Es darf nicht nur einen geben, der die Marschrichtung bestimmt!

in deutsch •  5 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Unser Freund Erasmus Konsul hat die Problematik des Wettrüstens und des Fehlens einer eigenständigen deutschen Außenpolitik zum Anlaß einer hervorragenden Analyse genommen.

Jedem politischen Handeln muß die Definition der eigenen Interessen und Ziele vorangehen. Erst danach kann entschieden werden, auf welchen Wegen, mit welchen Mitteln und ggf. mit welchen Allianzpartnern diese verfolgt werden. Die militärische Option stellt eines der Instrumentarien dar und steht im Dienste der vorgegebenen politischen Interessen.
An einer autonomen deutschen Außenpolitik fehlt es ganz offensichtlich. Die ferngesteuerten Akteure in Deutschland setzen lediglich die ihnen von außen vorgegebenen Befehle um. Ob das früher einmal anders war, oder nur anders wirkte, ist eine Frage, der es noch nachzugehen gilt. Hier liegt vieles unaufgearbeitet im Dunkeln, nicht zuletzt, weil das Ergebnis so einige Überraschungen bereithalten könnte, die offenzulegen den aktuellen Machthabern und ihren Auftraggebern nicht opportun erscheint. Es sollte jedoch in Betracht gezogen werden, daß der früher größer erscheinende Handlungsspielraum Deutschlands möglicherweise entweder nur auf einer guten Täuschung, oder darauf beruhte, daß darüber anderenorts so entschieden worden war.

Wettrüsten in Zeiten ideologischer Verhärtung,
oder der Versuch einer Annäherung an seine Ursachen und die Abwesenheit deutscher Außenpolitik!

von Erasmus Konsul

Ein Artikel von Oliver Thränert, Leiter des Center for Security Studies an der ETH in Zürich, zu den Folgen der Kündigung des INF-Vertrages (Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen bzw. deren Abrüstung) macht wieder einmal deutlich, wie Positionen und die Ideologie der westlichen, atlantischen Moderne vertreten werden, ohne sie im Zusammenhang darzustellen. Zwar beinhaltet der Artikel ansatzweise eine Art Bedrohungsanalyse - mehr ist es definitiv nicht, die sich allerdings deutsche Regierungsmitglieder bei ihrer Unterstützung des „Zwei-Prozentziels“ für Verteidigungsausgaben (Anteil am BIP) teilweise gar nicht mehr leisten. Der Autor verharrt dann aber in der Aussage, angesichts der Kündigung des INF-Vertrages und der „Bedrohung“ sei keine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa notwendig. Dies begründet er militärstrategisch: Eigentlicher Grund dafür scheint aber der Hinweis auf mögliche Spaltungstendenzen durch eine solche Stationierung zwischen Deutschland einerseits und osteuropäischen NATO-Mitgliedern andererseits. Ein Eingehen auf einen umfassenderen rüstungskontrollpolitischen Ansatz oder die Interessen der „anderen Seite“, also Russlands und möglicherweise auch Chinas erfolgt nicht.

Die Einseitigkeit beginnt bereits mit der unhinterfragten Feststellung, Russland habe den Vertrag verletzt, indem es ein bestimmtes Raketensystem stationiert habe. Die russischen Vorwürfe etwa in Zusammenhang mit der Stationierung von US-Luftabwehrraketen in osteuropäischen Nachbarländern Russlands, wie die Perzeption solcher Vorgangsweisen im Gefolge der NATO-Erweiterung als antirussisches “Glacis” wird nicht erörtert. Dies fällt umso mehr auf, als Thränert sich in einer auf der Homepage des Centers publizierten Abhandlung für einen neuen Anlauf in Rüstungskontrolle einsetzt und dort beispielsweise postuliert, es sei “...Kern der Rüstungskontrolle .., dass die Sicherheitsinteressen der Gegenseite mitgedacht werden müssen”! Einleitendes Hauptargument gegen eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen sind dann aber mögliche Spannungen zwischen den potentiellen Stationierungsländern, vor allem Widerstände in Deutschland, was den Verdacht aufkommen lässt, man würde ja gern, aber...

Immerhin dann die Feststellung, Russland sei nicht die “Sowjetunion” und könne Europa nicht mehr mit einer umfassenden Militäroperation drohen. Doch weiter heißt es: Es gehe hauptsächlich um Russland als “regionale Herausforderung für die Flanken der NATO, etwa das Baltikum”. Warum Russland eine solche Herausforderung sein soll, wird aber gänzlich verschwiegen. Gibt es irgendeine Äußerung offizieller russischer Stellen, die eine Invasion des Baltikums wahrscheinlich machen. Stattdessen fabuliert der Autor, im Westen “Im Westen (werde) von vielen (also wer? Anmerkung des Verfassers) befürchtet, Moskau könnte das Baltikum in einem fait accompli besetzen”. Welchen russischen Interessen sollte eine solche Invasion denn entsprechen, die ja nahezu zwangsläufig selbst im “Erfolgsfalle” einen Zusammenbruch der gesamten Wirtschaftsbeziehungen mit Europa nach sich zöge. Wie würde sich eine solche Politik mit den Sicherheitsinteressen Russlands im Fernen Osten oder an seiner Südflanke vereinbaren? Oder mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines wenig bevölkerten und unter traditioneller Infrastrukturschwäche leidenden Vielvölkerstaates? Oder geht es Thränert vielmehr darum, hier das notwendige Bedrohungsszenario für die Begründung des NATO-Glacis aufzubauen?

Und die Balten müssen sich bei allem Verständnis für ihre Vergangenheit fragen lassen, warum sie sich als kleine Nachbarn eines großen Landes in Verein mit einem weit jenseits des Atlantik liegenden Hauptverbündeten aus russischer Perzeption so positionieren wollen, als ob sie an Beziehungen mit dem großen Nachbarn nur dann interessiert sind, wenn dieser maximal schwach oder gar zerschlagen ist. Warum positioniert sich das Baltikum nicht in seiner natürlichen geographischen Lage gemäß, als vor allem wirtschaftspolitischer Mittler zwischen Russland und den weiter westlich gelegenen Staaten?

Hier werden unseriöse Bedrohungsanalysen mit strategischen Interessen der USA an einem Glacis und einem Heraushalten Russlands aus Europa zu einem ideologischen Amalgam vermischt. Folglich bleibt es dann in den weiteren Erörterungen bei militärstrategischen “Ersatzlösungen” für eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und der Forderung nach Bündnissolidarität, bzw. -zusammenhalt!

Eine solche Haltung kann nicht Voraussetzung echter Rüstungskontrolle sein. Sie ist letztlich Ausfluss einer Überzeugung, die “den Westen” im Besitz der “Wahrheit” sieht. Rüstungskontrolle setzt eine differenziertes Eingehen auf die Interessen der jeweils anderen Seite voraus, die nicht primär auf dem “Rechthaben” einer Seite fußt oder dem Reden aus einer “Position der Stärke”, wie eine vor kurzem noch mit der Verwaltung deutscher Politik befasste Politikerin schwadronierte, der die diffizilen damit verbundenen historischen Bezüge intellektuell nicht bewusst zu sein scheinen. Dann kann es eben nicht nur die “Vergangenheit” der Balten geben, sondern auch Russland hat eine solche! Da spannt sich dann der Bogen wieder zurück zur Ideologie: Wenn der Westen sich im Besitz eines wahrheitlichen Systems glaubt, das er missionarisch auf der ganzen Welt durchsetzen muss und will, werden die Geschichte von Völkern ebenso wie deren Kultur und Mentalität irrelevant, man muss sich nicht mehr wirklich, höchstens taktisch, mit ihnen befassen. Es geht nur noch um die Durchsetzung der eigenen Ideologie, die - weil final - letztlich keiner Geschichte mehr bedarf. Westliche Ideologie macht uns deshalb zunehmend politikunfähig, da sie - der Wahrheit verpflichtet - keine Kompromisse eingehen darf, die ja bekanntlich das Wesen von Politik sind!

Deshalb auch hat Rüstungskontrolle einen solch schweren Stand in der Politik. Das bereits begonnene internationale Wettrüsten, die Kündigung von so wichtigen Abrüstungsverträgen wie dem über die Mittelstreckenraketen wird öffentlich von den Parteien kaum thematisiert und folglich nicht wahrgenommen. Der ehemalige außenpolitische Berater von Bundeskanzler Kohl hat darauf in einer kürzlichen Diskussionsveranstaltung zurecht hingewiesen. Derweil werden neue Nuklearwaffen entwickelt, die mit ihren kürzeren Reichweiten und geringerer Zerstörungskraft atomare Kriegsführung wieder “möglich” erscheinen lassen. Aber - und auch darauf hat Teltschik hingewiesen - Rüstungskontrolle benötigt Vertrauen und Eingehen auf die Interessen des Partners. Und das ist eben nicht möglich, wenn man ihn als “Regime” diskreditiert und Existenzberechtigung maximal noch bis zum “Endsieg” der eigenen Ideologie zuspricht. Und last not least: Rüstungskontrolle benötigt auch Formulierung eigener Interessen sowie Schaffung und Nutzung eigener Handlungsspielräume. Der Vergleich mit den Zeiten der Entspannungspolitik und dem Agieren deutscher Politik beim Zustandekommen der deutschen Einheit zeigt, wohin wir damit gekommen sind. Deutsche Außenpolitik ist kaum noch erkennbar! Wir ersetzen sie lieber durch Spielen mit Greta auf dem Klimaponyhof! Vielleicht gehört sich das auch für Vasallen? Jedenfalls erleichtert es deren Kontrolle!

Fassen wir es zusammen: Echte Rüstungskontrolle bedeutet letztlich die Akzeptanz einer polyzentrischen Welt, in der verschiedene Staaten eine Interessenausgleich miteinander suchen. Sie ist Realpolitik, als sie auch eine Abschreckungskomponente beinhaltet. Sie kann aber niemals auf einseitiger Durchsetzung der universellen Ideologie einer Seite basieren, die der anderen Seite das Existenzrecht abstreitet oder ihre daraus resultierenden Interessen!

Es folgt der Bezugsartikel von Oliver Thränert:

Betreff: Neue Zürcher Zeitung: Neue Flexibilität der Selbstverteidigung - 23.07.2019
Nach dem Auslaufen des INF-Vertrags

Neue Flexibilität der Selbstverteidigung

Gastkommentar

von

Oliver Thränert

Das Ende des INF-Vertrages markiert eine Zäsur für die europäische Sicherheit. Die USA und Russland hatten im Zuge dieses Abkommens eigentlich für immer auf bodengestützte Mittelstreckenwaffen im Reichweitenband zwischen 500 und 5500 Kilometern verzichtet. Doch Moskau hielt sich nicht an die Vereinbarung und stationierte nuklearfähige Marschflugkörper vom Typ SSC-8, die weiter als 500 Kilometer ¬fliegen können.

Noch ist nicht absehbar, wie viele dieser Waffen Russland wo aufzustellen gedenkt. In jedem Fall basiert Rüstungskontrolle indes auf dem Kerngedanken der gemeinsamen Sicherheit. Diese Grundlage hat Russland mit seinem Vertragsverstoss missachtet. Die amerikanische Kündigung des INF-Vertrages ist insofern konsequent. Doch folgt daraus für die USA oder die Nato keineswegs die Notwendigkeit, selbst zusätzliche Atomwaffen in Europa zu stationieren, die der INF-Vertrag verbot.

Mögliche grosse Belastungsprobe

Eine erneute nukleare «Nachrüstung» könnte zu schweren politischen Verwerfungen innerhalb wichtiger europäischer Staaten sowie zwischen ihnen führen. Besonders in Deutschland, sicherlich ein potenzielles Stationierungsland, wäre mit massivem Widerstand zu rechnen. Während auch andere westeuropäische Staaten die Stationierung zusätzlicher Kernwaffen kritisch sähen, würden osteuropäische Nato-Mitglieder, vor allem Polen, eine Stationierung von US-Atomwaffen auf ihrem Territorium begrüssen. Die Allianz wäre einer grossen Belastungsprobe ausgesetzt. Genau in diese Falle möchte Moskau die Nato locken. Sie sollte nicht hineintappen.

Doch welche militärstrategischen Probleme stellen sich mit dem Ende des INF-Vertrages?

Zunächst gilt es sich zu vergegenwärtigen: Russland ist nicht die Sowjetunion. Heutzutage kann Moskau ungeachtet der Fortschritte bei seiner Militärreform nicht mehr, wie noch während des Kalten Krieges, mit einer umfassenden Invasion drohen. Russland ist vielmehr eine regionale Herausforderung für die Flanken der Nato, etwa das Baltikum.

Zu beachten ist allerdings, dass der Stellenwert von Kernwaffen in der russischen militärischen Planung massiv gewachsen ist. Seit Jahren stationiert Moskau konventionell oder nuklear beladbare Iskander-Raketen in seinen westlichen Militärbezirken, darunter auch im Gebiet Kaliningrad. Zur See werden Kalibr-Marschflugkörper ebenfalls für konventionelle oder nukleare Einsätze bereitgehalten. Hinzu kommt die gegen den INF-Vertrag verstossende SSC-8, mit der Russland in der Lage ist, wichtige Kommunikations- und andere kritische Infrastrukturen bis weit hinein nach Westeuropa während einer Krise unter nukleare Drohung zu stellen.

Damit verfügt Russland über eine zahlenmässige Überlegenheit bei nichtstrategischen Kernwaffen. Im Westen wird von vielen befürchtet, Moskau könnte das Baltikum in einem Fait accompli besetzen. Es könnte dann die Nato mittels der Drohung einer nuklearen Eskalation daran zu hindern versuchen, die russische Aggression im Zuge konventioneller Gegenangriffe rückgängig zu machen. Sollte dieses Szenario eintreten, hätte sich die Allianz als Papiertiger erwiesen.

Auch wenn diese Überlegungen als eher unwahrscheinlich eingeschätzt werden mögen: Die Allianz muss auf entsprechende Szenarien vorbereitet sein. Wichtig war in diesem Zusammenhang die bereits erfolgte Bereitstellung von vier multinationalen Kampfgruppen in den baltischen Ländern sowie in Polen. Zudem gilt es die Einsatzbereitschaft der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), einer multinationalen, schnell verlegbaren Truppe, weiter zu verbessern. Ferner müssen die Nato-Staaten dafür sorgen, dass die von ihnen im Juni 2018 beschlossene Nato Readiness Initiative wie geplant umgesetzt wird. Demnach sollen die Nato-Staaten in der Lage sein, innerhalb von 30 Tagen 30 Heeresbataillone, 30 Fliegerstaffeln und 30 Kampfschiffe einsatzbereit zu machen. All dies stärkt die konventionelle Abschreckung der Nato und beeinflusst Moskaus Risikokalkül. Ein Überraschungsangriff soll möglichst ausgeschlossen bleiben.

Darüber hinaus gilt es, im russischen Hinterland für die Kriegführung wichtige Ziele unter Drohung stellen zu können. Dafür sind jedoch keine neuen Kernwaffen erforderlich. Vielmehr könnten konventionell bestückte Marschflugkörper in Europa stationiert werden. Umgekehrt könnte die Nato mehr tun, um wichtige Knotenpunkte wie Kommandozentralen, Flughäfen und Häfen besser gegen russische Raketen und Marschflugkörper zu schützen. In der Allianz regen sich erste Befürworter einer gestärkten erweiterten Luftverteidigung oder Raketenabwehr zum Schutz vor Moskau.

Ferner ist auf amerikanischer Seite die Stationierung einer kleinen Anzahl von Atomwaffen mit flexibler, möglichst geringer Sprengkraft auf Schiffen oder U-Booten angedacht. Auch sollen neue seegestützte Marschflugkörper beschafft werden. Ziel ist es, Russland mit begrenzten Nuklearschlägen drohen zu können. Kritiker befürchten, dadurch würde ein Atomkrieg führbarer und damit wahrscheinlicher. Dem kann entgegengehalten werden, dass flexible Nuklearoptionen die Abschreckung stärken, da Russland mit ihrem Einsatz rechnen müsste, gerade weil dies nicht mit einem allumfassenden Nuklearkrieg gleichzusetzen wäre.

Gefragt: Zusammenhalt

Schliesslich gilt es die bewährte Praxis der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato beizubehalten und dafür erforderliche Systeme zu erneuern. Derzeit werden die in Belgien, den Niederlanden, Deutschland, Italien und der Türkei stationierten amerikanischen nuklearen Freifallbomben vom Typ B-61 modernisiert. Wichtig ist darüber hinaus die bereits zum grossen Teil geplante Beschaffung moderner Kampfflugzeuge seitens der erwähnten europäischen Nato-Partner (die Türkei spielt hier eine Sonderrolle), um die nukleare Teilhabe zukunftssicher zu machen. Dies ist nicht mit einer Stationierung neuer Kernwaffen zu verwechseln und erfolgt unabhängig vom INF-Vertrag, da die entsprechenden Systeme nicht von ihm erfasst werden. Die nukleare Teilhabe dient dazu, die amerikanische und die europäische Sicherheit auch nuklear miteinander zu verbinden und die entsprechende Lastenteilung im Bündnis sicherzustellen. Ihre Preisgabe würde Moskau wichtige Räume eröffnen, um – was es schon lange anstrebt – den transatlantischen Verbund zu schwächen.

Bisher hat die Nato in der Krise rund um den INF-Vertrag bemerkenswert gut zusammengehalten. Dies sollte auch in Zukunft das übergeordnete Ziel bleiben. Eine Stationierung neuer US-Atomwaffen in Europa könnte dieses Ansinnen unterlaufen.

Oliver Thränert

leitet den Think-Tank am Center for Security Studies der ETH Zürich und ist Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin

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