vorhersehbar wie der Gang der Gestirne. Man muss lange suchen, bis man ein kritisches Wort über die Bundeskanzlerin findet. Einen Artikel wie den von Wolfgang Streeck über Angela Merkels „befremdlichen Regierungsstil“ vom 3. Mai 2016, dem sich im November 2017 einer über die Folgelasten der Merkel-Regierungen anschloss, werden wir so schnell wohl nicht wieder zu lesen bekommen – ich ohnehin nicht –, obwohl wir ihn heute nötiger hätten denn je. „Europa“ ist sakrosankt, womit in der F.A.Z. immer nur die „Europäische Union“ gemeint ist. Selbst wenn, wie am 30. Juli 2020, ein Feuilleton-Aufmacher mal die vielversprechende Überschrift „Es geht ums europäische Ganze“ trägt, werden die 20 europäischen Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, ignoriert. Die Feindbilder stehen umgekehrt genauso unverrückbar fest: Hier rangiert neben der AfD und allem, was rechts ist, Donald Trump an erster Stelle, nachdem die Bundeskanzlerin und ihr damaliger Außenminister die Tonlage vorgegeben haben.
„Präzise Analysen“
In der Ausgabe vom 7. Juli 2020 lese ich unter der Überschrift „Wir Gesinnungsgenossen“ einen Beitrag des Wirtschaftsredakteurs Philipp Krohn, der sich ins Feuilleton verirrt hat. In dem Beitrag werden „wir“ – hier handelt sich um das „wir“ der Bundeskanzlerin, mit dem immer die anderen gemeint sind – anlässlich der Corona-Krise streng ermahnt, dem „eigenen Lagerdenken“ abzuschwören und mehr „Offenheit“ an den Tag zu legen. Zwei Absätze vorher heißt es, in der „New York Times“ habe der republikanische Senator Tom Cotton „dafür plädiert, Demonstrationen gegen Rassismus durch das Militär auflösen zu lassen.“ Das ist eine glatte Lüge, die einfach mal so nebenbei und ohne erkennbaren Zusammenhang in den Text eingestreut wird. Der „New York Times“-Artikel ist im Internet leicht für jeden, auch für F.A.Z.-Redakteure, zugänglich, ebenso wie die nachträgliche, unbedingt lesenswerte Erklärung der Chefredaktion dazu. Von der Auflösung antirassistischer Demonstrationen durch Militär ist in dem Meinungsbeitrag des Senators nicht die Rede, das ist eine freie Erfindung Ihres Autors. Wohl aber spricht der Senator von gewalttätigen Ausschreitungen und Plünderungen: „Bands of looters roved the streets, smashing and emptying hundreds of businesses“. Dagegen dürfe man, so erklärte der Senator, nach geltendem Recht in den USA Militär einsetzen. Dabei unterscheidet er sorgfältig zwischen Plünderern und „peaceful, law-abiding protesters”, so wie es Donald Trumps auch getan hat. Diese Unterscheidung ist der F.A.Z. offenbar abhandengekommen.
Überhaupt: Trump. Jeder durchschnittlich intelligente Leser kann sich denken, dass das rabenschwarze Bild, das Ihre Korrespondenten und Kommentatoren, allen voran Klaus-Dieter Frankenberger, Tag für Tag im Gleichschritt mit dem Rest der Qualitätspresse vom amerikanischen Präsidenten zeichnen, so nicht stimmen kann.
Vielleicht sollten Sie Ihren Blick auf die USA über die Lektüre der „New York Times“ hinaus
erweitern. Dann würden Sie sehen, dass auch zwischen den Kosmopoliten-Hochburgen der Ost- und der Westküste Menschen leben; Industriearbeiter, Farmer, eine Mittel- und Unterschicht, die ebenso legitime Interessen und Wählerstimmen hat und über die ich als Leser der F.A.Z. gerne etwas erfahren würde. Und vielleicht wird man in der F.A.Z. einmal einsehen müssen, dass Trump mehr für den Weltfrieden, speziell im Nahen Osten, getan hat, als sein von den deutschen Medien umjubelter friedensnobelpreisgekrönter Vorgänger im Amt, der in Syrien, Libyen und im Jemen neue Kriegsschauplätze für die USA eröffnet hatte. Aber ganz gleich, wie die US-Präsidentschaftswahlen demnächst ausgehen werden – ich darf Sie versichern, dass die F.A.Z. keinen Einfluss darauf genommen haben wird. (Sie könnten übrigens bei Hoeres einmal nachlesen, wie die F.A.Z. über Ronald Reagan berichtet hat und wie das ausgegangen ist.)
Und wenn es nicht Trump ist, dann ist es Orbán, und wenn es nicht Orbán ist, dann sind es die Polen.
Wochen- und monatelang haben Ihre Politikredakteure sich stirnrunzelnd um die „Rechtsstaatlichkeit“ angesichts der polnischen Justizreform gesorgt. Was es mit dieser Reform genau auf sich hat, weiß ich nicht. Ich bin auf die Berichterstattung deutscher Qualitätsmedien angewiesen, deren Einhelligkeit mich misstrauisch macht. Dass aber die gleichen Fragen, welche die F.A.Z. sehr kritisch, vielleicht zu Recht, vielleicht zu Unrecht, an die Unabhängigkeit der Justiz in Polen stellt, auch an die deutschen Justizpraktiken gestellt werden könnten, kommt Ihnen selbst dann nicht in den Sinn, wenn Sie am 2. Juli 2020 in aller Arglosigkeit und völlig zutreffend titeln: „SPD einigt sich auf neue Verfassungsrichterin“. Was sagt es denn über die Unabhängigkeit der deutschen Justiz aus, wenn seit Jahrzehnten Verfassungsrichter von Regierungsparteien vorab ausgehandelt und anschließend von den eigentlich zuständigen Wahlgremien und Verfassungsorganen widerstandslos ernannt werden?
Zum Schluss noch einmal Enzensberger: „wer keine Lust hat, sich Tag für Tag durch einen grauen Berg von Zweideutigkeiten und Suggestion zu lückenhaften Informationen durchzubeißen; und keine Lust, sich bevormunden zu lassen“, der tut gut daran, sein Abonnement der F.A.Z. zu kündigen und sich andere Informationsquellen zu suchen. Jedenfalls komme ich nach einer nüchternen Bestandsaufnahme zu dem Schluss, dass Ihre Zeitung die 799 Euro nicht wert ist, die ich alljährlich dafür zahlen soll.
„Erstklassige Journalisten“
Gewiss werde ich einiges vermissen. Auch an der F.A.Z. ist nicht alles schlecht. Die großen,
ganzseitigen und meist von externen Autoren verfassten Aufsätze der Seiten „Gegenwart“, „Die Ordnung der Wirtschaft“, „Menschen und Wirtschaft“, „Die Lounge“, „Staat und Recht“, „Ereignisse und Gestalten“ sind fast immer ein Gewinn, ebenso wie die kritischen Berichte aus dem Universitäts-und Geistesleben in der wöchentlichen Beilage „Natur und Wissenschaft“. Dafür kann man auch mal die ganz und gar nicht kritischen, dafür obsessiv-apokalyptischen Klimawandelszenarien und Greta-Elogen des verantwortlichen Redakteurs in Kauf nehmen, zumal ihnen in „Technik und Motor“ gelegentlich unauffällig widersprochen wird. Auch die Medienseite löckt gerne wider den Stachel der Konsensseligkeit. Alles in allem gesehen, steht die F.A.Z. bei den kritischen Themen der deutschen Diskurslage immer noch besser da als die anderen deutschen Qualitätsmedien.
Aber das reicht nicht. Einäugig unter Blinden zu sein, ist am Ende doch zu wenig. Von einer Redaktion, die immer noch über 350 Mitglieder umfasst, „erstklassige Journalisten“, wie Ihre
Werbung versichert, darf man mehr erwarten. Allerdings habe ich den Eindruck, dass sich einige Ihrer Redakteure mehr um ihre Twitter-Mitteilungen, ihre Buchpublikationen, ihre Moderationen und Vorträge kümmern als um ihre Redaktionsgeschäfte.
Wir haben alle einmal geglaubt, dass eine unabhängige und seriöse Qualitätspresse mit gut
ausgebildeten und vorurteilsfreien Journalisten eine der Säulen unserer westlichen Demokratie sei. Vielleicht ist das auch so, aber ich zweifle zusehends, ob es diese Art von Presse noch gibt – wenn es sie überhaupt je gegeben hat und das Ganze nicht nur eine schöne Illusion war. Das Wächteramt als „vierte Instanz“, das die Presse sich angedichtet und angemaßt hat, nehmen Sie jedenfalls nicht wahr.
Am Ende sitzt man doch lieber im Regierungsflugzeug als am Katzentisch der Bundespressekonferenz. Die Herren Journalisten Juan Moreno und Birk Meinhardt haben uns in letzter Zeit einige amüsante Einblicke in das Innenleben der deutschen Qualitätspresse verschafft, wobei es immer einen besonderen Unterhaltungswert hat, wenn Journalisten Journalisten als Journalisten beschimpfen.
Da ich über 40 Jahre lang im Hochschuldienst tätig wäre, verkenne ich die zunehmende Schwierigkeit nicht, qualifizierten Journalistennachwuchs zu finden, der die deutsche Sprache sicher beherrscht, über den Bildungshintergrund und den Wissenshorizont und nicht zuletzt auch über das Ethos der Unbestechlichkeit durch den Zeitgeist verfügt, das man bei Qualitätsjournalisten voraussetzen muss, bevor sie ihre erste Zeile veröffentlichen. Wie man hört, bezieht die F.A.Z. inzwischen ihren Nachwuchs auch, was lange Zeit aus gutem Grund verpönt war, aus Journalistenschulen oder bei der taz. Das würde einiges erklären und die verbliebenen Leser werden wohl nicht mehr lange auf die ersten Gendersternchen in der F.A.Z. warten müssen.
Ich habe lange darüber gerätselt, warum das alles so gekommen ist. Wahrscheinlich ist die einfachste Erklärung die zutreffende. Bei Journalisten wird es nicht anders sein als im richtigen Leben: Mit den Wölfen zu heulen wird eher prämiert, als aus der Reihe zu tanzen. Es trifft wohl zu, was in den letzten Jahren immer wieder festgestellt und auch von Peter Hoeres bekräftigt wurde: Journalisten schreiben heute in erster Linie für ihresgleichen. Sie suchen die Anerkennung in ihrem eigenen Milieu, was in der wechselseitigen Verleihung von Journalistenpreisen seinen Höhepunkt findet. Dem „Portal für preisgekrönten Journalismus“ – das gibt es tatsächlich, und zwar offenkundig ohne jede satirische Absicht – entnehme ich, dass es in der Bundesrepublik 548 Journalistenpreise und 17 253 Preisträger gibt. Wenn mehr als ein Preis pro Tag verliehen wird, kommt sicher jeder mal dran, der nicht allzu sehr aneckt.
Da will ich als Leser und Abonnent nicht weiter stören.
Mit freundlichem Gruß und allen guten Wünschen für die Zukunft Ihres Blattes
Ihr
Peter J. Brenner
Prof. Dr. Peter J. Brenner
Univ.-Prof. Dr. Peter J. Brenner (*1953) studierte Philosophie, Germanistik,
Erziehungswissenschaft und Komparatistik an der Universität Bonn. Nach der Promotion in
Bonn 1979 war er wissenschaftlicher Assistent, nach der Habilitation Privatdozent an der
Universität Regensburg und Heisenberg-Stipendiat an der Universität Bayreuth. Von 1991
bis 2009 war er Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. 2009
wechselte er an die Technische Universität München, zunächst als Gründungsgeschäftsführer
der TUM School of Education; anschließend war er Akademischer Direktor an der Carl von
Linde-Akademie der TUM. An der University of North Carolina at Chapel Hill und der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hat er Gastprofessuren wahrgenommen.